Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an syrische Staatsangehörige

Aktenzeichen  M 22 K 17.40170

Datum:
24.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30585
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 26 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Im Einklang mit der mittlerweile überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung rechtfertigt allein der Umstand, dass die Kläger aus Syrien ausgereist sind, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten haben, nach Auffassung des Gerichts nicht die begründete Furcht, dass staatliche syrische Stellen sie bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionelle betrachten und sie deshalb wegen einer ihnen unterstellten politischen Überzeugung verfolgen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch eine eventuelle Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben stellt für sich genommen keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen den Klägern bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger zu 1) und 2) nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a. Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich der Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass ihnen im Falle einer unterstellten Rückkehr nach Syrien dort bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht.
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Die Kläger sind nicht bereits vor ihrer Ausreise aus Syrien konkret individuell verfolgt worden. Aus ihren Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie Syrien vorverfolgt verlassen haben. Grund und Anlass für ihre Ausreise aus Syrien war hiernach der dort herrschende Bürgerkrieg und die damit einhergehende Sorge um Leib und Leben; Probleme mit der Politik haben dem Vorbringen zufolge ebenso wie eine Mitgliedschaft in einer politischen Organisation nicht bestanden. Individuell gegen sie selbst gerichtete, d.h. an ein persönliches Flüchtlingsmerkmal anknüpfende Verfolgungshandlungen, hat die Klägerin zu 1) weder behauptet, noch bestehen dafür sonstige Anhaltspunkte.
Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass den Klägern aufgrund anderweitiger nach ihrer Flucht eingetretener Umstände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung wegen eines flüchtlingsrelevanten Merkmales droht.
Im Einklang mit der mittlerweile überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. ausführlich hierzu: BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30338, 21 B 16.30364 und 21 B 16.30371 – jeweils im Ergebnis ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A -, Rn. 28 ff.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. November 2016- 3 LB 17/16 -, Rn. 37 ff.;; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016- 1 A 10922/16 -, Rn. 42 ff.; OVG Saarland, Urteil vom 18. Mai 2017 – 2 A 176/17 -, Rn. 22-26; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 -, Rn. 42 ff.) rechtfertigt allein der Umstand, dass die Kläger aus Syrien ausgereist sind, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten haben, nach Auffassung des Gerichts nicht die begründete Furcht, dass staatliche syrische Stellen sie bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionelle betrachten und sie deshalb wegen einer ihnen unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.
Auch eine eventuelle Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben stellt für sich genommen keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen den Klägern bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde. Trotz des vor allem vom UNHCR definierten Risikoprofils kann eine generelle Gefährdung sunnitischer Syrer bereits deshalb nicht angenommen werden, weil etwa 74% der syrischen Bevölkerung der Glaubensgruppe der Sunniten angehören. Ferner sind Sunniten sowohl im Regime als auch in den Streitkräften – zum Teil in hohen Stellungen – vertreten (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht“, Bundeszentrale für politische Bildung, vom 19. Februar 2016; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017, a.a.O., Rn. 83 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., Rn. 68). Allenfalls kann die sunnitische Religionszugehörigkeit ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden wird, wenn sie sunnitischer Glaubenszugehörigkeit ist (in diese Richtung ebenfalls UNHCR vom Februar 2017, S. 2).
b. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Wege des Familienasyls nach § 26 Abs. 5 Satz 1, 2, Abs. 1, 2 AsylG liegen nicht vor.
Die Klägerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus § 26 Abs. 5 i.V.m. § 26 Abs. 1 AsylG als Ehegattin eines Ausländers, dem die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt worden ist, denn sie hat ihren jetzigen Ehemann, der nicht der Vater des Klägers zu 2) ist, nach eigenen Angaben nicht im Verfolgerstaat des stammberechtigten Ehemanns, sondern erst nach der Ausreise aus Syrien in der Türkei kennengelernt und geheiratet (vgl. Blatt 154 der Behördenakte). Die Ehe der Klägerin zu 1) mit dem flüchtlingsschutzberechtigten Ehemann hat somit nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden, wie von § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gefordert.
Da der Kläger zu 2) – der nicht der leibliche Sohn des stammberechtigten Ehemanns der Klägerin zu 1) ist und der auch nicht in die Ehe hineingeboren wurde – mit dem Stammberechtigten im Herkunftsstaat folglich auch nicht in familiärer Gemeinschaft gelebt hat, kommt auch die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes an den Kläger zu 2) im Wege des Kinderasyls nach § 26 Abs. 5 i.V.m. § 26 Abs. 2 AsylG nicht in Betracht. Die Klage war mithin vollumfänglich abzuweisen.
3. Die Klagepartei hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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