Verwaltungsrecht

(isolierte) Anfechtungsklage gegen Gebührenforderung, keine Testpflicht bei unterbliebener Quarantäne, Maßnahme, Testpflicht von Lehrkräften an Schulen, Selbsttest, Rechtswidrigkeit der Kostenerhebung

Aktenzeichen  Au 9 K 21.1092

Datum:
27.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33358
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
IfSG § 25
IfSG § 28
BayIfSMV § 18 Abs. 4 der 12.
KG Art. 16 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Nr. 3 des Bescheids des Landratsamts … vom 28. April 2021 (Nr. …, Az.: …) wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten übereinstimmend auf eine solche verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet, da die Kostenerhebung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids vom 28. April 2021 als allein verbliebener Gegenstand des Verfahrens Au 9 K 21.1092 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Kostenentscheidung in Nr. 3 des mit der Klage angegriffenen Bescheids des Landratsamts … ist rechtswidrig, da die Grundverfügung in der Sache zu beanstanden ist.
Nach Art. 1 Abs. 1 KG erheben die Behörden des Staates für ihre Tätigkeit, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen), Kosten (Gebühren und Auslagen). Zur Zahlung der Kosten ist verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst hat, im Übrigen diejenige Person, in deren Interesse die Amtshandlung vorgenommen wird (Art. 2 KG). Die Höhe der Gebühren bemisst sich nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 KG nach dem Kostenverzeichnis (KVz).
Zwar ist vorliegend die Gebührenhöhe von 100,00 EUR nicht zu beanstanden, da sie im durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 KG eröffneten Rahmen von fünf bis 25.000,00 EUR liegt. Jedoch dürfen die geforderten Kosten nach Art. 16 Abs. 5 KG nicht erhoben werden, weil die Grundverfügung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Grundsatz, Kosten nur für rechtmäßig erfolgte Maßnahmen zu erheben, wurzelt im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip und hat seine konkrete Ausgestaltung in Art. 16 Abs. 5 KG gefunden. Nach Art. 16 Abs. 5 KG werden Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht erhoben. Mit der Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) wäre es nicht zu vereinbaren, selbst bei unanfechtbarer oder erledigter Grundverfügung den insoweit betroffenen Rechtmäßigkeitszusammenhang zwischen dieser Grundverfügung und der hierzu ergangenen Kostenentscheidung auszublenden. Denn dann bliebe in diesen Fällen insbesondere bei erkennbar rechtswidriger Grundverfügung ungeprüft, ob eine Kostenbelastung überhaupt veranlasst war (vgl. VG Würzburg, U.v. 7.10.2020 – W 6 K 19.1327 – juris Rn. 30).
2. Die gegenüber dem Kläger für den 30. April 2021 angeordnete Testungsverpflichtung (Nrn. 1.1 und 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids) ist rechtswidrig, weil die vom Beklagter für die Testungsverpflichtung des Klägers herangezogene Rechtsgrundlage aus § 25 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 und § 29 Abs. 1 IfSG die Anordnung nicht rechtfertigen kann. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 IfSG beim Kläger vorliegen.
a) Nach § 25 Abs. 1 IfSG stellt das Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen an, sofern sich ergibt oder anzunehmen ist, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist oder dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Nur die in § 25 Abs. 1 IfSG genannten Personen können nach § 25 Abs. 3 Satz 1 IfSG durch das Gesundheitsamt vorgeladen und zur Duldung von Untersuchungen verpflichtet werden (§ 25 Abs. 3 Satz 2 IfSG). § 29 Abs. 1 IfSG bestimmt weiter, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider einer Beobachtung unterworfen werden können.
Die maßgeblichen Personengruppen sind in § 2 Nr. 4 bis Nr. 7 IfSG legal definiert. Danach ist ein „Krankheitsverdächtiger“ eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen; ein „Ausscheider“ ist eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein. „Ansteckungsverdächtiger“ ist schließlich eine Person von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.
Die Aufnahme von Krankheitserregern im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Annahme eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist. Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme geradezu aufdrängt. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist, als das Gegenteil (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – juris Rn. 31 ff.; VGH BW, B.v. 15.1.2021 – 1 S 4180/20 – BeckRS 2021, 394; Kießling, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Auflage 2021, § 2 Rn. 29 ff.; Gabriel in BeckOK, Infektionsschutzrecht, Eckart/Winkelmüller, Stand: 1.7.2021, § 2 Rn. 36 bis 39).
b) Nach diesen Maßstäben liegt beim Kläger keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr vor, so dass er nicht als Krankheits- bzw. Ansteckungsverdächtiger im Sinne der §§ 25 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG betrachtet werden kann. In Bezug auf sämtliche vom Beklagten angeführten Quellfälle wurde der Kläger bereits nicht als enge Kontaktperson im Sinn der Allgemeinverfügung über die Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation für die positiv auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation) vom 14. April 2021 (Az.: G51s-G8000-2021/505-38) eingestuft. Auch die eher als statisch zu beurteilende Kontaktsituation aufgrund der Tätigkeit als Lehrkraft und der damit verbundenen vergleichsweise kurzzeitigen Kontaktsituation rechtfertigt nicht die Annahme eines Ansteckungsverdachts im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG. Überwiegen – wie hier – Faktoren, die für ein geringes Infektionsrisiko sprechen, so kann das Gesundheitsamt gezielte Quarantänemaßnahmen für die umliegenden Sitznachbar/innen anordnen (vgl. VG Schleswig, B.v. 19.8.2021 – 1 B 106/21 – BeckRS 2021, 22865 Rn. 14), nicht aber den gesamten Klassenverband einschließlich der Lehrkräfte einer abklärenden Reihentestung unterziehen. Selbst wenn man eine Testpflicht als milderes Mittel gegenüber der Anordnung einer 14-tätigen Quarantäne betrachten würde, wäre zumindest Voraussetzung, dass der Kläger als enge Kontakteperson im Sinne der AV-Isolation eingestuft worden ist, was hier offensichtlich nicht der Fall ist.
Die angeordnete Testpflicht kann auch nicht allein mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Lehrer und einem hiermit einhergehenden Ansteckungsrisiko begründet werden. Nach § 18 Abs. 4 Satz 1 der insoweit maßgeblichen 12. BayIfSMV vom 5. März 2021 ist Schülerinnen und Schülern die Teilnahme am Präsenzunterricht oder an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Notbetreuung und Mittagsbetreuung nur erlaubt, wenn sie sich zweimal wöchentlich nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5 einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 unterziehen. Nach § 18 Abs. 4 Satz 2 der 12. BayIfSMV haben die Schülerinnen und Schüler hierfür zu Beginn des Schultages über ein schriftliches oder elektronisches negatives Ergebnis eines PCR- oder POC-Antigentest zu verfügen und dieses auf Anforderung vorzuweisen oder müssen in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben. Für Lehrkräfte und Schulverwaltungspersonal bestimmt insoweit § 18 Abs. 4 Satz 7 der 12. BayIfSMV hinsichtlich der Tätigkeit in den Schulräumen die entsprechende Anwendung der Sätze 1 bis 5 mit der Maßgabe, dass bei Lehrkräften auch ein Selbsttest außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vorgenommen werden kann, wenn die jeweilige Person versichert, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist. Dass der Kläger dieser für ihn geltenden Verpflichtung aus § 18 Abs. 4 Satz 7 der 12. BayIfSMV bislang nicht nachgekommen ist, ist nicht erkennbar. Sollten Zweifel hinsichtlich der vom Kläger vorgenommenen zweimal wöchentlichen Selbsttestungen bestehen, wäre diesen mit dienstrechtlichen Mitteln zu begegnen. Eine fortdauernde Behandlung des Klägers als Krankheitsverdächtigem bzw. Ansteckungsverdächtigem im Sinne des § 25 Abs. 1 IfSG kann daraus nicht abgeleitet werden.
Da die der Kostenforderung zugrunde liegende Grundverfügung in Nrn. 1.1 und 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist bzw. war, durften hierfür gemäß Art. 16 Abs. 5 KG keine Kosten erhoben werden. Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids war daher antragsgemäß aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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