Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zurückstellung vom Besuch der Grundschule

Aktenzeichen  W 2 E 16.819

Datum:
18.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
BayEUG BayEUG Art. 37 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Schulfähigkeit ist die materielle Einschulungsvoraussetzung. Sie besteht, wenn das Kind körperlich, geistig-seelisch und sozial so weit entwickelt ist, dass es am Unterricht teilnehmen kann. Bei der Feststellung der Schulfähigkeit steht dem Schulleiter ein weiter, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Dabei ist die Zurückstellung vom Schulbesuch nur zulässig, wenn es in der Schule keine Möglichkeit gibt, Defiziten des Schülers durch Fördermaßnahmen gerecht zu werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Eltern haben keinen Anspruch auf Zurückstellung ihres Kindes vom Schulbesuch (Art. 37 Abs. 2 BayEUG), wenn der Schulleiter im Rahmen seines Beurteilungsspielraums fehlerfrei die Schulfähigkeit annimmt. Dabei muss er einem von den Eltern vorgelegten ärztlichen Attest nicht folgen, wenn alle anderen Anhaltspunkte (Stellungnahme der Schulpsychologin, erfolgreicher “Schnupperunterricht” etc.) für die Schulfähigkeit sprechen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1. Die Antragsteller sind die Eltern des am … 2010 geborenen Kindes N. Sie begehren dessen Zurückstellung von der Einschulung für das Schuljahr 2016/17. N. kam als Frühgeburt in der 32. Schwangerschaftswoche zur Welt. Er wuchs mehrsprachig auf.
Am 18. Januar 2016 fand die Schuleingangsuntersuchung im Landratsamt K. statt. In der diesbzgl. Mitteilung wird ausgeführt: „gute Mitarbeit; Sprache etwas beobachten, „s“, evtl. Rückstellung (körperl. Entwicklung).“ Zudem wurde vermerkt, dass eine Rückstellung „geplant“ sei. In dem Informationsbogen vom 17. Februar 2016 für die Grundschule empfahlen die Eltern und die Kindertageseinrichtung die Einschulung des Kindes N. erst zum Schuljahr 2017/18 ohne weitere Begründung.
Am 18. Februar 2016 erteilte die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Frau G. aus K., eine Stellungnahme zur Schulfähigkeit. Darin ist als Diagnose aufgeführt:
– Ehemaliges Frühgeborenes 32+1 Gestationswochen – Mikrozephalie – Allgemeine Entwicklungsverzögerung – Sprachentwicklungsverzögerung bei zweisprachiger Erziehung – Störung der Aufmerksamkeitssteuerung – Leichte Dystrophie Die Fachärztin wies darauf hin, dass bei N. noch Defizite in der Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und im Sozialverhalten bestünden, er sei körperlich zart und in der Gruppe noch unsicher. Daher könne er noch nicht erfolgreich am Schulunterricht teilnehmen. Aus ihrer Sicht sei eine Rückstellung der Einschulung für ein Jahr empfehlenswert.
Am 22. Februar 2016 nahm N. am Schnupperunterricht in der Grundschule K.-Siedlung teil. In der diesbezüglichen Einschätzung von Frau M.R. vom 29. April 2016 wird ausgeführt, dass sich keinerlei Probleme oder Defizite erkennen ließen, die einer Einschulung im Schuljahr 2016/17 im Weg stehen würden.
Am 13. April 2016 wurde ein schulpsychologisches Gutachten erstellt. Darin wird aus schulpsychologischer Sicht von Frau H.-K. eine Einschulung zum Schuljahr 2016/17 befürwortet. N. sei ein altersgemäß entwickelter Schüler, der den Anforderungen der Schule gewachsen sein dürfte. Verbessert werden sollten bis zum Schulbeginn die Stifthaltung und die Feinmotorik. Bei einem weiteren Jahr im Kindergarten bestehe die Gefahr einer Unterforderung. Die von der Kinderärztin genannten Probleme hätten nicht beobachtet werden können.
Am 13. April 2016 erfolgte ein Gespräch zwischen der Antragstellerin zu 1), Frau H.-K., Schulpsychologin, und Frau …, Rektorin Grundschule K.-Siedlung. Am 14. April 2016 erfolgte ein Telefonat der Grundschule K.-Siedlung mit Frau S. …, Kindergarten Friedenskirche.
Mit Schreiben vom 21. April 2016 beantragte die Antragstellerin zu 1) die Zurückstellung des Kindes N. von der Einschulung im Schuljahr 2016/17.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2016 lehnte die Grundschule K.-Siedlung den Antrag auf Zurückstellung vom Besuch der Volksschule für das Schuljahr 2016/2017 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die „Zusammenschau“ der Einschätzungen der Schulpsychologin Frau H.-K., der Kinderärztin Frau G., der Rückmeldungen des Kindergartens sowie der Ergebnisse des Schnupperunterrichts an der Grundschule K.-Siedlung Bezug genommen.
Dagegen ließen die Antragsteller mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 31. Mai 2016 Widerspruch einlegen. Zur Begründung ließen sie im Wesentlichen ausführen: Die Kinderärztin habe in ihrer Stellungnahme vom 18. Februar 2016 eine Rückstellung der Einschulung empfohlen. Die Aussage im angegriffenen Bescheid, wonach aufgrund der Aussage der Kinderärztin die Rückstellung nicht bewilligt worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Aus der Stellungnahme der Kindertageseinrichtung ergebe sich ebenfalls die Empfehlung, erst zum Schuljahr 2017/2018 einzuschulen. Ihr Sohn habe „ganz offensichtlich“ noch nicht die Reife für die Einschulung erreicht.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2016 nahm die Schulleitung der Grundschule K.-Siedlung zum Widerspruch der Antragsteller Stellung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2016 wies das Staatliche Schulamt im Landkreis K. den Widerspruch der Antragsteller zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Nach der Prognoseentscheidung der Schulleiterin sei nicht zu erwarten, das N. nicht erst ein Schuljahr später mit Erfolg am Unterricht teilnehmen könne. Die Schulleiterin habe ihren Beurteilungsspielraum entsprechend den anerkannten Bewertungsmaßstäben und ohne sachfremde Erwägungen ausgeübt. Sie sei auch von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Das Vorbringen der Antragstellerin, N. sei eine Frühgeburt und körperlich zierlich und klein, sei unter Beachtung der getroffenen Beobachtungen im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich. N. sei durch seine besonderen kognitiven Fähigkeiten in jedem Fall schulbereit. Ein weiteres Kindergartenjahr entspreche nicht seinem Anspruch auf adäquate Förderung. Außerdem wolle N. nach eigener Aussage in die Schule gehen. Es sei auch nicht erkennbar, dass sich die Schulleitung von sachfremden Erwägungen insofern habe leiten lassen, Zurückstellungen generell zu verhindern.
2. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 5. August 2016, eingegangen bei Gericht am 8. August 2016, ließen die Antragsteller Klage erheben (W 2 K 16.817) und begehrten vorläufigen Rechtsschutz.
Zur Begründung ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten im Wesentlichen ausführen: Das Kind N. sei aufgrund seiner Frühgeburt nicht wie ein normales Schulkind entwickelt. N. entspreche im Hinblick auf Körpergewicht und -größe nicht dem normalen Entwicklungsstand. Die behandelnde Kinderärztin, die N. seit seiner Geburt betreue, rate dringend zu einer Rückstellung der Einschulung. Die Stellungnahmen der Schule und des Schulamtes ließen außer Acht, welche Konsequenzen eine Teilnahme am Unterricht für N. und sein weiteres Leben habe. Auch hätten sie die Diagnosen der behandelnden Kinderärztin außer Acht gelassen. Nachdem aus fachärztlicher Sicht mit Schäden zu rechnen sei, sei N. von der Einschulung zurückzustellen. Es sei nicht ersichtlich, dass N. durch die Rückstellung um ein Jahr größeren Schaden nehmen würde als durch die vorzeitige Einschulung. Es sei davon auszugehen, dass für N. Spätschäden möglich seien und aufgrund der Entwicklungsverzögerung auftreten würden. Die Tatsache, dass N. beim Probeunterricht erklärt habe, er wolle eingeschult werden, und dass N. durch die Zurückstellung gegebenenfalls in eine Konkurrenzsituation zu seiner jüngeren Schwester geriete, seien nicht so entscheidungserheblich, dass eine Störung für N. in Kauf genommen werden müsse. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei geboten, da vor Schulbeginn im September 2016 nicht mit einer Entscheidung der Hauptsache zu rechnen sei.
Der Klägerbevollmächtigte brachte eine weitere auf den 2. August 2016 datierte fachärztliche Stellungnahme zur Schulfähigkeit von Frau G. zur Vorlage. Darin wird der Inhalt der Stellungnahme vom 18. Februar 2016 im Wesentlichen wiederholt. Zudem führt Frau G. aus, dass aus ihrer Sicht eine Zurückstellung der Einschulung zur Vorbeugung einer psychosomatischen Störung dringend angeraten sei.
Die Antragsteller ließen durch ihren Bevollmächtigten beantragen,
das Kind N., geb. am 12. April 2010, von der Aufnahme in die Grundschule für das Schuljahr 2016/2017 zurückzustellen.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2016 sowie den Bescheid der Grundschule Kitzingen-Siedlung vom 10. Mai 2016. Eine Zusammenschau der gesammelten Informationen, insbesondere die schulpsychologische Stellungnahme vom 13. April 2016 sowie die Beobachtungen aus dem Schnupperunterricht vom 22. Februar 2016, rechtfertigten die Entscheidung der Schulleitung, die Zurückstellung von N. abzulehnen. Es ließen sich keinerlei Probleme oder Defizite erkennen, die einer Einschulung zum Schuljahr 2016/2017 entgegenstehen würden.
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Verfahrens W 2 K 16.818 und der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung ist demnach das Vorliegen eines Rechts, dessen Sicherung die Anordnung dient (Anordnungsanspruch) sowie die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind von dem Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Wegen der Eilbedürftigkeit des Anordnungsverfahrens sind die Anforderungen an das Beweismaß und somit auch an den Umfang der Ermittlung von Sach- und Rechtslage geringer als im Hauptsacheverfahren. Es genügt eine nur summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage (Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, Rn. 87 zu § 123 m.w.N.).
Eine einstweilige Anordnung hat sich nach dem Wortlaut des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO und entsprechend dem Sicherungszweck des Anordnungsverfahrens grundsätzlich auf die Regelung eines vorläufigen Zustandes zu beschränken, die der Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren nicht vorgreifen darf. Das Begehren der Antragsteller nimmt vorliegend jedoch faktisch das Ergebnis in der Hauptsache vorweg. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache ist im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO nur ausnahmsweise zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zulässig. Dies setzt voraus, dass andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohen, die durch die Hauptsacheentscheidung nicht mehr beseitigt werden können (BVerfG, B. v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – BverfGE 79, 69; BVerwG, B.v. 21.3.1997 – 11 VR 3.97 – juris), und dass der Antragsteller mit seinem Begehren im Hauptsacheverfahren erkennbar Erfolg haben muss, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. BVerwG, B.v. 13.8.1999 – 2 VR 1.99 – juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragsteller haben nach diesen gesteigerten Anforderungen einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
1.1 Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner in der Hauptsache zu verpflichten wäre, den Sohn der Antragsteller von der Aufnahme in die Grundschule zurückzustellen. Der am 12. April 2010 geborene Sohn der Antragsteller, der zu Beginn des Schuljahres 2016/17 schulpflichtig wird, hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf eine Zurückstellung vom Schulbesuch gemäß Art. 37 Abs. 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) i.d.F. d. Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, ber. S. 632), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 23. Juni 2016 (GVBl. S. 102, 241).
Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BayEUG werden mit Beginn des Schuljahres alle Kinder schulpflichtig, die bis zum 30. September sechs Jahre alt werden oder bereits einmal von der Aufnahme in die Grundschule zurückgestellt wurden. Ein Kind, das am 30. September mindestens sechs Jahre alt ist, kann für ein Schuljahr von der Aufnahme in die Grundschule zurückgestellt werden, wenn zu erwarten ist, dass das Kind voraussichtlich erst ein Schuljahr später mit Erfolg oder nach Maßgabe von Art. 41 Abs. 5 BayEUG am Unterricht der Grundschule teilnehmen kann (Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayEUG). Die Zurückstellung soll vor Aufnahme des Unterrichts verfügt werden; sie ist noch bis zum 30. November eines Jahres zulässig, wenn sich erst innerhalb dieser Frist herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Zurückstellung gegeben sind (Art. 37 Abs. 2 Satz 2 BayEUG). Vor der Entscheidung hat die Schule die Erziehungsberechtigten zu hören (Art. 37 Abs. 2 Satz 4 BayEUG). Die Entscheidung über die Zurückstellung trifft gemäß § 2 Abs. 1 der Bayerischen Schulordnung – BaySchO – die Schulleiterin oder der Schulleiter. Auch wenn Art. 37 Abs. 2 BayEUG einen Antrag der Erziehungsberechtigten nicht vorsieht, so ist er gleichwohl zulässig (VG Bayreuth, B.v. 11.9.2015 – B 3 B 15.582 – juris).
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat in seinem Beschluss vom 11. September 2015 – B 3 E 15.582 – juris, zur Zurückstellung zutreffend ausgeführt: „Die Erziehungsberechtigten haben zwar keinen Anspruch auf Zurückstellung, da es sich um eine Ermessensvorschrift handelt („kann“). Sie haben jedoch einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch (Link, Das Schulrecht in Bayern, Band 2, BayEUG, Art. 37 Rn. 3). Für die Zurückstellung nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayEUG ist die Frage der Schulfähigkeit bzw. der Schulreife als materielle Einschulungsvoraussetzung maßgeblich. Insoweit ist eine pädagogischen Prognose über die schulischen Erfolgsaussichten des Kindes zu erstellen (VG Augsburg, B.v. 7.9.2006 – Au 3 K 06.00804 – BeckRS 2006, 33105). Ein Kind ist schulfähig, wenn es körperlich, geistig-seelisch und sozial so weit entwickelt ist, dass es am Unterricht teilnehmen kann. Die inhaltliche Ausprägung des Art. 37 Abs. 2 BayEUG lässt eine breit angelegte Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und Fähigkeiten des Kindes zu […] (vgl. Dirnaichner, Praxis der Kommunalverwaltung, Stand Juli 2015, Art. 37 BayEUG). Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Schulfähigkeit steht dem Schulleiter aufgrund des wertenden Charakters der Entscheidung ein relativ großer und gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer (Beurteilungs-)Spielraum zu (Link, Das Schulrecht in Bayern, Band 2, BayEUG, Art. 37 Rn. 3; Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rn. 227). Der Schulleiter ist dabei nicht an die Auffassung der Erziehungsberechtigten gebunden (VG Augsburg, B.v. 7.9.2006 – Au 3 K 06.00804 – BeckRS 2006, 33105). Die aufgrund pädagogischer Einschätzungen und Abwägungen getroffene und auf prognostischen Überlegungen beruhende Entscheidung des Schulleiters über die Schulfähigkeit eines Kindes ist gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob der Schulleiter wesentliche Verfahrensvorschriften oder allgemeine Wertungsmaßstäbe verletzt hat, ob er willkürlich gehandelt hat oder von sachfremden Erwägungen und unrichtigen Tatsachen ausgegangen ist und ob die zugrunde liegenden Tatsachen einer objektiven Überprüfung standhalten (Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rn. 1484, OVG NW, B.v. 10.8.2006 – 19 B 1513/06 – juris).“ Die Zurückstellung vom Schulbesuch ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn es innerhalb der Schule keine Möglichkeit gibt, etwaigen Defiziten des einzelnen Schülers durch besondere Fördermaßnahmen gerecht zu werden (umfassend Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rn. 235 f.).
Daran gemessen haben die Antragsteller unter Zugrundelegung einer summarischen Prüfung keinen Anspruch auf Zurückstellung vom Schulbesuch gemäß Art. 37 Abs. 2 BayEUG. Es bestehen keine Anhaltspunkte dahingehen, dass die im Bescheid vom 10. Mai 2016 enthaltene positive Prognose eines Schulbesuchs des Sohnes der Antragsteller fehlerhaft ist. Der Antragsgegner hat im Rahmen seines Beurteilungsspielraums eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zur Schulfähigkeit des Kindes N. getroffen.
Der Antragsgegner ist dabei von zutreffenden Tatsachen ausgegangen. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass der Entscheidung des Antragsgegners sachfremde Erwägungen dahingehend zugrunde lagen, Zurückstellungen generell zu verhindern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt wurde. Der Antragsgegner stützt seine Einschätzung auf die Zusammenschau der – vorgelegten – Stellungnahmen der Schulpsychologin Frau H.-K., der Kinderärztin Frau G., der Rückmeldungen des Kindergartens sowie der Ergebnisse des Schnupperunterrichts an der Grundschule Kitzingen-Siedlung. Hierbei ist zu berücksichtigten, dass bis auf Frau G. sämtliche in die Beurteilung von N. involvierten Stellen keine Vorbehalte gegen eine Einschulung zum Schuljahr 2016/17 vortrugen. Die Schulpsychologin Frau H.-K. gelangte in ihrer Stellungnahme vom 13. April 2016 zu dem Ergebnis, dass N. ein altersgemäß entwickelter Schüler sei, der den Anforderungen der Schule gewachsen sein dürfte. Verbessert werden sollten bis zum Schulbeginn die Stifthaltung und die Feinmotorik. Die von der Mutter berichtete Unsicherheit habe nicht beobachtet werden können. Die Kinderärztin befürworte eine Rückstellung, die genannten Probleme hätten aber nicht beobachtet werden können. Bei einem weiteren Jahr im Kindergarten bestehe die Gefahr einer Unterforderung. Frau M.-R., Grundschule K.-Siedlung, schildert in ihrer Stellungnahme, dass N. während des Schnupperunterrichts am 22. Februar 2016 konzentriert und ausdauernd gewesen sei und gestellte Aufgaben selbständig ausgeführt habe. Die Feinmotorik solle noch etwas geschult werden. Insgesamt erfülle N. die Anforderungen eines Vorschulkindes zur vollsten Zufriedenheit. Es ließen sich keine Probleme oder Defizite erkennen, die einer Einschulung zum Schuljahr 2016/17 im Wege stünden. Eine Entscheidung zugunsten der Antragsteller ergibt sich auch nicht aus dem Informationsblatt der Kindertageseinrichtung an die Grundschule vom 17. Februar 2016. Darin empfehlen die Eltern und die Kindertageseinrichtung ohne weitere Begründung eine Einschulung von N. zum Schuljahr 2017/18. Relativiert wird diese Empfehlung bereits durch die im Informationsblatt enthaltene Feststellung, dass bei N. keine intensivere Beobachtung erforderlich sei. Zudem erfolgte am 14. April 2016 ein Telefonat der Grundschule Kitzingen-Siedlung mit Frau S. …, Kindergarten Friedenskirche. Darin wird N. als „sehr intelligentes, hochbegabtes Kind, der zurückhaltend agiere, gerne mit Erwachsenen spiele (z.B. auch Schach)“, beschrieben. N. langweile sich bei den Angeboten für die Gleichaltrigen, sei geistig unterfordert in der Kindergartengruppe. Eine feinmotorische Förderung sei wichtig, N. habe nicht so viel Lust aufs Malen, wie andere Jungs auch. Auch führte Frau S. … aus, sie wisse nicht, wie sie N. nächstes Jahr noch fordern solle, eigentlich brauche er „mehr Futter“. Diesen Aussagen ist zu entnehmen, dass die Kindertageseinrichtung keine Vorbehalte gegen eine Einschulung zum Schuljahr 2016/17 hegt.
Der Antragsgegner hat sich auch entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragsteller mit den Diagnosen im ärztlichen Attest vom 18. Februar 2016 befasst. In der Begründung des Bescheides vom 10. Mai 2016 wird auf das ärztliche Attest Bezug genommen. Der Gesprächsnotiz der Grundschule K.-Siedlung vom 13. April 2016 ist die Feststellung zu entnehmen, dass die „beschriebenen Diagnosen von der Hausärztin nicht vorlägen und die Mutter [Antragstellerin zu 1) ] dies bestätige“. Auch die Schulpsychologin führt in ihrer Stellungnahme vom 13. April 2016 aus, die von der Kinderärztin genannten Probleme hätten nicht beobachtet werden können. In der Stellungnahme vom 4. Juli 2016 bekräftigt die Schulleitung der Grundschule K.-Siedlung diese Feststellung. Angesichts der positiven und eindeutigen Ergebnisse des Schnupperunterrichts und der Einschätzung der Schulpsychologin, die die Feststellungen aus der fachärztlichen Stellungnahme in keiner Weise bestätigen konnten, ist es auch nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen, dass der Antragsgegner die fachärztliche Stellungnahme nicht für derart gewichtig gehalten hat, das Kind N. vom Schulbesuch zurückzustellen. Die Entscheidung des Antragsgegners wird durch die von den Antragstellern vorgelegten Atteste vom 18. Februar 2016 und vom 2. August 2016 und die Aufzeichnungen aus dem Vorsorgeuntersuchungsheft nicht in einem solchen Maße infrage gestellt, wie es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Vorwegnahme der Hauptsache erforderlich wäre. Schließlich hat die Antragstellerin zu 1) gemäß der Gesprächsnotiz der Grundschule K.-Siedlung vom 13. April 2016 bestätigt, dass die von der Hausärztin beschriebenen Diagnosen nicht vorlägen. Bereits dieser Umstand lässt den Gehalt der fachärztlichen Atteste in Zweifel ziehen. Auffällig ist des Weiteren, dass die Atteste vom 18. Februar 2016 und vom 2. August 2016 weitestgehend wortlautidentisch sind. Im Attest vom 2. August 2016 werden bei den Diagnosen zusätzlich „Minderwuchs“ und statt einer „leichten Dystrophie“ nunmehr eine „Dystrophie“ angegeben, ohne dies aber näher zu begründen. Zudem wird in diesem Attest zusätzlich ausgeführt, eine Rückstellung sei dringend angeraten, um einer „psychosomatischen Störung“ vorzubeugen. Auf den seit der Ausstellung des ersten Attestes vergangenen Zeitraum von beinahe einem halben Jahr und die damit einhergehende Entwicklung des Kindes wird nicht eingegangen. Beide Atteste lassen den erforderlichen Bezug zu den Möglichkeiten der Grundschule vermissen und nicht erkennen, dass und warum die behaupteten Defizite des Sohnes der Antragsteller bei der gesetzlich vorgesehenen und gebotenen Förderung des Kindes durch einen seinen Lernvoraussetzungen und -fähigkeiten Rechnung tragenden Unterricht nicht hinreichend aufgefangen werden können (vgl. VG Cottbus, B.v. 10.7.2012 – 1 L 206/12 – LKV 2012, 381). Zutreffend weist die Schulleitung der Grundschule K.-Siedlung in ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2016 darauf hin, dass von ärztlicher Seite auch keine zusätzliche Förderung verordnet worden sei und bei einer eventuellen Rückstellung keine weiteren Fördermaßnahmen geplant seien. Die erstmals im Attest vom 2. August 2016 getroffene pauschale Aussage, wonach zu einer Rückstellung geraten werde, um „psychosomatischen Störungen vorzubeugen“, wird schon nicht näher begründet. Der Vortrag des Bevollmächtigten der Antragsteller, aufgrund der Entwicklungsverzögerung seien Spätschäden möglich, ist unsubstantiiert. Zudem wurden bei der Schuleingangsuntersuchung des Gesundheitsamtes trotz des Hinweises auf die körperliche Entwicklung von N. keine weitergehenden Maßnahmen empfohlen. (vgl. Mitteilung des Landratsamtes K. vom 18. Januar 2016).
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass eine Zurückstellung ausnahmsweise noch während des laufenden Schuljahres, d.h. bis zum 30. November 2016 in Betracht kommt, wenn sich innerhalb dieser Frist herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Zurückstellung gegeben sind (Art. 37 Abs. 2 Satz 2 BayEUG). Mit dieser Bestimmung wird der Konstellation einer nachträglich widerlegten Prognoseentscheidung Rechnung getragen.
Die Einschätzung der Antragsteller, wonach N. den Anforderungen der Schule nicht gewachsen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Einschätzung der Antragsteller hinsichtlich einer erfolgreichen Teilnahme am Unterricht von N. ist von der elterlichen Subjektivität geprägt (vgl. VG Würzburg, B.v. 18.8.2008 – W 2 E 08.1768 – juris). Zudem kann eigenen Beobachtungen im Familienkreis keine entscheidende Bedeutung zukommen, da sie sich naturgemäß nicht auf eine breite und vergleichbare fachlich Basis stützen und nicht von dafür ausgebildeten Fachkräften stammen, wie dies bei der Untersuchung eines ganzen Jahrgangs im Rahmen der Einschulung der Fall ist (VG Cottbus, B.v. 10.7.2012 – 1 L 206/12 – LKV 2012, 381). Daher führt die Einschätzung der Antragsteller zu keinem anderen Ergebnis.
Somit war der Antrag abzulehnen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO.
3. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG, wobei die Kammer von einer Halbierung des Auffangstreitwerts ausgeht.
4. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des vorliegenden Verfahrens war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben