Verwaltungsrecht

Inländische Fluchtalternative in Pakistan – fehlendes Meldewesen

Aktenzeichen  M 19 K 17.32578

Datum:
2.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 161401
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Selbst Personen, die wegen Mordes gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Nr. 5) sowie der Befristungsentscheidung (Nr. 6) bestehen keine Zweifel.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht nicht. Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich
a) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
b) außerhalb des Landes befindet
aa) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder
bb) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln die §§ 3a bis d AsylG.
Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in Pakistan Verfolgung droht. Für die Beurteilung dieser Frage gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Es kann dabei offenbleiben, ob die von ihm geschilderte Bedrohung an ein Merkmal des § 3 Abs. 1 Nr. AsylG anknüpft. Denn der Kläger ist gehalten, in einem anderen Landesteil Pakistans Schutz suchen. Der Kläger hat die Möglichkeit, in eine der Großstädte Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan auszuweichen, § 3e AsylG. Nach den Erkenntnissen des Auswärtige Amts können selbst Personen, die wegen Mordes gesucht werden, in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: 30.05.2016, S. 21). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger so exponiert ist, dass ihm eine landesweite Verfolgung drohen würde: Die Angaben des Klägers hierzu, dass seine Familie während des Aufenthalts bei seiner Tante angegriffen worden sei, ist nicht glaubhaft. Dieser erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgte Vortrag steht im Widerspruch zu den Angaben des Klägers vor dem Bundesamt, wonach er expliziert erklärt hat, dass sie bei seiner Tante sicher gewesen sind. Im Übrigen sind die Angaben zu diesem Angriff auf die Familie bei seiner Tante vage und detailarm geblieben. Ferner ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nur sechs Monate später in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist, wenn ein solcher Angriff, der sogar den Tod eines Kindes aus der Familie zur Folge gehabt haben soll, tatsächlich stattgefunden hat. Die Angaben des Klägers zu dem Angriff in Lahore hält das Gericht ebenfalls nicht für glaubhaft. Der Kläger hat diesen angeblichen Vorfall gegenüber dem Bundesamt nicht erwähnt, obgleich er Anlass für die Flucht ins Ausland gewesen sein soll. Die Angaben des Klägers zu diesem Vorfall blieben selbst nach Nachfrage ebenfalls detailarm, ungenau und vage.
Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass für den Kläger als jungen, gesunden und erwerbsfähigen Mann eine sichere inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.
Auch das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint. Dabei hat sie die Erkenntnisse über die aktuelle Situation in Pakistan umfassend zu Grunde gelegt. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an (§ 77 Abs. 2 AsylG). Änderungen der Sachlage haben sich zwischen dem Erlass des Bescheids und der mündlichen Verhandlung nicht ergeben.
Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Beim Kläger handelt es sich um einen jungen, offenbar gesunden und arbeitsfähigen Mann mit Arbeitserfahrung, von dem zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung.


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