Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot nach Afghanistan

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31180

Datum:
27.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17130
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Annahme eines Abschiebungsverbots kommt selbst für Afghanen, die sich nie in Afghanistan aufgehalten haben, nicht in Betracht. Voraussetzung für eine Integration in die afghanischen Lebensverhältnisse ist allerdings, ob der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Ein „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ ist nicht erforderlich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage auf Zuerkennung internationalen Schutzes nach §§ 3, 4 AsylG gerichtet war, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
II.
Soweit die Klage nicht zurückgenommen wurde, ist sie unbegründet.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Alle Kläger sind gesund und erwerbsfähig. Bei ihnen kann aufgrund ihrer mehrjährigen Berufserfahrung als Lkw- und Fernbusfahrer (Kläger zu 1) und Schneider (Kläger zu 2 und 3) erwartet werden, dass sie ihren Lebensunterhalt so wie im Iran auch in den relativ sicheren Teilen Afghanistans bestreiten können, zu denen außer der Hauptstadt Kabul unter anderem die Großstädte Herat und Mazar-e-Sharif gehören. Der Kläger zu 1 kann auch im fortgeschrittenen Alter „hart arbeiten“, wie er bei seiner Anhörung durch das Bundesamt bekundet hat. Die Kläger zu 2 und 3 haben zwar vorgetäuscht, minderjährig zu sein, doch ist durch die eingeholten Sachverständigengutachten des Instituts für Rechtsmedizin der …-Universität … vom 12. März 2018 und 29. Juni 2018 erwiesen, dass sie volljährig sind, wobei der Kläger zu 2 wahrscheinlich sogar älter als 30 Jahre ist (vgl. Radiologisches Zusatzgutachten vom 19.6.2018 S. 3). Der nachgereichte Geburtspass einer Entbindungsklinik ohne Adresse hat gegenüber den gutachterlichen Feststellungen keinen Beweiswert.
Die Annahme eines Abschiebungsverbots ist auch nicht gerechtfertigt, wenn man davon ausgeht, dass der Kläger zu 1 bereits vor Jahrzehnten Afghanistan verlassen hat und die Kläger zu 2 und 3 im Iran geboren und aufgewachsen sind. Selbst für Afghanen, die sich nie in Afghanistan aufgehalten haben, besteht die Chance, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten in Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, wenn sie – wie die Kläger – eine der Landessprachen (hier: Paschto und Dari) beherrschen (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris). Eine Integration in die afghanischen Lebensverhältnisse scheitert grundsätzlich nicht am fehlenden vorherigen Aufenthalt im Heimatland. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Ein „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ ist nicht erforderlich.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen auf Seite 33 des EASO Country of Origin Information Report vom Mai 2018 zur Lage von Rückkehrern in Kabul. Demnach leben in den „Kabul Informal Settlements“ (KIS) geschätzt 65.000 Rückkehrer (aus dem Ausland) und Binnenvertriebene, wobei der Anteil der Rückkehrer bei etwa 32% bzw. 20.800 Personen liegt. Von diesen in den KIS lebenden Rückkehrern haben 46% und damit weniger als 10.000 Personen eine große Nahrungsmittelunsicherheit. Bei mehr als 1,6 Mio. Rückkehrern aus Pakistan und dem Iran allein in den Jahren 2016 und 2017 bedeutet dies, dass weit weniger als 1% der Rückkehrer zu den Personen gehört, die in den KIS mit großer Nahrungsmittelunsicherheit konfrontiert sind. Die Behauptung des Bevollmächtigten der Kläger, aus dem EASO-Bericht ergebe sich, dass 46% der Rückkehrer akut von Unterernährung betroffen seien, ist daher nicht haltbar. Dabei ist auch klarzustellen, dass große Nahrungsmittelunsicherheit nicht mit akuter Unterernährung gleichgesetzt werden kann und der EASO-Bericht auch nicht ansatzweise erkennen lässt, dass unter den in den KIS lebenden Rückkehrern auch Rückkehrer aus Europa und speziell aus Deutschland sind. Vielmehr befinden sich diese Rückkehrer in einer erheblich besseren Ausgangssituation als die Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan. Jeder der Kläger kann nach dem von Bund und Ländern finanziertem GARP-Programm eine Starthilfe von 500,- EUR erhalten und zusätzlich Reintegrationsleistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“ im Wert von ca. 1.000,- EUR bis 2.000,- EUR in Anspruch nehmen. Letzteres schließt professionelle Hilfe bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche ein (vgl. Auskunft des Bundesamts an VG Augsburg vom 12. August 2016).
2. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wie üblich auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist nicht zu beanstanden. Die Kläger haben keine Gründe vorgetragen, die eine kürzere Frist gebieten würden. Sie haben weder eine Heiratsurkunde noch Geburtsurkunden vorgelegt und somit nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei … um die Ehefrau bzw. Mutter handelt. Zudem leben die Kläger von ihren angeblichen Familienangehörigen in … offenbar dauerhaft getrennt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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