Verwaltungsrecht

Indizwirkung einer Ablehnung des Asylantrags für geringe Bleibeperspektive bei Herkunftsländern mit hoher Schutzquote

Aktenzeichen  AN 6 K 16.01875

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Auch bei Herkunftsländern mit einer hohen Schutzquote ist die Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dann ein gewichtiges und zureichendes Indiz für das Fehlen einer günstigen Bleibeperspektive, wenn im Integrationskurszulassungsverfahren eine offensichtliche materielle Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung nicht feststellbar ist und auch in einem Gerichtsverfahren über die Ablehnung des Asylantrags keine Entscheidung ergangen ist, die die Indizwirkung dieser Ablehnung beseitigt.
2. Angesichts der hohen Schutzquoten für iranische Asylbewerber und einer hieraus abgeleitetem guten Bleibeperspektive kommt grundsätzlich eine Zulassung zu einem Integrationskurs nach § 44 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG in Betracht. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Trotz Herkunft aus einem Land mit hoher Schutzquote kann eine gute Bleibeperspektive jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der Asylantrag des Betroffenen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abgelehnt worden ist. Kann bei einer Prüfung des Bescheids des Bundesamts von einer offenkundigen materiellen Rechtswidrigkeit der Entscheidung nicht ausgegangen werden, fehlt es an der Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Erging im Asylverfahren eine ablehnende Entscheidung, kann ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt des Betroffenen nur noch dann erwartet werden, wenn sich die Entscheidung als offensichtlich rechtswidrig darstellt oder im asylrechtlichen Gerichtsverfahren eine Entscheidung ergeht, die die Indizwirkung des Ablehnungsbescheids beseitigt. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Im Hinblick auf die klare gesetzliche Intention kann § 44 Abs. 4 S. 1 AufenthG nur so verstanden werden, dass im Rahmen des behördlichen Ermessens lediglich Ausländer, die sich rechtmäßig hier aufhalten und über einen Aufenthaltstitel verfügen, der einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland impliziert, zugelassen werden können. (VG Ansbach BeckRS 2017, 110026). (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

I.
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO). Mangels hinreichend sicherer Bleibeperspektive kommt eine Zulassung des Klägers zum Integrationskurs nicht in Betracht.
Die Rechtsgrundlage für Zulassungen zum Integrationskurs für Ausländer, die – wie der Kläger – keinen Teilnahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 AufenthG geltend machen können, findet sich in § 44 Abs. 4 AufenthG. Dieser ist für das vorliegende Verpflichtungsbegehren in der derzeit geltenden Fassung vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) anzuwenden. Demnach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden (Satz 1). Diese Regelung findet entsprechend Anwendung (Satz 2) auf deutsche Staatsangehörige (Alt. 1), wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und in besonderer Weise integrationsbedürftig sind, sowie auf Ausländer (Alt. 2), die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (Nr. 1), eine Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 besitzen (Nr. 2) oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Ab-satz 5 besitzen (Nr. 3). Bei einem Asylbewerber, der aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a des Asylgesetzes stammt, wird vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist (Satz 3).
1. Auf die speziellen Regelungen in § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann sich der Kläger nicht stützen.
Da er nicht deutscher Staatsangehöriger ist und weder eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG besitzt (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 2 AufenthG) noch im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 3 AufenthG), kann er im Rahmen von § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) allenfalls nach der dortigen Nummer 1 der Alternative 2 zum Integrationskurs zugelassen werden, wenn er eine Aufenthaltsgestattung besitzt und ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist. Da die Beklagte für Staatsangehörige des Herkunftslandes Iran aufgrund der hohen Schutzquoten für Asylbewerber aus diesem Herkunftsland grundsätzlich eine gute Bleibeperspektive annimmt, käme beim Kläger eine darauf gestützte Zulassung zu einem Integrationskurs in Frage.
Im Fall des Klägers kann jedoch trotz seiner Herkunft aus dem Iran als vom Bundesamt eingestuftes Land mit hoher Schutzquote eine gute Bleibeperspektive jedenfalls deshalb nicht angenommen werden, da der Asylantrag des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts mit Bescheid vom 30. März 2016 abgelehnt worden ist. Mit Bescheid vom 30. März 2016 wurden der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz nicht zuerkannt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung in den Iran aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Nachdem bei Durchsicht dieses Bescheides von einer offenkundigen materiellen Rechtswidrigkeit der Entscheidung im Asylverfahren des Klägers nicht ausgegangen werden kann und auch ansonsten keine hinreichend sichere Bleibeperspektive ableitbar ist, fehlt es im vorliegenden Verfahren auf Zulassung des Klägers zum Integrationskurs im gegenwärtigen Zeitpunkt an der tatbestandsmäßig vorausgesetzten Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts. Mit der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 30. März 2016 liegt eine Einzelfallwürdigung der zuständigen Behörde vor, aufgrund der von einer Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts des Klägers trotz seiner Herkunft aus dem Iran als Land mit einer hohen Gesamtschutzquote nicht ausgegangen werden kann. Dass am 8. November 2016 vor dem Verwaltungsgericht Trier gegen den Bescheid vom 30. März 2016 Klage erhoben worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Aufgabe der Entscheidungsträger in den Massenverfahren wegen der Zulassung zum Integrationskurs kann es nach der erkennbaren Intention des Gesetzgebers, der dies im Bereich des Aufenthaltsgesetzes und nicht des Asylgesetzes angesiedelt hat und auf eine Prognose im Sinne einer Erwartung abstellt (vgl. auch BT-Drs. 18/6185 Begr. S.48 f.), nicht sein, die vom Asylantrag erfassten Rechtspositionen im Einzelfall – quasi in einem parallelen Asylverfahren – selbst durchzuprüfen. Mithin kann nach einer ablehnenden Entscheidung im Asylverfahren allenfalls dann noch ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt erwartet werden, wenn die im Asylverfahren getroffene Entscheidung sich als offensichtlich rechtswidrig darstellt oder im asylrechtlichen Gerichtsverfahren eine Entscheidung ergeht, die die Indizwirkung des Ablehnungsbescheides beseitigt. Dies liegt hier jedoch nicht vor. Die Entscheidung der Beklagten vom 30. März 2016, welche nach einer umfassenden Würdigung und Bewertung der bei der Anhörung vom Kläger vorgetragenen Asylgründe erfolgt ist, ist nach summarischer Überprüfung der Begründung des Bescheides inhaltlich nicht als offensichtlich fehlerhaft zu beanstanden und der Kläger kann auch nicht auf eine einschlägige Entscheidung zu seinen Gunsten im Gerichtsverfahren über seinen Asylantrag verweisen. Die Ablehnungsentscheidung im Asylverfahren stellt so vielmehr ein gewichtiges und zureichendes Indiz für das Fehlen einer günstigen Bleibeperspektive des Klägers dar.
Der Einwand des Klägers, den ablehnenden Asylbescheid der Beklagten vom 30. März 2016 nicht erhalten zu haben, führt zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung. Maßgeblich ist, dass die Beklagte an der im Asylverfahren getroffenen Entscheidung vom 30. März 2016 festhält, wie die Ausführungen der Beklagten mit Schriftsatz vom 9. November 2016 zeigen. Damit besteht unabhängig von der Frage des Zugangs der Entscheidung im Asylverfahren für das Verfahren auf Zulassung des Klägers zum Integrationskurs keine gute Prognose mehr für einen erfolgreichen Asylantrag des Klägers und somit keine gute Bleibeperspektive. Ob der Bescheid vom 30. März 2016 ordnungsgemäß zugestellt wurde bzw. als zugestellt gilt, kann im streitgegenständlichen Verfahren mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben.
2. Da der Kläger hier bei der Beurteilung seines Zulassungsbegehrens zum Integrationskurs als Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung fallmäßig dem Spezialtatbestand des § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG zuzuordnen ist, ist bereits sehr fraglich, ob nach der Gesetzessystematik für ihn ein alternativer Anspruch direkt aus § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG überhaupt in Betracht kommt.
Dies kann jedoch dahinstehen, denn jedenfalls stünde dem Kläger ein Anspruch auf Zulassung zum Integrationskurs im Ermessenswege auch unmittelbar aus § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht zu. Hiernach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden. Im Hinblick auf die klare gesetzliche Intention kann § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG jedoch nur so verstanden werden, dass im Rahmen des behördlichen Ermessens lediglich Ausländer, die sich rechtmäßig hier aufhalten und über einen Aufenthaltstitel verfügen, der einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland impliziert, zugelassen werden können. Dies ist bereits der Eingangsvorschrift des Kapitel 3 des Aufenthaltsgesetzes (Integration) zu entnehmen, wo in § 43 Abs. 1 AufenthG eindeutig ausgeführt ist, dass die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland gefördert wird. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG können damit nur Ausländer, die die Voraussetzungen eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthaltes erfüllen und die – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nicht mehr teilnahmeberechtigt an einem Integrationskurs im Sinne des § 44 Abs. 1 AufenthG (vgl. auch § 44 Abs. 2 und 3 AufenthG) sind, zu einem solchen Kurs zugelassen werden. Die beschriebene Qualität des Aufenthalts ist demgemäß zu fordern, weil – was die Kammer für vorzugswürdig erachtet – diese aufenthaltsbezogene Voraussetzung bei der Zusammenschau von § 43 und § 44 AufenthG bereits ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darstellt (VG Ansbach, B.v. 13.9.2006 – AN 19 K 06.02014 – juris), oder zumindest deshalb, weil bei Fehlen dieser Voraussetzung sich das Ermessen auf Null in Richtung auf die Zulassungsversagung reduziert (vgl. BayVGH, U.v. 19.9.2007 – 19 BV 07.575 – juris). Angesicht der Darlegungen unter 1. ist hier aber ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt des Klägers im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erwarten, so dass die Möglichkeit einer Ermessensausübung zu seinen Gunsten nach § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG überhaupt nicht besteht.
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache mangels Vorliegens gesicherter obergerichtlicher Rechtsprechung zu der schwierigen Auslegungsfrage der Erwartung eines „rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthaltes“ im Rahmen des neu geschaffenen § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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