Verwaltungsrecht

Kein Anspruch einer Obdach suchenden Person auf eine bestimmte Unterkunft

Aktenzeichen  M 22 E 16.291

Datum:
1.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134609
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
LStVG Art. 7

 

Leitsatz

1. Die Obdachlosenfürsorge dient nicht der “wohnungsmäßigen Versorgung”, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt zusammen mit Frau …, mit der er nach eigenen Angaben nach islamischem Recht verheiratet ist, in einer Einrichtung der akuten Wohnungslosenhilfe in der … untergebracht zu werden.
Der Antragsteller wird von der Beklagten seit der im Mai 2014 erfolgten Räumung seiner Mietwohnung (mit Ausnahme des Zeitraums vom 14. Juli bis 16. September 2015) in städtischen Clearinghäusern und privaten Beherbergungsbetrieben obdachlosenrechtlich untergebracht. Seit 17. September 2015 bewohnt er auf der Grundlage einer Unterbringungsverfügung der Antragsgegnerin ein Zweibettzimmer im Beherbergungsbetrieb … Zwei vom Antragsteller am 23. August und 30. Dezember 2014 beim Verwaltungsgericht München gestellte Anträge, die Antragsgegnerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, den Antragsteller und Frau … bis zum Bezug einer sozialgeförderten Wohnung in der Obdachlosenunterkunft in der … unterzubringen, blieben ohne Erfolg (vgl. insoweit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. September 2014 – Az. M 22 E 14.3756 – mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2014 – Az. 4 CE 14.2134 – sowie Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Mai 2015 – Az. M 22 E 15.56 – mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Juli 2015 – Az. 4 CE 15.1357).
Mit Schreiben vom 21. Januar 2016 bzw. 2. Februar 2016 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München,
die sofortige gemeinsame „Unterkunft mit meiner Ehefrau im … Zur Begründung trug er unter anderem mit Schriftsatz vom 8. Februar 2016 vor, Frau … wohne nunmehr seit Monaten nicht mehr in der … … in … Sie werde nach einem Besuch bei ihrer Schwester in … noch im Februar in … zurückerwartet und bedürfe endlich der gemeinsamen Unterbringung mit dem Antragsteller bis „zur Zurverfügungstellung einer für zwei Personen völlig neu möblierten (sozial geförderten) Wohnung in einer vergleichbaren Lage, wie die … Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 2. Februar 2016, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie trug vor, der Antragsteller habe, wie das Verwaltungsgericht bereits in den Entscheidungen vom 22. September 2014 (Az. M 22 E 14.3756) und 26. November 2014 (Az. M 22 S 14.5231) sowie 29. Mai 2015 (Az. M 22 E 15.56) festgestellt habe, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anordnungsanspruch auf Unterbringung in einer bestimmten Unterkunft oder auf wohnungsmäßige Versorgung. Frau … sei beim Fachbereich Wohnen zudem nach wie vor nicht als wohnungslose Person in Erscheinung getreten. Den Meldedaten zufolge wohne sie seit 1. Dezember 2014 ununterbrochen in der … Am 9. Juni 2016 teilte die Antragsgegnerin dem Gericht auf Nachfrage telefonisch mit, dass Frau … weiterhin keinen Antrag auf Obdachlosenunterbringung gestellt habe und es im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin kein … gäbe. Der Antrag des Antragstellers beziehe sich daher vermutlich auf das …, das obdachlosen Familien und alleinstehenden Frauen vorbehalten sei und bereits Gegenstand der Verfahren M 22 E 15.56 und M 22 E 14.3756 gewesen sei.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2016 wies das Gericht den Antragsteller darauf hin, dass es, sollte bis 27. Juni 2016 keine gegenteilige Mitteilung eingehen, davon ausgehe, dass es sich bei der beantragten Unterbringung im … um eine versehentliche Falschbezeichnung handle und der Antragsteller (erneut) eine Unterbringung im …, begehre. Eine Reaktion des Antragstellers hierauf erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten dieses Verfahrens sowie der Verfahren M 22 K 14.3755, M 22 K 16.122, M 22 E 15.56, M 22 E 14.3756 und M 22 S 14.5231 verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Der Antragsteller hat vorliegend einen Anordnungsanspruch auf Unterbringung in der von ihm gewünschten Unterkunft in der … unverändert nicht glaubhaft gemacht. Die Umstände haben sich seit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Mai 2015 nicht in relevanter Weise geändert (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 VwGO Rdn. 75 ff., 81).
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG). Voraussetzung einer obdachlosenrechtlichen Unterbringung ist insoweit das Vorliegen einer konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Menschen infolge Obdachlosigkeit. Eine konkrete Gefahr besteht dann, wenn der Betroffene keine Unterkunftsmöglichkeit hat und zudem nicht in der Lage ist, die Wohnungslosigkeit aus eigener Kraft oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Zeit und Weise zu beseitigen.
Am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen vorliegend (unverändert) erhebliche Zweifel. Wie bereits im Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Mai 2015 ausgeführt, auf den Bezug genommen wird, ist davon auszugehen, dass der Antragsteller über genügend Barmittel verfügt, um sich – gegebenenfalls mit Unterstützung des Sozialhilfeträgers – selbst eine kostengünstige Unterkunft zu beschaffen, und Frau … die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hat, sich gegenwärtig und bis auf weiteres unter ihrer Meldeadresse in der … aufzuhalten. Soweit der Antragsteller zur Begründung seines Antrags anführt, Frau … wohne nunmehr seit Monaten nicht mehr in der … in … und bedürfe nach der Rückkehr von einem Besuch bei ihrer Schwester in … endlich der gemeinsamen Unterbringung, ist dieses Vorbringen durch nichts belegt und glaubhaft gemacht. Hiergegen – wie auch gegen die behauptete wirtschaftliche Abhängigkeit vom Antragssteller – spricht vielmehr unverändert, dass Frau … trotz entsprechender Aufforderung der Antragsgegnerin nach wie vor nicht beim Amt für Wohnen und Migration vorgesprochen und um eine Unterbringung im Wohnungslosensystem der Antragsgegnerin nachgesucht hat und sie den Meldedaten zufolge seit 16. August 2012 unterbrechungslos unter einer eigenen Meldeadresse, die nicht mit den Meldeadressen des Antragstellers übereinstimmt, gemeldet ist.
Unabhängig hiervon dient die Obdachlosenfürsorge auch nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es daher – bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten – ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Ein Auswahlrecht unter mehreren diesen Voraussetzungen genügenden Unterkünften steht dem Obdachlosen nicht zu. Es liegt vielmehr im sehr weiten Ermessen der Antragsgegnerin, wie sie den durch Obdachlosigkeit bewirkten Gefahren begegnen will. Die zugewiesene Unterkunft muss – selbst wenn diese nachgewiesenermaßen bestehen – insbesondere nicht allen Unterbringungs- und Sorgebedürfnissen, die eine Person hat, gerecht werden. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2010 – 4 C 09.3073 mit Verweis auf BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 m.w.N.; VG Würzburg; B.v. 5.3.2009 – W5 K 09.2289; VG München, B.v. 24.4.2008 – M 22 K 07.5316).
Gemessen an diesem Maßstab ist die dem Antragsteller gegenüber ergangene Zuweisungsentscheidung vom 17. September 2015 folglich auch nicht zu beanstanden. Ein Anspruch der Obdach suchenden Person auf eine nach Lage, Größe oder sonstigen Kriterien bestimmte Unterkunft besteht – wie oben ausgeführt – grundsätzlich nicht. Vorliegend ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die vom Antragsteller bewohnte Unterkunft den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung nicht genügt und das Ermessen der Antragsgegnerin auf eine Einweisung des Antragsgegners (und von Frau …) in die  … reduziert wäre. Auf die Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Mai 2015 (M 22 E 15.56) wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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