Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Wiederaufgreifen hinsichtlich der Anerkennung einer weiteren Dienstunfallfolge mangels Vorliegens eines neuen Beweismittels

Aktenzeichen  M 12 K 16.4918

Datum:
25.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41188
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48, Art. 49, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Ein neues, im Ausgangsverfahren noch nicht berücksichtigtes Beweismittel im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BayVwVfG muss so beschaffen sein, dass es die Richtigkeit der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des Erstbescheides erschüttert. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2 Beruht ein Sachverständigengutachten weder auf neuen Tatsachen noch auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern bewertet es aufgrund einer neuerlichen Untersuchung der Klägerin lediglich bekannte Tatsachen fachlich anders als bisher, fehlt es an der Eignung als neues Beweismittel. (Rn. 39 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
3 Umstände für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen, die eine erneute Entscheidung im Einzelfall gebieten, müssen von einer den in Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BayVwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein. (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Entscheidung kann ohne weitere mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Verfahrensgegenstand ist vorliegend der Bescheid des Beklagten vom 27. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2016, mit dem der Antrag der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens abgelehnt worden ist.
Die sich hiergegen richtende Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat weder nach Art. 51 des Bayerischen Verfahrensgesetzes (BayVwVfG) noch unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Wiederaufgreifens im weiteren Sinne (Art. 51 Abs. 5 i.V.m. Art. 48, 49 BayVwVfG) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des mit Bescheid vom 13. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2015 abgeschlossenen Verfahrens. Damit besteht auch kein Anspruch auf die Anerkennung einer Schenkelhalsfraktur links als weitere Unfallfolge des am 21. Februar 2014 erlittenen Dienstunfalls (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ablehnende Bescheid vom 27. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2016 erweist sich vielmehr als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte das Verfahren gemäß Art. 51 BayVwVfG wiederaufgreift und in Abänderung von Ziffer 1 des Bescheides vom 13. Januar 2015 eine Schenkelhalsfraktur links als weitere Unfallfolge des am 21. Februar 2014 erlittenen Dienstunfalls anerkennt.
1.1. Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayVwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Diese Regelung soll die Wiederaufnahme eines Verfahrens in Fällen ermöglichen, in denen ein Betroffener wegen Beweisschwierigkeiten, die nunmehr behoben sind, einen Nachteil erlitten hat (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 51 Rn. 32). Mit der Wirkung des Wiederaufgreifens, ausnahmsweise die Bestands- und Rechtskraft zu durchbrechen, ist es jedoch unvereinbar, wenn ein Verfahren aufgrund neuer Beweismittel beliebig oft wiederaufgegriffen werden könnte. Ein neues, im Ausgangsverfahren noch nicht berücksichtigtes Beweismittel im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayVwVfG muss daher so beschaffen sein, dass es die Richtigkeit der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des Erstbescheides erschüttert. Es muss zu der sicheren Überzeugung führen können, dass die Behörde damals von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und in Kenntnis der wirklichen Verhältnisse zugunsten des Betroffenen entschieden haben würde. An dieser Beweiseignung fehlt es, wenn sich das dem ursprünglichen Bescheid entgegengehaltene Angriffsmittel bei unveränderter Tatsachenlage darin erschöpft, der rechtlichen Bewertung dieser Tatsachen im ursprünglichen Bescheid zu widersprechen (vgl. BVerwG, U.v. 28.7.1989 – 7 C 78/88 – juris Rn. 12). Sachverständigengutachten können daher nur dann als neue Beweismittel gelten, wenn sie nach Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens erstellt worden sind und neue, seinerzeit nicht bekannte Tatsachen verwerten, wenn sie also selbst auf neuen Beweismitteln beruhen (BVerwG, U.v. 27.1.1994 – 2 C 12/92 – juris; BayVerfGH v.14.9.2009, Vf.58-VI-08). Fachliche Meinungen, wissenschaftliche Ansichten und bloße Folgerungen sachkundiger Personen genügen für sich gesehen hingegen regelmäßig nicht, um als Gegenstand neuer Beweismittel einen Anspruch auf Wiederaufgreifen zu begründen (BVerwG, U.v. 28.7.1989 – 7 C 78/88 – juris). Für die Zulässigkeit des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens muss diesbezüglich auch die Eignung des neuen Beweismittels für eine günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt werden (BayVGH, B.v. 8.11.2012 – 7 ZB 12.1196 – juris).
1.2. Gemessen an diesen Vorgaben genügt das Schlussgutachten von Frau H. des Referats für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München vom 28. August 2015 nicht den Anforderungen an ein neues Beweismittel im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG.
Der Beklagte hat die Feststellung, dass die Schenkelhalsfraktur links der Klägerin nicht auf den Dienstunfall vom 21. Februar 2014 zurückzuführen ist, im Bescheid vom 13. Januar 2015 darauf gestützt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Körperschaden und dem Dienstunfall nicht nachweisbar sei. Das Schlussgutachten von Frau H. des Referats für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München vom 28. August 2015 vermag die Richtigkeit der den Erstbescheid tragenden tatsächlichen Feststellungen nicht zu erschüttern:
Das Schlussgutachten von Frau H. vom 28. August 2015 beinhaltet vorliegend lediglich eine andere fachliche Bewertung des bereits bekannten Sachverhalts. Zwar zieht die Amtsärztin darin den Schluss, dass der Dienstunfall vom 21. Februar 2014 ursächlich für die Schenkelhalsfraktur links gewesen ist. Diese Einschätzung beruht jedoch ihrerseits nicht auf neuen Tatsachen, sondern lediglich auf einer anderen fachlichen Bewertung des bereits bekannten Sachverhalts. So liegen der Bewertung der Amtsärztin keine neuen Tatsachen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde, die nicht bereits in dem mit Bescheid vom 13. Januar 2015 abgeschlossenen Verwaltungsverfahren bekannt gewesen wären. Vielmehr stützt sie ihre geänderte Einschätzung, wie sie in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, auf den Unfallhergang aus dem Entlassbericht und der Anamnese der Klägerin. Somit hat die Amtsärztin Frau H. dieselben Tatsachen ihrer anderen fachlichen Bewertung zugrunde gelegt wie Herr Dr. G in seiner Stellungnahme vom 20. November 2014, aufgrund derer die Schenkelhalsfraktur links als weitere mittelbare Folge des Dienstunfalls mit Bescheid vom 13. Januar 2015 abgelehnt wurde. Die Einschätzung von Frau H. beruht auch nicht deshalb auf neuen Tatsachen, da ihr eine andere Version des Entlassberichts vorgelegen hat, als Herrn Dr. G. für seine Stellungnahme. So hat Frau H. in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass ihre Einschätzung nicht davon abhängig war, ob die Klägerin deswegen gestürzt ist, weil ihr schwindelig war oder weil sie gestolpert ist. Vielmehr beruhte ihre Einschätzung darauf, dass die Klägerin wegen des VACOped Schuhs und den Krücken über keine Abfangbewegungen wie ein gesunder Mensch verfügte und aus diesem Grund der Sturz eine mittelbare Ursache des Dienstunfalles war. Dass die Klägerin mit einem VACOped bzw. Vakuped Schuh bei Teilbelastung von 15 kg mobilisiert war, wurde sowohl in der Version des Entlassberichts, die Frau H zur Verfügung stand, als auch in der Version des Entlassberichts, die Herrn Dr. G zur Verfügung stand, ausgeführt.
Nach alledem ergibt sich, dass das Schlussgutachten von Frau H. weder auf neuen Tatsachen noch auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, sondern aufgrund einer neuerlichen Untersuchung der Klägerin lediglich bekannte Tatsachen fachlich anders als bisher bewertet.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen – unabhängig von den in Art. 51 Abs. 1 bis 3 BayVwVfG normierten Voraussetzungen – gemäß Art. 51 Abs. 5 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG bzw. Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne).
Abgesehen vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen hat die Behörde, wenn die Voraussetzungen des Art. 51 Abs. 1 bis 3 BayVwVfG nicht vorliegen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen bzw. widerrufen wird. Insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 9 C 41/99 – juris; BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 15/08 – juris). Der Beklagte war vorliegend nicht verpflichtet – nachdem er das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 51 BayVwVfG (zutreffend) verneint hat – gleichwohl eine Ermessensentscheidung nach den allgemeinen Grundsätzen des Art. 48, 49 BayVwVfG dahingehend zu treffen, den bestandskräftigen Bescheid vom 13. Januar 2015 aufzuheben und über die Sache neu zu entscheiden. Im Allgemeinen ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde eine erneute Sachentscheidung deswegen ablehnt, weil der geltend gemachte Anspruch bereits bestandskräftig abgelehnt worden ist; es bedarf insoweit keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägung seitens der Behörde. Vielmehr genügt ein Hinweis auf die bestehende Entscheidung sowie darauf, dass für eine andere Beurteilung des Falles kein Anlass besteht (BayVGH, U.v. 25.9.2002 – 21 B 00.1358 – juris Rn. 28). Dies hat die Behörde vorliegend getan. Umstände, die eine erneute Entscheidung im Einzelfall gebieten, müssen von einer den in Art. 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BayVwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein. Derartige Umstände, nach denen die Aufrechterhaltung des Erstbescheides schlechthin unerträglich wäre, etwa die offensichtliche Fehlerhaftigkeit des Bescheides oder ein Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben sind nicht ersichtlich (BVerwG, B.v. 16.8.1989 – 7 B 57.89 – Buchholz 421.0 Nr.268).
Nachdem die Klägerin keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat, hat sie auch keinen Anspruch auf Anerkennung einer Schenkelhalsfraktur links als weitere Folge des Dienstunfalls vom 21. Februar 2014.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben