Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan – Nachholung Visumsverfahren

Aktenzeichen  19 ZB 21.738

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22451
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
GG Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2, § 10 Abs. 3 S. 1, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 60a Abs. 2 S. 1
AufenthV § 31, § 39 S. 1 Nr. 5
AVwV-AufenthG Nr. 5.2.2.1, Nr. 5.2.3

 

Leitsatz

1. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist grundsätzlich erforderlich, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen. (Rn. 10) (red. LS Andreas Decker)
2. Rechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. (Rn. 16) (red. LS Andreas Decker)
3. Nach dem Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV muss es sich um einen bereits aus anderen Gründen geduldeten Ausländer handeln, der während seines Aufenthalts einen Aufenthaltsanspruch erworben hat. (Rn. 32) (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

RN 9 K 20.2982 2021-01-25 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der am (festgesetzte Geburtsdaten) 1. Januar 1992 oder am 1. Januar 1997 geborene Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Januar 2021, durch das seine Klage, den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 27. Oktober 2020 zu verpflichten, “eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise eine solche nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu erteilen”, abgewiesen worden ist.
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), so dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor.
1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil (bzw. ein Gerichtsbescheid) sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
Der Kläger, der nach seiner Einreise in das Bundesgebiet ab dem Jahr 2015 erfolglos ein Asylverfahren betrieben hat und Vater einer am 12. April 2019 geborenen deutschen Tochter, für die mit der Kindsmutter am 3. Juni 2019 die gemeinsame elterliche Sorge beurkundet wurde, ist, trägt insoweit zur Begründung seines Zulassungsantrags vor, das Verwaltungsgericht gehe zwar zutreffend davon aus, dass auch in den Fällen des § 25 Abs. 5 AufenthG die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen müssen. Danach setze § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. Hiervon könne gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt seien oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar sei, das Visumverfahren nachzuholen. Gemäß Ziffer 5.2.2.1 AVwV-AufenthG könne von der Einhaltung des Visumverfahrens im Einzelfall abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis … erfüllt seien. Damit solle in Fällen, in denen die materielle Prüfung der Ausländerbehörde bereits zugunsten des Ausländers abgeschlossen sei, vermieden werden, dass das Visumverfahren lediglich als leere Förmlichkeit durchgeführt werden müsse. Nach Ziffer 5.2.3 AVwV-AufenthG lägen besondere Umstände des Einzelfalls, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar machen, u.a. dann vor, wenn im Herkunftsland keine deutsche Auslandsvertretung existiere. Von diesen Voraussetzungen sei vorliegend auszugehen. Die Ausländerbehörde habe die materielle Prüfung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zugunsten des Klägers positiv abgeschlossen, was sich insbesondere auch daran zeige, dass sie bereit sei, eine Vorabzustimmung gemäß § 31 AufenthV zu erteilen. Der Umstand, dass der Kläger als Vater eines deutschen Kleinkindes eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nachhaltig lebe, werde weder vom Verwaltungsgericht noch von der Ausländerbehörde in Frage gestellt. Es sei nicht ersichtlich, was eine deutsche Botschaft zusätzlich noch prüfen sollte, nachdem auch der Pass des Klägers von der Ausländerbehörde überprüft und als echt eingeschätzt worden sei. In diesem konkreten Fall wäre daher das Visumverfahren lediglich eine leere Förmlichkeit. Bereits aus diesem Grund hätte das Verwaltungsgericht von einer Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG ausgehen müssen. Zusätzlich komme hier noch dazu, dass es im Heimatland des Klägers, in Afghanistan, keine deutsche Botschaft gebe. Soweit das Verwaltungsgericht meine, den Kläger auf die deutsche Botschaft in Indien zur Nachholung des Visumverfahrens verweisen zu können, habe die dortige deutsche Botschaft in einer Mail vom 21. Januar 2021 darauf hingewiesen, dass die aktuelle Wartezeit bis zu einer bloßen Terminvergabe derzeit deutlich mehr als ein Jahr betrage. Wann ein Termin zugewiesen werde, könne nicht vorhergesagt werden. Die Terminvergabe erfolge aus Gründen der Fairness und Gleichbehandlung in chronologischer Reihenfolge. Mit einer bevorzugten Terminvergabe, selbst bei dringenden humanitären und medizinischen Gründen, könne nicht gerechnet werden, da nach Einschätzung der Botschaft fast alle Antragsteller dringende Gründe geltend machen würden. Auch unter Berücksichtigung dieser Umstände sei dem Kläger daher die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar und damit von einer Unmöglichkeit einer Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG auszugehen. Es sei dem Kläger nicht zumutbar, für einen unbestimmten Zeitraum von mehr als einem Jahr sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufzuhalten. Er habe im Übrigen auch keinerlei Verbindung zu Indien, spreche die dortige Sprache nicht und müsste für Hin- und Rückflug sowie mehrwöchigem Aufenthalt in Indien einen erheblichen Geldbetrag aufnehmen, der dann seinem deutschen Kind und deren Mutter als Unterhaltszahlung fehlen würde. Darüber hinaus bestünde die große Gefahr, dass er seinen Arbeitsplatz verliere und damit seinen Unterhaltszahlungen nicht nachkommen könnte. Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie und deren unbestimmter Dauer sei auch nicht sicher, dass der Kläger in Indien einreisen dürfe, bei einer Einreise eventuell lange in Quarantäne müsste und so ihm denn ein Visum erteilt würde, es Probleme bei der Rückreise ins Bundesgebiet gäbe. Hinzu komme die allgemeine Gefahr, sich bei den langen Flugreisen und dem Aufenthalt in Indien selbst mit Corona anzustecken und gesundheitliche Schaden davon zu tragen, dies alles für eine “leere Förmlichkeit”. Mindestens so gravierend wären aber auch die Beeinträchtigungen für das Kind. Anders als das Erstgericht meine, würde eine mehrwöchige Trennung zwischen Vater und Kind diesem einen Schaden zufügen. Vater und Kind träfen sich täglich. Bezug genommen werde auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Videotelefonie oder sonstige Fernkommunikationsmittel könnten mit einem Kleinkind aus Indien nicht funktionieren. Auch würden sich die auf den Kläger zukommenden Schwierigkeiten (lange Duldungsdauer in Deutschland, Ungewissheit bezüglich des Flugs nach Indien, Ungewissheit, welche Schwierigkeiten auf den Kläger zukommen könnten) psychisch beeinträchtigend auf diesen einwirken, dies würde auf Kind und Mutter übertragen. Zusammenfassend könne die Abwägung der jeweiligen Interessen nur zu dem Ergebnis führen, dass im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise des Klägers im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG vorliege und ihm die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund der oben geschilderten besonderen Umstände unzumutbar sei. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergäben sich zudem weiter daraus, dass dieses von den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 2006 (2 BvR 1935/05) und vom 1. Dezember 2008 (2 BvR 1830/08) abweiche.
Ernstliche Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, ergeben sich aus dessen Vortrag nicht. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers im Hauptantrag (Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) abgewiesen hat, trägt der Kläger ernstliche Zweifel an den Ausführungen des Erstgerichts nicht vor. Insoweit genügt der Kläger dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise, ist nicht ernsthaft zweifelhaft.
Offenbleiben kann, ob die Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG bereits deshalb ausscheidet, weil der Kläger einen Lebenssachverhalt (Beziehungen zu seiner Tochter) zum Gegenstand seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis macht, für den der Gesetzgeber in den §§ 27 ff. AufenthG (hier § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) detaillierte und damit spezielle Voraussetzungen geschaffen hat (vgl. unter Hinweis auf die Systemwidrigkeit z.B. VGH BW, B.v. 10.3.2009 – 11 S 2990/08 – juris Rn. 29; offenlassend z.B. BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 3).
Im Hinblick auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG darf zwar grundsätzlich nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG einem unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber – wie dem Kläger – ein Aufenthaltstitel nach Maßgabe von Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes und damit auch nach Maßgabe des in diesem Abschnitt enthaltenen § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden. Allerdings steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift im Ermessen der Ausländerbehörde. Hinzu kommt, dass für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich erforderlich ist, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C 3.10 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 C 18.1782 – juris Rn. 7; B.v. 24.1.2019 – 10 CE 18.1871, 10 C 18.1874 – juris Rn. 25; Maaßen/Kluth in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, § 25 Rn. 148, Hailbronner, AuslR, Stand 11/2018, § 25 AufenthG Rn. 148). Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann in den übrigen Fällen der Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 (also auch hinsichtlich des hier im Streit stehenden § 25 Abs. 5 AufenthG) von der Anwendung der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen werden. Auch insoweit ist mithin eine Ermessensentscheidung erforderlich.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, hinsichtlich der zu treffenden Ermessensentscheidungen liege eine sog. Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit eine umfassende Interessenabwägung erforderlich, bei der nach Ermessen darüber zu entscheiden ist, ob im Hinblick auf die Gewichtigkeit der einschlägigen öffentlichen und privaten Interessen sowie der gesetzgeberischen Intention, Kettenduldungen möglichst zu vermeiden, auf eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG verzichtet werden kann. Entsprechend dem Zweck der Norm, eine zusammenfassende Sonderregelung für die Aufnahme in das Bundesgebiet aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen zu schaffen, ist eine umfassende und grundsätzlich offene Abwägung zwischen den hinter § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG stehenden öffentlichen Interessen und den privaten Interessen des Ausländers zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 17/12 – BVerwGE 146, 281; B.v. 3.12.2014 – 1 B 19/14 – juris Rn. 7; B.v. 7.5.2013 – 1 B 2/13 – Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 12; ebenso NDS OVG, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 45/17 – juris Rn. 70; BayVGH, B.v. 9.3.2016 – 19 CS 14.1902 – juris Rn. 12, B.v. 29.7.2009 – 10 BV 08.2411 – juris Rn. 13). Davon ausgehend und diese Vorgaben berücksichtigend ergibt sich eine erforderliche Ermessensreduzierung entgegen dem Vortrag des Klägers nicht aus Art. 6 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK:
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (1 C 14.05 – juris) ausgeführt, eine freiwillige Ausreise sei im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG.
Ernstliche Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Ausreise des Klägers zur Visumeinholung sei hier nicht deshalb aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sie den Schutz der Familie (insb. die behauptete familiäre Gemeinschaft zwischen Kläger und Tochter) nach Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 ERMK in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen würde, liegen nicht vor.
Zunächst ist festzuhalten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt vermitteln. Dies gilt auch für den Nachzug zu berechtigterweise in Deutschland lebenden Familienangehörigen. Allerdings sind die Ausländerbehörden verpflichtet, bei ihren Entscheidungen die bestehenden familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und sie entsprechend ihrem Gewicht in den behördlichen Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris). Ebenso wenig wie Art. 6 GG gewährleistet Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht des Ausländers in einen bestimmten Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ein Staat ist vielmehr berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Hoheitsgebiet und ihren Aufenthalt dort nach Maßgabe seiner vertraglichen Verpflichtungen zu regeln (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR -, U.v. 18.10.2006 (Üner) Nr. 46410/99 – juris). Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens berühren. Eingriffe sind unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft und müssen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herstellen. Dabei ist eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durchzuführen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 30.3.2010 – 1 C 8.09 – juris m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR).
Was die sich aus Art. 6 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen angeht (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 17 ff. m.w.N.), ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16). Die Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – juris Rn. 87). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Nicht entscheidend ist, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. Der spezifische Erziehungsbeitrag eines Elternteils wird durch die Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil nicht entbehrlich. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt. Es kommt jedoch darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 17.12.2018 – 10 C 18.2177 – juris Rn. 19; B.v. 28.7.2015 – 10 ZB 15.858 – juris Rn. 5). Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (VGH BW, U.v. 20.9.2018 – 11 S 240/17 – juris Rn. 80; U.v. 5.8.2002 – 1 S 1381/01 – juris Rn. 19). Rechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14).
Was die Beziehung des Klägers zu seiner unstreitig mit der Kindesmutter gemeinsamen deutschen Tochter angeht (hinreichende Darlegungen, er habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, weil deren Ablehnung im Hinblick auf die Beziehung zur Kindesmutter den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK widersprechen würde, fehlen), ist davon ausgehend in Anbetracht des Vortrags im Antragsverfahren auszuführen:
Unter Zugrundelegung der Darlegungen des Klägers betreffend seine Beziehung zur deutschen Tochter muss offenbleiben, ob eine aufenthaltsrechtlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft vorliegt. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts lebt der Kläger nach zwischenzeitlicher Gestattung der privaten Wohnsitznahme bei der Kindesmutter und der Tochter infolge “Rauswurfs” seit Januar 2020 wieder in einer Gemeinschaftsunterkunft. In dem im Antragsverfahren vorgelegten Schreiben der Kindesmutter vom 25. März 2021 (das eine Absenderadresse nicht nennt) heißt es u.a.: “Zwischen uns Eltern scheint alles gut zu sein, da wir schon überlegen zusammenziehen”. Am 21. Mai 2021 teilte der Kläger sodann eine neue Adresse mit ohne Ausführungen zu der Frage, ob er mit Kindesmutter/Tochter zusammengezogen sei. Bei Unterstellung insbesondere eines hinreichenden Maßes an wahrgenommener Elternverantwortung (die Kindesmutter erklärt in dem Schreiben vom 25.3.2021, die Tochter hänge sehr stark am Papa, wenn er zur Arbeit gehe oder weg sei, dann weine sie ihm hinterher, der Vater sei jeden Tag bei ihnen) würde sich aber weder aus Art. 6 GG noch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergeben, dass der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen könnte:
In den Blick zu nehmen ist zunächst, dass der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet bislang allein auf dessen Willen beruhte und zu jedem Zeitpunkt unsicher war, was gegen die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 EMRK spricht (vgl. EGMR in seinen Entscheidungen “Ghiban”, 16.9.2004 – Nr. 11103/03 – juris, NVwZ 2005, 1046 und “Draghan”, 7.10.2004 – Nr. 33743/03 – juris, NVwZ 2005, 1043; zum geringen Gewicht von Aufenthaltszeiten wegen der Durchführung von Asylverfahren im Rahmen des Art. 8 EMRK vgl. U.v. 8.4.2008 – Nnyanzi – Bw. – Nr. 21878/06 Rn. 76).
In den Blick zu nehmen ist weiter, dass die Regelungen in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen dienen. Die Pflicht zur Einreise mit dem erforderlichen Visum soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern. Dabei dürfen auch generalpräventive Aspekte Berücksichtigung finden, damit das Visumverfahren seine Funktion als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung wirksam erfüllen kann. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wirkt dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des Visumverfahrens darf nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten. Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind daher prinzipiell eng auszulegen (BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15/14, U.v. 11.1.2011 – 1 C 23/09 – jeweils juris). Es ist auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in das Bundesgebiet begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 5625/10 – jeweils juris). Für den Kläger bedeutet dies grundsätzlich, dass er als ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland (bzw. hier ersichtlich in Indien) durchzuführen hat, um einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel zu erlangen. Mithin erweist sich die Pflicht zur Einreise mit dem erforderlichen Visum nicht bloß als “leere Förmlichkeit”.
Das Vorliegen einer schützenswerten familiären Gemeinschaft unterstellt, könnte es dem Kläger, der eine mehrwöchige Abwesenheit befürchtet, zugemutet werden, sich für das Sichtvermerkverfahren (insbesondere) nach Indien zu begeben, ohne dass die Grenze des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erreicht würde bzw. ohne dass sich das dem Beklagten jeweils in § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und in § 25 Abs. 5 AufenthG eingeräumte Ermessen auf Null reduziert hätte. Die öffentlichen Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an der Beachtung des Visumverfahrens setzen sich gegenüber den (unterstellt) schutzwürdigen Interessen des Klägers und seiner im Bundesgebiet lebenden Bezugspersonen (hier gemäß Darlegungen im Antragsverfahren der Tochter) durch. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und ggf. unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandsaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15/12 – juris). Die vom Kläger befürchtete Trennung von seiner Tochter für mehrere Wochen wäre ersichtlich nicht unverhältnismäßig. Der Kläger hat es durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er sich vorab (z.B. umgehend) für einen Termin für die Visumbeantragung registrieren lassen könnte sowie z.B. die Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt. Deren Erteilung hat die zuständige Ausländerbehörde bereits in Aussicht gestellt. Es liegt mithin im Verantwortungsbereich des Ausländers, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger etwa einen unersetzbar notwendigen Beitrag zur Bewältigung eines familiären Alltags leisten würde, auf den (insbesondere) seine Tochter auch nicht temporär verzichten könnte, liegen nicht vor. In den Blick zu nehmen ist, dass es auf der freien Entscheidung des Klägers und der Kindesmutter beruht (unterstellt), eine Lebensgemeinschaft bzw. Familie auf aufenthaltsrechtlich ungesicherter Basis gründen zu wollen und die Beteiligten auch nicht schutzwürdig darauf vertrauen können, eine (unterstellte) familiäre Lebensgemeinschaft werde sich ohne größere verfahrensrechtliche Anstrengungen und Problemstellungen allein dadurch herstellen lassen, dass der Kläger Fakten schafft. Soweit der Kläger keine Anstrengungen zur familienverträglichen Visumnachholung unternehmen sollte, gebietet es im Übrigen auch Art. 6 Abs. 1 GG nicht, die berechtigte Erwartung, an der Visumnachholung mitzuwirken, gänzlich zurückzustellen, denn dies bedeutete keinen schonenden Ausgleich der familiären Belange des Ausländers und der gegenläufigen öffentlichen Interessen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – juris Rn. 103) mehr. In einer solchen Situation käme auch der Zeitspanne, die ggf. der Kläger und seine Tochter (unterstellt) nicht zusammenleben könnten, kein die Abwägung der beteiligten Interessen beeinflussendes Gewicht zu. Denn in diesen Fällen beruht die Trennung allein auf der eigenverantwortlichen Entscheidung des Ausländers, ein zumutbar beseitigendes Hindernis für die Familienzusammenführung nicht zu beheben (vgl. für Ehegatten OVG Berlin-Bbg., B.v. 8.7.2019 – EOVG 3 N 147.17 – BeckRS 2019, 14273 Rn. 8 zur Versagung eines Visums für den Ehegattennachzug bei grundloser Weigerung jedweden Spracherwerbs). Auch der sonstige Vortrag des Klägers (Unzumutbarkeit sich für einen unbestimmten Zeitraum von mehr als 1 Jahr – bis zu einer Terminvergabe bei der deutschen Botschaft in Indien – sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufzuhalten, keinerlei Verbindung zu Indien, keine dort erforderlichen Sprachkenntnisse, mehrwöchiger dortiger Aufenthalt, Erforderlichkeit eines erheblichen Geldbetrags, Gefahr der Verlust des Arbeitsplatzes, Problematik keine Unterhaltszahlungen mehr leisten zu können, Corona-Problematik, psychisch erhebliche Beeinträchtigung durch im Zusammenhang mit der Reise nach Indien auf den Kläger zukommende Schwierigkeiten tatsächlicher, rechtlicher und gesundheitlicher Art) haben nicht das Gewicht, wegen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu belegen. Im Hinblick auf die dargelegten öffentlichen Interessen und die dargelegten Obliegenheiten des Klägers – deren Erfüllung oder Nichterfüllung seine Haltung gegenüber der Rechtsordnung wiederspiegeln -, insbesondere aber auch im Hinblick darauf, dass der (unterstellten) familiären Gemeinschaft und Ausübung der Personensorge durch den Kläger ggf. aufgrund der Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (für den Zeitraum bis zu einer Ausreise zur Visumeinholung) Rechnung getragen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris), liegen durchgreifende Anhaltspunkte für die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG bzw. für die jeweils (gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und § 25 Abs. 5 AufenthG) erforderliche Ermessensreduzierung auf Null nicht vor. Der Senat verkennt nicht, dass die Visumerteilung für den Kläger mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Diese Schwierigkeiten erscheinen allerdings nicht unverhältnismäßig.
Soweit der Kläger ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Erstgerichts unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts behauptet, ist festzuhalten: Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen ist, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum getrenntlebenden Elternteil und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient. Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welche Trennungszeiten es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, dass den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris; BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris Rn. 31-33).
Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist die Ausreise des Klägers nicht wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich unmöglich. Wie ausgeführt erscheint die befürchtete mehrwöchige Trennung als mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass aufgrund der Erklärungen der Ausländerbehörde der Kläger bis zum Botschaftstermin im Bundesgebiet bleiben kann und dieses nur zur Durchführung des Visumverfahrens verlassen muss. Eine Abwesenheit von allenfalls wenigen Wochen sei auch in Würdigung der geltend gemachten familiären Belange zumutbar. Dies gelte erst recht, wenn nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass ein aktuell etwa eineinhalb jähriges Kind kognitiv noch keine eigene gefestigte Vorstellung über die tatsächliche Bedeutung eines Zeitraums von wenigen Wochen entwickelt habe. Etwaige Nachfragen des Kindes in der Zeit könnten beispielsweise durch Nutzung von Fernkommunikation wie etwa Videotelefonie überbrückt und ihm damit das Gefühl gegeben werde, dass der Kläger in den wenigen Wochen seiner nicht körperlichen Anwesenheit weiterhin im Leben des Kindes präsent sei. Dabei sei mit zu berücksichtigen, dass die Eltern, die in der Vergangenheit bereits an einem gemeinsamen Wohnsitz bestehende familiäre Lebensgemeinschaft aus eigenen Entschluss wieder beendet hatten und der Kläger auf seinen Wunsch hin bereits seit Januar 2020 erneut in einer Gemeinschaftsunterkunft in einem anderen Ort lebte. Das gemeinsame Kind sei es also schon seit längerem gewohnt, seinen Vater nicht als dauerhaften Teil der häuslichen Lebensgemeinschaft zu begreifen, selbst wenn er täglich stundenweise dort anwesend sein möge und am Wochenende dort übernachte. Zudem könnten die Eltern schon im Vorfeld in Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe das Kind auf die Abwesenheit des Klägers vorbereiten und ihm altersgerecht vermitteln, dass dessen Abwesenheit nicht mit einem endgültigen Verlust seiner Person verbunden sei. Dafür hätten sie nach Lage der Akten mindestens ein Jahr Zeit. Daher erschließe sich nicht, weshalb sich eine Abwesenheit von wenigen Wochen maßgeblich etwa von der Lage in Familien, in denen ein Elternteil beispielsweise berufsbedingt für einige Wochen nicht am Familienwohnsitz präsent sein könne, relevant unterscheiden solle. Dass damit gleichsam regelhaft eine Kindeswohlgefährdung verbunden sein solle, erscheine nicht naheliegend. Vielmehr sei es eben auch Aufgabe der Eltern im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung, das Ihre dafür zu tun, dass das – aus heutigem Blickwinkel bei entsprechender Mitwirkung – zum Ausreisezeitpunkt voraussichtlich etwa dreijährige Kind diese Situation als vorübergehend begreife. Diesen zutreffenden Ausführungen ist hinzuzufügen, dass die Tochter nunmehr bis zur vorübergehenden Ausreise des Klägers noch mindestens ein halbes Jahr älter sein wird.
2. Auch die Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegen nicht vor. Nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Die Darlegung einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatzes in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüber zu stellen, dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 30.8.2019 – 10 ZB 19.1519 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Der Kläger trägt vor, das Urteil des Erstgerichts weiche von den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 2006 (2 BvR 1935/05) und vom 1. Dezember 2008 (2 BvR 1830/08) ab und benennt aus diesen Entscheidungen folgende Rechtssätze: “Kann die bereits gelebte Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staats, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Die Folgen auch nur einer vorübergehenden Trennung haben insbesondere dann hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen kann”.
Dem stellt der Kläger als nach Behauptung divergierenden Satz des Verwaltungsgerichts gegenüber:
“… eine Abwesenheit des Klägers von allenfalls wenigen Wochen auch in Würdigung der geltend gemachten familiären Belange zumutbar sei. Dies gilt erst recht, wenn nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass ein aktuell etwa 1,5-jähriges Kind kognitiv noch keine eigene gefestigte Vorstellung über die tatsächliche Bedeutung eines Zeitraums von wenigen Wochen entwickelt hat. Die Eltern können in Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe das Kind auf die Abwesenheit des Klägers vorbereiten. Die Nachholung des Visumverfahrens im zeitlichen Zusammenhang von wenigen Wochen unterbricht daher den erstrebten Familienzusammenhang nicht in erheblicher Weise.”
Davon ausgehend ist aus der Gegenüberstellung der nach Behauptung divergierenden Sätze (unabhängig von der Frage, inwieweit die jeweiligen Zitate als Teil größerer textlicher Zusammenhänge anzusehen und zu würdigen sind) das Vorliegen einer Abweichung nicht erkennbar. Das Erstgericht hat vielmehr ausgehend von den verfassungsrechtlichen Anforderungen und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Interessen insbesondere des Kindes umfassend gewürdigt und ausführlich begründet, warum es auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK die Annahme einer rechtlichen Unmöglichkeit einer Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG verneint. Mithin hat das Erstgericht die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seinem Urteil (jedenfalls sinngemäß) zugrunde gelegt. Soweit der Kläger durch seinen Vortrag insoweit der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht, indem er ausführt, weshalb das Verwaltungsgericht bei Beachtung der angeführten Rechtssätze des Bundesverfassungsgerichts – seiner Auffassung nach – zu einer anderen rechtlichen Bewertung hätte gelangen müssen, liegen diese rechtlichen Zweifel (wie ausgeführt) nicht vor.
3. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ), die der Kläger ihr zumisst.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 – 10 ZB 19.275 – juris Rn. 7; B.v. 8.9.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 16 m.w.N.); Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Klärungsbedürftig sind solche Rechts- oder Tatsachenfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend ober- und höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2011 – 1 BvR 3007/07 – juris Rn. 21; Roth in Posser/Wolff, BeckOK, VwGO, Stand 1.1.2021, § 124 Rn. 55 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 38). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (stRspr., BVerwG, B.v. 9.4.2014 – 2 B 107.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 64).
Die vom Kläger aufgeworfene Frage “Soll die Regelung in § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV, wonach über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er aufgrund der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erworben hat, nur diejenigen Ausländer privilegieren, die schon im Besitz einer Duldung waren, als sie Eltern wurden, oder auch denjenigen, denen eine Duldung zur Führung einer familiären Lebensgemeinschaft ermöglicht wird?”, rechtfertigt die Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb nicht, weil deren vom Kläger behauptete Klärungsbedürftigkeit nicht gegeben ist. Der Kläger hat erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen, das am 9. März 2020 rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Er hat wegen der Geburt seiner im Jahr 2019 geborenen Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit, für die er die Personensorge ausübt, am 23. März 2020 bei der zuständigen Behörde eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Am 27. März 2020 erteilte ihm diese Behörde ersichtlich wegen der familiären Gemeinschaft mit dem Kind eine Duldung. Nach Mitteilung des Beklagten ist der Kläger weiter bis zu einer Ausreise zur Visumeinholung geduldet. Am 23. April 2020 beantragte der Vertreter des Klägers sodann erneut eine Aufenthaltserlaubnis. Davon ausgehend steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG “vor der Ausreise” grundsätzlich § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen (vgl. zur Entwertung der Ziele des gesetzlich vorgesehenen Zuzugsverfahrens BVerwG, U.v. 26.5.2020, 1 C 12/19 – BVerwGE 168, 159-178, Rn. 49, 50). Allerdings findet § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (zu den dafür erforderlichen Voraussetzungen BVerwG, U.v. 26.5.2020, a.a.O. Rn. 52) keine Anwendung. Jedoch steht einem Erteilungsanspruch (auf das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beruft sich der Beklagte nicht) § 5 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG entgegen. Vom Visumerfordernis kann lediglich im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, so dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG zu verneinen ist. Soweit § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV vom Visumerfordernis derogiert und die Einholung des Titels im Bundesgebiet zulässt, liegen die Voraussetzungen dieser Norm nicht vor. Zugunsten des Klägers zum einen unterstellt, dass der Beklagte ihm keine sog. verfahrensbezogene Duldung erteilt hat (diese würde die Voraussetzungen einer Duldung im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV nicht erfüllen, vgl. Sächsisches OVG, B.v. 5.2.2020 – 3 B 335/19 – juris Rn. 15 sowie Engels in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.5.2021, § 39 AufenthV Rn. 18 m.w.N.) sowie zum anderen davon ausgehend, dass entscheidungserheblich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2021 – 19 CE 21.6 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 10; offengelassen von BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 16; vgl. auch Engels, a.a.O. Rn. 17 m.w.N.), ist die Abschiebung des Klägers zwar derzeit ausgesetzt (zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes war der Kläger nicht im Besitz einer Duldung, befand sich vielmehr noch im nunmehr negativ abgeschlossenen Asylverfahren, auch zum Zeitpunkt der Antragstellung am 23.3.2020 war die Abschiebung des Klägers noch nicht gemäß § 60a AufenthG ausgesetzt; dahinstehen kann, ob ein etwaiger damaliger Rechtsanspruch auf Duldungserteilung ausreicht, ablehnend Engels, a.a.O. Rn. 17 m.w.N.). Allerdings ist er bei verständiger Würdigung nicht im Besitze einer Duldung, wie sie die Regelung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Erforderlich ist vielmehr eine Aussetzung der Abschiebung wegen eines anderen Hindernisses als (hier) die Geburt des Kindes und die Übernahme der Personensorge. Es drängt sich auf, dass ansonsten der Grund für die Titelerteilung (Familiennachzug) doppelte Berücksichtigung finden würde, wodurch die eigenständige Bedeutung der Duldung entfiele (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.8.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 20; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 13.1.2021 – 7 D 11208/20 – juris Rn. 14; OVG Lüneburg, B.v. 16.10.2019 – 13 ME 299/19 – juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 10.6.2012 – 2 M 65/21 Rn. 18; siehe auch Engels, a.a.O. Rn. 18 m.w.N.; ebenso wohl Maor in Kluth/Hornung/Koch ZuwanderungsR-HdB, § 4 Aufenthalt Rn. 113, beck-online). Unabhängig davon, ob sich eine derartige einschränkende Auslegung bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift und der Gesetzessystematik ergibt (dafür spricht, dass § 39 AufenthV die vorangegangene Regelung des § 9 DVAuslG ersetzt, vgl. BR-Drs. 731/04 S. 181 ff. zur AufenthV, und § 9 DVAuslG in der Fassung vom 2.12.2000 ersichtlich regelte, dass ein geduldeter Aufenthalt unabhängig von den eingetretenen familiären Umständen bestehen muss, weil (insoweit) § 9 Abs. 2 DVAuslG bestimmte, dass zur Einholung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise u.a. der geduldete Aufenthalt und – ersichtlich zusätzlich – nach der Einreise der Erwerb eines gesetzlichen Anspruchs auf Titelerteilung u.a. durch Geburt eines Kindes, für das der Ausländer die Personensorge ausübt, stattfand), folgt sie jedenfalls aus dem Sinn und Zweck der Norm. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV findet seinen Sinn gerade darin, als Ausnahmevorschrift ein Merkmal des in der Vorschrift vorausgesetzten strikten Anspruchs auf Titelerteilung, nämlich das Erfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG, zu verdrängen. “Die Vorschrift bezweckt gerade, einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, dessen Abschiebung tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist und der deshalb geduldet wird und regelmäßig zur vorherigen Einholung eines Visums nicht ausreisen kann, die Einholung eines Titels im Bundesgebiet zu ermöglichen, wenn er den Anspruch unter der Duldung aufgrund der genannten Ereignisse erworben hat. Ohne die Privilegierung blieben lediglich geduldete Ausländer von dem Anspruch auf Erteilung eines ihnen infolge Verheiratung oder der Geburt eines Kindes zustehenden Aufenthaltstitels ausgeschlossen und wären von einer Ermessensentscheidung im Rahmen des § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG abhängig (…). Nach dem Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV muss es sich daher um einen bereits aus anderen Gründen geduldeten Ausländer handeln, der während seines Aufenthalts einen Aufenthaltsanspruch erworben hat. Würde man den Duldungsgrund doppelt berücksichtigen, hätte dies zur Folge, dass im Rahmen einer Aufenthaltserlaubniserteilung nach § 28 Abs. 1 AufenthG das Regel-/Ausnahmeverhältnis umgekehrt und damit die Visumspflicht, der eine elementare Steuerungsfunktion für die Zuwanderung in das Bundesgebiet beigemessen wird (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 17/09 – juris Rn. 19), ihre Wirksamkeit in diesem Fall verlieren würde” (OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 13.1.2021 – 7 D 11208/20 – juris Rn. 15). Diese eindeutig zutreffenden Feststellungen lassen sich auch mit der Gesetzesbegründung zu § 39 AufenthV (BT-Drs. 15/420) vereinbaren, in der ausgeführt wird, eine Verweisung auf das Visumverfahren stelle auch eine unnötige und kostenträchtige Belastung sowohl des Ausländers als auch der Auslandsvertretungen dar, während der Prüfungsumfang derselbe bleibe. Denn wie dargelegt stellt sich das Visumerfordernis jedenfalls im hiesigen Einzelfall gerade nicht als leere Förmlichkeit dar, ebenso wenig sind (wie ausgeführt) durchgreifende Anhaltspunkte dafür ersichtlich, warum die relativ kurze Ausreise des Klägers zur Visumeinholung diesem wegen Vereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG rechtlich unmöglich sein sollte (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2018 -10 C 18.1497 – juris Rn. 27). Soweit im Übrigen der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof in einer älteren Entscheidung (B.v. 5.3.2008 – 11 S 378/08 – juris Rn. 11) ausführte, eine Einschränkung der Vorschrift komme nicht in Betracht, hält er diese Rechtsprechung ersichtlich wohl nicht mehr aufrecht. Denn in seinem Beschluss vom 20. September 2018 (11 S 1973/18 – juris Rn.19) führt er aus, dass § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV voraussetzt, dass der Erwerb des Anspruchs auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis (im hiesigen Fall die Geburt des Kindes mit Ausübung der Personensorge) während des Zeitraums, während dessen die Abschiebung des Ausländers ausgesetzt war, erfolgte. Damit macht dieses Obergericht ersichtlich deutlich, dass es wohl ebenfalls (nunmehr) davon ausgeht, der Ausländer müsse im Zeitpunkt des (nachfolgenden) Eintritts der tatbestandlichen Voraussetzungen hinsichtlich des Familiennachzugs bereits aus anderen Gründen geduldet sein.
Soweit der Kläger im Übrigen eine Titelerteilung gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erstrebt, steht der Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV bereits entgegen, dass es sich um eine Ermessensnorm handelt, es mithin am Erwerb eines Titelerteilungsanspruchs (ein Rechtsanspruch im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV liegt nur dann vor, wenn alle regelhaften und zwingenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat, vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 30) fehlt. Dahinstehen kann, dass das Sächsische Oberverwaltungsgericht auch im Hinblick auf § 28 AufenthG das Vorliegen eines Anspruchs im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV verneint, da von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur im Ermessenswege abgesehen werden könne (B.v 16.3.2021 – 3 B 93/21 – juris Rn. 15; B.v. 24.2.2012 – 3 B 359/19 juris – Rn. 12).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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