Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einer Syrerin

Aktenzeichen  21 B 17.31605

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23745
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3a, § 3b, § 28 Abs. 1a
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Einer zurückkehrenden syrischen Asylbewerberin arabischer Volkszugehörigkeit (Sunnitin) droht nicht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung, weil sie aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet (hier: Aleppo) stammt.
1. Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es nach wie vor nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein Rückkehrer allein wegen einer (illegalen) Ausreise, eines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Senat ist aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Rückkehrerin hat unter Berücksichtigung der Erkenntnislage allein wegen einer (möglichen) Militärdienstentziehung ihrer Söhne im Falle einer Rückkehr nach Syrien unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft eine Verfolgung durch den syrischen Staat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. (Rn. 52)  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 K 16.31392 2017-03-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. März 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat der Klage mit Urteil vom 27. März 2017 zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat (2.)
1. Der Senat konnte aufgrund des bisherigen Ablaufs des Asylverfahrens und aufgrund der Anhörung der Klägerin in der Berufungsverhandlung nicht die erforderliche Überzeugung (vgl. dazu BVerwG, U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris) davon gewinnen, dass sie die Arabische Republik Syrien aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen hat.
Die Klägerin hat erstmals in der Berufungsverhandlung eine Vorverfolgung geltend gemacht. Dieses Vorbringen ist nicht glaubhaft. Es ist gegenüber den in der Anhörung durch das Bundesamt am 18. Juli 2016 genannten Fluchtgründen gesteigert und steht dazu in Widerspruch, ohne dass die Klägerin diese Unregelmäßigkeiten überzeugend auflösen konnte.
Gegenüber dem Bundesamt sprach die Klägerin nach dem Inhalt der Niederschrift über die Anhörung am 18. Juli 2016 davon, die Frau ihres jüngsten Sohnes sei bei einem Bombenangriff getötet worden. Deren Kinder seien auf einmal schutzlos dagestanden und sie (die Klägerin) habe keine Hilfe gehabt, um für sie zu sorgen, weil der Vater der Kinder (Sohn der Klägerin) bereits zwei Jahre vorher nach Deutschland ausgereist sei. Für den Fall einer Rückkehr nach Syrien befürchte sie, durch einen Luftangriff das Leben zu verlieren.
Demgegenüber hat sie im Rahmen der informatorischen Befragung durch den Senat ihr Vorbringen steigernd und im Widerspruch zu dem ursprünglich genannten Fluchtgrund davon gesprochen, im August 2015 seien Militärangehörige zu ihr gekommen und hätten gedroht, sie festzunehmen, wenn ihre Söhne und deren Vater nicht zurückkämen.
Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Klägerin diesen aus ihrer Sicht wesentlichen Fluchtgrund nicht schon gegenüber dem Bundesamt vorgebracht hat. Ihre Erklärung, sie sei nicht danach gefragt worden, überzeugt schon deshalb nicht, weil der Klägerin ausdrücklich die Frage gestellt wurde: „Was ist ihnen persönlich vor der Ausreise aus Syrien passiert?“ Überdies erklärte die Klägerin auf die Frage, ob sie dem Asylantrag noch etwas hinzuzufügen habe, was sie wisse, habe sie erzählt.
Nach Vorstehendem kommt es nicht mehr darauf an, ob die von der Klägerin behauptete Vorverfolgung überhaupt von flüchtlingsschutzrelevanter Bedeutung ist.
2. Die Klägerin kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.
Davon wäre nur dann auszugehen, wenn der Klägerin bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihr nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Klägerin nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat unter Berücksichtigung des Charakters des syrischen Staates (2.1) die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle allein wegen ihres Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2). Die Klägerin muss eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht deshalb befürchten, weil sie eine Sunnitin ist, aus Aleppo stammt und als alleinstehende Frau zurückkehren würde (2.3). Der Klägerin droht auch unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft selbst dann keine Verfolgung, wenn sich ihre Söhne, die vor ihr nach Deutschland bzw. Libyen ausgereist sind, dem Militärdienst entzogen haben (2.4).
2.1 Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ vom 19.2.2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung – im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 – unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko (Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien, 17.2.2012). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert; das syrische Regime stellt falsche Totenscheine offenbar mit dem Ziel aus, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices – Syria, 3.3.2017). Das Schicksal und der Aufenthaltsort Zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem „verschwunden“ sind, ist nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Amnesty International, Report Syrien 2018, 22.2.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 – Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016).
2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nach wie vor nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin allein wegen ihrer (illegalen) Ausreise, ihres Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (ebenso mit zum Teil abweichender Begründung: OVG SH, U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17.18 u. U.v. 23.11.2016 -3 LB 17.16; NdsOVG, U.4. 18.4.2018 – 2 LB 101.18; SächsOVG, U.v. 7.2.2018 – 5 A 1237/17.A; OVG Bremen, U.v. 24.1.2018 – 2 LB 237/17; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2018 – 1 Bf 81/17.A; OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.11.2017 – OVG 3 B 12.17; VGH BW, U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17; OVG Saarl, U.v. 2.2.2017 – 2 A 515.16; OVG RhPf, U.v. 16.12.2016 – 1 A 10922/16.OVG; offengelassen HessVGH, U.v. 6.6.2017 3 A 3040/16.A – alle juris).
2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob die Klägerin von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).
2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.
2.2.2.1 Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene als sachkundig erachtete Personen befragt. Die Auskünfte gingen dahin, dass ein zurückkehrender abgelehnter Asylbewerber „auf jeden Fall“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015), „höchstwahrscheinlich“ (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) oder möglicherweise (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) festgenommen, inhaftiert und gefoltert werde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).
Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2014). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.
2.2.2.2 Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite. Das Auswärtige Amts präzisierte und vertiefte das in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 (Gz. 508-9-516.80/48840) dahin, dass Personen, die mit keiner oppositionellen Gruppe oder in Oppositionsgebieten aktiven zivilgesellschaftlichen Organisation in Verbindung gebracht würden, bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien keinen systematischen Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit ausgesetzt seien.
Der UNHCR ist der Ansicht, dass Personen, die ein bestimmtes Risikoprofil aufweisen, „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen und Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden, sowie Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte, aber auch Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden (vgl. UNHCR-Erwägungen 2017, S. 36 f.).
Ähnlich äußert sich auch das Deutsche Orient-Institut in einer Auskunft an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 22. Februar 2018. Danach bestehe die Gefahr, dass Asylbewerber im Zuge ihrer Rückkehr nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien; verschiedenen Berichten zufolge gelte das besonders für solche Personen, denen die Sicherheitsbehörden die Mitgliedschaft oder Unterstützung oppositioneller Gruppierungen unterstellten.
2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung der Klägerin sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.
2.2.3.1 Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans, mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:
Die ausweislich eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2012 (3 L 147/12) von Amnesty International und dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ bis zum Erlass eines generellen Abschiebestopps im April 2011 dokumentierten neun Fälle von Abschiebungen aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden (vgl. dazu BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30364 – juris Rn. 74 ff.)
In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).
2.2.3.2 Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.
Trotz der autoritären Struktur und totalitären Ausrichtung des syrischen Staates gibt es keine tragfähige Erkenntnis dafür, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie eine illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Insoweit ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr – anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 – allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Dagegen spricht im Übrigen auch, dass nach Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und das Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. In gleicher Weise ist der Umstand zu bewerten, dass das Auswärtige Amt Fälle kennt, in denen syrische Flüchtlinge nach Anerkennung in Deutschland für mehrere Monate nach Syrien zurückgekehrt sind (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, Gz. 508-9-516.80/48840).
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut, wie sie unter dem 3. Februar 2016 berichtete, einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite. Daran hat sich ausweislich der bereits genannten Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 nichts geändert.
Das wird dadurch bestätigt, dass Personen nicht allein deshalb einem der vom UNHCR für die Beurteilung des Schutzbedarfs angeführten Risikoprofile unterfallen, weil sie im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben. Solches lässt sich auch nicht den Erläuterungen des UNHCR zum Risikoprofil „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ entnehmen (vgl. UNHCR, Erwägungen 2017, S. 38 ff.).
2.2.3.3 Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.1), veranlasst keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2017 enthält diese Feststellung nicht mehr (vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2017, 20.4.2018, S. 38).
2.3 Es ist zur Überzeugung des Senats im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr der Klägerin nach Syrien auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte die Klägerin im Hinblick darauf menschenrechtswidrig behandeln werden, dass sie der sunnitischen Religion angehört, aus Aleppo stammt und als alleinstehende Frau zurückkehren würde.
2.3.1 Der UNHCR hält seine in der 4. Aktualisierten Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (dort S. 26) getroffene sehr weitgehende Wertung nicht mehr aufrecht, wonach Mitglieder religiöser Gruppen einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden ein Risikoprofil erfüllten. Stattdessen ist er nunmehr der Ansicht, Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten in den von der Regierung beherrschten Gebieten benötigten „je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer Religion, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder anderer maßgeblicher Gründe gegebenenfalls internationalen Schutz (vgl. UNHCR-Erwägungen 2017, S. 63). Dem ist letztlich zu entnehmen, dass allein die sunnitische Religionszugehörigkeit der Klägerin die syrischen Sicherheitskräfte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungsmaßnahmen veranlassen wird. Das steht im Einklang damit, dass dem syrischen Regime und dessen Streitkräften auch Sunniten angehören und der überwiegende Teil der syrischen Bevölkerung sunnitischen Glaubens ist (ebenso NdsOVG, U.v. 18.4.2018 – 2 LB 101.18 – juris Rn. 68; VGH BW, U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17 – juris Rn. 48; vgl. dazu auch Gerlach, Was in Syrien geschieht – Essay vom 19.2.2016;).
2.3.2 Ebenso wenig ist es beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien allein deshalb verfolgt wird, weil sie vor ihrer Ausreise im September 2015 – ihren Angaben zufolge – nahe der Stadt Aleppo lebte.
Zwar zählt der UNHCR zur Risikogruppe der Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, auch (Zivil)Personen, deren Wohn- oder Herkunftsort in Gebieten liegt, die derzeit oder vormals von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden bzw. wurden. Allerdings rechtfertigen die dazu vorhandenen Erläuterungen des UNHCR nicht die Prognose, dass Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein deshalb von syrischen Sicherheitskräften verfolgt werden, weil sie vor ihrer Ausreise in einem regierungsfeindlichen Gebiet gelebt haben. Die Erläuterungen beziehen sich im Wesentlichen auf Risiken und Gefahren, denen die Bewohner regierungsfeindlicher Gebiete im Zusammenhang mit kriegsbedingten Kampfhandlungen ausgesetzt sind (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom Februar 2017, S. 15 ff). Sie geben schon aus diesem Grund nichts bezüglich einer Rückkehrgefährdung für erfolglose syrische Asylbewerber an die Hand. Im Übrigen benennt der UNHCR lediglich einen Fall, der noch dazu nicht eine „Rückkehrsituation“ betrifft, bei dem allein die Herkunft aus einem von Regimegegnern besetzten Gebiet zur Verhaftung durch Regierungskräfte führte. Soweit sich der UNHCR auf den bereits unter 2.2.3.1 geschilderten Fall eines von Australien zurückreisenden Syrers aus der Provinz Daraa bezieht, trat zur Herkunft aus einem regierungsfeindlichen Gebiet der Umstand hinzu, dass der Rückkehrer im Besitz von Bargeld war, was zu dem Vorwurf seitens der syrischen Sicherheitskräfte führte, er sei „Finanzier der Revolution“ (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom Februar 2017, S. 6 Fn. 30 mit Verweis auf UN Human Rights Council, Report oft he independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic vom 12.2.2014 Rn. 36).
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn das Auswärtige Amt entgegen der pauschalierenden Aussage des UNHCR eine Verfolgungsgefahr für Rückkehrer aus regierungsfeindlichen Gebieten letztlich nur bei Vorliegen zusätzlicher Umstände annimmt und demgemäß einschränkend davon berichtet, dass es vom Einzelfall abhängig ist, ob Personen, die aus oppositionsnahen Gebieten kommen, bei ihrer Einreise nach Syrien festgenommen werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 17.10.2017; im Ergebnis ebenso OVG Berlin-Bbg, U.v. 21.3.2018 – OVG 3 B 28.17 – juris Rn. 46).
Dem entspricht im Ergebnis auch die Bewertung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 6. Juni 2017 (3 A 3040/16.A – juris), der für einen zurückkehrenden Syrer die Gefahr einer Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte nicht allein deshalb annimmt, weil dieser aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet stammt, sondern weil er sich zudem dem Wehrdienst entzogen hat.
2.3.3 Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht daraus, dass der UNHCR insbesondere Frauen ohne männlichen Schutz als Risikogruppe betrachtet (vgl. UNHCR-Erwägungen 2017, S. 37). Insoweit fehlt es an einem konkreten Anhalt dafür, dass bei einer Rückkehr nach Syrien im Rahmen der Einreisekontrolle ein erhöhtes Risiko für Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an das Geschlecht besteht (§ 3a Abs. 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Soweit der UNHCR feststellt, die Situation von Frauen verschlechtere sich durch den fortgesetzten Konflikt dramatisch, weil Frauen aufgrund ihres Geschlechts zunehmend Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, bezieht sich das wiederum auf die kriegsbedingten Verhältnisse (vgl. UNHCR-Erwägungen 2017, S. 65 f.). Demgegenüber wird die Situation von Rückkehrerinnen durch das Auswärtige Amt dahingehend eingeschätzt, dass es Frauen möglich ist, ohne männliche Begleitung nach Syrien einzureisen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf vom 2.1.2017, Gz. 508-9-516.80/48840).
2.3.4 Auch insgesamt betrachtet weist die in jeder Hinsicht politisch unauffällige Klägerin kein besonderes Risikoprofil auf, das geeignet wäre, sie derart in das Blickfeld der syrischen Sicherheitskräfte zu rücken, dass sie beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung befürchten müsste.
2.4 Es kommt nicht darauf an, ob sich die Söhne der Klägerin, die Syrien bereits vor ihr verlassen haben, der Einziehung zum Militärdienst entzogen haben, denn die Klägerin könnte daraus nichts für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft herleiten. Der Senat ist aufgrund der Quellenlage davon überzeugt, dass die Klägerin allein wegen einer (möglichen) Militärdienstentziehung ihrer Söhne im Falle einer Rückkehr nach Syrien unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft eine Verfolgung durch den syrischen Staat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.
2.4.1 Eine Dokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Syrien – Konsequenzen von Wehrdienstverweigerung und Desertion für Familien, 17. Oktober 2017), die unter anderem einen „Fact-Finding Mission“ Bericht des Finnish Immigration Service vom 23. August 2016 und einen Bericht des Danish Refugee Council vom August 2017 (05.2017) auswertet, ergibt folgendes Bild: Die von den genannten Behörden befragten Personen gehen überwiegend davon aus, dass eine Wehrdienstentziehung oder Desertion für die Familienangehörigen des Militärdienstpflichtigen bzw. des Soldaten im Regelfall keine Haft oder andere Verfolgungsmaßnahmen mit sich bringt.
Lediglich Professor Hanafi von der Amerikanischen Universität Beirut sowie zwei Mitarbeiter der Heinrich Böll Stiftung (HBS) äußerten sich gegenüber dem Finnish Immigration Service eindeutig dahin, es könnten die Brüder eines Wehrdienstentziehers (Prof. Hanafi) bzw. der Vater oder die Mutter eines Deserteurs (HBS) festgenommen werden. Konkrete Fälle sind insoweit allerdings nicht benannt. Die Mitarbeiter der Heinrich Böll Stiftung schränkten ihre Beurteilung zudem dahin ein, dass die Familie zumindest eine Zeit lang unter Druck gesetzt werde. Mitarbeiter einer internationalen Organisation gaben gegenüber dem Finnish Immigration Service – wiederum ohne konkrete Belege und zudem einschränkend – an, die Konsequenzen hingen von der Region ab; der Vater oder Brüder eines Deserteurs könnten zur Armee rekrutiert werden, um den Deserteur zu ersetzen. Demgegenüber bekundete ein am Carnegie Middle East Center, Beirut, tätiger Wissenschaftler (Khader Khaddour), wenn ein Wehrdienstverweigerer oder Deserteur Familie habe, könne die Armee diese über den Aufenthaltsort des Deserteurs befragen. Im Falle der Unkenntnis der Familienmitglieder erwarteten sie keine Konsequenzen.
Gegenüber dem Danish Refugee Council äußerten einige Quellen zu den Folgen von Wehrdienstentzug oder Desertion für Familienmitglieder, es bestünde das Risiko der Unterdrucksetzung oder Befragung durch die Behörden und manchmal auch Inhaftierung. Ein vom Danish Refugee Council befragter Mitarbeiter der Heinrich Böll Stiftung sagte, lediglich Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren, die aktiv gegen die syrische Regierung kämpfen, seien dem Risiko einer Misshandlung durch Regierungskräfte ausgesetzt. Ähnlich äußerte sich der Mitarbeiter einer internationalen Organisation, wonach Wehrdienstentzug oder Desertion für sich genommen keine Konsequenzen für die Familienmitglieder hätten; jedoch würden Familien von hochrangigen Personen der Opposition von den syrischen Behörden streng überwacht. Einer diplomatischen Quelle zufolge habe es seit Beginn des Krieges Fälle von Individuen mit einem politischen Profil gegeben, in welchen Familienmitglieder festgenommen worden seien, um sie gegen die gesuchte Person auszutauschen. Die Quelle habe jedoch im Zusammenhang mit Wehrdienstentziehern oder Deserteuren nicht von ähnlichen Fällen gehört (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Republik Österreich, Syrien – Konsequenzen von Wehrdienstverweigerung und Desertion für Familien, 17. Oktober 2017; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.1.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Mission Report Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and armed Opposition, 23.8.2016; Danish Refugee Council, Syria: Recruitment Practices in Governmentcontrolled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, 5/2017, August 2017).
Die Erkenntnisse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Reflexverfolgung, rechtfertigen ebenfalls nicht die Überzeugung, dass allein die Entziehung vom Militärdienst oder eine Desertion zu Verfolgungsmaßnahmen gegenüber den Verwandten des Dienstpflichtigen bzw. Soldaten führt.
Soweit die Schweizerische Flüchtlingshilfe den Finnish Immigration Service zitiert, wird auf das vorstehend Dargelegte verwiesen.
Das einem Report des irischen Refugee Documentation Centre vom 26. März 2013 Entnommene reiht sich in die Einsicht anderer Stellen ein, denen zufolge Personen mit einem politischen Profil Übergriffe auf deren Familienangehörige auslösen können. Denn danach wird von Familienangehörigen berichtet, die von Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert wurden, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen; auch Kinder sollen von Maßnahmen betroffen gewesen sein, die sich zum einen gegen Angehörige bewaffneter Gruppierungen, zum anderen gegen politische Aktivisten, Regierungskritiker wie auch gegen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen richteten.
Soweit die Schweizerische Flüchtlingshilfe davon spricht, Amnesty International führe in seinem Bericht vom 5. November 2015 „konkrete Beispiele von Familienmitgliedern von Regimegegnern oder Deserteuren auf, die inhaftiert und in Haft vermutlich gestorben sind“, trifft das jedenfalls bezogen auf Deserteure nicht zu. Die von Amnesty International beschriebenen Einzelfälle haben keinerlei Bezug zu Militärdienstentziehern oder Deserteuren (vgl. auch VGH BW, U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17 – juris Rn. 50). Vielmehr weisen die von den syrischen Sicherheitskräften gesuchten Personen, die Anlass für die Reflexverfolgung waren, im Einklang mit den überwiegenden Erkenntnissen allesamt ein „politisches Profil“ auf (früherer Beamter des syrischen Verteidigungsministeriums, führende Persönlichkeit einer oppositionellen Gruppe, Journalist, Medienaktivistin, Frauen, die Demonstranten medizinische Hilfe leisteten und Proteste organisierten – zum Ganzen vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.1.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung).
Der UNHCR informiert zwar dahingehend, die Familienangehörigen von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern sowie Wehrdienstentziehern und anderen Personen seien Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet worden (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom Februar 2017, S. 12 f.). Den insoweit zahlreich angeführten Belegen lässt sich allerdings nichts Konkretes dafür entnehmen, dass Familienmitglieder allein wegen der Wehrdienstentziehung oder Desertion eines Angehörigen unter einer Reflexverfolgung zu leiden hätten. Im Gegenteil, sie lassen erkennen, dass das regelmäßig nur dann der Fall ist, wenn der (flüchtige) Angehörige aufgrund eines „politischen Profils“ in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten ist wie etwa ein oppositioneller Kämpfer, ein regimekritischer Journalist, das Mitglied einer Aktivistengruppe oder eine medizinische Fachkraft.
So verweist der UNHCR auf einen Report des UN Human Rights Council (OHCHR, Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic vom 11.8.2016), wonach Regierungskräfte Familienmitglieder von Männern verhaftet hätten, von denen angenommen worden sei, dass sie gegen die Regierung gekämpft hätten. Des Weiteren bezieht er sich auf eine weitere Veröffentlichung des OHCHR (Out of Sight, Out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic vom 3.2.2016). Danach seien Verwandte von mutmaßlichen Mitgliedern bewaffneter Gruppen als Vergeltungsmaßnahme oder mit der Absicht verhaftet worden, Informationen zu gewinnen. Der UNHCR zitiert aus einem weiteren Report des OHCHR (Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic vom 13.8.2015), dass zahllose Männer aufgrund von Aktivitäten, die mit der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung oder auf Versammlungsfreiheit zusammenhingen, inhaftiert blieben und andere dem Anschein nach deshalb inhaftiert worden seien, um Druck auf von den Behörden gesuchte Familienmitglieder auszuüben.
Ähnlich verhält es sich mit den vom UNHCR herangezogenen Feststellungen des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika im Menschenrechtsbericht für das Jahr 2015. Danach hätten (syrische) Beamte Kinder aufgrund ihrer familiären Verbindungen oder der bei ihnen vermuteten Beziehungen zu politischen Dissidenten, Mitgliedern der Freien Syrischen Armee (FSA) und Aktivistengruppen ins Visier genommen und gefoltert. Kinder seien festgehalten worden, um Eltern und andere Verwandte mit Verbindung zu regierungsfeindlichen Kämpfern zu zwingen, sich an die Behörden auszuliefern. Sicherheitsdienste würden Verwandte von gesuchten Personen verhaften, um Letztere zur Aufgabe zu zwingen. Personengruppen, die gezielt festgenommen und verschleppt würden, seien „Kritiker“, insbesondere Journalisten, medizinische Fachkräfte, regierungskritische Protestteilnehmer, ihre Familien und mit ihnen verbundene Personen.
Ebenso wenig rechtfertigt die Bezugnahme auf den Bericht des Euro-Mediterranean Human Rights Network die Feststellung des UNHCR, dass Familienangehörige von Wehrdienstentziehern oder Überläufern einer Reflexverfolgung unterliegen. Der UNHCR zitiert daraus wie folgt: „Als der Krieg sich intensivierte, begannen die Sicherheitskräfte, die Hochburgen der Regierungsgegner in zahlreichen Fällen und systematisch zu überfallen und an Kontrollstellen weibliche Verwandte von Regierungsgegnern zu verhaften, um Informationen zu gewinnen und die betreffenden Personen zu zwingen, sich zu stellen. Seit Sommer 2012 greift die syrische Regierung zunehmend auf diese Praxis zurück, um Kämpfer zur Aufgabe ihrer Aktivitäten zu zwingen (vgl. zum Ganzen UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom Februar 2017, S. 13 Fn. 61 u. 63).
Soweit die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus dem von Human Rights Watch erarbeiteten „World Report 2015“ zitiert (vgl. Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.1.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung), gibt das für sich genommen nichts Konkretes für eine Reflexverfolgung an die Hand. Denn danach wird lediglich allgemein darauf hingewiesen, dass die syrischen Sicherheitskräfte Familienangehörige von „gesuchten Personen“ festnehmen, um diese dazu zu bewegen, sich den Behörden auszuliefern. Vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kann das allenfalls dahin bewertet werden, dass die gesuchte Person aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen oppositionellen Aktivitäten die Aufmerksamkeit der syrischen Sicherheitskräfte erregt haben muss. Entsprechendes gilt, soweit sich der UNHCR auf eine im Wesentlichen gleichlautende Feststellung des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika im Menschenrechtsbericht für das Jahr 2015 bezieht (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom Februar 2017, S. 13 Fn. 61).
2.4.2 Angesichts der dargestellten Erkenntnislage hat der Senat nicht die Überzeugung gewonnen, dass allein der Militärdienstentzug oder die Desertion eines syrischen Militärdienstpflichtigen bzw. Soldaten für dessen Familienmitglieder zu Verfolgungsmaßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (im Ergebnis ebenso VGH BW, U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17 – juris; SächsOVG, U.v. 7.2.2018 – 5 A 1246/17.a – juris). Gegen eine solche Reflexverfolgung ist letztlich auch der Umstand anzuführen, dass trotz der Vielzahl an militärdienstpflichtigen Syrern, die im europäischen Ausland um Asyl nachgesucht haben, keine Referenzfälle einer Verfolgung der in Syrien zurückgebliebenen Familienmitglieder belegt sind.
Nach allem ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien deshalb Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten hat, weil sich ihre schon früher nach Deutschland bzw. Libyen ausgereisten Söhne (möglicherweise) dem Militärdienst entzogen haben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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