Verwaltungsrecht

Kein Anspruch eines Polizeibeamten auf Zulassung zum situativen Auswahltest bei charakterlichen Mängeln

Aktenzeichen  M 5 E 18.5040

Datum:
26.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28871
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FachV-Pol/VS § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2
VwGO § 123 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Auf die Zulassung zur Ausbildungsqualifizierung besteht selbst dann kein Anspruch, wenn ein Bewerber oder eine Bewerberin sämtliche Voraussetzungen hierfür erfüllt. Die Zulassung steht nach § 57 Abs. 1 S. 1 FachV-Pol/VS unter den dort unter Nr. 1 bis 5 genannten Voraussetzungen im gerichtlich nur beschränkt nachprüfbaren Ermessen des Dienstherrn. Die Nachprüfung durch das Gericht beschränkt sich darauf, ob der Dienstherr den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Nichtzulassung zur Teilnahme am TAUVE-Test unter Einräumung der Möglichkeit, sich zu bewähren und Zweifel an der Eignung auszuräumen, stellt sich als milderes Mittel dar, als nachträglich die in der letzten periodischen Beurteilung zuerkannte Eignung für die Ausbildungsqualifizierung gänzlich abzuerkennen. Denn solches würde von einer weiteren Bewerbung um die Teilnahme am TAUVE-Test bis zu einer erneuten Zuerkennung in der nächsten periodischen Beurteilung vollständig ausschließen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die am … … 1980 geborene Antragstellerin steht als Polizeiobermeisterin (Besoldungsgruppe A 8, 2. Qualifikationsebene) in Diensten des Antragsgegners.
Ihr wurde mit Bescheid des Polizeipräsidiums … vom 10. Oktober 2018 mitgeteilt, dass sie für die Teilnahme am Auswahltest TAUVE im Auswahlverfahren 2019 für die Ausbildungsqualifizierung für Ämter ab der 3. Qualifikationsebene im fachlichen Schwerpunkt Polizeivollzugsdienst nicht zugelassen werde. Dies wurde – trotz der von ihr als Polizeibeamtin in der 2. Qualifikationsebene gezeigten guten Leistungen – damit begründet, dass derzeit ihre Eignung für eine künftige Führungsfunktion in einem Amt der 3. Qualifikationsebene nicht gegeben sei bzw. aktuell nicht zweifelsfrei beurteilt werden könne. Sie habe – u.a. bei einem Vorfall am … September 2017 und damit nach der periodischen Beurteilung zum Stichtag … Mai 2017 – mehrmaliges Fehlverhalten gezeigt, das teils in besonderem Maße achtungs- und vertrauensschädigend gewesen und der Vorbildfunktion eines Polizeivollzugsbeamten, einer positiven Wahrnehmung als Polizeibeamter in der Öffentlichkeit und insbesondere einer späteren Vorgesetztenfunktion in einem Amt der 3. Qualifikationsebene nicht gerecht geworden sei. Es werde das Erfordernis einer weiteren Bewährung über einen ergänzenden Zeitraum in einem unvorbelasteten Umfeld einer anderen Dienststelle gesehen. Gegen diesen am 11. Oktober 2018 zugestellten Bescheid legte die Antragstellerin am 12. Oktober 2018 Widerspruch ein.
Am 12. Oktober 2018 hat die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München den Antrag stellen lassen, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Antragstellerin vorläufig zum Auswahltest zur Zulassung zur Ausbildungsqualifizierung für die 3. Qualifikationsebene am 13. Oktober 2018, hilfsweise zum Ausweichtermin am 27. Oktober 2018, zuzulassen Ein Widerruf des Aufstiegsvermerks in der Regelbeurteilung 2017 sei im Nachgang zu dem Vorfall am … September 2017 – zu dem das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und disziplinarrechtlich eine Missbilligung ausgesprochen worden seien – nicht erfolgt. Seit diesem Vorfall habe sich die Antragstellerin auch bereits mehr als ein Jahr lang bewährt. Die Verweigerung der Teilnahme am Auswahltest und damit an der Ausbildungsqualifizierung verletze den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin, woraus sich ihr Anordnungsanspruch ergebe.
Der Anordnungsgrund ergebe sich aus dem Umstand, dass bis zu den Studienbeginnsterminen im März und September 2019 nicht mit einer Entscheidung in der Hauptsache betreffend den Ablehnungsbescheid vom 10. Oktober 2018 zu rechnen sei. Es müsse aber spätestens mit Beginn des Studiengeschehens im März 2019 eine Teilnahme der Antragstellerin an der Ausbildungsqualifizierung erfolgen, um eine chancengleiche Teilnahme an den entsprechenden Prüfungen zu gewährleisten. Eine Nichtteilnahme würde zu erheblichen Verzögerungen in der weiteren beruflichen Entwicklung der Antragstellerin führen.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2018, bei Gericht eingegangen am 23. Oktober 2018, hat der Antragsgegner seine Akte vorgelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 23. Oktober 2018 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die der Antragstellerin vorgeworfenen Verfehlungen jeweils zum Grund gehabt hätten, dass diese bewusst gegen eine dienstliche Anweisung verstoßen und darüber hinaus bewusst den Dienstherrn getäuscht habe bzw. habe täuschen wollen, um sich einen Vorteil zu erschleichen. Hier könne von einem wiederholt aufgetretenen gravierenden gleichliegenden charakterlichen Mangel gesprochen werden, aufgrund dessen für das momentane Auswahlverfahren davon ausgegangen werden müsse, dass bei der Antragstellerin nicht erkennbar sei, den Anforderungen für Ämter ab der 3. Qualifikationsebene gewachsen zu sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt eine Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Der Antragsteller hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
2. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil es ausgeschlossen ist, dass über die von ihr begehrte Zulassung zum situativen Auswahltest nach § 57 Abs. 2 der Verordnung über die Fachlaufbahn Polizei und Verfassungsschutz (FachV-Pol/VS) (sog. TAUVE-Test) für die Ausbildungsqualifizierung 2019, der letztmals am 27. Oktober 2018 abgelegt werden kann, rechtzeitig rechtskräftig in der Hauptsache entschieden wird.
3. Eine vorläufige Zulassung zum TAUVE-Test würde keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen, weil die Antragstellerin eine nur vorläufige Rechtsposition erlangen würde, die sie zunächst zur Teilnahme berechtigen würde, jedoch auch im Falle ihres Bestehens vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens abhängen würde und deshalb mit dem Risiko des Verlusts dieser Rechtsposition behaftet wäre (BayVGH, B.v. 4.12.2015 – 3 CE 15.2563 – juris Rn. 27).
4. Einen Anordnungsanspruch konnte die Antragstellerin aber nicht glaubhaft machen.
a) Auf die Zulassung zur Ausbildungsqualifizierung besteht selbst dann kein Anspruch, wenn ein Bewerber oder eine Bewerberin sämtliche Voraussetzungen hierfür erfüllt. Die Zulassung steht nach § 57 Abs. 1 Satz 1 FachV-Pol/VS unter den dort unter Nr. 1 bis 5 genannten Voraussetzungen im gerichtlich nur beschränkt nachprüfbaren Ermessen des Dienstherrn (BayVGH, B.v. 22.6.2018 – 3 CE 18.1066 – juris Rn. 28).
Hinsichtlich der Einschätzung, ob und ggf. in welchem Maße ein Beamter oder eine Beamtin die Eignung für die höhere Qualifikationsebene besitzt, ob also ein Bewerber oder eine Bewerberin im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FachV-Pol/VS hat erkennen lassen, dass er oder sie den Anforderungen der Ämter ab der dritten Qualifikationsebene im fachlichen Schwerpunkt Polizeivollzugsdienst gewachsen sein wird, ist dem Dienstherrn ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Nachprüfung durch das Gericht beschränkt sich darauf, ob der Dienstherr den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BayVGH, B.v. 22.6.2018 – 3 CE 18.1066 – juris Rn. 29). Ob er hingegen – gerade im Hinblick darauf, dass in der 3. Qualifikationsebene Führungs- und Leitungsaufgaben wahrzunehmen sind – einen strengeren oder weniger strengen Maßstab anlegt, ist Sache des Dienstherrn, solange er dies willkürfrei tut.
b) Vorliegend ist es nach Maßgabe der oben dargestellten Grundsätze rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner seinen Beurteilungsspielraum dahin ausgeübt hat, davon auszugehen, die Antragstellerin erfülle derzeit die oben dargestellte Voraussetzung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FachV-Pol/VS nicht. Die aktuell noch bestehenden Bedenken des Antragsgegners hinsichtlich der charakterlichen Eignung der Antragstellerin für ein Amt der 3. Qualifikationsebene sind im Bescheid vom 10. Oktober 2018 nachvollziehbar dargestellt worden. Allein schon der Vorfall am … September 2017 bzw. das danach von der Antragstellerin an den Tag gelegte Verhalten – wegen dem gegenüber der Antragstellerin am 11. September 2018 (gerade noch nur) eine Missbilligung ausgesprochen wurde – lassen Zweifel an ihrer charakterliche Eignung nicht unberechtigt erscheinen.
c) Die mit Bescheid vom 10. Oktober 2018 erfolgte Nichtzulassung zur Teilnahme am TAUVE-Test 2018 für die Ausbildungsqualifizierung 2019 unter Einräumung der Möglichkeit für die Antragstellerin, sich zu bewähren und diese Zweifel auszuräumen, stellt sich als milderes Mittel dar, als ihr nachträglich die in der letzten periodischen Beurteilung zum Stichtag 31. Mai 2017 zuerkannte Eignung für die Ausbildungsqualifizierung gänzlich abzuerkennen. Denn solches würde die Antragstellerin von einer weiteren Bewerbung um die Teilnahme am TAUVE-Test bis zu einer erneuten Zuerkennung in der nächsten periodischen Beurteilung (voraussichtlich zum Stichtag 31.5.2020) vollständig ausschließen.
5. Auch eine umfassende Gesamtabwägung führt – selbst unter der Annahme offener Erfolgsaussichten eines Hauptsacherechtsbehelfs gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2018 – zu dem Ergebnis, der Antragstellerin den von ihr begehrten vorläufigen Rechtsschutz nicht zu gewähren. Sie hat insbesondere nichts dafür vorgetragen und es ist auch sonst nichts ersichtlich, dass ihr unzumutbare Nachteile erwachsen würden, wenn sie an dem TAUVE-Test erst 2019 für die Ausbildungsqualifizierung 2020 oder später teilnehmen könnte. Soweit sie erhebliche Verzögerungen in ihrer weiteren beruflichen Entwicklung befürchtet, sind diese rein hypothetisch. Denn es steht derzeit keineswegs fest, dass die Antragstellerin den TAUVE-Test mit einem solch guten Ergebnis absolvieren würde, dass sie sicher einen der Plätze für die Ausbildungsqualifizierung ab März 2019 oder zumindest ab September 2019 erhalten müsste.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.


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