Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot – Gewährleistung der medizinischen Versorgung in Armenien

Aktenzeichen  W 8 S 17.32580

Datum:
19.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30, § 36 Abs. 4 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

In Berg-Karabach gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosen medizinischen Behandlung und die wirtschaftliche Situation ist dort nach allgemeiner Einschätzung besser als in Armenien. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Die Antragsgegnerin lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 2. Juni 2017 als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihm die Abschiebung nach Armenien an. Der Antragsteller ließ am 14. Juni 2017 gegen den Bescheid im Verfahren W 8 K 17.32578 Klage erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller – im Klageverfahren W 8 K 17.32578 – im Wesentlichen ausführen: Der Kläger stamme aus Berg-Karabach, das zu Aserbaidschan gehöre. Der Kläger sei nierenkrank und bedürfe einer medizinischen Behandlung. Die von der Beklagten für Armenien festgestellte medizinische Versorgung gelte nicht für Berg-Karabach. Kranke Menschen hätten dort keinen Zugang zur medizinischen Versorgung. Eine Übersiedlung in das armenische Stammland könne dem Kläger nicht zugemutet werden. Im armenischen Stammland drohe er wegen Desertion bestraft zu werden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 17.32578) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bundesamtsbescheids vom 2. Juni 2017 begehrt, zumal er einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheids unzulässig wäre.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Republik Armenien vom 22.3.2016, Stand: Februar 2016; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017).
Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die angesprochene persönliche Situation ist offensichtlich nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt, dass dem Antragsteller sowohl aufgrund seines Alters als auch seiner Erkrankung eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Zudem besteht die Möglichkeit, sich nach der Rückkehr bei der Einberufungsbehörde zu melden. Eingeleitete Ermittlungsverfahren werden in solchen Fällen eingestellt. Zudem gibt es Amnestien. Männer über 27 Jahre, die sich der Wehrpflicht entzogen haben, können gegen Zahlung einer Geldbuße die Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung erreichen (vgl. nur BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 18 f.).
Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die das Gericht sich zu eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Antragsgegnerin hat zutreffend unter Bezugnahme auf einschlägige Auskünfte ausgeführt, dass auch die Behandlung von Erkrankungen – der Antragsteller macht eine Nierenerkrankung geltend – in Armenien gewährleistet sei und kostenlos erfolge, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein könne (vgl. zur medizinischen Versorgung auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 36 f.).
In Berg-Karabach gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosen medizinischen Behandlung. Im Sozialbereich gibt es behördliche Unterstützung. Die wirtschaftliche Situation in Berg-Karabach ist nach allgemeiner Einschätzung besser als in Armenien (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Republik Armenien vom 22.3.2016, Stand: Februar 2016, S. 22; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 11).
Ergänzend ist anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier. Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeit in der medizinischen Versorgung des Antragstellers stellen sich bei einer Rückkehr nach Armenien nicht anders dar wie vor der Ausreise wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage.
Ausgehend davon ist anzufügen, dass sich den vorliegenden (veralteten) Attesten nicht entnehmen lässt, dass gegenwärtig eine Rückkehr nach Armenien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Armenien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des armenischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Der Antragsteller ist gehalten, sowohl die Möglichkeiten des armenischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren. Der Antragsteller ist bei einer Rückkehr nach Armenien, konkret nach Berg-Karabach, nicht auf sich allein gestellt bzw. nicht allein und ohne Unterstützung; vielmehr kann er auf seine (Groß-)Familie zurückgreifen (vgl. auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 32 ff.).
Die vorliegenden veralteten Atteste vom 13. Juli 2015 und 15. März 2016, die für den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Juni 2017 ohnehin wenig Aussagekraft besitzen, belegen zudem kein Abschiebungshindernis. Den beiden Attesten ist nicht zu entnehmen, dass eine Behandlung bzw. Weiterbehandlung der Krankheit des Antragstellers in Armenien nicht möglich wäre. Das Attest vom 15. März 2016 fasst zusammen: Nach Unterpolresektion stabil funktionsgeminderte Niere links. Kein Anhalt für das Rezidiv einer Urolithiasis. Sofern keine Besonderheiten beobachtet werden, genügt eine urologische Kontrolle in einem Jahr. Darüber hinaus ist keine besondere Medikamentation verordnet, vielmehr nimmt der Antragsteller nach eigenen Angaben bei Bedarf Schmerzmittel.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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