Verwaltungsrecht

kein Abschiebungsverbot für einen volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen Mann (Afghanistan)

Aktenzeichen  13a B 21.30342

Datum:
7.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16405
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige sind auch angesichts der aktuellen Auskunftslage weiterhin im Allgemeinen nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben (wie bisherige Rechtsprechung). (Rn. 14)
2. Erkenntnisse für eine relevante Gefährdung durch die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie liegen nicht vor (wie bisherige Rechtsprechung). (Rn. 20)
3. Alleine durch die aktuellen Rückkehrhilfen ist im Fall von volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen Männern gewährleistet, dass diese ihr Existenzminimum in Afghanistan über einen hinreichenden, eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausschließenden Zeitraum bestreiten können (Anpassung der bisherigen Rechtsprechung an die geänderten Rückkehrhilfen). (Rn. 38)

Verfahrensgang

M 17 K 17.35427 2019-08-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 16. August 2019 wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten im Hinblick auf die SARS-CoV-2-Pandemie hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO; allg. zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch BVerwG, B.v. 8.6.2020 – 1 B 27.20 – juris Rn. 15).
I.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere genügt ihre Begründung gerade noch den Anforderungen des § 78 Abs. 5 Satz 3 AsylG, § 124a Abs. 6, Abs. 3 Satz 4 VwGO. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung eingereicht worden. Ferner enthält sie einen bestimmten Antrag sowie – hier maßgeblich – Berufungsgründe in Form einer Verweisung unter anderem auf den Zulassungsantrag. Dies kann gerade noch als ausreichend angesehen werden. Grundsätzlich ist nur erforderlich, dass zu erkennen ist, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und weshalb der Berufungskläger die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts in den angegebenen Punkten für fehlerhaft hält; Bezugnahmen sind möglich (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 27, 29). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124a Abs. 6 VwGO, wenn durch die Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsantrags hinreichend zum Ausdruck gebracht wird, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. So genügt es in asylrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig, wenn eine Berufungsbegründung ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung zu einer entscheidungserheblichen Frage deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags geschehen kann (BVerwG, B.v. 12.4.2021 – 1 B 18.21 – juris; U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 Rn. 10; siehe auch BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris). Diese Mindestanforderungen sind vorliegend erfüllt. Zwar wäre eine Stellungnahme der Beklagten in der Berufungsbegründung zu erwarten gewesen, weil sich das Bundesamt vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr zu dem vorgelegten Befundbericht von Refugio München vom 6. August 2019 hatte äußern können und die Berufung auf die dahingehende Rüge zugelassen wurde. Allerdings werden die Grenzen in der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung sehr weit gezogen, so dass der Schriftsatz der Beklagten vom 23. März 2021 gemessen hieran den an eine Berufungsbegründung zu stellenden Mindestanforderungen noch entspricht. Darin hat das Bundesamt unter Verweis auf den Antrag auf Zulassung der Berufung vom 11. September 2019 zu erkennen gegeben, dass es die Gewährung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG für unrichtig hält, weil die Ausführungen im vorgelegten Befundbericht seiner Ansicht nach die Anforderungen an ein hinreichend aussagekräftiges fachärztliches Gutachten nicht erfüllten (ZA S. 3 f.). Eine tragfähige Grundlage für die Folgerung auf den etwaigen Krankheitsverlauf sowie eine anhaltend bestehende maßgebliche Leistungseinschränkung des Klägers ergebe sich hieraus nicht, insbesondere werde nur Auskunft zu Situationen gegeben, die bereits längere Zeit zurücklägen und habe sich der Befundbericht nicht im nötigen Umfang mit den Ursachen der beschriebenen Symptome befasst. Nach einem längeren Aufenthalt im Bundesgebiet liege es durchaus nahe, die Ursache psychischer Beeinträchtigungen in einer inzwischen hier als auswegs- oder perspektivlos empfundenen Aufenthaltssituation zu sehen. Hieraus ergibt sich, dass die Beklagte das angegriffene Urteil für unrichtig hält. Das genügt den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, auch wenn es befremdlich erscheint, dass die Beklagte zunächst – zu Recht – die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, dann aber die ihr gewährte Möglichkeit zur Äußerung nicht wahrnimmt.
II.
Die Berufung ist auch begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Nach der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) hat der Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass in seinem Fall ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans gegeben ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies gilt zunächst mit Blick auf den individuellen Verfolgungsvortrag des Klägers. Diesem lässt sich keine Verfolgung seiner Person entnehmen. Vielmehr trägt er vor, ihm selbst sei nichts passiert. Unabhängig davon hat er seine ursprünglichen Schilderungen, dass sein Großvater und seine zwei Onkel in Afghanistan getötet worden seien und seine Familie dort Feinde habe, schon im Klageverfahren nicht mehr weiterverfolgt, sondern seine Klage unter Vorlage des Befundberichts vom 5. August 2019 mit Schriftsatz vom 13. August 2019 auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots beschränkt und die Anträge im Übrigen zurückgenommen.
Hinsichtlich der somit allein zu prüfenden allgemeinen Gefahren ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in der Regel nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan für volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Männer ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde mit der Folge eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, und ist auch keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (analog) führen würde (zuletzt BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung, siehe nur U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris; U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.; U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 47; U.v. 6.2.2020 – 13a B 19.33510 – juris Rn. 17 ff.; U.v. 28.11.2019 – 13a B 19.33361 – juris; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153, 13a B 19.33508 und 13a B 19.33359 – juris). Dies gilt auch für arbeitsfähige Männer ohne nennenswertes Vermögen und ohne stützendes (familiäres) Netzwerk in Afghanistan. Auch auf einen vorherigen Aufenthalt im Heimatland kommt es nicht an; ausreichend ist vielmehr, dass eine Verständigung in einer der Landessprachen möglich ist. An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel fest.
1. Zunächst sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans nicht gegeben.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 25). Soweit ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – Asylmagazin 2019, 311 – juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 – NVwZ 2013, 1489 – juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681 Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 19; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 – juris Rn. 17; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 104 ff. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176 f.). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner neueren Rechtsprechung zum inhaltlich Art. 3 EMRK entsprechenden Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 202 v. 7.6.2016, S. 389 – GRCh) darauf ab, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 ff.; vgl. auch BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 65.). In zeitlicher Hinsicht geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 Paposhvili – NVwZ 2017, 1187 Rn. 175 ff.) davon aus, dass ein schwerwiegender, irreversibler Zustand schnell eintreten müsse. Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar auf eine Erkrankung, kann aber auf die hier maßgebliche Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse bzw. den Zustand der Verelendung übertragen werden (so auch OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 49; OVG Bremen, U.v. 12.2.2020 – 1 LB 276/19 – juris Rn. 48; a.A. VGH BW, U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris Rn. 110 f., der eine nachhaltige Existenzsicherung fordert).
Gemessen an diesen Grundsätzen nimmt der Senat auch angesichts der aktuellen Erkenntnismittel weiterhin an, dass eine Abschiebung nach Afghanistan nicht ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen würde (siehe zuletzt BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris Rn. 18; U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris Rn. 16).
a) Im Hinblick auf die Sicherheitslage in Afghanistan hatte die bisherige Rechtsprechung des Senats den am 14. April 2021 von UNAMA veröffentlichten First Quarter Report 2021 noch nicht berücksichtigt. Nach diesem sind die die zivilen Opferzahlen mit insgesamt 1.783 Getöteten (573) und Verletzten (1.210) im Vergleich zum ersten Quartal 2020 um 29% angestiegen. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für 2021 insgesamt (7.231 zivile Opfer) und einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen (die afghanische Statistikbehörde – National Statistics and Information Authority NSIA, Key Statistik Indicators, October 2020 – geht für das Jahr 2020 von einer Bevölkerung von 32,9 Mio. aus) ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:3.785. Dies ist trotz des erheblichen Anstiegs auf das Niveau des ersten Quartals 2019 unverändert weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 22 f. zu einem Schädigungsrisiko von 1:800). Ein sich in diesem Bereich bewegender Gefahrengrad vermag auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt zu begründen (siehe zuletzt BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris Rn. 27). Angesichts dieses Ergebnisses vermag sich auch die in der Pressemitteilung von UNAMA vom 14. April 2021 geäußerte Besorgnis über die Zunahme der zivilen Opfer in den sechs Monaten von Oktober 2020 bis März 2021 nach Beginn der Friedensverhandlungen in Doha im September 2020 um 38% im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr (4.582 zivile Opfer mit 1.457 Toten und 3.115 Verletzten gegenüber 3.318 zivilen Opfern mit 1.290 Toten und 2.028 Verletzten) nicht durchgreifend auszuwirken, da bei einer Hochrechnung dieser Zahlen das Schädigungsrisiko hinter dem hochgerechneten Schädigungsrisiko des ersten Quartals 2021 zurückbleibt. Der Senat ist sich bewusst, dass die derzeitige Beurteilung der Sicherheitslage nur eine Momentaufnahme darstellt. Die weitere Entwicklung in Afghanistan infolge der Friedensverhandlungen in Doha und dem angelaufenen Abzug der alliierten Truppen, der bis zum 11. September 2021 abgeschlossen sein soll, bleibt abzuwarten. Eine sichere Prognose der zu erwartenden Szenarien, deren Bandbreite von einem Friedensschluss in Doha bis zu einem erneuten langjährigen Bürgerkrieg reicht, wäre derzeit reine Spekulation.
b) Auch aus der aktuellen humanitären bzw. wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ergibt sich grundsätzlich kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
Denn ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen und daher die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind, ist weiter nicht gegeben (siehe zuletzt BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris; U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris Rn 23). Dass die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie an diesem Ergebnis nichts zu ändern vermögen, hat der Senat bereits mit dem soeben genannten Beschluss vom 17. Dezember 2020 festgestellt (13a B 20.30957 a.a.O. unter Berücksichtigung insbesondere von Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an COVID-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener v. 27.3.2020; ACCORD, Afghanistan: Covid-19 v. 5.6.2020, S. 1; Lagebericht 2020 des Auswärtigen Amts, S. 4, 22 f.; BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan, Stand 21.7.2020; EASO, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City v. 1.8.2020, S. 23, 28 f.; IOM, INFORMATION on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Afghanistan v. 23.9.2020 – IOM v. 23.9.2020; SFH v. 30.9.2020, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, S. 15 ff.; UNOCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response, Operational Situation Report v. 15.10.2020 – UNOCHA 15.10.2020 und Strategic Situation Report: COVID-19 No. 81 v. 22.10.2020 – UNOCHA 22.10.2020). Gegenüber der Situation im Dezember 2020 ergibt sich auch mit Blick auf die derzeit aktuellen Erkenntnisse, die nur zum Teil weitergehende Aussagen treffen, in der Gesamtschau keine derartige Verschlechterung der Lage, dass nunmehr regelhaft das Vorliegen eines ganz außergewöhnlichen Falls anzunehmen wäre.
aa) Der Lagebericht des Auswärtigen Amts in der Fassung vom 14. Januar 2021 (Lagebericht) entspricht insoweit demjenigen mit Stand vom Juni 2020, der dem soeben genannten Beschluss des Senats vom 17. Dezember 2020 (13a B 20.30957 – juris) zugrunde lag. Auch aus den aktuelleren Berichten der International Organization for Migration (IOM, Afghanistan, Länderinformationsblatt v. Dez 2020 und Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Afghanistan v. 18.3.2021) oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergeben sich keine neueren Erkenntnisse. Gleiches gilt für den Bericht des UK Home Office (Country Background Note: Afghanistan v. Dez. 2020) sowie den Bericht von Amnesty International (“We survived the virus, but may not survive the Hunger”: The Impact of Covid-19 on Afghanistan’s Internally Displaced v. 31.3.2021), in dem die Auswirkungen der Pandemie auf die humanitären Verhältnisse, insbesondere auf die Ernährung während des Lockdowns in ähnlicher Weise beschrieben werden.
Das Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD, Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif, 27.1.2021) berichtet trotz der Beschränkung in der Überschrift auf Herat und Mazar-e-Sharif zum Teil auch über die Situation in ganz Afghanistan. Allerdings wird dort auch nur übereinstimmend mit der Stellungnahme vom Juni 2020 (Afghanistan: Covid-19 v. 5.6.2020) festgestellt, dass die städtischen Gebiete aufgrund des Covid-19-Lockdowns betroffen gewesen und dadurch die Beschäftigungsmöglichkeiten in den Provinzen Kabul, Herat und Nangarhar erheblich verringert worden seien. Die Lebensmittelpreise seien deutlich gestiegen, insbesondere die Preise für Grundnahrungsmittel.
Nach der Länderinformation der Staatendokumentation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 9. April 2021 trägt COVID-19 in Afghanistan hinsichtlich der sozioökonomischen Auswirkungen und des Arbeitsmarkts zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit bei, die ein ähnlich hohes Niveau erreicht habe wie während der Dürre im Jahr 2018 (BFA, 9.4.2021, S. 15). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 sei es, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren, zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise gekommen. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben; mit Stand März 2021 hätten sich die Lebensmittelpreise auf einem hohen Niveau stabilisiert. Insgesamt seien die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch geblieben, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen sei (BFA, 9.4.2021, S. 15 f., 330). Zwar gebe es keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigten, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst worden sei bzw. werde, jedoch gebe es Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan einschließlich des Arbeitsmarktes habe (BFA, 9.4.2021, S. 16 unter Hinweis auf IOM v. 23.9.2020 und AA v. 16.7.2020). Die afghanische Regierung warne davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen werde. Die Lockdown-Maßnahmen hätten die bestehenden prekären Lebensgrundlagen derart verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angegeben hätten, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steige auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (BFA, 9.4.2021, S. 16 unter Hinweis auf IOM v. 23.9.2020). Insgesamt sei die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen seien (BFA, 9.4.2021, S. 16 m.w.N.). Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuteten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch blieben. Es werde erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5% geschrumpft sei und bis Ende 2021 die Arbeitslosenquote auf 37,9% steigen werde, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (BFA, 9.4.2021 S. 16). Die afghanische Wirtschaft stütze sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90% der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmache. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung sei die Landwirtschaft (BFA, 9.4.2021 S. 327 f.). Günstige Wetterbedingungen während der Aussaat 2020 ließen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19-bedingte Sperrmaßnahmen hätten mangels Durchsetzung in ländlichen Gebieten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion. Die COVID-19-Krise habe zu einem deutlichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit sowie der Lebensmittelpreise geführt (BFA, 9.4.2021 S. 330). Insgesamt würden in den kommenden Monaten zwar keine signifikanten zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit erwartet, aber die anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie seien immer noch sichtbar.
Das European Asylum Support Office (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Dez. 2020) befasst sich mit der Situation von Rückkehrern nach Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif und führt aus, dass die allgemeinen Umstände dort die Zumutbarkeit einer Niederlassung nicht generell ausschlössen (S. 41). Zu berücksichtigen seien die individuellen Umstände des Rückkehrers wie auch ein Unterstützungsnetzwerk. Die Nahrungsmittelunsicherheit habe zugenommen und im März/April 2020 sei aufgrund der Lockdown-Maßnahmen von einem Preisanstieg berichtet worden (S. 167). Insbesondere in Kabul seien die Wohnsituation und der Zugang zu Trinkwasser, Elektrizität sowie sanitären Anlagen und Hygiene oftmals inadäquat (S. 168). Aufgrund der Covid-19-Pandemie seien die Arbeitsmöglichkeiten gesunken, die Arbeitslosigkeit und damit einhergehend die Armutsrate gestiegen (S. 171 f.). Auch in diesem Zusammenhang wird erneut darauf hingewiesen, dass die allgemeinen Umstände trotz der dargestellten Folgen der Covid-19-Pandemie eine Niederlassung in Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif nicht generell ausschlössen; zu berücksichtigen seien die jeweiligen persönlichen Umstände. Auch wenn die Niederlassung gewisse Härten mit sich bringe, sei sie für alleinstehende, arbeitsfähige Männer und kinderlose Paare zumutbar (S. 174 f.). Wenn ein Rückkehrer lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt habe, sei ein Unterstützungsnetzwerk erforderlich (S. 176).
Das Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET, AFGHANISTAN Food Security Outlook, February to September 2021 v. 1.3.2021) setzt sich schwerpunktmäßig mit der landwirtschaftlichen Produktion auseinander und gibt übereinstimmend mit den sonstigen Erkenntnismitteln an, dass auch die anhaltenden Kämpfe Auswirkungen auf die Ernte hätten (S. 2). Nach einem Höchststand im Mai 2020 seien die Weizenpreise seit November 2020 stabil geblieben; im Januar 2021 seien sie 12% höher als im Vorjahr gewesen. Ab Juli 2021 wird mit Eintreffen der neuen Ernte ein Preisrückgang erwartet (S. 7). Für andere Basisgüter gelte Ähnliches (S. 2 f.). Hiermit einher gingen aber staatliche COVID-19-Programme zur Verteilung von Paketen an betroffene Haushalte. Die Arbeitsmöglichkeiten und das Einkommen von Tagelöhnern sei gesunken; im Januar 2021 habe ein Tagelöhner an ca. 1,7 Tagen/Woche Arbeit erhalten mit einem durchschnittlichen Verdienst von 301 AFN pro Tag (S. 3). Damit könne ein Drittel der erforderlichen Grundnahrungsmittel gekauft werden, wohingegen zuvor im Durchschnitt die Hälfte habe erworben werden können. Humanitäre Nothilfen in beträchtlichem Ausmaß würden erwartet (S. 7).
Die Analysen der Integrated Food Security Phase Classification (IPC, Afghanistan, COVID-19 impacts, high food prices, reduced income and conflict are key drivers of acute food insecurity, August 2020 – March 2021 mit Snapshot v. Nov. 2020 – IPC 2020 – und March – November 2021 mit Snapshot v. April 2021 – IPC 2021 -, letzteres den Beteiligten gesondert übersandt) gehen nach wie vor von einer sehr hohen Ernährungsunsicherheit aus, die allerdings rückläufig sei. Während im Zeitraum August bis Oktober 2020 ca. 11 Millionen Menschen von einem hohen Grad an Ernährungsunsicherheit betroffen gewesen seien und für den Zeitraum November 2020 bis März 2021 insoweit ca. 13 Millionen Menschen prognostiziert wurden (IPC 2020), nannte IPC in der Analyse 2021 von März bis Mai 2021 ca. 10,9 Millionen Menschen statt der prognostizierten 13 Millionen und prognostiziert im Zeitraum von Juni bis November 2021 ca. 9,5 Millionen. Es wird eine etwas verbesserte Lage erwartet sowie bessere Arbeitsmöglichkeiten und ein saisonaler Rückgang der Preise, wenngleich die Ernte hinter dem Durchschnittswert bleiben werde. Die Verbesserungen seien in erster Linie auf einen signifikanten Anstieg der humanitären Hilfen seit dem letzten Quartal von 2020 zurückzuführen. Es sei eine Erholung der Wirtschaft zu erwarten.
Das Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA, AFGHANISTAN, Strategic Situation Report: COVID-19 v. 8.4.2021, S. 3; Humanitarian Response Plan, Afghanistan, 2018-2021, S. 5, 8) geht auch aktuell davon aus, dass die Nahrungsunsicherheit dem Level der Dürre im Jahr 2018 entspricht. Die afghanische Wirtschaft werde sich nur langsam von der Pandemie erholen. Unter Berufung auf die Weltbank wird ausgeführt, das kräftige Wachstum im Landwirtschaftssektor habe der Wirtschaft zum Teil Auftrieb gegeben; eine vollständige Erholung werde aber noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Der Bedarf an humanitärer Hilfe werde im Jahr 2021 um ein Wesentliches höher sein als zuvor und sich im Vergleich von Januar 2020 und 2021 nahezu verdoppeln (siehe hierzu auch USAID, Afghanistan – Complex Emergency, 12.2.2021, S. 2 ff.).
In ihrem Bericht zur wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans vom April 2021 stellt die Weltbank (World Bank Group, Afghanistan Development Update April 2021 – Setting Course to Recovery, S. 1 ff., 6 ff., 8, 21, 26 ff.) unter anderem fest, dass im Landwirtschaftssektor aufgrund der günstigen Wetterverhältnisse 2020 ein Anstieg von geschätzt über 5%, im Bereich Industrie und Dienstleistungen hingegen ein Abschwung um knapp 5% zu verzeichnen sei. Die Lebensmittelpreise seien im April 2020 um 17% gestiegen, der Anstieg habe sich aber im Mai 2020 wieder gemäßigt, insbesondere auch im Hinblick auf die gute landwirtschaftliche Ernte. Die sonstigen Preise seien weitgehend stabil geblieben. Insgesamt sei die Armutsrate in 2019/20 in Afghanistan trotz der negativen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie im Ergebnis auf 47,1% gesunken (im Vergleich zu 2016/17: 54,5%). In ländlichen Gebieten gehe die Armutsrate aufgrund einer erhöhten landwirtschaftlichen Produktion und einem gestiegenen Export von Obst und Gemüse trotz der Pandemie auch weiter zurück, in urbanen Gebieten sei die Armutsrate hingegen pandemiebedingt zwischenzeitlich deutlich angestiegen (von 39% auf 53% insgesamt; Kabul 17%, sonstige Städte 11%).
bb) In den oben genannten Berichten wird die humanitäre Situation mithin im Wesentlich ähnlich beschrieben wie schon zum Zeitpunkt des Beschlusses des Senats vom 17. Dezember 2020 (13a B 20.30957 – juris). Eine Verschlechterung der Situation lässt sich hieraus nicht entnehmen, im Gegenteil wohl eher eine minimale Verbesserung. So führt die Länderinformation der Staatendokumentation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 9. April 2021 aus, dass es in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zwar zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise gekommen sei, die Preisanstiege aber seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben scheinen (S. 15 f.). Mit Stand März 2021 hätten sich die Lebensmittelpreise auf einem etwas höheren Niveau stabilisiert. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung sei die Landwirtschaft (S. 327 f.). Günstige Wetterbedingungen während der Aussaat 2020 ließen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19-bedingte Sperrmaßnahmen hätten mangels Durchsetzung in ländlichen Gebieten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion. Insgesamt würden in den kommenden Monaten zwar keine signifikanten zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit erwartet, aber die anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie seien immer noch sichtbar (BFA, 9.4.2021 S. 330). EASO (Country Guidance: Afghanistan, Dez. 2020, S. 174 ff.) weist erneut darauf hin, dass die allgemeinen Umstände trotz der dargestellten Folgen der Covid-19-Pandemie eine Niederlassung von Rückkehrern in Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif nicht generell ausschlössen; zu berücksichtigen seien die jeweiligen persönlichen Umstände. Auch wenn die Niederlassung gewisse Härten mit sich bringe, sei sie für alleinstehende, arbeitsfähige Männer und kinderlose Paare zumutbar. Ebenso gibt FEWS NET (Famine Early Warning Systems Network, AFGHANISTAN Food Security Outlook, February to September 2021 v. 1.3.2021) an, dass die Weizenpreise nach einem Höchststand im Mai 2020 seit November 2020 stabil geblieben seien; im Januar 2021 seien sie 12% höher als im Vorjahr gewesen. Ab Juli 2021 wird mit Eintreffen der neuen Ernte ein Rückgang erwartet (S. 7). Für andere Basisgüter gelte Ähnliches (S. 2 f.). Hiermit einher gingen staatliche COVID-19-Programme zur Verteilung von Paketen an betroffene Haushalte; humanitäre Nothilfen in beträchtlichem Ausmaß würden erwartet (S. 7). Auch wenn nach wie vor eine sehr hohe Ernährungsunsicherheit bestehe, gebe es mittlerweile einen rückläufigen Trend (Analysen von IPC v. Nov. 2020 und v. April 2021). Statt der für den Zeitraum November 2020 bis März 2021 prognostizierten ca. 13 Millionen betroffenen Menschen nannte IPC in der Analyse 2021 von März bis Mai 2021 ca. 10,9 Millionen Menschen (im Vergleich August bis Oktober 2020: 11 Mio.) und prognostiziert im Zeitraum von Juni bis November 2021 ca. 9,5 Millionen. Allgemein wird, insbesondere auch aufgrund des signifikanten Anstiegs der humanitären Hilfen, eine etwas verbesserte Lage mit einer Erholung der Wirtschaft und besseren Arbeitsmöglichkeiten erwartet. Schließlich stellt auch die Weltbank in ihrem Bericht zur wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans vom April 2021 (World Bank Group, Afghanistan Development Update April 2021 – Setting Course to Recovery, S. 1 ff., 6 ff., 8, 21, 26 ff.) unter anderem fest, dass zwar im Bereich Industrie und Dienstleistungen ein Abschwung um knapp 5% zu verzeichnen sei, im Landwirtschaftssektor hingegen aufgrund der günstigen Wetterverhältnisse 2020 ein Anstieg von geschätzt über 5%. Der Anstieg der Lebensmittelpreise habe sich im Mai 2020 wieder gemäßigt, insbesondere auch im Hinblick auf die gute landwirtschaftliche Ernte. Die sonstigen Preise seien weitgehend stabil geblieben. Insgesamt sei die Armutsrate in 2019/20 in Afghanistan trotz der negativen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie im Ergebnis auf 47,1% gesunken (im Vergleich zu 2016/17: 54,5%). Auch wenn sie in urbanen Gebieten pandemiebedingt zwischenzeitlich deutlich angestiegen sei (von 39% auf 53% insgesamt; Kabul 17%, sonstige Städte 11%), gehe sie in ländlichen Gebieten aufgrund einer erhöhten landwirtschaftlichen Produktion und einem gestiegenen Export von Obst und Gemüse trotz der Pandemie weiter zurück.
Schon deshalb, weil mithin keine Verschlechterung der humanitären Situation, sondern eher ein Positivtrend zu verzeichnen ist, ist für volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige Männer eine Rückkehr nach Afghanistan weiterhin zumutbar.
cc) Unabhängig davon gilt, dass mittlerweile auf umfangreiche Rückkehrhilfen zurückgegriffen werden kann. Infolge der COVID-19-Pandemie gab es eine enorme Ausweitung der humanitären Hilfen durch staatliche und nicht-staatliche Organisationen. Diese Größenordnung der Rückkehrhilfen (siehe dazu im Folgenden) lag der bisherigen Rechtsprechung des Senats, die davon ausging, dass die gewährten Hilfen für sich genommen nicht geeignet sind, eine die Verletzung von Art. 3 EMRK ausschließende Existenzsicherung in Afghanistan zu gewährleisten (BayVGH, B.v. 28.1.2020 – 13a ZB 18.30859 – juris; U.v. 23.3.3017 – 13a B 17.30030 – juris Rn. 24), noch nicht zugrunde. Im Hinblick auf Art und Umfang der aktuellen Rückkehrhilfen wird deshalb im Fall von volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen afghanischen Männern nicht mehr die Auffassung vertreten, dass die Hilfen nur eine (anfängliche) Unterstützung bieten, aber nicht ausreichend sind, um eine unmenschliche Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK auszuschließen.
Bereits im Beschluss vom 17. Dezember 2020 (13a B 20.30957 – juris Rn. 39) hat der Senat ausgeführt, dass mit den humanitären Hilfen zumindest eine gewisse Abfederung erreicht werden kann. Die gewährten Leistungen haben zum jetzt maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt einen Umfang erreicht, dass allein diese einen volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen Rückkehrer – unabhängig von der Möglichkeit, sich sofort nach Rückkehr durch Erwerbstätigkeit selbst einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften – in die Lage versetzen, sein Existenzminimum in Afghanistan über einen hinreichenden, eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausschließenden Zeitraum bestreiten zu können (so auch OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 135). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf grundsätzlich derjenige des Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland nicht, der eine geltend gemachte Gefährdung in seinem Heimatland oder in einem anderen Zielstaat der Abschiebung durch zumutbares eigenes Verhalten, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört, abwenden kann (BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265 – juris Rn. 27). Hieraus folgt, dass sich ein Ausländer im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG bei der Rückkehrprognose auf die Inanspruchnahme finanzieller Hilfen im Falle der freiwilligen Rückkehr ins Heimatland verweisen lassen muss, auch wenn er zu einer solchen nicht bereit ist, sondern letztlich abgeschoben wird.
Ein somit vorliegend maßgeblicher freiwilliger Rückkehrer nach Afghanistan erhält zum Urteilszeitpunkt bei Mittellosigkeit auf die Reintegration im Heimatland bezogene Rückkehrhilfen allein in Form direkter Geldleistungen in Höhe von insgesamt 4.200,- EUR (vgl. hierzu VGH BW, U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris Rn. 91-98; OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 126-131; siehe zum Ganzen: www.returningfromgermany.de/de/countries/afghanistan sowie www.lfar.bayern.de/lfar_im_ueberblick/aufgabenbereiche/freiwilligerueckkehr):
REAG/GARP (Leitlinien 02/2021)
StarthilfePlus (Informationsblatt 02/2021)
ERRIN Zielland Afghanistan)
(Broschüre,
Bayer. Rückkehrprogramm (Richtlinie i.d.F. gültig ab 1.2.2021)
1. Starthilfe:
1.000,- €
(bei Ausreise)
2. Starthilfe:
1.000,- €
(6 – 8 Mon. nach Ausreise)
Zusatzbetrag Corona: 200,- €
(BT-Drs. 19/24779, S. 11 f.)
Reintegrationshilfe: 500,- €
Medizinische Unterstützung (bis 2.000,- €)
Corona-Zusatzzahlung I:
1.000,- €
(innerh. 8 Wo. nach Ausreise)
soziale, juristische und medizinische Unterstützung, Schulbildung und Sprachunterricht, Unterstützung bei der Arbeitsvermittlung, technische und berufliche Ausbildung Existenzgründungshilfe (bis 2.000,- €)
Existenzgründungszuschuss, Qualifizierungs- bzw. Bildungszuschuss, Ausbildungsbeihilfe, Lohnkostenzuschuss, Wohnungskostenzuschuss, Überbrückungsgeld, medizinische Unterstützung (bis 3.000,- €)
Corona-Zusatzzahlung II: 500,- €
(6 – 8 Mon. nach Ausreise)
1.000,- €
2.500,- €
200,- €
500,- €
4.200,- €
Hinweise: Die Corona-Zusatzzahlungen nach dem Programm StarthilfePlus wurden pandemiebedingt mehrfach verlängert, zuletzt bis 30.6.2021. Leistungen nach dem zusätzlichen Rückkehrprogramm „ERIN Action Plan 2016 (AP 2016)“ wurden vorliegend nicht berücksichtigt, da diese zum Urteilszeitpunkt bereits nicht mehr beantragt werden konnten.
Dem stehen Ausgaben wie folgt gegenüber: Laut dem aktuellen IOM-Informationsblatt Afghanistan vom Dezember 2020 (Nr. 3., Wohnsituation) müsse man für einen „angemessenen“ Lebensstandard im Stadtzentrum von Kabul mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350,- USD (dies entspricht ca. 290,- EUR) pro Monat rechnen. In ländlichen Gebieten könne man mit mindestens 50% weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen. Zwar ist nicht gänzlich klar, ob die IOM mit einem „angemessenen“ Lebensstandard auf das nach Art. 3 EMRK erforderliche Existenzminimum abzielte (im Ergebnis verneinend OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 140 ff.). Dagegen spricht, dass die IOM im Länderinformationsblatt Afghanistan 2019 noch denselben Betrag von 350,- USD für einen „sehr guten“ Lebensstandard im Stadtzentrum von Kabul angesetzt hatte (Nr. IV., Wohnsituation). Zudem liegt laut der IOM selbst das afghanische Durchschnittseinkommen zwischen 95,- und 130,- USD pro Monat (IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2020, Nr. IV. „Arbeitsmarkt“). Aber selbst bei einem Ansatz von 350,- USD bzw. 290,- EUR pro Monat würde ein Rückkehrer nur mit den in Geld erhaltenen Rückkehrhilfen (4.200,- EUR) sein Leben über mehr als 14 Monate lang in Afghanistan finanzieren können (ohne die nach dem Bayer. Rückkehrprogramm gewährte Reintegrationshilfe betragen die Rückkehrhilfen immerhin noch 3.700,- EUR, womit die Finanzierung knapp 13 Monate lang sichergestellt ist; vgl. hierzu OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 140 ff.: Unter Zugrundelegung von nur „ausreichender Lebenshaltungs- und Unterkunftskosten“ könnten nach dortiger Berechnung mehr als 2,5 Jahre für eine Einzelperson in Kabul bzw. „bei Zugrundelegung monatlicher Budgets, wie sie derzeit einem Großteil der [regelhaft mehrköpfigen] afghanischen Haushalte zur Verfügung stehen“, sogar 43 bis 72 Monate finanziert werden).
Zu den in Geld erhaltenen Rückkehrhilfen kommen überdies erhebliche Sachleistungen zur Unterstützung der Reintegration im Heimatland hinzu; insbesondere kann im Bedarfsfall auch medizinische Unterstützung in erheblichem Umfang gewährt werden (siehe obige Aufstellung). Daneben können afghanische Rückkehrer über die in Kabul ansässige Organisation Ipso (https://ipsocontext.org/de) kostenfrei u.a. individuelle psychologische Beratung, medizinische Untersuchungen und psychiatrische Behandlung erlangen. Zudem stehen Rückkehrern Migrationsberatungs- und Reintegrationsangebote vor Ort zur Verfügung (www.startfinder.de), die sie über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei der Jobsuche, beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen und der Existenzgründung sowie bei sozialen Fragen – u.a. zu Wohnung, Schule und Gesundheitsversorgung – unterstützen (vgl. Bundesregierung, BT-Drs. 19/24779 v. 27.11.2020, S. 11).
Unter Zugrundelegung dieser Rückkehrhilfen und der derzeitigen humanitären Situation in Afghanistan ist davon auszugehen, dass ein volljähriger, alleinstehender und arbeitsfähiger afghanischer Rückkehrer den Zeitraum, in dem sein Existenzminimum allein durch Rückkehrhilfen in Form von Geldleistungen sichergestellt ist, erfolgreich nutzen kann, um sich eine neue Existenzgrundlage und ggf. auch ein neues soziales Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan – gerade in Kabul – zu schaffen und insbesondere die Erschwernisse der aktuellen Corona-Pandemie zu überwinden. Unabhängig davon ist – wie bereits ausgeführt (siehe oben unter Nr. II.1.) – im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht zu fordern, dass das Existenzminimum einer zurückkehrenden Person im Heimatland nachhaltig oder gar zukunftsoffen sichergestellt sein muss. Es ist vielmehr erforderlich, aber auch ausreichend, dass das Existenzminimum nach der Rückkehr bzw. Rückführung über einen absehbaren Zeitraum gesichert ist (so auch OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 49; OVG Bremen, U.v. 12.2.2020 – 1 LB 276/19 – juris Rn. 48; a.A. VGH BW, U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris Rn. 110 f., der eine nachhaltige Existenzsicherung fordert – siehe hierzu unten Nr. II. 1. b). Selbst wenn man vorliegend zugunsten des Klägers von monatlichen Kosten zur Sicherung des Existenzminimums in Höhe von 350,- USD bzw. 290,- EUR und damit von einer Finanzierung über einen Zeitraum von etwa 14 (bzw. 13) Monaten ausgeht (siehe oben), sind diese Anforderungen nach Auffassung des Senats offenkundig erfüllt. Etwas anderes könnte allenfalls ausnahmsweise dann gelten, wenn zum Urteilszeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass ein afghanischer Rückkehrer nach Verbrauch der finanziellen Rückkehrhilfen in einem engeren zeitlichen Zusammenhang verelenden würde (vgl. zu dieser ergänzenden Betrachtung OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 147-151). Dies ist jedoch – wie eingangs dieses Absatzes ausgeführt – vorliegend nicht der Fall.
Dem hier gefundenen Ergebnis steht ferner nicht entgegen, dass auf die Gewährung der Rückkehrhilfen kein Rechtsanspruch besteht. Denn angesichts der im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG gebotenen möglichst realitätsnahen Rückkehrprognose (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – BVerwGE 166, 113 – juris Rn. 16) ist insoweit maßgeblich darauf abzustellen, dass die genannten Rückkehrhilfen bei ordnungsgemäßer Antragstellung und Erfüllung der Förderungsvoraussetzungen in der Praxis ganz regelmäßig auch gewährt werden und keine Anhaltspunkte vorliegen, dass sich dies aktuell oder zukünftig ändern könnte (vgl. OVG Hamburg, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 141). So haben etwa im Jahr 2017 1.125 afghanische Staatsangehörige Rückkehrhilfen nach dem Programm REAG/GARP erhalten haben, im Jahr 2018 waren dies 403, im Jahr 2019 325 und im Jahr 2020 203 afghanische Staatsangehörige (Bundesregierung, BT-Drs. 19/27007 v. 25.2.2021, S. 39 f.). Ferner wurden etwa im Jahr 2017 950 afghanischen Staatsangehörigen Rückkehrhilfen nach dem Programm StarthilfePlus bewilligt (Bundesregierung, BT-Drs. 19/12470 v. 16.8.2019, S. 5). 2018 haben zudem 249 afghanische Staatsangehörige Leistungen nach dem Programm ERRIN erhalten, im ersten Halbjahr 2019 waren dies 111 afghanische Staatsangehörige (Bundesregierung, BT-Drs. 19/12470 v. 16.8.2019, S. 13 f.). Auch aktuell ist das für die Abwicklung der Rückkehrhilfe-Programme zuständige IOM-Büro in Kabul trotz der Coronavirus-Pandemie für Rückkehrer erreichbar (vgl. VGH BW, U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris Rn. 94 unter Bezugnahme auf Schwörer, Anlage zum dortigen Sitzungsprotokoll, S. 8 f.).
c) Mit der Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte hat sich der Senat unter Einbeziehung der Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Teil schon im Beschluss vom 17. Dezember 2020 (13a B 20.30957 – juris) auseinandergesetzt.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (U.v. 30.11.2020 – 13 A 11421/19 – juris Rn. 94 ff., 116 ff., 127 ff. unter Berufung auf BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris) folgt der hier vertretenen Ansicht. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht geht im Regelfall nicht von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK aus (NdsOVG, B.v. 13.1.2021 – 9 LA 150/20 – juris).
Neuerdings hält der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris) zumindest vorerst nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung, die mit der vorliegenden übereinstimmte, fest. Er sieht angesichts der gravierenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Afghanistan infolge der COVID-19-Pandemie auch im Falle eines leistungsfähigen, erwachsenen Mannes die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK regelmäßig als erfüllt an, wenn in seiner Person keine besonderen begünstigenden Umstände vorlägen, etwa ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk, nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung oder ausreichendes Vermögen. Die bereits vor Ausbruch der Pandemie äußerst problematischen humanitären Bedingungen hätten sich durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Kabul und den anderen Landesteilen Afghanistans, insbesondere in Herat und Mazar-e Sharif weiter verschärft (Rn. 33 ff., Rn. 99 ff.). Geprägt werde das Leben von einer derzeit durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie massiv verschlechterten wirtschaftlichen Situation (Rn. 37 ff.), verschärft durch verstärkte Migrationsbewegungen (Rn. 59 ff.), eine schlechte Versorgungslage (Rn. 65 ff.) und eine volatile Sicherheitslage (Rn. 84 ff.). Zudem sähen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (Rn. 90 ff.), wobei es zu berücksichtigen gelte, dass sie unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten könnten (Rn. 91 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg weist dabei allerdings auch darauf hin, dass die humanitäre Lage in Afghanistan angesichts der Dynamik des Geschehens in Zukunft wieder anders zu beurteilen sein könne (Rn. 102). Im maßgeblichen Zeitpunkt der dortigen mündlichen Verhandlung hätten aber keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen alsbald wieder bessern würden. Unter Berufung insbesondere auf das eingeholte Gutachten der Sachverständigen S. und deren Aussagen in der mündlichen Verhandlung ist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zu der Überzeugung gelangt, dass es auch einem leistungsfähigen, alleinstehenden erwachsenen Rückkehrer regelmäßig nur bei Vorliegen besonderer begünstigender Umstände gelingen werde, auf legalem Wege seine elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen (Rn. 106 ff.). Begründet wird dies mit dem massiven wirtschaftlichen Abschwung, von dem sich die Wirtschaft auch nach den Grenzöffnungen und Lockerungen der Lockdown-Maßnahmen im Sommer 2020 noch nicht nachhaltig erholt habe. Das zeige sich am schon zuvor äußerst angespannten Arbeitsmarkt. Wegen des Einbruchs im Bereich der Baubranche sowie des erhöhten Konkurrenzdrucks aufgrund einer steigenden Zahl von Rückkehrern seien die Chancen, sich als Tagelöhner verdingen zu können, gravierend gesunken. Die wenigen vorhandenen Arbeitsangebote würden in der Regel über Beziehungen vergeben. Selbst wenn ein Job auf dem Tagelöhnermarkt gefunden werde, reiche das Einkommen derzeit kaum aus, um das Existenzminimum auf einfachstem Niveau zu sichern, insbesondere dann, wenn eine „Erstausstattung“ finanziert werden müsse. Zugleich seien die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel in nicht unbeträchtlichem Maße angestiegen; hiermit einher gehe wiederum eine deutliche Reduzierung der Kaufkraft eines Tagelöhners. Die finanziellen Hilfen, die ein freiwilliger Rückkehrer erhalten könne, würden seine Existenz im Falle eines fehlenden Netzwerks nicht nachhaltig sichern, sondern bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. eine nur vorübergehende Bedarfsdeckung schaffen können (Rn. 110 f.). Selbst wenn man den aktuell maximal zu erlangenden Geldbetrag in Höhe von insgesamt 3.700,- EUR zugrunde lege, wäre dieses Geld für eine nachhaltige Existenzsicherung nicht ausreichend. Die gewährten finanziellen Mittel böten nur eine anfängliche Unterstützung und ermöglichten lediglich eine vorübergehende Bedarfsdeckung.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geht damit davon aus, dass sich die schon ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage, insbesondere die Situation auf dem Arbeitsmarkt, durch die mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängenden Umstände weiter erheblich verschärft habe. Zwar ist es sicher zutreffend, dass die Chancen gesunken sind, sich als Tagelöhner verdingen zu können. Allerdings legt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Rückkehrhilfen in einer Höhe von ca. 3.700 € zugrunde, bezieht dies jedoch bei den weiteren Überlegungen nach Auffassung des vorliegend zur Entscheidung berufenen Senats nicht hinreichend ein. Gleiches gilt für die Angaben der in jenem Verfahren herangezogenen Gutachterin, dass die Betroffenen bei Befragungen erklärt hätten, dass es zum einen möglich sei, sich mit den gewährten Unterstützungsleistungen selbstständig zu machen und zum anderen, dass die Einkünfte zwar nicht zufriedenstellend seien, aber ausreichend, um das Überleben zu sichern (Anhang Protokoll S. 7 f.). Wenn die Lage stabil bleibe, sollte es nach Einschätzung der Gutachterin auch nach Ende der Hilfen für freiwillige Rückkehrer möglich sein, dass sich diese weiterhin ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten (Anhang Protokoll S. 9, 19). Nach ihren Erfahrungswerten gebe die finanzielle Hilfe über einen Zeitraum von 8-12 Monaten den freiwilligen Rückkehrern zumindest die Möglichkeit, sich zu überlegen, wie es danach weitergehen solle (Anhang Protokoll S. 10). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg führt die internationalen Hilfsgelder bzw. die humanitären Hilfen, insbesondere auch im Hinblick auf die Pandemie zwar an (Rn. 56, 58, 67) und geht außerdem davon aus, dass an Rückkehrhilfen ein Betrag in Höhe von insgesamt 3.700,- EUR zugrunde zu legen wäre (Rn. 91 ff., 111). Weshalb er aber angesichts dessen zur Einschätzung gelangt, dass die gewährten finanziellen Mittel lediglich eine vorübergehende Bedarfsdeckung böten mit der Folge, dass die Grenze des Art. 3 EMRK überschritten wäre, bleibt offen. Ebenso bleibt offen, weshalb der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg von der Erforderlichkeit einer nachhaltigen Existenzsicherung ausgeht. Im Übrigen dürften aus Sicht des hier zur Entscheidung berufenen Senats nach obigen Darlegungen (Nr. II. 1. b) ferner die auch vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aufgezeigten tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan noch nicht zu der Einschätzung führen, dass ein Zustand erreicht wäre, der Art. 3 EMRK widersprechen würde, selbst wenn man nur auf den für die dortige Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt und die dort zugrundeliegenden Aspekte abstellt. So hat die Gutachterin Schwörer in der mündlichen Verhandlung erklärt, es gebe keinerlei Lockdown-Maßnahmen mehr (so auch VGH BW im Rahmen der Darstellung der allgemeinen Lage Rn. 42). Zugleich wird im Gutachten dargelegt, dass der Lockdown auf die landwirtschaftliche Produktion, in der über 44% der Arbeitskräfte beschäftigt seien, nur bedingt Auswirkungen gehabt habe (GA S. 15; siehe hierzu auch Entscheidungsgründe des VGH BW, Rn. 44 m.w.N.). Aufgrund günstiger Wetterverhältnisse habe sich der Landwirtschaftssektor zudem von den Auswirkungen der Dürre im Jahr 2018 fast vollständig erholen können. Ob hierdurch eine Kompensierung eintreten könnte, wird vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nicht geprüft. Ferner hat die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, wie viel Geld zur Deckung der Grundbedürfnisse erforderlich sei, wie viel ein Rückkehrer durchschnittlich verdienen könne und dass es im Schnitt ein bis dreimal pro Woche Arbeit gebe (Anhang Protokoll S. 2 ff.; siehe auch Entscheidungsgründe VGH BW Rn. 51 unter Zitierung der Angaben des World Food Programme). Zudem verweist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bei der Darstellung der relevanten Lebensverhältnisse auf die Einschätzung der Weltbank, dass sich der Arbeitsmarkt angesichts der Lockerungen der Corona-Beschränkungen ein wenig erholen werde (Rn. 50), und beschreibt, dass sich die Gehälter für Tagelöhner zwar zuerst 5% unter dem Niveau der letzten drei Jahre befunden hätten, nach der Lockerung aber wieder um 5% gestiegen seien (Rn 53). Mit all diesen faktischen Prämissen setzt sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aber in der Subsumption nicht auseinander, sondern übernimmt letztendlich nur die Einschätzung der Gutachterin, dass eine nachhaltige Existenzsicherung nicht möglich sei und – selbst wenn ein Job auf dem Tagelöhnermarkt gefunden werde – das Einkommen kaum ausreiche, um das Existenzminimum auf einfachstem Niveau zu sichern. Soweit in diesem Zusammenhang zum einen angenommen wird, dass die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel in nicht unbeträchtlichem Maße angestiegen seien (Rn. 109), wird nicht einbezogen, dass das Gutachten lediglich für den Zeitraum von März bis Mai 2020 eine Verdoppelung bzw. Verdreifachung der Lebenshaltungskosten angibt, aber zusätzlich ausführt, dass diese mittlerweile auch aufgrund der Erntesaison wieder gesunken seien (GA S. 13). Zum anderen berücksichtigt die Annahme, mit dem eigenen Einkommen müsse eine „Erstausstattung“ finanziert werden, nicht, dass hierfür gerade die Rückkehrhilfen zur Verfügung stehen. Zusammenfassend gibt die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg deshalb dem hier zur Entscheidung berufenen Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keinen Anlass, an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festzuhalten.
d) Im Einzelfall des Klägers sind auch keine besonderen individuellen Umstände gegeben, die ausnahmsweise zum Vorliegen der Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans führen.
Soweit es die Sicherheitslage in Afghanistan angeht, so gilt, dass in der Person des Klägers keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände gegeben sind.
Ein individueller gefahrerhöhender Umstand ergibt sich insbesondere nicht aus der bloßen Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Tadschiken, denn diese stellen mit ca. 25% die zweitgrößte ethnische Gruppe in Afghanistan dar und damit eine der Hauptbevölkerungsgruppen (vgl. Lagebericht, S. 8). Dass der Kläger wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt wäre, ist deshalb weder anzunehmen noch hat er hierzu etwas vorgetragen. Auch die aktuell vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Von einer Gefahrenerhöhung wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken ist damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris; U.v. 6.2.2020 – 13a B 19.33510 – juris; B.v. 8.6.2020 – 13a ZB 18.32862; U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30292 – juris Rn. 23).
Soweit es die humanitäre bzw. wirtschaftliche Lage in Afghanistan betrifft, wäre der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Insbesondere ist sein Existenzminimum bereits allein durch die Rückkehrhilfen für einen Zeitraum von mindestens 14 Monaten sichergestellt und damit gewährleistet, dass er nicht in einen Art. 3 EMRK widersprechenden Zustand der Verelendung geraten würde (siehe oben). Darüber hinaus ist der 26-jährige Kläger erwerbsfähig und spricht eine der afghanischen Landessprachen (Dari). Eine Schule hat er seinen Angaben zufolge zwar nicht besucht, aber auf Baustellen, etwa für den Hausbau, im Bereich Betonmischen gearbeitet (Anhörungsprotokoll, VA S. 40). Seine Ausreise hat der Kläger finanzieren können, weil er im Iran mit seinem Vater und seinem Bruder gearbeitet habe. Auf der Flucht habe er in der Türkei in einem Hotel Geschirr gespült. Angesichts dessen ist zu erwarten, dass der Kläger gemessen an seinen persönlichen Umständen auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan seine Existenz wird bestreiten können. Er war sowohl in der Lage, die nötigen Mittel für die Ausreise durch seine eigene Arbeit zu erwirtschaften, als auch die Zeit der Flucht zu überbrücken. In der Türkei hat er sich seinen Angaben zufolge vier Monate aufgehalten und für seinen Unterhalt gesorgt. Aufgrund dieser persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten kann der Kläger neben den gewährten Rückkehrhilfen selbst zur Sicherung des Existenzminimums beitragen. Die Einschätzung von EASO (Country Guidance: Afghanistan, Dez. 2020, S. 176), dass ein Unterstützungsnetzwerk erforderlich sei, wenn ein Rückkehrer lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt habe, berücksichtigt die Unterstützung durch die eben dargestellten Rückkehrhilfen nicht und orientiert sich auch nicht an den Maßstäben des Art. 3 EMRK. Soweit sich der Kläger auf eine psychische Erkrankung beruft, vermag das am Ergebnis nichts zu ändern, was im Folgenden erläutert wird (siehe II. 2. a).
2. Die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im Fall des Klägers hinsichtlich Afghanistans ebenfalls nicht vor.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Ausnahmsweise kann hier Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – NVwZ 2012, 244 – juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 u.a. – juris Rn. 3).
a) Eine Gefahr im dargelegten Sinn ergibt sich zunächst nicht aus der vorgetragenen psychischen Erkrankung des Klägers.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Konkret ist eine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn die Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – InfAuslR 2012, 261 – juris Rn. 34). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine solche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen; diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD-10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, dass beim Kläger aktuell eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung gegeben ist, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG):
Der vom Kläger noch beim Verwaltungsgericht übersandte Befundbericht von Refugio, wonach er an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (mit Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung – PTBS) leide, datiert vom 5. August 2019 und ist damit fast zwei Jahre alt. Bereits unter diesem zeitlichen Aspekt ist der Befundbericht zum psychischen Gesundheitszustand des Klägers von vornherein nicht mehr aussagekräftig. Innerhalb der vom Senat gewährten Äußerungsfrist hat der Kläger weder die dort erwähnten ärztlichen Unterlagen noch aktuelle Atteste vorgelegt. Ungeachtet dessen erfüllt der Bericht auch nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG. Zwar werden eine schwere depressive Episode nach ICD-10 und Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert, jedoch enthält der Bericht keine näheren Aussagen über die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung hieraus voraussichtlich ergeben. Indiziert seien eine fachärztlich-psychiatrische (medikamentöse) und eine psychotherapeutische Behandlung durch einen Facharzt oder psychologischen Psychotherapeuten (Befundbericht S. 8). Außer der Angabe, dass mit einem langen Therapieprozess gerechnet werden müsse, wird die konkrete Behandlungsbedürftigkeit nicht dargestellt. Soweit darauf hingewiesen wird, dass sich der Abbruch der therapeutischen Beziehung tiefgreifend auswirken würde, bleibt offen, wie sich die Therapie derzeit ausgestaltet und welcher Behandlungsplan vorgesehen ist. Die Aussagen hierzu beschränken sich darauf, dass eine medikamentöse und eine psychotherapeutische Behandlung mit bisher 32 Stunden stattgefunden habe (Befundbericht S. 2, 7). Im Übrigen werden lediglich eingehend die Schilderungen des Klägers wiedergegeben. Aus Sicht der attestierenden Fachärztin ergäben sich hieraus alle drei möglichen Hauptsymptome (depressive Stimmung, Interessensverlust, Antriebslosigkeit) und alle sieben Zusatzsymptome (Schlafstörungen, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, Schuld- und Wertlosigkeitsgefühle, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, pessimistische Zukunftsvorstellungen, verminderter Appetit und suizidale Gedanken/ Handlungen) einer schweren depressiven Episode (Befundbericht S. 7). Soweit die Diagnose auf psychologische Testungen gestützt wird, handelt es sich um die Ergebnisse der Standarddiagnostik nach der 30. Behandlungsstunde (Befundbericht S. 6). Die weiter in Bezug genommenen ärztlichen Vorbefunde wurden vom Kläger nicht vorgelegt und sind ebenfalls nicht mehr aktuell. Welche Symptome sich in den Therapiegesprächen gezeigt hätten, wird nicht erläutert. Soweit zusätzlich Symptome einer PTBS diagnostiziert werden, wird kein Trauma auslösendes Ereignis in Afghanistan genannt, das bei einer Rückkehr zu einer Retraumatisierung führen könnte, sondern nur pauschal auf „verschiedene traumatische Ereignisse“ auf der Flucht verwiesen. Angesichts der Tatsache, dass sich der Kläger seit frühester Kindheit im Iran aufgehalten hat und nach eigener Aussage an Afghanistan kaum noch Erinnerungen habe (Befundbericht S. 2), ist ein auf Afghanistan bezogenes traumatisches Ereignis auch nicht zu erkennen.
Es fehlt mithin bereits an einem Nachweis, dass der Kläger aktuell an einer psychiatrischen Erkrankung leidet. Erst recht ist nicht belegt, dass es sich bei einer etwaigen psychiatrischen Erkrankung um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelte, die sich alsbald nach einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, etwa weil im Heimatland eine möglicherweise erforderliche Behandlung nicht verfügbar ist.
b) Hinsichtlich der Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ebenfalls nicht erfüllt.
Da der Kläger ersichtlich nicht erkrankt ist bzw. keine relevanten Vorerkrankungen aufweist, liegt bei ihm derzeit keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG vor.
Die Gefahr, nach Rückkehr in Afghanistan zu erkranken, stellt eine allgemeine Gefahr dar, bei der nach obigen Darlegungen nur Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden kann, wenn der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Insoweit lassen die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel jedoch keine signifikant höhere Gefahr als weltweit erkennen. Die Mehrzahl der Todesfälle betrifft Männer im Alter zwischen 50 und 79 Jahren (OCHA 15.10.2020, so auch noch OCHA, AFGHANISTAN, Strategic Situation Report: COVID-19 v. 8.4.2021). Selbst im Fall einer Erkrankung des Klägers nach Rückkehr sowie der Annahme, dass die Gesundheitsversorgung in Afghanistan nicht dem deutschen oder europäischen Standard entspricht und möglicherweise eine entsprechende Versorgung nicht gewährleistet sein sollte, lässt sich den Erkenntnismitteln allerdings keine höhere Gefahr als etwa in Deutschland entnehmen. Bereits im Beschluss des Senats vom 17. Dezember 2020 (13a B 20.30957 – juris) wurde festgestellt, dass die Sterblichkeitsquote in Afghanistan im Vergleich zu Deutschland zwar minimal höher ist, der Unterschied sich aber dadurch relativiert, dass in Afghanistan mangels Kapazitäten wesentlich weniger getestet wird. Das ergibt sich schon aus der deutlich niedrigeren absoluten Zahl der bestätigten Fälle. Wenn eine gewisse Dunkelziffer der Positivfälle in die Betrachtung mit einbezogen wird, gleicht sich die Sterblichkeitsquote an. Anhaltspunkte, dass dies aktuell nicht mehr zutreffend wäre, bestehen nicht. Ferner wurde im Beschluss vom 17. Dezember 2020 (a.a.O.) dargelegt, dass die Einschätzung von Stahlmann (Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an COVID-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener v. 27.3.2020, S. 5), die hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs auch unter sonst gesunden Erwachsenen auf ein geschwächtes Immunsystem wegen langjähriger Mangelernährung zurückzuführen sei, auf Rückkehrer aus Europa – wie den Kläger – nicht zutrifft. Im Übrigen weist Stahlmann selbst auf die Einschätzung des medizinischen Direktors des Antoni-Krankenhauses hin, der Corona nicht als gravierendes Problem einstufe (S. 5). Insgesamt ist damit nicht von einer relevanten Gefahr, dass es zu einem schwerwiegenden (tödlichen) Verlauf käme, auszugehen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen mag die Gefährdung anders zu sehen sein (etwa bei älteren Personen oder bei Personen mit relevanten Vorerkrankungen).
c) Auch im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten – insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage – sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in analoger Anwendung nicht gegeben. Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel liegen im Fall des Klägers die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch hinsichtlich der humanitären (allgemeinen) Lage nicht vor. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453).
3. Gegen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 6 des Bescheids vom 13. März 2017 bestehen keine Bedenken; insoweit erhebt auch der Kläger keine Einwendungen.
4. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge in § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.


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