Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG mangels materiellen Duldungsgrundes

Aktenzeichen  19 CE 17.2453

Datum:
26.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32942
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25a Abs. 1, § 59 Abs. 1 S. 8, § 60a Abs. 2
AylG § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 6
VwGO § 80 Abs. 5, § 88, § 123

 

Leitsatz

1. Grundsätzlich besteht nach Ablauf der Ausreisefrist auch ein Rechtsschutzinteresse für die Erlangung vorläufigen Abschiebungsschutzes. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Grenzübertrittsbescheinigung regelt nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung eines Ausländers, sondern stellt lediglich ein Dokument dar, mit dem die Ausreise von ausreisepflichtigen Ausländern aus dem Bundesgebiet kontrolliert wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mangels Verwaltungsaktscharakter der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung sowie der unterschiedlichen Zielsetzung von Aufenthaltsgestattung und Duldung kommt eine Umdeutung der Verlängerung der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung in eine Duldung nicht in Betracht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 E 17.2420 2017-11-23 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der am … 2000 geborene kasachische Antragsteller reiste am 30. Juli 2013 zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder in die Bundesrepublik ein und stellte am 15. August 2013 einen Asylantrag. Ihm wurden in der Folge – zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder – fortlaufend Bescheinigungen über seine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG ausgehändigt, zuletzt am 30. Januar 2017 mit einer Gültigkeit bis 29. Juli 2017. Durch Aufbringen eines Aufdrucks „amtlich verlängert“ verlängerte die zuständige Ausländerbehörde die Aufenthaltsgestattung letztmalig bis 29. September 2017. Inzwischen hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jedoch bereits mit Bescheid vom 7. Februar 2017 den Asylantrag des Antragstellers abgelehnt, ihm die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus versagt, das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt, ihm eine Frist zur Ausreise aus der Bundesrepublik von 30 Tagen gesetzt sowie bei deren Nichteinhaltung die Abschiebung nach Kasachstan angedroht, ferner ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung ausgesprochen. Nachdem der Antragsteller hiergegen keine Rechtsmittel eingelegt hatte, erwuchs der Ablehnungsbescheid am 24. Februar 2017 in Bestandskraft. In der Folge erklärte die Familie des Antragstellers gegenüber der Ausländerbehörde zunächst, freiwillig ausreisen zu wollen. Dieser „Wille zur freiwilligen Rückkehr“ wurde durch die Bevollmächtigte des Antragstellers am 1. Juni 2017 gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde „zurückgenommen“.
Mit Schreiben vom 7. August 2017 beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers bei der Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG. Der Antragsteller besuche seit mehr als vier Jahren erfolgreich die Mittelschule in S.. Er lebe seit über vier Jahren im Bundesgebiet. Während des Asylverfahrens sei sein Aufenthalt gestattet gewesen. Die zeitlichen Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG lägen daher vor. Dem Antrag waren verschiedene Schulzeugnisse der S.-Mittelschule beigegeben, die dem Antragsteller gute und zum Teil sehr gute Leistungen attestierten, ferner ein Schreiben des Rektors der S.-Mittelschule vom 3. Mai 2017, das ihm ebenfalls gute schulische Leistungen sowie eine „hervorragende Integration“ bescheinigte.
In der Folge wies die Ausländerbehörde den Antragsteller mit Schreiben vom 25. August 2017 darauf hin, dass seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG nicht entsprochen werden könne, weil sein Aufenthalt nicht geduldet sei. Die zuletzt erteilte Aufenthaltsgestattung sei bis zum 29. Juli 2017 gültig gewesen. Materielle Gründe für die Erteilung einer Duldung lägen nicht vor. Unter dem 28. September 2017 stellte die Ausländerbehörde dem Antragsteller in der Folge eine bis 28. Dezember 2017 befristete Grenzübertrittsbescheinigung aus.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 wurde der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG abgelehnt. Beim Antragsteller handele es sich bereits nicht um einen geduldeten Jugendlichen bzw. Heranwachsenden, da er zum Zeitpunkt der Antragstellung weder im Besitz einer Duldung gewesen sei noch materielle Duldungsgründe nach § 60a Abs. 1 und 2 AufenthG vorgelegen hätten. Insbesondere sei eine Abschiebung des Antragstellers weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmöglich. Seine Familie besitze kasachische Passpapiere; der Antragsteller sei wie sein Bruder im Reisepass seiner Mutter eingetragen, benötige als 17-jähriger nunmehr jedoch einen eigenen Reisepass. Auch der Umstand, dass die in Deutschland geborene Schwester des Antragstellers keinen Pass besitze bzw. noch nicht im Pass der Mutter eingetragen sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Die Beantragung eines kasachischen Reisepasses bzw. die Eintragung eines Kindes in den Pass der Mutter sei bei der kasachischen Auslandsvertretung in der Bundesrepublik jederzeit möglich. Ferner bestehe zusätzlich die Möglichkeit einer Beschaffung von Heimreisepapieren durch die Ausländerbehörde. Könne diese eine Abschiebung auch ohne gültige Nationalpässe durchführen bzw. sei die Passbeschaffung möglich und absehbar, verneine die Rechtsprechung einen Duldungsanspruch. Die Erteilung einer Duldung komme für den Antragsteller auch nicht aus dringenden humanitären und persönlichen Gründen nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG in Betracht. Allein der Umstand, dass er bei Erteilung einer Duldung zum begünstigten Personenkreis nach § 25a AufenthG rechnen würde, rechtfertige keine Aussetzung der Abschiebung. Weiter erfülle der Antragsteller auch das Erfordernis eines mindestens vierjährigen, ununterbrochenen Aufenthalts mit einer Aufenthaltsgestattung nicht. Die ab Asylantragstellung am 15. August 2013 bestehende Aufenthaltsgestattung sei mit Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung des Bundesamts am 24. Februar 2017 nach § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylG erloschen.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte mit Telefax vom 22. November 2017 Klage erheben und zugleich beantragen, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO dem Antragsgegner aufzugeben, „der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass ein Klageverfahren durchgeführt wird und dass die Klage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens aufschiebende Wirkung hat“. Die Familie des Antragstellers habe bereits bei der Einreise in die Bundesrepublik am 30. Juli 2013 am Münchner Flughafen Asylanträge gestellt. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners besitze der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG. Weiter sei ihm auch nach § 60a Abs. 2 AufenthG eine Duldung zu erteilen, da das Vorhaben gescheitert sei, kasachische Papiere über die Auslandsvertretung zu erlangen. Die in Deutschland geborene Schwester des Antragstellers besitze ebenfalls keinen Pass. Demzufolge läge in einer getrennten Abschiebung von einzelnen Familienmitgliedern ein Verstoß gegen Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK. Schon deswegen wäre die Abschiebung des Antragstellers auszusetzen, ihm folglich eine Duldung zu erteilen gewesen. Seine Abschiebung sei daher tatsächlich unmöglich. Darüber hinaus liege auch eine rechtliche Unmöglichkeit vor, wenn die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dadurch vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Durch die Nichterteilung einer Duldung vereitle der Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG.
Mit Tenorbeschluss vom 23. November 2017 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, da es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehle. Mit dem Schreiben vom 28. September 2017 habe der Antragsgegner dem Antragsteller ausweislich des streitgegenständlichen Bescheids eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis 28. Dezember 2017 gesetzt. Daran sei der Antragsgegner gebunden; der Antragsteller habe mithin nicht glaubhaft gemacht, dass konkrete Abschiebemaßnahmen bevorstünden.
Mit Telefax vom 7. Dezember 2017 ließ der Antragsteller gegen diesen Beschluss Beschwerde einlegen, die mit weiterem Telefax vom 22. Dezember 2018 begründet wurde. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei das Bestehen eines Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht worden. Obwohl der Antragsteller erklärt habe, nicht freiwillig ausreisen zu wollen, habe die Ausländerbehörde ihm eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt und eine Frist bis 28. Dezember 2017 zur Ausreise gesetzt. Zugleich verlange die Ausländerbehörde vom Antragsteller und seiner Familie die erneute Ablieferung der Originalpässe. Dies stelle den ersten Schritt zur Einleitung der Abschiebung dar. Weiter dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass Abschiebungen nach Kasachstan grundsätzlich unproblematisch möglich seien. Weiterhin besitze der Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG hätten im Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen. Es habe durch die „Rücknahme der freiwilligen Ausreise“ und die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch den Bundesamtsbescheid vom 7. Februar 2017 zumindest eine „faktische Duldung“ bestanden. Nur weil der Antragsgegner trotz eines bestehenden Duldungsanspruchs dem Antragsteller keine Duldung erteilt habe, habe er ihm zugleich die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG verwehrt. Dies stelle eine rechtswidrige Umgehung des Gesetzes dar.
Demgegenüber beantragte die Landesanwaltschaft Bayern die Zurückweisung der Beschwerde als unbegründet. Ungeachtet des Vorliegens eines Anordnungsgrunds habe der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG sei der Antragsteller weder im Besitz einer Duldung gewesen noch hätten materielle Duldungsgründe im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG vorgelegen. Allein durch die Verweigerung der Ausstellung einer Duldung habe die Ausländerbehörde einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG auch nicht vereiteln können, da es, wie sie richtig erkannt habe, neben der tatsächlichen Erteilung einer Duldung auf das Vorliegen materieller Duldungsgründe zum Zeitpunkt der Antragstellung ankomme. Soweit die Familie des Antragstellers zunächst am 16. Februar 2017 erklärt habe, freiwillig ausreisen zu wollen, und sie daraufhin im Mai 2017 von der Ausländerbehörde die Originalausweispapiere zum Zwecke der Botschaftsvorsprache zurückerhalten habe, habe aufgrund der freiwilligen Ausreisebereitschaft kein Duldungsgrund vorgelegen. Auch nach Aufgabe der freiwilligen Ausreisebereitschaft erweise sich die Abschiebung des Antragstellers nach Kasachstan wegen fehlender Heimreisepapiere nicht als tatsächlich oder rechtlich unmöglich. Wenn ausreichende und zuverlässige Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine Abschiebung auch ohne gültige Passdokumente möglich sei und auch alsbald durchgeführt werden könne, liege keine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung vor. Vorliegend benötige der Antragsteller zwar mittlerweile einen eigenen kasachischen Nationalpass. Dieser könne jedoch aufgrund der vorliegenden Dokumente innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auch ausgestellt werden. Dass es aufgrund des langjährigen Aufenthalts des Antragstellers außerhalb Kasachstans eines langdauernden Prüfungsprozesses für die Passausstellung bedürfe, habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Weiter sei davon auszugehen, dass im Rahmen behördlicher Passbeschaffungsmaßnahmen kurzfristig Heimreisepapiere durch die kasachische Botschaft ausgestellt würden. Angesichts dessen werde die Ausländerbehörde dem Antragsteller und seinen Familienangehörigen weiterhin Grenzübertrittsbescheinigungen mit einer Frist von etwa zwei Monaten ausstellen. Da der Antragsteller ferner seit dem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung am 24. Februar 2017 weder eine Duldung noch einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung besessen habe, erfülle er auch die zeitlichen Voraussetzungen des vierjährigen Aufenthalts nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Eilantrag erweist sich unter Berücksichtigung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevorbringens entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig (1.). Darüber hinaus fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (2. b). Bei dieser Sachlage verhelfen auch die Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller bei der gegebenen Fallkonstellation auf einen Anordnungsgrund stützen kann, der Beschwerde nicht zum Erfolg (2. a).
1. Dem von der Bevollmächtigten des Antragstellers in erster Instanz gestellte Antrag, dem Antragsgegner aufzugeben, „der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass ein Klageverfahren durchgeführt wird und dass die Klage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens aufschiebende Wirkung hat“, kann schon deshalb nicht stattgegeben werden, weil sich das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers gegen die Ausländerbehörde des Beklagten richtet, der Antrag also auf dessen Verpflichtung hinausliefe, sich selbst den Umstand der Klageerhebung sowie der aufschiebenden Wirkung der Klage mitzuteilen. Hinzu kommt, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG, hilfsweise die Neuverbescheidung seines entsprechenden Antrags erstrebt, mithin Verpflichtungsklage (in Form der Versagungsgegenklage) im Sinne von § 113 Abs. 5 VwGO erhoben hat und ihm zugleich die Fiktionswirkung aus § 81 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht zu Gute kommt, sodass die Durchführung eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO prozessual keinen Erfolg zeitigen kann und sich der Antrag in der vorliegenden Form folglich bereits mangels eines entsprechenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig erweist (vgl. Ortloff/Riese in Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 88 Rn. 8).
2. Gegen eine Auslegung des Antrags nach § 88 VwGO dahingehend, dem Antragsgegner aufzugeben, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Abschiebungsmaßnahmen zu unterlassen, spricht, dass der Antragsteller von einer Rechtsanwältin vertreten wird, die sich, anders als ein juristischer Laie, wegen ihrer Sachkunde an den gestellten Anträgen grundsätzlich festhalten lassen muss (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 9; Kothe in Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 88 Rn. 1; Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 88 Rn. 6, 7).
Selbst wenn im Hinblick auf die Antragsbegründung von einem zulässigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszugehen wäre, erwiese sich dieser unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens jedenfalls wegen Fehlens eines Anordnungsanspruchs als erfolglos.
a) Es spricht zunächst Vieles dafür, dass dem Antragsteller entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ein Anordnungsgrund für den begehrten Erlass der einstweiligen Anordnung zukommt.
Nach § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG darf einem Ausländer nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise der Termin der Abschiebung nicht mehr angekündigt werden, d.h. er hat ab diesem Zeitpunkt jederzeit mit dem Vollzug der Abschiebung zu rechnen. Demzufolge besitzt er nach Ablauf der Ausreisefrist grundsätzlich auch ein Rechtsschutzinteresse für die Erlangung vorläufigen Abschiebungsschutzes. Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Ausländerbehörde aufgegeben werden soll, Abschiebemaßnahmen zu unterlassen, könnte einem betroffenen Ausländer in dieser Situation lediglich dann fehlen, wenn – auch für ihn – feststünde, dass aufgrund besonderer Umstände, die im behördlichen Verfahren oder in der Sphäre des Antragstellers wurzeln, jetzt und in absehbarer Zeit (einige Wochen reichen hierfür nicht aus, vgl. BVerfG, B.v. 8.11.2017 – 2 BvR 809/17 – juris Rn. 15) die Abschiebung nicht vollzogen wird. Denn die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet nicht zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gewissermaßen „auf Vorrat“, die aller Voraussicht nach durch die weitere Entwicklung des Sachverhalts überholt wird und die noch zu einem späteren Zeitpunkt problemlos beantragt werden kann. Abgesehen von diesem Sonderfall folgt jedoch, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat (BVerfG, B.v. 8.11.2017, a.a.O.; B.v. 11.4.2017 – 2 BvR 809/17 – juris Rn. 10), aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, dass der betroffene Ausländer jederzeit ein rechtliches Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung besitzt, mit der die Abschiebung vorläufig untersagt wird. Dies gilt typischerweise selbst dann, wenn die Abschiebung nicht unmittelbar bevorsteht, weil noch nicht alle tatsächlichen Voraussetzungen für deren Durchführung erfüllt sind und beispielsweise noch Pass- oder Passersatzpapiere des Betroffenen fehlen (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2017, a.a.O. Rn. 10, für eine Konstellation, bei der die Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes rechtzeitig vor der Abschiebung „dem Zufall überlassen“ war). Denn der Sinn von § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG liegt nicht darin, einem ausreisepflichtigen Ausländer die Möglichkeit zu nehmen, eine vollziehbar angeordnete Abschiebung durch einen gerichtlichen Eilantrag zu verhindern. Es bleibt ihm daher im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten vor der nicht mehr anzukündigenden Abschiebung jederzeit unbenommen, gegen diese beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz zu begehren.
Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller mit Bestandskraft des Bundesamtsbescheids vom 7. Februar 2017 sowie dem Ablauf der darin gesetzten Ausreisefrist von 30 Tagen vollziehbar ausreisepflichtig geworden und musste daher nach § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG grundsätzlich mit einer unangekündigten Abschiebung rechnen. Ihm steht daher grundsätzlich ein Anordnungsgrund für den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zur Seite. Die wiederholte Erklärung des Antragsgegners, den Antragsteller jedenfalls aktuell nicht abschieben zu wollen, bezieht sich allenfalls jeweils auf wenige Wochen und begründet daher kein Entfallen des Anordnungsgrundes für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Ob der Antragsgegner durch die (trotz der Abkehr des Antragstellers von der Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise) ausgehändigten Grenzübertrittsbescheinigungen, die jeweils eine „Frist“ zum Verlassen des Bundesgebietes enthalten (zuletzt bis zum 11.12.2018), jeweils neue Ausreisefristen im Rechtssinn gesetzt hat, ist zweifelhaft, da eine Grenzübertrittsbescheinigung nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung eines Ausländers regelt, sondern lediglich ein Dokument darstellt, mit dem die Ausreise von ausreispflichtigen Ausländern aus dem Bundesgebiet kontrolliert wird (in diesem Sinne BayVGH, B.v. 7.10.2015 – 19 CE 15.2179 – BeckRS 2015, 53813; OVG Münster, B.v. 18.6.2012 – 18 E 491/12 – BeckRS 2012, 52620). Jedenfalls sind auch diese Fristen regelmäßig bereits wegen ihrer Dauer von wenigen Wochen nicht geeignet, einen Anordnungsgrund entfallen zu lassen.
b) Der Antragsteller besitzt auch unter Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende.
Nach § 25a Abs. 1 AufenthG soll einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer dann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahrs gestellt wird (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG), es gewährleistet erscheint, dass der Jugendliche oder Heranwachsende sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sich nicht zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Jedenfalls im Zeitpunkt der Antragstellung muss der Antragsteller im Besitz einer Duldung gewesen sein oder müssen in seiner Person Duldungsgründe vorgelegen haben (vgl. Hecker in BeckOK AuslR, § 25a Rn. 3, Wunderle/Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12 Aufl. 2018, § 25a Rn. 10; Maaßen/Koch in Kluth/Hund/Maaßen, Handbuch Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 4 Rn. 776).
aa) Der Antragsteller war zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG am 7. August 2017 kein „geduldeter Ausländer“.
Unstreitig hat ihm der Antragsgegner bislang keine Bescheinigung über die Erteilung einer Duldung ausgestellt.
Zum Antragszeitpunkt lag in seiner Person aber auch kein materieller Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 AufenthG vor, da seine Ausreise nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmöglich war.
Von einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Ausreise ist bei Passlosigkeit eines Ausländers, wie sie hier vom Antragsteller geltend gemacht wird, nur dann auszugehen, wenn nach den Erfahrungen der Ausländerbehörde eine Abschiebung ohne Pass oder Passersatz nicht möglich oder ein Abschiebungsversuch gescheitert ist (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60a Rn. 32; Kluth/Breidenbach in BeckOK AuslR, § 60a Rn. 10), bzw. dann, wenn der Ausländer auf unabsehbare Zeit keinen Pass besitzt, eine Abschiebung mit einem Reisedokument nicht möglich ist und ebenso wenig eine Rückführung ohne gültige Dokumente in Betracht kommt (vgl. Masuch/Gordzielik in Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 60a Rn. 14). Mit der Landesanwaltschaft ist indes im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass angesichts der vorhandenen Papiere der Familie des Antragstellers sowohl kurzfristig die Ausstellung eines eigenen Passes für ihn wie auch die Eintragung seiner Schwester in den Nationalpass der Mutter durch die kasachische Auslandsvertretung bewirkt werden als auch anderweitige Heimreisepapiere durch die Ausländerbehörde kurzfristig beschafft werden können. Demgegenüber bleibt die Behauptung der Bevollmächtigten des Antragstellers, ihm könne infolge seiner langen Abwesenheit aus Kasachstan kurzfristig kein Pass ausgestellt werden, unsubstantiiert und unbelegt. Insofern fehlt es auch in der Beschwerdebegründung an einer entsprechenden Glaubhaftmachung. Vielmehr konzediert die Bevollmächtigte des Antragstellers im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines Anordnungsgrunds, dass Abschiebungen nach Kasachstan grundsätzlich unproblematisch möglich seien.
Dass die Ausreise des Antragstellers aus Rechtsgründen unmöglich ist, hat die Bevollmächtigte des Antragstellers nicht vorgetragen, ist aber auch im Übrigen nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bei dem im Alter von fast 13 Jahren eingereisten Antragsteller nicht um einen faktischen Inländer, bei dem der Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK die Erteilung einer Duldung gebieten würde.
Der Antragsteller besaß weiterhin auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen. Zwar kann im Ermessenswege eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen dann erteilt werden, wenn die vorübergehende weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet diesem die Chance erhält, an einer im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Altfallregelung für nachhaltig integrierte Ausländer zu partizipieren, während durch eine Abschiebung ein vollständiger Rechtsverlust drohen würde (so OVG Magdeburg, B.v. 31.3.2015 – 2 M 17/15 – BeckRS 2015, 44930 LS 1; VG Bayreuth, B.v. 14.4.2016 – B 4 E 16.255 – BeckRS 2016, 45816; vgl. ferner Masuch/Gordzielik in Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 60a Rn. 28). Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil eine dem Kläger günstige Gesetzesnovelle nicht ersichtlich ist.
Ein Duldungsgrund lässt sich ferner auch nicht daraus ableiten, dass die Ausländerbehörde trotz Kenntnis der Bestandskraft der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers gleichwohl die erteilte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nicht nach § 63 Abs. 4 AsylG eingezogen, sie vielmehr – obwohl sie bereits kraft Gesetzes nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG erloschen war – erneut „amtlich verlängert“ hat. Mangels Verwaltungsaktscharakter der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung sowie der unterschiedlichen Zielsetzung von Aufenthaltsgestattung und Duldung kommt indes eine Umdeutung der Verlängerung der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung in eine Duldung nicht in Betracht (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand: April 2016, § 63 Rn. 31; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2016, § 63 AsylG Rn. 5).
bb) Der Antragsteller erfüllt auch nicht das Erfordernis des seit vier Jahren ununterbrochen erlaubten, geduldeten oder gestatteten Aufenthalts im Bundesgebiet nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Insoweit kann es dahinstehen, ob er, wie seine Bevollmächtigte vorträgt, bereits mit Einreise am 30. Juli 2013 am Flughafen einen Asylantrag gestellt hat oder ob die Asylantragstellung erst am 15. August 2013 gegenüber dem Bundesamt erfolgte. Denn jedenfalls ist die Aufenthaltsgestattung des Antragstellers nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG mit der Unanfechtbarkeit des ablehnenden Bescheids des Bundesamts, die am 24. Februar 2017 eingetreten ist, kraft Gesetzes erloschen. In der Folge wurde dem Antragsteller weder eine Duldung erteilt noch der Aufenthalt erlaubt. Auch beinhaltet die „Verlängerung“ der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung durch die Ausländerbehörde des Antragsgegners keine Duldung (siehe hierzu oben Ziffer 3.1) und erst recht keine Erlaubnis des Aufenthalts. Mithin fehlt es vorliegend auf Seiten des Antragstellers auch am Tatbestandsmerkmal des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG; auf die Erfüllung der weiteren Tatbestandsmerkmale kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.
3. Der Antragsteller trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert bestimmt sich für das Beschwerdeverfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 8.3, 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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