Verwaltungsrecht

Interne Schutzalternativen in Nigeria vor einer Bedrohung durch Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft

Aktenzeichen  M 21a K 17.41920

Datum:
16.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14572
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11 Abs. 2, 3, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Repressionen Dritter, wie Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft, durch Umzug in eine andere Region Nigerias auszuweichen (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als gesundem und erwerbsfähigen Mann kann von ihm vernünftigerweise auch erwartet werden, dass er sich an einem solchen für ihn ungefährlichen Ort in Nigeria niederlässt, den er über den Flughafen Lagos sicher und legal erreichen kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Er kann für sich und seine Familie eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen, auch wenn er sich fernab seines Familienverbandes eine neue Existenz aufbauen würde, um eine eventuelle Gefahr der Beschneidung der Tochter abzuwenden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Grundgesetz (GG), die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG oder des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Auch gegen die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehen keine rechtlichen Bedenken. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Lediglich ergänzend hierzu wird ausgeführt:
Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil er auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik D. eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Dabei kommt es auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und schlüssige Angaben ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen zu den Umständen machen, die für die von ihm befürchtete Gefahr der Verfolgung bzw. einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung maßgeblich sind. Der Antragsteller hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens besteht und es ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren; es müssen kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben gemacht werden (vgl. Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU sowie BVerfG, B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gericht auch nach dem Eindruck, den es sich in der mündlichen Verhandlung von der Glaubhaftigkeit des Vorbringens machen konnte, insbesondere angesichts der Pauschalität des Vortrags, aber auch wegen des in der mündlichen Verhandlung erheblich gesteigerten Vorbringens, nicht überzeugt, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus N. Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG oder einen ernsthaften Schaden im Sinne von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erlitten hat bzw. ihm solches unmittelbar bevorgestanden hat und dass er damit stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm bei einer Rückkehr nach N. eben dies droht.
Insgesamt stellt sich der Vortrag des Klägers zu den angeblichen Bedrohungen in seiner Gänze als nicht konsistent, gesteigert sowie überaus pauschal und vage dar. Auch auf Nachfrage des Gerichts nannte der Kläger keinerlei Details zu den näheren Umständen der beiden angeblichen Überfälle durch Mitglieder der OgboniGesellschaft in … City und in der T.-Provinz. Vielmehr beschränkte sich der Kläger ausschließlich auf eine vage Schilderung des äußeren Rahmens der Geschehnisse, obgleich bei dem ersten Überfall in … City immerhin sein Cousin, mit dem er zusammengelebt und gearbeitet haben will, getötet worden sein soll. Auch hinsichtlich des zweiten Überfalls in der T.-Provinz konnte der Kläger keinerlei detailliertere Angaben machen. Er wich vielmehr aus, indem er erklärte, ihm sei klar gewesen, dass der Angriff aus dem Heimatstaat komme, da sein Vater ihn früher dort gegen alles, unter anderem Waffen, Schlangen etc., geschützt habe. Von einem Asylantragsteller, der wie der Kläger nach eigenen Angaben 11 Jahre die Schule besucht hat und damit über ein gutes Bildungsniveau verfügt, wäre jedoch zu erwarten, dass er eine Bedrohungssituation kohärent und unter Angabe von Einzelheiten schildern könnte, wenn er sie denn persönlich erlebt hätte. Hinzu kommt, dass der Kläger seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung erheblich gesteigert hat, indem er nun erstmals vortrug, dass sein Vater ihn auch beschützt habe, als die Society versucht habe, ihn zum Beitritt zu bewegen. Dies habe er abgelehnt, da er Ungerechtigkeit verabscheue. Er wisse aber einiges über die Society, weshalb diese versucht habe, ihn fertig zu machen. Er kenne den Typen, der ihn habe anwerben wollen. Es sei ein Freund von ihm gewesen, der es ihm dann übelgenommen habe, dass er den Ogboni nicht beigetreten sei. Hingegen hatte er ausweislich der Niederschrift vor dem Bundesamt nur erklärt, dass sein Cousin M* …, der erschossen worden sei, den Ogboni als Nachfolger seines Vaters – des Onkels des Klägers – habe beitreten sollen. Seine auf Vorhalt des gesteigerten Vortrags gegebene Erklärung, dass er dies auch bereits vor dem Bundesamt erklärt habe, vermag nicht zu überzeugen, da er spätestens im Rahmen der Rückübersetzung Gelegenheit gehabt hätte, insbesondere die ihn persönlich betreffenden Berührungen mit der Ogboni-Gesellschaft zu ergänzen. Schließlich erklärte der Kläger bei seiner Erstbefragung durch die zentrale Ausländerbehörde am 27. Juni 2016, von Italien aus seine Familie in N. besucht und dort seinen Pass verlängert zu haben. Wenn er tatsächlich seine Ermordung durch die Ogboni Gesellschaft befürchtete, wäre er wohl kaum freiwillig nach N. zurückgekehrt. Insgesamt konnte das Gericht aus seinen vagen und in der mündlichen Verhandlung überdies erheblich gesteigerten Ausführungen, die trotz Nachfragen des Bundesamts und des Gerichts wenig Konkretes hervorbrachten, nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger die von ihm pauschal vorgebrachten Geschehnisse tatsächlich erlebt hat.
Zudem geht das Gericht – unabhängig von der Glaubhaftigkeit des geltend gemachten Verfolgungsschicksals – davon aus, dass der Kläger nach einem Zeitablauf von City nicht mehr von Mitgliemittlerweile ca. 8 Jahren seit seinem Weggang aus dern der Ogboni-Gesellschaft gesucht und bedroht würde (vgl. hierzu auch EASO, Country of Origin Report: N. – Targeting of Individuals – vom November 2018, S. 115 ff.).
Darüber hinaus wäre dem Kläger, wenn er befürchtete, dass die Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft ihm überraschenderweise dennoch immer noch nachstellten, zuzumuten, Schutz in einer anderen Region N.s zu suchen (§§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG). Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik N. vom 16. Januar 2020 – Lagebericht – S. 16 f.). Mit einer Fläche von 925.000 qkm ist N. fast dreimal so groß wie D.. Nach Art. 41 der Verfassung der Bundesrepublik N. von 1999 steht es jedem N.ner frei, sich überall in N. niederzulassen. Zu beachten ist darüber hinaus auch, dass in N. faktisch kein Meldewesen vorhanden ist (vgl. Lagebericht vom 16. Januar 2020 S. 24), weshalb es umso unwahrscheinlicher ist, dass der Kläger an einem anderen Ort in N. außerhalb seiner Heimatregion gefunden werden kann. Dass er in einer der Millionenstädte nach einem Zeitablauf von mittlerweile ca. 8 Jahren immer noch von Mitgliedern der Ogboni-Gesellschaft gesucht und aufgespürt würde, hält das Gericht daher für äußerst unwahrscheinlich.
Als gesundem und erwerbsfähigen Mann kann von ihm vernünftigerweise auch erwartet werden, dass er sich an einem solchen für ihn ungefährlichen Ort in N. niederlässt, den er über den Flughafen Lagos sicher und legal erreichen kann. Dabei ist im Sinne einer realistischen Rückkehrprognose davon auszugehen, dass der Kläger zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern nach N. zurückkehren würde. Im Hinblick darauf, dass der Kläger 11 Jahre die Schule besucht und als Schweißer gearbeitet hat, ist aber davon auszugehen, dass er für sich und seine Familie trotz der Schwierigkeiten, mit denen sich der ganz überwiegende Teil der nigerianischen Bevölkerung im Hinblick auf die Existenzsicherung konfrontiert sieht, eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen kann, auch wenn er sich fernab seines Familienverbandes eine neue Existenz aufbauen würde, um eine eventuelle Gefahr der Beschneidung der Tochter abzuwenden.
Aus diesen Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die (ausnahmsweise, vgl. die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zum diesbezüglichen strengen Maßstab des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sowie auch § 60 Abs. 7 AufenthG) Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung in N., auch wenn im Sinne einer realistischen Rückkehrprognose auch an dieser Stelle davon auszugehen ist, dass er im Familienverband mit seiner Frau und den beiden Kindern nach N. zurückgekehrt.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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