Verwaltungsrecht

Inländische Fluchtalternative für russische Staatsangehörige in der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 16.30132

Datum:
22.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 51750
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2
AsylG § 3e Abs. 1

 

Leitsatz

Russische Volkszugehörige können in den unter der Kontrolle des ukrainischen Staates stehenden Ort Charkiw zurückkehren. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 K 16.30672 2016-05-27 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Die Kläger sind nach ihren eigenen Angaben ukrainische Staatsangehörige russischer Volkszugehörigkeit und stammen ursprünglich aus Kasachstan. Sie lebten vor ihrer Ausreise im Gebiet Charkiw, das im Osten an die Gebiete Donezk und Luhansk angrenzt.
Am 16. März 2014 reisten sie mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein, um ihre schon länger dort lebenden Kinder zu besuchen. Am 2. April 2014 stellten sie Asylanträge. Mit Bescheid vom 7. März 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Sachvortrag der Kläger – eine einmalige gewaltsame Drohung durch vier unbekannte Männer – sei nicht dazu geeignet, daraus eine konkrete Bedrohung im Sinne einer Verfolgungshandlung abzuleiten. Im Übrigen könnten sie auch in den anderen von der Regierung kontrollierten Landesteilen internen Schutz finden.
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 27. Mai 2016 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen nach § 77 Abs. 2 AsylG auf den Bescheid Bezug genommen. Den Klägern stehe weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Unabhängig davon, ob ihnen im Gebiet Charkiw, das nach der Erkenntnislage von der ukrainischen Regierung kontrolliert werde, politische Verfolgung drohe, bestehe aber auch eine inländische Fluchtalternative. Nach den Erkenntnismitteln sei eine generelle Verfolgung russischstämmiger Personen in der Ukraine nicht ersichtlich. Es gäbe keine Anhaltspunkte, dass der ukrainische Staat grundsätzlich nicht in der Lage oder willens sei, Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure zu bieten. Die Kläger könnten sich in anderen Landesteilen niederlassen und seien dort sicher. In wirtschaftlicher Hinsicht könnten sie auf die eigene Arbeitskraft bzw. auf den Rentenbezug sowie auf die mögliche finanzielle Unterstützung durch ihre Kinder zurückgreifen. Auch ein Anspruch auf subsidiären Schutz oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten sei nicht gegeben.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung machen die Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und weiche von Entscheidungen einiger Oberverwaltungsgerichte ab.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 72). Wird die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124a Rn. 7). Daran fehlt es hier.
Das Verwaltungsgericht hat nach § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen und stützt sein Urteil damit auf die dort genannten tragenden Gründe. Hinsichtlich der Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat die Beklagte in dem Bescheid vom 7. März 2016 ausgeführt, den Klägern drohe keine politische Verfolgung und darüber hinaus stehe auch eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Bezogen auf die Frage, ob den Klägern überhaupt eine politische Verfolgung in ihrem Heimatland droht, wird mit der Antragsbegründung keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, die grundsätzlich klärungsbedürftig wäre, sondern es werden nur im Stile eine Berufungsbegründung verschiedene Fehler des erstinstanzlichen Urteils behauptet. Dies kann nicht zur Zulassung der Berufung führen. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob den Klägern als russischen Volkszugehörigen in der West-Ukraine eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, denn sie können an den zwar in der Ostukraine liegenden, aber unter der Kontrolle des ukrainischen Staates stehenden Heimatort Charkiw zurückkehren.
Auch hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes und der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann der Antragsbegründung keine grundsätzliche Frage entnommen werden.
2. Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass ein Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts von einem tragenden Rechts- oder Tatsachensatz des Divergenzgerichts abweicht und die Entscheidung darauf beruht.
Mit der Antragsbegründung wird keine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts genannt, von der das erstinstanzliche Urteil abweicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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