Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote– Äthiopien

Aktenzeichen  B 7 K 20.30314

Datum:
17.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15471
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemie begründet nur Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 S. 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung zwingend sind, sind liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
4. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Das Verfahren war einzustellen, soweit die Klage zurückgenommen wurde. Zu Protokoll der mündlichen Verhandlung wurde die Klage insoweit zurückgenommen, als diese die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen bzw. ihm internationalen Schutz zuzuerkennen, zum Gegenstand hatte. Infolge der Teilrücknahme ist das Verfahren insoweit gem. § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Die Verfahrenseinstellung und die Kostenentscheidung müssen nicht gesondert durch Beschluss erfolgen. Vielmehr kann darüber gemeinsam im Urteil über den anhängig gebliebenen Streitgegenstand entschieden werden (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.1963 – 5 C 24/61 – juris).
II. Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist diese zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung sowie die Entscheidung der Beklagten nach § 11 AufenthG ist ebenfalls nicht zu bestanden (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht festzustellen.
a) Soweit der Kläger auf die schlechten Lebensbedingungen im Herkunftsland, insbesondere infolge der „Corona-Pandemie“ und der „Heuschreckenplage“, verweist, führt dieser Vortag nicht zur Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, GB v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).
Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Verbreitung des Corona-Virus bzw. der massiven Ausbreitung der Heuschrecken in Ä. – begründet nur Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45).
Es ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ä. einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung einschränken könnte, ausgesetzt wäre.
Weder aus den Darlegungen des Klägerbevollmächtigten, noch aufgrund anderweitiger Erkenntnisse kann geschlossen werden, dass der Kläger als Kleinkind – ohne bekannte bzw. dargelegte Vorerkrankungen – aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus (auch) in Ä. bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Bei Zugrundelegung der gegenwärtigen Erkenntnisse über die Verbreitung des Corona-Virus in Ä. und des damit bestehenden Ansteckungsrisikos besteht schon keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, die der Kläger angehört, geschweige denn eine Extremgefahr im vorstehenden Sinn. Ä. ist eine der am wenigsten betroffenen Nationen im Osten Af. (Horn von Af.) im Vergleich zur Rate des COVID-19-Fallwachstums und der Infektionen der Nachbarländer (vgl. https://…). Nach den bisherigen Erkenntnissen zu Covid-19 kommt es zudem bei der weit überwiegenden Anzahl der Erkrankten zu einem milden bis moderaten Verlauf, der größtenteils nicht einmal eine medizinische Versorgung erfordert. Nur eine äußerst geringe Anzahl der Erkrankten gerät in einen kritischen Zustand. Das größte Risiko für einen schweren Verlauf besteht bei Personen im Alter von über 60 Jahren und bei Personen mit Vorerkrankungen (vgl. hierzu ausführlich VG Würzburg, GB.v. 24.3.2020 – 10 K 19.50254 – juris).
Daneben gibt es keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Ä. – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen und Verschärfungen durch die Corona-Pandemie und die Heuschreckenplage – gegenwärtig derart desolat wäre, dass der Klägerin dort der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten (vgl. hierzu DW, Wie Ostafrika eine Heuschreckenplage bekämpft – inmitten einer Pandemie; Aus Politik und Zeitgeschichte: Am Ende kann nur Gott uns helfen. Das Coronavirus in Ä.). Auch aus den in der mündlichen Verhandlung eingeführten Quellen (vgl. hierzu insbesondere auch WFP EAST AFRICA – Update on the Desert Locust Outbreak) ergibt sich eine solche Zuspitzung der Situation in Ä. im aktuellen Zeitpunkt nicht. Im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Prognoseentscheidung ist davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers in Ä. das absolute Existenzminimum für sich und ihre Kinder sichern können. Die Eltern des Klägers sind jung, gesund und erwerbsfähig. Sie verfügen für äthiopische Verhältnisse über eine solide Schulbildung und haben einen eigenen Laden in Ä. besessen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Eltern des Klägers an diese Verhältnisse nicht anknüpfen könnten. Der Vater des Klägers hat zudem beim Onkel in der Mühle gearbeitet, so dass er schon insoweit erleichterten Zugang zu einer Erwerbstätigkeit haben dürfte. Im Übrigen sind sie auf sämtliche Erwerbstätigkeiten – auch auf schlichte Hilfstätigkeiten – zu verweisen. Dem steht entgegen, dass der Kläger mittlerweile zwei Geschwister hat. Familien mit drei Kindern sind für äthiopische Verhältnisse keine Seltenheit, sondern eher der Regelfall. Auch diesen Familien gelingt es, ihre Existenz in Ä. zu sichern. Selbst wenn die Mutter des Klägers wegen der Erziehung der Kinder keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könnte, ist jedenfalls der Vater des Klägers in der Lage, das notwendige Existenzminimum für die Kernfamilie zu erwirtschaften. Der Prognose einer gemeinsamen Rückkehr der gesamten Kernfamilie steht auch nicht entgegen, dass – jedenfalls nach Aktenlage – die Mutter des Klägers zwischenzeitlich einmal kurzzeitig vom Ehemann/Vater getrennt gelebt haben dürfte. Nach Auskunft der Regierung von Oberfranken lebt die Familie jedenfalls inzwischen (wieder) als Familie (Eltern und drei Kinder) in Bayreuth zusammen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte – insoweit wurde weder vom Bevollmächtigen des Klägers etwas vorgetragen, noch haben es die Eltern des Klägers für notwendig gehalten, persönlich zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen – ist daher davon auszugehen, dass die Familie als gesamte Kernfamilie in die Heimat zurückkehren wird. Im Übrigen verfügt der Kläger über verwandtschaftlichen Rückhalt, der ihn und seine Eltern/Geschwister in Ä. unterstützen kann. Die Mutter des Klägers hat zwar keine Mutter mehr – und selbst wenn sie auf ihren Vater nicht zurückgreifen könnte, was das Gericht so nicht glaubt -, verfügt sie jedenfalls noch über zwei Bruder, zwei Schwestern, drei Tanten und vier Onkel in der Heimat. Sie erklärte zudem beim Bundesamt, die Geschwister und Verwandten würden (auch) in Ar. leben. Der Vater des Klägers erklärte gegenüber dem Bundesamt, er habe jedenfalls noch einen Bruder, zwei Schwestern, vier Tanten und sieben Onkel sowie dass seine Geschwister und seine Verwandten in Adama leben. In der heutigen Zeit, insbesondere aufgrund der Vernetzung über soziale Netzwerke, erscheint es dem Gericht auch möglich und wahrscheinlich, dass die Eltern des Klägers auf ihre Verwandten zurückgreifen kann. Gegenteiliges wurde auch von der Klägerseite nicht vorgetragen. Selbst wenn in letzter Zeit kein oder kaum Kontakt zu Verwandten in die Heimat bestanden haben sollte, ist der Kontakt zu diesen Personen ohne Weiteres wiederherstellbar. Es entspricht zudem den Gepflogenheiten in afrikanischen Großfamilien, dass eine Unterstützung innerhalb des Familienverbundes in Notsituationen erfolgt. Von daher könnten die vielen Verwandten, insbesondere der wohlgesonnene Onkel der Mutter, bei dem die Mutter des Klägers bereits früher gelebt hat, die Eltern des Klägers finanziell unterstützen oder zumindest die Kinder beaufsichtigen, während die Mutter des Klägers einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Es ist insbesondere auch nicht ersichtlich, dass die Geschwister des Klägers nicht alterstypisch entwickelt sind oder an schweren Krankheiten leiden, was ggf. mit einem höheren Einsatz von Betreuungsleistungen oder finanziellen Mitteln verbunden wäre.
Im Übrigen hat das Bundesamt bereits mit der Zuleitung des streitgegenständlichen Bescheids an den Bevollmächtigten des Klägers auf die Rückkehrhilfen bei freiwilliger Ausreise hingewiesen. Aus dem sog. REAG-/GARP-Programm (vgl. Bl. 51 ff. d.A.) kann u.a. eine Reisebeihilfe i.H.v. 200,00 EUR sowie eine Starthilfe von 1.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückkehrende Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu 4.000,00 EUR (vgl. https://www. …).
Es liegt auf der Hand, dass die genannten Rückkehrhilfen und Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm gerade in der Anfangszeit nach der Rückkehr und vor dem Hintergrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie mit dazu beitragen, dass der Kläger mit seiner Familie in Ä. wiederum Fuß fassen werden. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Ä. freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. hierzu auch VG Bayreuth, U.v. 25.6.2020 – B 7 K 19.30636).
b) Individuelle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
2. Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere darf gemäß Art. 3 EMRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
aa) Soweit der Kläger auf die schlechte Lage im Herkunftsland infolge der „Corona-Pandemie“ und der „Heuschreckenplage“ Bezug nimmt, spricht nach Auffassung des Gerichts bereits vieles dafür, dass § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bezüglich allgemeiner Gefahren aufgrund der unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat als lex specialis anzusehen ist und daher insoweit auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG Sperrwirkung „entfaltet“. Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich nämlich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.20104 – 13a B 14.30284 – juris). Eine zusätzliche Würdigung allgemeiner Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Zielstaat der Abschiebung im Rahmen und am Maßstab des § 60 Abs. 5 AufenthG würde die gesetzgeberischen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot bei allgemeinen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit konterkarieren (so auch BayVGH, B.v. 6.5.2020 – 23 ZB 20.30943 – im Hinblick auf das Verhältnis von § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG zu § 60 Abs. 5 AufenthG bei der Geltendmachung gesundheitlicher Gründe).
bb) Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG greift. Selbst wenn man der Auffassung folgt, dass der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG auch bei einer allgemeinen Gefahrenlage, insbesondere bei einer schlechten allgemeinen Situation mit unzumutbaren Lebensbedingungen eröffnet sein soll, da schon von der Gesetzessystematik her der Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nicht herangezogen werden kann (so BayVGH, U.v.21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris), ist bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG jedenfalls ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, sind liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Gemessen an diesem Maßstab ist beim Kläger auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die gegenwärtig schlechten humanitären Bedingungen in Ä. zu verneinen. Daran ändert auch der dem Gericht in der mündlichen Verhandlung übergebende Auszug einer Entscheidung des VG … nichts. Zwar wird dort rechtliche Maßstab für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots aus humanitären Gründen gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zutreffend aufgezeigt. Dem Auszug kann jedoch nicht einmal das Entscheidungsdatum, geschweige denn etwas zur persönlichen und familiären Situation des Klägers, insbesondere zum schulischen und beruflichen Hintergrund der Eltern des Klägers, deren Familienverhältnisse sowie etwas zur der Existenz eines verwandtschaftlichen Rückhalts entnommen werden. Auch die aktuelle Auskunftslage sowie die vom Verwaltungsgericht … ins Verfahren einbezogenen Auskünfte rechtfertigen es nach Überzeugung des hiesigen Einzelrichters nicht, äthiopischen Staatsangehörigen – wie dem Gericht aus anderem Verfahren vor dem VG … teilweise bekannt – mehr oder weniger pauschal und ohne eingehende Darlegung der Situation im jeweiligen Einzelfall, gegenwärtig ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen „aufgrund der sich derzeit durch die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der in Ä. herrschenden Heuschreckenplage ergebenden landesweiten Verhältnisse“ (so die Argumentation im übergebenen Urteilsauszug) zuzusprechen.
Im vorliegenden Fall verweist das hiesige Gericht daher auf die obigen einzelfallbezogenen Ausführungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG. Obwohl im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht der Maßstab der „Extremgefahr“ anzulegen ist, handelt es sich im Fall des hiesigen Klägers – bei einer hypothetischen Rückkehr mit seiner Familie – nach Auffassung des Gerichts jedenfalls (auch) nicht um einen „ganz außergewöhnlichen“ Fall, in dem humanitären Gründe der Abschiebung „zwingend“ entgegenstehen.
3. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist nicht als Flüchtling oder Asylbewerber anzuerkennen. Ihm steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
4. Die in Ziffer 6 des angefochtenen Bescheids festgesetzte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnet keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere ist das nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. nun von Amts wegen zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot in Bescheiden, die vor dem 21.08.2019 erlassen wurden, in der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris; VG Ansbach, U.v. 10.10.2019 – AN 3 K 17.32242).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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