Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Beförderung wegen eines anhängigen Disziplinarverfahrens

Aktenzeichen  6 CE 16.2302

Datum:
16.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
SG SG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3
Zentrale Dienstvorschrift A-1340/49

 

Leitsatz

1 Im Wege der einstweiligen Anordnung kann in der Regel keine Beförderung (hier: zum Feldwebel) erreicht werden, weil darin eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache liegt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Dienstherr ist berechtigt, einen Soldaten für die Dauer einer gegen ihn durchgeführten disziplinarischen Untersuchung und eines förmlichen Disziplinarverfahrens von einer Beförderung auszuschließen. Dies entspricht auch der Zentralen Dienstvorschrift A-1340/49, die das Ermessen des Dienstherrn im Sinne der Gleichbehandlung bindet. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Härtefall, in dem nach der Zentralen Dienstvorschrift ausnahmsweise dennoch ein Beförderung möglich ist, liegt nicht vor, wenn der Soldat einer außerdienstlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzung beschuldigt wird, also einer Verfehlung, die das Ansehen der Bundeswehr und das Vertrauen in den Soldaten ernsthaft beeinträchtigt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 E 16.3751 2016-10-20 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2016 – M 21 E 16.3751 – wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.412,14 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller steht seit 1. Juli 2010 als Soldat auf Zeit im Dienst der Antragsgegnerin und wurde zuletzt am 1. Juli 2012 in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers (Besoldungsgruppe A 6) befördert.
Mit Anschuldigungsschrift vom 4. August 2014 schuldigte die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Kommandos Einsatzverbände Luftwaffe den Antragsteller an, schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt zu haben, indem er am 20. Februar 2013 gegen 2:45 Uhr in einer Bar in M. dem Zeugen H. mehrfach mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und sich mit körperlicher Gewalt dessen Versuch widersetzt habe, ihn aus der Bar hinauszubefördern. Dabei habe der Zeuge H. ein Hämatom und eine Schwellung am rechten Auge erlitten. Im Zeitraum zwischen 2:50 und 3:05 Uhr habe der Antragsteller gegenüber den Türstehern sinngemäß unter anderem gesagt: „Ich komme noch mal wieder und habe einen Totschläger im Auto“. Das insoweit eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft München I mit Verfügung vom 3. September 2013 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Am 16. Dezember 2015 beantragte der Antragsteller seine Beförderung zum Feldwebel. Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. Februar 2016 ab, weil gegen den Antragsteller ein gerichtliches Disziplinarverfahren eröffnet sei, während dessen Dauer ein Betroffener nicht gefördert werden solle. Ein Härtefall liege nicht vor. Die vom Antragsteller erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdebescheid vom 9. Mai 2016 zurückgewiesen. Der Antragsteller hat hiergegen Klage erhoben (M 21 K 16.2597) und beantragt, ihn unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide zum Feldwebel zu befördern. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Außerdem hat er beim Verwaltungsgericht beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, ihn unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zum Feldwebel zu befördern. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 20. Oktober 2016 abgelehnt.
Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde eingelegt, mit der er beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2016 abzuändern und ihn unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zum Feldwebel zu befördern, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über den Antrag zu entscheiden.
Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und verteidigt den Beschluss des Verwaltungsgerichts.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet.
Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1, 3 und 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern. Der mit der Beschwerde weiterverfolgte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen im Haupt- und im Hilfsantrag ohne Erfolg.
1. Die vom Antragsteller gestellten Anträge, die auf eine Beförderung zum Feldwebel oder eine Neuverbescheidung gerichtet sind, würden zu einer „echten“ Vorwegnahme der Hauptsache führen, weil der Antragsteller bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes endgültig erreichen würde, was Ziel des beim Verwaltungsgericht anhängigen Hauptsacheverfahrens ist. Dafür besteht kein Grund. Eine Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) mit einer solchen Zielrichtung kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Sie setzt voraus, dass die Vorwegnahme der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch auf Beförderung begründet ist (vgl. BayVGH, B. v. 12.5.2016 – 6 CE 16.371 – juris Rn. 6; B. v. 22.12.2016 – 6 CE 16.2303 – juris Rn. 20; B. v. 28.12.2016 – 6 CE 16.2584 – juris Rn. 15). Das ist indessen nicht der Fall.
a) Fraglich ist schon, ob die Vorwegnahme der Hauptsache zur Vermeidung unzumutbarer Nachteile zwingend erforderlich ist. Die vom Antragsteller befürchtete „Doppelbestrafung“ dadurch, dass für den Fall des Nachweises eines Dienstvergehens im disziplinargerichtlichen Verfahren die Gefahr bestehe, dass ein Beförderungsverbot zusätzlich zur laufenden Beförderungssperre verhängt werde, reicht hierfür nicht. Abgesehen davon darf nach § 17 Abs. 4 WDO ein Beförderungsverbot nicht mehr verhängt werden, wenn seit einem Dienstvergehen fünf Jahre verstrichen sind. Schließlich besteht nach ständiger Rechtsprechung – bei Vorliegen sämtlicher sonstiger Voraussetzungen – gegebenenfalls ein Anspruch auf Schadenersatz wegen verspäteter Beförderung, sollte diese rechtswidrig unterlassen worden sein (u. a. BVerwG, U. v. 19.3.2015 – 2 C 12.14 – juris).
b) Letztlich kann die Frage aber offen bleiben, weil jedenfalls der in der Hauptsache verfolgte Anspruch auf Beförderung oder Neuverbescheidung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründet ist. Ein Soldat hat nämlich keinen Anspruch darauf, befördert zu werden (BVerwG, U. v. 13.5.1987 – 6 C 32.85 – juris Rn. 11). Nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 SG bedarf es zur Verleihung eines höheren Dienstgrades (Beförderung) einer Ernennung. Gemäß § 3 Abs. 1 SG ist der Soldat nach Eignung, Befähigung und Leistung zu ernennen und zu verwenden (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG). Der unbestimmte Rechtsbegriff der Eignung umfasst die charakterliche, geistige und körperliche Eignung. Der Eignungsprognose ist eine Beurteilungsermächtigung der für die Ernennung zuständigen Behörde immanent, die ähnlich wie andere persönlichkeitsbedingte Werturteile nicht in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Das Gericht darf die Eignung des Soldaten nicht aufgrund eines eigenen prognostischen oder rückschauenden Werturteils über die Persönlichkeit des Soldaten abweichend von der Ernennungsbehörde feststellen (BVerwG, U. v. 24.6.1993 – 2 C 19.91 – juris Rn. 22).
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Dienstherr berechtigt, einen Soldaten für die Dauer einer gegen ihn durchgeführten disziplinarischen Untersuchung und des gegebenenfalls anschließenden förmlichen Disziplinarverfahrens von einer an sich möglichen Beförderung auszuschließen Das gilt auch dann, wenn die Beförderungsurkunde bereits unterschrieben vorliegt. Denn der Dienstherr würde sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen, wenn er einen Soldaten vor der abschließenden Klärung des disziplinarischen Vorwurfs befördert und damit die Befähigung und Eignung des Betreffenden für eine höherwertige Verwendung bejaht, obwohl er zuvor mit der Einleitung disziplinarischer Ermittlungen zu erkennen gegeben hat, dass er Anlass sieht, die Amtsführung oder das persönliche Verhalten des Betreffenden in seinem bisherigen Status zu beanstanden (BVerwG, U. v. 13.5.1987 – 6 C 32.85 – juris Rn. 12; B. v. 24.9.1992 – 2 B 56.92 – juris Rn. 4; B. v. 3.9.1996 – 1 WB 20.96, 1 WB 21.96 – juris).
Dieser Rechtsprechung entspricht die das Ermessen im Sinne der Gleichbehandlung bindende zentrale Dienstvorschrift A-1340/49. Nach Nr. 2.5.4 246 dieser Verwaltungsvorschrift sollen während der Ermittlungen der Disziplinarvorgesetzten, disziplinarer Vorermittlungen gemäß § 92 WDO, eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens die Betroffenen nicht gefördert werden. Ausnahmen sind nur in Härtefällen vertretbar. Das Vorliegen eines Härtefalls ist zu prüfen, wenn der Soldat sich besonders bewährt hat, der bestandskräftige Abschluss eines der oben genannten Verfahren sich erheblich verzögert (in der Regel nach Ablauf eines Jahres seit Aufnahme der Ermittlungen) und der Soldat dies nicht zu vertreten hat und der Tatbestand eine einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung von geringer Schwere darstellt.
Gemessen an diesem Maßstab ist nicht ersichtlich, dass das dem Dienstherrn eröffnete Ermessen – mit hoher Wahrscheinlichkeit – insoweit geschrumpft sein könnte, dass als einzige rechtmäßige Entscheidung die Beförderung des Antragstellers zum Feldwebel oder eine Neuverbescheidung hierüber in Betracht kommt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die in der Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 4. August 2014 und in deren Stellungnahme vom 13. Januar 2016 im Einzelnen aufgeführten Umstände – nach Aktenlage im Eilverfahren – jedenfalls Zweifel an der persönlichen, charakterlichen Eignung des Antragstellers als Soldat begründen, die derzeit eine Beförderung ausschließen. Insbesondere der dort erhobene Vorwurf, dass der Antragsteller am 20. Februar 2013 gegen 2:45 Uhr in einer Bar in M. dem Zeugen H. mehrfach mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und diesem ein Hämatom und eine Schwellung am rechten Auge zugefügt habe, stellt nach summarischer Prüfung entgegen der Wertung des Antragstellers keine „Verfehlung von geringer Schwere“ dar, so dass ein Härtefall nach Nr. 2.5.4 246 der zentralen Dienstvorschrift A-1340/49 ausscheidet. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die wegen anderer Vorfälle gegen den Antragsteller verhängten weiteren Disziplinarmaßnahmen vom 9. September 2011, 18. Januar 2012 und 31. Oktober 2012 wegen Zeitablaufs zu tilgen sind (vgl. § 8 Abs. 2 WDO) – wie der Antragsteller vorträgt – oder im Rahmen der Ermessensausübung bei der Frage berücksichtigt werden können, ob eine „einmalige“ situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung vorliegt. Der Dienstherr darf von einem Soldaten erwarten, dass dieser sich außer Dienst außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so verhält, dass er das Ansehen der Bundeswehr und oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung – zumal als Soldat in Vorgesetztenfunktion – erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 SG). Dies ist aber der Fall, wenn sich ein Soldat, wie es dem Antragsteller vorgeworfen wird, gewalttätig gegenüber einer anderen Person verhält. Die Annahme des Antragstellers, dass sich der Sachverhalt im laufenden Disziplinarverfahren auch nicht vor dem Truppendienstgericht Süd vollumfänglich aufklären lassen werde, stellt im derzeitigen Verfahrensstadium eine reine Vermutung dar. Angesichts des im Raum stehenden Vorwurfs einer vorsätzlichen Körperverletzung ist es nicht ermessensfehlerhaft, den Ausgang des disziplinargerichtlichen Verfahrens abzuwarten und den Antrag auf Beförderung abzulehnen. Erst recht ist nichts dafür ersichtlich, dass das Ernennungsermessen zugunsten des Antragstellers auf Null reduziert und deshalb eine Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt sein könnte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 4 GKG, weil Streitgegenstand die Verleihung eines anderen Amtes im Rahmen eines Soldatenverhältnisses auf Zeit ist. Eine nochmalige Halbierung kommt nicht in Betracht, weil das Rechtsschutzbegehren auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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