Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mangels Verwurzelung und positiver Integrationsprognose

Aktenzeichen  Au 6 S 17.940

Datum:
24.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138361
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 3, § 5 Abs. 1 Nr. 1, 4, Abs. 3 S. 2, § 8 Abs. 1, § 25 Abs. 5 S. 1, § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 4
VwGO § 114

 

Leitsatz

Die Ausübung des Ermessens nach § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG hat sich bei Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen maßgeblich an Zumutbarkeitserwägungen zu orientieren. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger und Antragsteller begehrt mit seiner Klage die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und wendet sich gegen den streitgegenständlichen Bescheid auch mit einem Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Der fiktiv am 01.10.1996 in Afghanistan geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger der Volkszugehörigkeit der Hazara schiitischer Religionszugehörigkeit. Er verließ Afghanistan nach eigenen Angaben während seines sechsten Lebensjahrs und lebte fortan im Iran. Nach eigenen Angaben leben noch Verwandte in Afghanistan, u.a. sein Großvater väterlicherseits (Bl. 106 der Behördenakte). Am 7. August 2011 reiste er unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 17. August 2011 Asyl.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2012 wurde der Antrag abgelehnt, festgestellt, dass Abschiebeverbote gem. § 60 AufenthG nicht vorliegen und eine Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Verwaltungsgericht Augsburg blieb erfolglos (U. v. 02.04.2013, Az: Au 6 K 12.30379), ebenso der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (B. v. 23.05.2013, Az. 13a ZB 13.30108). Der Bescheid wurde folglich am 23. Mai 2013 bestandskräftig. Ein Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, die hiergegen gerichtete Klage des Antragstellers vor dem Verwaltungsgericht Augsburg war ebenfalls erfolglos (U. v. 28.10.2013, Az. Au 6 K 13.30293).
Seit 25. Juni 2013 hielt sich der Antragsteller wegen Passlosigkeit geduldet im Bundesgebiet auf. Bei seiner Vorsprache bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes … wurde der Antragsteller am 25. Juni 2013 schriftlich aufgefordert, sich bis spätestens 26. August 2013 Identitätsdokumente zu beschaffen und vorzulegen. Der Antragsteller wurde dabei auf seine Pass- und Mitwirkungspflichten sowie auf die verschiedenen möglichen Vorgehensweisen zum Erhalt von Identitätsdokumenten hingewiesen. Ferner wurden ihm die Kontaktdaten der afghanischen Auslandsvertretung in der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt. Der Antragsteller legte bei diesem Gespräch die Kopie seiner Tazkira vor, die der Großvater des Antragstellers diesem per Telefax an den damaligen Prozessbevollmächtigten geschickt habe. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Tazkira auch im Original vorzulegen, kam dem aber bisher nicht nach. Der damalige anwaltliche Vertreter des Antragstellers gab mit Schreiben vom 1. Juli 2013 an, dass er mit dem Antragsteller absprechen werde, wie und wann sich dieser pflichtgemäß bei seiner Auslandsvertretung melden werde, der Antragsteller habe jedoch Angst vor einer Rückkehr nach Afghanistan (Bl. 203 der Behördenakte). In der Folgezeit wurden indes keine Nachweise über Bemühungen zur Passbeschaffung erbracht, insbesondere nicht über eine Kontaktaufnahme mit dem afghanischen Generalkonsulat.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2014 lehnte der Beklagte einen Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 4. August 2014 unter Fristsetzung bis zum 5. September 2014 erneut vergeblich zur Mitwirkung an der Identitätsklärung auf.
Mit Bescheid vom 1. September 2014 wurde der Antragsteller verpflichtet, am 25. September 2014 im Generalkonsulat der Islamischen Republik Afghanistan vorzusprechen und ein Reisedokument zu beantragen.
Gegen den die Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid vom 21. Januar 2014 erhob der Antragsteller Klage vor dem Verwaltungsgericht Augsburg. Während der öffentlichen Sitzung vom 17. September 2014 sicherte der Antragsteller zu, den Termin am 25. September 2014 im Generalkonsulat wahrzunehmen und auch alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen; im Gegenzug sicherte der Beklagte zu, dem Antragsteller eine sechsmonatige Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen (Bl. 422 ff. der Behördenakte). Die Klage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Antragsteller erschien am 25. September 2014 im Generalkonsulat und beantragte dort die Passausstellung. Der Antrag führte nicht zur Ausstellung eines Passes oder sonstiger Heimreisedokumente.
Weitere Mitwirkungshandlungen zur Identitätsklärung und Passausstellung wurden vom Antragsteller bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr mitgeteilt.
Die aufgrund der Zusicherung ab 20. Oktober 2014 erteilte Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers endete am 19. April 2015.
Auf Anträge des Antragstellers wurde die Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG nicht verlängert, er erhielt stattdessen Fiktionsbescheinigungen gem. § 81 Abs. 4 AufenthG, letztmalig bis zum 15. Februar 2017.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 ordnete die Regierung von Schwaben an, den Antragsteller zum Zwecke der Sammelabschiebung am 31. Mai 2017 in Ausreisegewahrsam zu nehmen und erklärte die Anordnung für sofort vollziehbar (Bl. 654 der Behördenakte). Insoweit lägen nun die für die Abschiebung erforderlichen Heimreisedokumente vor. Die afghanischen Behörden hätten der Rückübernahme des Betroffenen entsprechend der „Gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit im Bereich der Migration und Rückkehr“ vom 2. Dezember 2016 zugestimmt. Das Amtsgericht G* … bestätigte den Ausreisegewahrsam durch eine einstweilige Anordnung (B. v. 25.05.2017, Az. 1 XIV 6/17). Der Antragsteller kam daraufhin am 29. Mai 2017 in Abschiebehaft. Nach der Stornierung der Sammelabschiebung wurde der Antragsteller am 31. Mai 2017 aus der Abschiebehaft entlassen.
Vom 18. Februar 2013 bis zum 5. Juli 2013 nahm der Antragsteller an einem berufsbezogenen Sprachkurs teil und sollte in diesem Zusammenhang auch ein Praktikum in einem Fotostudio absolvieren. Das Praktikum wurde von Seiten des Praktikumsbetriebs abgebrochen, insgesamt kam es während des Sprachkurses zu 84 unentschuldigten Fehlzeiten des Antragstellers bzgl. der Unterrichtseinheiten (Bl. 312 der Behördenakte). Vom 26. November 2013 bis 31. Juli 2015 besuchte der Antragsteller eine Berufsschule und erwarb dort den Hauptschulabschluss. Zunächst zeigte er Engagement und wies nur wenige Fehltage auf (Bl. 314 der Behördenakte). Ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Oktober 2014 ließ das schulische Engagement des Antragstellers stark nach. Bis zum 22. April 2015 hatte der Antragsteller 61 Fehltage ohne berechtigten Grund, am 24. Juni 2015 bereits 76 Fehltage im laufenden Schuljahr 2014/2015; nach eigenen Angaben, weil er öfters den Zug verpasst habe (Bl. 543 f. der Behördenakte).
Nach seinem letzten Jahreszeugnis beherrschte der Antragsteller zur Zeit des Abschlusses die deutsche Sprache auf dem Niveau A2 des Deutschen und Europäischen Referenzrahmens (Bl. 549 der Behördenakte). Die vom Beklagten geforderten Nachweise legte der Antragsteller nur mit langen Verzögerungen vor, z.B. das Abschlusszeugnis der Berufsschule vom 31. Juli 2015 erst am 16. November 2016, mithin nach über 15 Monaten. Trotz mehrfacher Aufforderung legte er zu keinem Zeitpunkt Unterlagen zu etwaigen Bewerbungen oder Vorstellungsgesprächen vor. Eine Beschäftigung oder Ausbildung nahm der Antragsteller nach Abschluss der Berufsschule nicht auf, er lebte deshalb von Sozialleistungen, u.a. Arbeitslosengeld II, derzeit laut Bescheid vom 16. Juni 2017 von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Ab 14. November 2016 nahm der Antragsteller an einem allgemeinen Integrationskurs teil, der bis zum 7. Juli 2017 dauern sollte. Hierzu wurde er gem. § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verpflichtet (Bl. 565 der Behördenakte). Dabei wurde sein Sprachniveau im Einstufungstest auf Niveau A1 des Deutschen und Europäischen Referenzrahmens eingestuft, dies hätte Modul 2 des Integrationskurses entsprochen. Da die Mitarbeiter des Integrationskurses jedoch Bedenken hatten, dass der Antragsteller den Abschlusstest dieses Moduls 2 nicht schaffen würde, wurde der Antragsteller von Beginn an in Modul 1 eingestuft (Bl. 591 f. der Behördenakte). Im Februar 2017 meldete sich der Antragsteller vom Kurs ab. Seit 28. Mai 2017 besucht der Antragsteller wiederum einen Integrationskurs, zu dem ihn das Landratsamt … verpflichtete.
Mit Bescheid vom 13. Januar 2017 lehnte das Landratsamt … den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 1), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 28. Februar 2017 zu verlassen (Nr. 2), drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung an (Nr. 3) und untersagte dem Antragsteller die Wiedereinreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet aufschiebend bedingt für den Fall der Abschiebung für die Dauer von drei Jahren (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lägen nicht vor.
Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, da der Antragsteller die mangels Passes bzw. Passersatzes bestehende Unmöglichkeit der Ausreise selbst verschuldet habe, § 25 Abs. 5 S. 3 AufenthG. Der Antragsteller habe trotz Aufforderung keine Originaltazkira vorgelegt, sondern nur deren Kopie. Allein im Rahmen der gerichtlichen Zusicherung habe er ein einziges Mal am 25. September 2014 einen Pass im Generalkonsulat der Islamischen Republik Afghanistan beantragt. Sonstige Bemühungen, seine Identität nachzuweisen und Heimreisedokumente zu beschaffen, habe der Antragsteller entgegen seiner Mitwirkungspflichten nicht unternommen. Der Antragsteller habe nicht passiv bleiben dürfen, sondern hätte eigenständig die Initiative ergreifen müssen, um die Ausreisehindernisse zu beseitigen.
Darüber hinaus sei die Unmöglichkeit der Ausreise gem. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur dann relevant, wenn mit dem Wegfall des Abschiebehindernisses nicht zu rechnen sei. Im vorliegenden Fall zeichne sich jedoch das Ende des Abschiebungshindernisses bereits ab. Wegen der gemeinsamen Absichtserklärung mit der Islamischen Republik Afghanistan vom 2. Oktober 2016 werde voraussichtlich ein Heimreiseschein auf Antrag von den afghanischen Behörden ausgestellt.
Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung bestehe auch nicht in Hinblick auf den Schutz des Privatlebens des allein lebenden Antragstellers im Bundesgebiet nach Art. 8 EMRK. Insofern liege keine „Verwurzelung“ des Antragstellers dergestalt vor, als dass er infolge fortgeschrittener beruflicher und sozialer Integration bei gleichzeitiger Unmöglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat sein geschütztes Privatleben nur noch in der Bundesrepublik Deutschland führen könne. Von einer gelungenen und abgeschlossenen Integration könne beim Antragsteller nicht ausgegangen werden. Insbesondere habe er sich nicht um den Erwerb von Sprachkenntnissen bemüht. Sein Sprachniveau der Schulzeit (Niveau A2) habe sich sogar wieder auf Niveau A1 verschlechtert. Zudem habe er von Juli 2015 bis November 2016 weder eine Schule, noch einen Deutschkurs besucht und sei auch keinerlei Ausbildung oder Beschäftigung nachgegangen, sondern lebe durchweg von Sozialleistungen. Ferner sei dem Antragsteller eine Reintegration in die afghanische Gesellschaft möglich, insbesondere spreche er eine der Amtssprachen des Landes, habe noch Großeltern und Onkel in Afghanistan und sei als 20-jähriger lediger Mann fähig, sich ein neues Leben dort aufzubauen.
Ferner kämen auch keine sonstigen Erteilungsnormen, insbesondere nicht § 25a AufenthG in Betracht. Zum einen sei der Antragsteller schon nicht geduldet, wie es § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fordere. Zum anderen sei der Antragsteller auch nicht i.S.d. § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG integriert. Auch hierbei sei entscheidend, dass der Antragsteller nach dem Abschluss der Berufsschule keinerlei Beschäftigung aufgenommen habe, sondern von Sozialleistungen lebe und auch ansonsten keinerlei Bemühungen der Weiterbildung, z.B. in Form eines besseren Schulabschlusses oder einer Ausbildung, ergriffen habe. Der derzeitige Integrationskurs stelle auch keine schulische oder berufliche Ausbildung i.S.d. § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG dar.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG scheitere bereits am fehlenden achtjährigen Aufenthalt gem. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG.
Darüber hinaus lägen die allgemeinen Regelvoraussetzungen zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vor:
So erfülle der Antragsteller weder die Passpflicht gem. § 3, § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, noch sei seine Identität gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG geklärt. Der Antragsteller habe nur eine Kopie seiner Tazkira, nicht jedoch das Original, vorgelegt und besitze keinen Pass. Von diesen Erfordernissen werde auch nicht gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen. Hierbei müsse insbesondere berücksichtigt werden, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungs- und Initiativpflichten nicht nachgekommen sei. Ebenfalls nicht erfüllt sei die Regelvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Der Antragsteller lebe von Sozialleistungen und habe auch keine Bemühungen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nachgewiesen. Dass der Antragsteller nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland an einem Integrationskurs nur in Modul 1 teilnehme und erst ein Sprachniveau A1 habe, spreche gegen eine positive Zukunftsprognose.
Gegen den Bescheid vom 13. Januar 2017 erhob der Antragsteller Klage, über die noch nicht entschieden ist (Au 6 K 17.235), und beantragt neben der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14.02.2017 gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 16.01.2017 [gemeint ist wohl 13.01.2017] (Az.: Au 6 K 17.235) wird angeordnet.
Die Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lägen sowohl gem. § 25 Abs. 5 AufenthG, als auch gem. § 25a AufenthG vor. Der Antragsteller habe keine Mitwirkungspflichten verletzt. Insbesondere habe sich der Antragsteller um den Erhalt einer Tazkira bemüht. Er habe versucht, von seinen Großeltern das Original zu bekommen, welches jedoch nicht angekommen sei. Weiterhin habe der Antragsteller vereinbarungsgemäß 2014 einen Antrag im afghanischen Generalkonsulat gestellt. Es sei unklar, warum das afghanische Generalkonsulat keinen Pass ausgestellt habe. Zudem habe der Beklagte nie konkretisiert, was der Antragsteller über die Antragstellung im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs hinaus noch an Mitwirkungspflichten gehabt habe. Hierzu wurde vom Beklagten nicht dargelegt, was der Antragsteller noch hätte unternehmen sollen. Zudem sei offensichtlich für das afghanische Generalkonsulat die Identität des Antragstellers nachgewiesen, nachdem die afghanischen Behörden einer Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan zugestimmt hätten.
Auch sei es nicht richtig, dass der Antragsteller keine gelungene Integration vorweisen könne, auch wenn er als unbegleiteter junger Mann jugend- und pubertätsbedingte Probleme habe. Der Antragsteller habe einen Hauptschulabschluss gemacht und besuche derzeit einen Integrationskurs. Ferner habe sich der Antragsteller auch um einen Ausbildungsplatz bemüht und stehe diesbezüglich mit der Ausländerbehörde und dem Jobcenter in Kontakt. Ab November 2016 habe der Antragsteller den Integrationskurs besucht, den er im Februar aufgrund seiner momentanen finanziellen und psychischen Situation abgebrochen habe. Seit 28. Mai 2017 besuche er wieder einen Integrationskurs.
Ferner lägen auch die Voraussetzungen des § 25a AufenthG vor. Der Antragsteller lebe seit mehr als vier Jahren in Deutschland und sei nicht straffällig geworden. Aufgrund seiner bisherigen Ausbildungen werde er sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen können. Es sei zudem reichlich unsinnig, den Antragsteller zur Teilnahme an einem Integrationskurs zu verpflichten und ihm dann vorzuwerfen, dass sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei.
Der Beklagte beantragt,
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Erwägungen des streitgegenständlichen Bescheids. Zudem hebt der Beklagt hervor, dass der Antragsteller bis jetzt trotz gegenteiliger Behauptungen keinerlei Nachweise erbracht habe, dass er sich um den Erhalt einer Tazkira bemüht habe. Es sei zudem nachweislich falsch, dass der Antragsteller nicht gewusst habe, wie er mitwirken solle. Er sei hierüber mehrfach ausführlich belehrt worden. Auch stelle das afghanische Konsulat auf seiner Internetseite detailliert die Voraussetzungen zur Passbeantragung dar. Dass der Antragsteller nun vorgebe, nicht gewusst zu haben, wie er mitwirken solle, beweise nur, dass der Antragsteller keineswegs ernsthaft Interesse an der Beantragung eines Passes gehabt habe und seine Zusicherung vor Gericht nicht ernst genommen habe. Ferner habe der Antragsteller erst 15 Monate nach seinem Schulabschluss an einem Integrationskurs teilgenommen und sich von diesem zunächst wieder abgemeldet. Der Antragsteller habe keine „Ausbildung“ begonnen, wie der Antragstellervertreter vortrage.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässig erhobene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig.
Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sind nach Auslegung der Anträge (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO) sowohl die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 1 des Bescheids, wodurch die Fiktionswirkung gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG rückwirkend endet, als auch die nach Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids, für deren Rechtmäßigkeit auch Ziffer 2 des Bescheids von Bedeutung ist. In Bezug auf Ziffer 4 des Bescheids ergibt sich hingegen kein Rechtsschutzbedürfnis, da sich die Klage selbst nur auf Ziffern 1 – 3 des Bescheids bezieht und die Anträge im Eilrechtsschutzverfahren nicht über das Begehren in der Hauptsache hinausgehen können.
2. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist jedoch unbegründet und bleibt deswegen erfolglos.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Dabei hat das Gericht die widerstreitenden Interessen der Beteiligten und betroffene Interessen der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Es hat dabei auch die Erfolgsaussichten der Klage mit zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen. Lässt sich bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, weil aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aussetzungsinteresse überwiegt.
Diese Entscheidung fällt vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers aus. Die von ihm erhobene Klage wird aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Überwiegende Interessen, die gleichwohl eine Entscheidung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird analog § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des Bescheids vom 13. Januar 2017 verwiesen und ergänzend ausgeführt:
Der Antragsteller hat voraussichtlich weder einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis noch auf erneute Verbescheidung seines Antrags. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 13. Januar 2017 ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
a) Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 8 Abs. 1, § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG scheitert schon daran, dass die freiwillige oder zwangsweise Ausreise des Antragstellers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen dauerhaft unmöglich ist.
Die zwangsweise Ausreise des Antragstellers im Zuge einer Sammelabschiebung war bereits für den 31. Mai 2017 vorgesehen, weshalb der Antragsteller sich bereits ab 29. Mai 2017 in Ausreisegewahrsam befand. Die insoweit nötigen Heimreisedokumente lagen vor und die afghanischen Behörden stimmten der Rückübernahme des Antragstellers zu. Die Abschiebung vom 31. Mai 2017 fand allein wegen der Absage des Fluges nicht statt. Daher ist zu erwarten, dass eine Abschiebung des Antragstellers in absehbarer Zeit tatsächlich möglich ist.
Eine Ausreise ist auch nicht deshalb rechtlich unmöglich gem. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, weil der Ausreise des Antragstellers schutzwürde Belange in Form familiärer Bindungen oder seines Privatlebens gem. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK entgegenstünden. Ein langjähriger Prozess der Verwurzelung des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland besteht nicht, er ist kein sog. „faktischer Inländer“. Der Antragsteller hat keinerlei Familie in Deutschland. Er beherrscht die deutsche Sprache nach knapp sechsjährigem Aufenthalt in Deutschland mit einem derzeitigen Niveau A1 nur rudimentär. Er hat weder Ausbildungsnoch Arbeitsplatz und lebt seit seiner Einreise durchgehend von Sozialleistungen. Eine sonstige soziale Eingebundenheit des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse ist nicht ersichtlich. Insbesondere spricht auch die Tatsache, dass nach über fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland die Teilnahme des Klägers an einem Integrationskurs im Beginnermodul 1 erforderlich war, gegen seine Verwurzelung.
b) Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 a AufenthG zu, da nicht gewährleistet ist, dass er sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen kann, § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG.
Erforderlich wäre insoweit eine positive Integrationsprognose. Geboten ist eine die konkreten individuellen Lebensumstände des ausländischen Heranwachsenden berücksichtigende Gesamtbetrachtung, etwa der Kenntnisse der deutschen Sprache, des Vorhandenseins eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, des Schulbesuchs und des Bemühens um eine Berufsausbildung und Erwerbstätigkeiten, des sozialen und bürgerschaftlichen Engagements sowie der Akzeptanz der hiesigen Rechts- und Gesellschaftsordnung (OVG Lüneburg, U. v. 19.03.2012 – 8 LB 5/11 m.w.N.).
Nach zutreffender Auffassung des Beklagten, der sich das Gericht anschließt, fällt die Integrationsprognose beim Antragsteller negativ aus.
Positiv sprechen zwar für die künftige Integration des Antragstellers sein Abschluss der Berufsschule, neuerdings das Vorhandensein von ihn unterstützenden „Pateneltern“ und die Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit. Diese Umstände vermögen es indes nicht, die gegenläufigen Umstände auszugleichen. Dabei fallen insbesondere seine nach fast sechsjährigem Aufenthalt kaum vorhandenen Sprachkenntnisse, die sich nach Verlassen der Berufsschule wieder auf das Niveau A1 verschlechtert haben, negativ ins Gewicht.
Der Antragsteller ist ferner in Deutschland auch nur in sehr geringem Maße sozialisiert. Er hat keinerlei Verwandte in Deutschland. Die Beziehung zu seinen „Pateneltern“ besteht soweit ersichtlich erst seit diesem Monat und beruht hauptsächlich in der Unterstützung hinsichtlich der Bleibeperspektive und des gerichtlichen Verfahrens. Ferner hat sich der Antragsteller auch nicht ausreichend um einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung bemüht. Er hat keinerlei Nachweise über erfolgte Bewerbungen oder gar Vorstellungsgespräche eingereicht, sondern nur ab April 2016 Gespräche mit den zuständigen Behörden über seine weitere berufliche Laufbahn geführt. Gegen eine positive wirtschaftliche Prognose spricht auch, dass der Antragsteller bereits seine schulische Ausbildung nicht mit anhaltendem Engagement angegangen ist und schon während der Schulzeit erhebliche Fehlzeiten aufwies. Gleiches gilt für den ersten Integrationskurs, von dem er sich nach drei Monaten wieder eigenmächtig abgemeldet hat.
c) Auch besteht kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach sonstigen Normen. Im Hinblick auf § 25b AufenthG fehlt es bereits an der nötigen Aufenthaltsdauer von acht Jahren.
d) Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. auf erneute Verbescheidung besteht auch deshalb nicht, weil der Beklagte die Regelerteilungsvoraussetzungen gem. § 5 AufenthG zutreffend verneint und ermessensfehlerfrei von ihrer Anwendung nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen hat.
Der Antragsteller ist nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzes gem. § 3, § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Sein Lebensunterhalt ist ebenfalls nicht gesichert, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da der Antragsteller dauerhaft von Sozialleistungen lebt und mangels Ausbildung und Bewerbungen auch keine positive Prognose dafür besteht, dass er in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes sichern wird. Ob durch die Heimreisedokumente die Identität des Klägers gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG bereits geklärt ist, ist somit nicht entscheidend.
Der Beklagte hat auch sein Ermessen gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fehlerfrei ausgeübt. Dieses hat sich bei Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen maßgeblich an Zumutbarkeitserwägungen zu orientieren (Maor in: BeckOK AuslR, § 5 AufenthG, Rn. 43). Der Beklagte hat im Wesentlichen auf die fehlende Mitwirkung und Initiative des Antragstellers in Hinblick auf die Passbeschaffung und die Identitätsklärung abgestellt und auf die fehlenden Bemühungen des Antragstellers, eine Ausbildung oder Arbeit zu finden. Sowohl die Mitwirkung und Initiative bzgl. der Passbeschaffung als auch das Bemühen um eine berufliche Entwicklung wären dem Antragsteller zumutbar gewesen. Insofern sind Ermessensfehler (§ 114 VwGO) nicht ersichtlich.
3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die nach Art. 21a Satz 1 BayVwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 13. Januar 2017 ist ebenfalls unbegründet.
Die Abschiebung ist nach § 59 Abs. 1 AufenthG anzudrohen; ihrem Erlass stehen nach § 59 Abs. 3 AufenthG das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. Die Abschiebung setzt als Maßnahme der Zwangsvollstreckung allerdings nach § 58 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG voraus, dass die Ausreisepflicht vollziehbar ist.
Der Kläger ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da er einen nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel – hier: eine Aufenthaltserlaubnis -nicht mehr besitzt, die angemessene Ausreisefrist von ca. eineinhalb Monaten gem. § 50 Abs. 2 AufenthG abgelaufen ist und auch die Klage die Wirksamkeit 33 des ablehnenden Verwaltungsakts, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lässt, § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
4. Der Bescheid erweist sich folglich als offensichtlich rechtmäßig. Besondere Gründe, weswegen gleichwohl ausnahmsweise das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen sollte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere ist hierbei auch die Wertung des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu berücksichtigen, nach der Klagen gegen die Ablehnung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben. Dies gilt umso mehr, wenn der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig ist.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren wird abgelehnt, weil die Erfolgsaussichten des Antragsverfahrens nach Vorstehendem derzeit nicht mehr offen sind.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist hier nicht der Fall, weil die Entscheidung des Beklagten auch mit den weiteren Nebenentscheidungen nicht zu beanstanden ist (siehe ausführlich oben). Insbesondere ist auch die Ausreisepflicht unter Fristsetzung rechtmäßig, § 50 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG.


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