Aktenzeichen 15 ZB 22.30463
Leitsatz
Verfahrensgang
M 27 K 20.33133 2022-02-04 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe
I.
Die Klägerinnen sind jordanische Staatsangehörige. Sie wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Oktober 2020, mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt wurden, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 4. Februar 2022 – Az. M 27 K 20.33133 – wies das Verwaltungsgericht München die von den Klägerinnen erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Oktober 2020 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und sie als Flüchtlinge anzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ab. Das Urteil wurde laut Empfangsbekenntnis den Bevollmächtigten der Klägerinnen am 7. April 2022 zugestellt.
Ebenfalls mit Urteil vom 4. Februar 2022 wies das Verwaltungsgericht München eine asylrechtliche Klage des Ehemanns der Klägerin zu 1 und Vaters der Klägerinnen zu 2 und 3 unter dem Az. M 27 K 20.33131 ab. Auf die erstinstanzliche Gerichtsakte dieses Verfahrens, die Akten des Verwaltungsgerichtshofs zum Verfahren 15 ZB 22.30516 und den Beschluss des Senats zu diesem Verfahren vom heutigen Tag wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2022 übermittelte das Verwaltungsgericht München dem Verwaltungsgerichtshof folgende Unterlagen, die im übermittelnden Schreiben allein dem Verfahren der o.g. Klägerinnen mit dem erstinstanzlichen Aktenzeichen M 27 K 20.33133 zugeschrieben waren:
– (1) beim Verwaltungsgericht am Montag, den 9. Mai 2022, elektronisch über beA eingegangener Schriftsatz vom 6. Mai 2022, laut dessen Rubrum einerseits der Antrag auf Zulassung der Berufung für das Verfahren „M 27 K 20.33133“ gestellt wurde, anderseits der Ehemann der Klägerin zu 1 bzw. Vater der Klägerinnen zu 2 und 3 des vorliegenden Verfahrens als Kläger und Antragsteller des Berufungszulassungsverfahrens namentlich benannt wird,
– (2) weiterer (ebenfalls beim Verwaltungsgericht am Montag, den 9. Mai 2022, elektronisch über beA eingegangener) Schriftsatz vom 6. Mai 2022, laut dessen Rubrum der Antrag auf Zulassung der Berufung ebenfalls für das Verfahren „M 27 K 20.33133“ gestellt wurde, wobei diesmal ausdrücklich die Klägerinnen des vorliegenden Verfahrens als Antragsteller des Berufungszulassungsantrags namentlich benannt waren.
Der Beklagten wurde zunächst versehentlich nur der erstgenannte Schriftsatz zur Möglichkeit der Stellungnahme übermittelt.
Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 wies die Beklagte darauf hin, dass es zwei Urteile vom 4. Februar 2022 gibt, nämlich zum einen bezogen auf die Klägerinnen des vorliegenden Verfahrens (Az. M 27 K 20.33133) und zum andern bezogen auf den Ehemann / Vater (Az. M 27 K 20.33131). Es werde um Aufklärung gebeten, welche Antragsteller / Kläger zu welchem Zeitpunkt einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hätten.
Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 teilte der Bevollmächtigte der Klägerinnen sowie des Klägers im Parallelverfahren (Az. VG München M 27 K 20.33131) mit, er habe in beiden Verfahren einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Auf Verfügung des Vorsitzenden des Senats wurde am 30. Mai 2022 für den Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Klägerinnen zu 2 und 3 ein eigenständiges Berufungszulassungsverfahren unter dem Aktenzeichen 15 ZB 22.30516 angelegt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Senat geht aufgrund des oben beschriebenen Sachverhalts davon aus, dass – jeweils rechtzeitig (§ 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG) und formgemäß (§ 55d VwGO) – Anträge auf Zulassung der Berufung gegen beide Urteile vom 4. Februar 2022 gestellt worden sind.
2. Der von den Klägerinnen des vorliegenden Verfahrens (erstinstanzliches Verfahren M 27 K 20.33133) allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 15 ZB 21.31689 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 16.3.2022 – 15 ZB 22.30278 – juris Rn. 17). Eine Grundsatzrüge, die sich auf tatsächliche Verhältnisse stützt, erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 16.3.2022 a.a.O.; SächsOVG, B.v. 15.9.2021 – 6 A 1078/19 A – juris Rn. 3 m.w.N.).
Die von den Klägerinnen als grundsätzlich angesehene Frage,
„ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen in Jordanien die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann“,
erfüllt schon deshalb nicht die o.g. Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrunds, weil sie sich abstrakt und losgelöst vom Einzelfall nicht beantworten lässt, sondern nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts geklärt werden kann. Ferner trifft es nicht zu, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit den (allgemeinen) humanitären Bedingungen in Jordanien auseinandergesetzt hat. Das Verwaltungsgericht hat über § 77 Abs. 2 AsylG allgemein auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts vom 21. Oktober 2020 Bezug genommen und diese hierüber zum Gegenstand seiner Entscheidungsgründe gemacht. In der Begründung des Bescheids wird auch auf die (grundsätzlich schlechten) allgemeinen humanitären Bedingungen in Jordanien eingegangen. Es sei aber davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1 als junge, gesunde und erwerbsfähige Frau mit guter Schulbildung und Berufserfahrung als Sekretärin bei einer Rückkehr nach Jordanien mit Hilfe ihrer eigenen Arbeitskraft sowie mit Unterstützung ihres Ehemannes in der Lage wäre, das Existenzminimum für sich und ihre Töchter (die Klägerinnen zu 2 und 3) zu erwirtschaften. Speziell für die Klägerin zu 2 wird in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ergänzend ausgeführt, dass deren Augenkrankheit in Jordanien behandelt werden könne, sodass für diese bei einer Rückkehr keine erhebliche konkrete Gefahr i.S. von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Form einer wesentlichen Verschlimmerung der Krankheit für Leib und Leben bestehe. Dem hat die Antragsbegründung nichts Substantielles entgegengesetzt.
Der (im Übrigen ohne exakte Quellenangaben belegte) Vortrag in der Antragsbegründung, wonach
– in Jordanien Frauen diskriminiert würden und nur unzureichend gegen Verbrechen im Namen der „Familienehre“ und andere Gewalttaten geschützt seien,
– laut einem Bericht einer jordanischen Frauenorganisation auf Basis von Presseberichten in Jordanien zwischen Januar und August 2015 zehn mutmaßliche Tötungen von Frauen und Mädchen im Namen der „Familienehre“ dokumentiert worden seien und
– von diesbezüglichen Problemen auch die Klägerin zu 1 betroffen sei, der gegenüber seitens der Großfamilie bereits telefonisch verschiedene Gewaltandrohungen ausgesprochen worden seien,
ist zudem nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht (UA S. 6) wie schon das Bundesamt (S. 5 des Bescheids vom 21. Oktober 2020) den Vortrag, die Klägerin zu 1 werde von Seiten des Familienclans im Zusammenhang mit der „Familienehre“ bedroht, als nicht glaubhaft eingestuft hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.9.2021 – 15 ZB 20.32485 – juris). Zudem stünden – so die Entscheidungsgründe des Urteils weiter – den Klägerinnen innerhalb Jordaniens in der Anonymität von Großstädten inländische Fluchtalternativen zur Verfügung (§ 3e AsylG). Auch dem haben die Klägerinnen mit ihrer Antragsbegründung im Berufungszulassungsverfahren nichts Substantielles entgegengesetzt. Die Klägerinnen wenden sich mit ihren diesbezüglichen Einwänden in der Sache im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, was aber keinen im Asylverfahren vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt.
Schließlich ist nicht ersichtlich bzw. substantiiert dargelegt worden, inwiefern der weitere (ebenfalls nicht durch exakte Quellenangaben belegte) Vortrag in der Antragsbegründung zur allgemeinen Lage in Jordanien, wonach
– das Land im Jahr 2015 die Auswirkungen der Ereignisse im benachbarten Syrien deutlich zu spüren bekommen habe und mehr als 641.800 Flüchtlinge beherberge,
– es bei Zwischenfällen im Grenzgebiet vermehrt zivile Opfer gegeben habe,
– die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit weiterhin stark eingeschränkt seien,
– Regimekritiker strafrechtlich hart verfolgt und oft inhaftiert würden,
– in Haftzentren und Gefängnissen laut Berichten von amnesty international auch Folter und andere Misshandlungen verbreitet seien,
– laut Angaben des staatlichen Nationalen Menschenrechtszentrums im Jahr 2014 insgesamt 87 Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen eingegangen seien,
– sich insofern im Dezember 2015 auch der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt gezeigt habe und
– es laut Angaben von amnesty international fast 89.000 Jordanierinnen gebe, die mit Ausländern verheiratet seien, die ihre Staatsbürgerschaft weiterhin nicht an ihre Ehemänner und Kinder weitergeben könnten und denen damit der Zugang zu staatlichen Leistungen versagt bleibe,
im Zusammenhang mit der als grundsätzlich angesehene Frage (s.o.) gerade für die Klägerinnen relevant und damit entscheidungserheblich sein könnte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).