Verwaltungsrecht

Kein ernsthafter Schaden bei der Rückkehr nach Somalia im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts

Aktenzeichen  W 4 K 17.31187

Datum:
12.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7814
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung ergibt sich unter Zugrundelegung der maßgeblichen Erkenntnisquellen in Mogadischu keine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG) zu werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass das Bundesamt an der mündlichen Verhandlung am 12. Januar 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurde bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der klagegegenständlichen Schutzansprüche (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG sind im Falle des Klägers nicht gegeben.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 QRL die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG wird dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt, wenn inländische Fluchtalternativen i.S.v. § 3e AsylG bestehen.
Im Rahmen von § 60 Abs. 2 AufenthG ist bei der Prognose, ob für einen Kläger im Abschiebezielstaat die konkrete Gefahr besteht, der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14).
Vorliegend muss der Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG zu erleiden. Der Kläger kann sich auch nicht auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen. Denn dem Kläger droht in Somalia (hier: Süd- und Zentralsomalia, insbesondere Mogadischu) keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn ein bewaffneter Konflikt im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Staatsgebiets ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt hingegen dann nicht vor, wenn es sich nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen. Auch bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensisät und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris Rn. 19-22).
Für eine ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bedarf es schädigender Eingriffe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder ggf. die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. in jedem Fall müssen Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die eine Person von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer eine Person als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss jedoch ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstands in der jeweiligen Person reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – juris Rn. 32 f.; U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 15).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind für den Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia (hier: Süd- und Zentralsomalia, insbesondere Mogadischu) die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht gegeben.
Nach den maßgeblichen Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar: Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikalislamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- und Zentralsomalia kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon längere Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia v. 1.12.2015 – Stand: November 2015, S. 4 f.; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 25.7.2013, S. 29; siehe auch EGMR, U.v. 5.9.2013 – Nr. 886/11 – K.A.B. ./. Schweden – Rn. 87 ff.; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris; RhPfOVG, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris; vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 19).
Was die tatsächliche Lage in Somalia angeht, so gehen sämtliche Auskünfte von einer unterschiedlichen Intensität des Konflikts in Somalia, insbesondere was Süd- und Zentralsomalia auf der einen und die relativ friedlichen Regionen Puntland und Somaliland auf der anderen Seite angeht, aus. Dementsprechend ist für die Frage, ob ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt vor liegt, maßgeblich auf die Heimatregion des jeweiligen Klägers als regelmäßige Rückkehrregion abzustellen (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 28.7.2016 – 20 ZB 16.30137 – juris Rn. 7; U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 19-21).
Hiervon ausgehend kann vorliegend offenbleiben, ob in der Heimatregion des Klägers in Süd- und Zentralsomalia – und damit auch in der Hauptstadt Mogadischu – ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt gegeben ist (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia v. 1.12.2015, Stand: November 2015, S. 4 f.: „In Südund Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg.“; vgl. zum Ganzen: RhPfOVG, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 35; vgl. auch VG Augsburg, B.v. 9.12.2016 – Au 2 K 16.32629 – Rn. 4 des Entscheidungsumdrucks; U.v. 21.4.2016 – Au 2 K 16.30021 – juris Rn. 22).
Denn jedenfalls ist der Kläger im hier vorliegenden Einzelfall bei einer Rückkehr nach Süd- und Zentralsomalia – insbesondere in die Hauptstadt Mogadischu – keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt (VG Augsburg, B.v. 9.12.2016 – Au 2 K 16.32629 – Rn. 5-8 des Entscheidungsumdrucks; U.v. 21.4.2016 – Au 2 K 16.30021 – juris Rn. 26).
Dies liegt schon daran, dass das Gericht den Vortrag des Klägers als vollkommen unglaubwürdig ansieht. Er beinhaltet erhebliche Widersprüche, die der Kläger nicht aufzuklären vermochte. Dies beginnt bereits damit, dass er beim Bundesamt erklärte, er sei eines Tages von Jugendlichen aufgehalten worden, die ihm gesagt hätten, dass sie Aufträge für ihn hätten. Wenn sie in die Stadt kämen, müsse er Waffen für sie im Laden verstecken. Ganz anders der Vortrag in der mündlichen Verhandlung. Hier erklärte der Kläger, dass am 15. Juli 2015 plötzlich Al-Shabaab-Mitglieder in ihr Geschäft gekommen seien und ihn gefragt hätten, ob sie Waffen in dem Lebensmittelgeschäft verstecken könnten. Völlig widersprüchlich auch der weitere Vortrag des Klägers: Erklärte er noch vor dem Bundesamt, er habe von dem Vorfall seinen Eltern erzählt, so beantwortete er die Frage des Gerichts dahingehend, dass er seiner Mutter gerade nichts von diesem Vorfall erzählt habe, weil er Angst um ihre Gesundheit habe, sie habe Bluthochdruck. Vielmehr habe er es seinem Onkel erzählt. Erstaunlich auch, dass von dem angeblichen Tod des Onkels, den der Kläger bei seinem Vortrag vor dem Bundesamt behauptet hat, in der mündlichen Verhandlung keine Rede mehr war.
Bei Gesamtwürdigung jedenfalls ist festzuhalten, dass der Vortrag des Klägers derartig eklatante Widersprüche beinhaltet, aber auch in wesentlichen Teilen völlig unsubstantiiert ist, so dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Kläger keine real erlebten Ereignisse seiner Vergangenheit widergegeben hat, sondern dass sein Vortrag offensichtlich frei erfunden ist.
Gefahrerhöhende persönliche Umstände, die ihn wegen persönlicher Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko aussetzen könnten, sind nicht ersichtlich.
Auch die allgemeine Lage in Mogadischu ist nicht so gefährlich, dass sie sich unabhängig von persönlichen Merkmalen auf jede Zivilperson individualisiert. Die erforderliche Gefahrendichte ist somit nicht mehr gegeben. Zwar ist die Sicherheits- und Versorgungslage in Süd- und Zentralsomalia nach wie vor fragil, dennoch zeichnet sich nach den vorliegenden Erkenntnisquellen eine Entwicklung ab, die eine Verbesserung der generellen Sicherheitssituation für die Bevölkerung mit sich gebracht hat, auch wenn dies nicht landesweit gilt (vgl. zum Ganzen: RhPfOVG, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 42).
Eine genaue Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, erscheint jedoch kaum verlässlich möglich. Dies beruht bereits darauf, dass es für eine Gesamtbevölkerungszahl als Ausgangsbasis keine gesicherten Zahlen gibt und die entsprechenden Schätzungen erheblich differieren. Zudem kann die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden sind, kaum annäherungsweise verlässlich geschätzt werden, weil belastbare Zahlen nicht vorhanden sind. Dies betrifft etwa die Frage, ob in den insoweit verfügbaren Aufstellungen die Zählung der „Zivilpersonen“ auch solche Opfer umfasst, die den besonderen Risikogruppen (Politiker, Regierungsmitarbeiter etc.) angehören. Auch wird in den Berichten über Vorfälle meist lediglich über die Zahl der Getöteten, nicht aber auch über die der Verletzten berichtet (vgl. zum Ganzen: RhPfOVG, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 43).
Die Gesamtbevölkerung von Mogadischu wird vom Auswärtigen Amt als vermutlich deutlich über eine Million Einwohner einschließlich einer großen Anzahl Binnenvertriebener einschätzt (www..-amt.de). Setzt man zu dieser Einwohnerzahl die sich aus der Aufstellung von ACCORD (Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project -ACLED – v. 3.11.2015) ergebende Zahl der im Jahr 2014 in der gesamten Region Banaadir verzeichneten 739 Vorfälle mit 586 Toten – jedoch bezogen auf alle Konfliktvorfälle, d.h. nicht nur Gewaltvorfälle gegen Zivilpersonen -würde sich unter Zugrundelegung dieser Zahlenwerte ein Tötungsrisiko von etwa 1:1700 (0,0586%) ergeben, wobei eine Berechnung des Verletzungsrisikos mangels entsprechender verfügbarer Auflistung nicht möglich erscheint (vgl. zum Ganzen: RhPfOVG, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 44).
Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung ergibt sich unter Zugrundelegung der maßgeblichen Erkenntnisquellen in Mogadischu keine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. In den Berichten ist regelmäßig von „Verbesserungen“ die Rede, auch wenn dies angesichts der früheren extremen Situation nicht damit gleichgesetzt werden kann, dass keine wesentliche Gefahr für die Zivilbevölkerung mehr gegeben ist. Aus der Hauptstadt Mogadischu wurde die Al-Shabaab-Miliz im August 2011 vertrieben. Es gelingt ihr zwar immer wieder Anschläge zu verüben. Diese Anschläge richten sich aber in der Regel gezielt gegen Funktionsträger (vgl. Danish Immigration Service, South Central Somalia – Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, September 2015, S. 11). Wegen der verdeckten Präsenz der Al-Shabaab besteht in Mogadischu für mehrere Risikogruppen (z.B. Regierungsmitarbeiter, Politiker, Sicherheitskräfte etc.) eine Gefahr durch auf Funktionsträger und deren Einrichtungen gerichtete Attentate und Anschläge. Für den einfachen Stadtbewohner droht hingegen als einzige Gefahr, sich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu befinden und damit Opfer im Rahmen solcher Anschläge zu werden (Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 25.7.2013, S. 43). Die Gesamtzahl der zivilen Opfer dürfte daher zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben. Dies beruht darauf, dass nach bisheriger Erkenntnislage durch die von der Al-Shabaab vorgenommene strategische Auswahl der Anschlagsziele bestimmte Berufsgruppen in besonderer Weise betroffen waren: Regierungsmitarbeiter, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte, Abgeordnete, mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker. Dies verdeutlichen die nach den vorliegenden Erkenntnisquellen verübten Anschläge (siehe zu den Ereignissen im Jahr 2015 etwa die Aufstellung von ACCORD, ecoi.net-Themendossier, Al-Shabaab: Zeitachse von Ereignissen, Stand: 22.9.2015; siehe zu weiteren Vorfällen im Jahr 2015 auch BAMF, Briefing Notes v. 28.9.2015 und v. 2.11.2015). Die Betrachtung der – in den o.g. Aufstellungen von ACCORD auch für die Vorjahre – verzeichneten Anschläge zeigt, dass es die Al-Shabaab nicht gezielt auf Zivilisten absieht, insoweit aber Opfer in Kauf nimmt. Die Vorkommnisse, über die berichtet wird, sind insgesamt nicht so häufig und erreichen keine so hohen zivilen Opferzahlen, als davon gesprochen werden könnte, dass jeder Zivilist der weit über eine Million Einwohner zählenden Stadt aufgrund seiner bloßen Anwesenheit gefährdet wäre. Insoweit lässt sich zwar bislang keine wesentliche rückläufige Tendenz der Vorfälle verzeichnen, indes ergeben sich aber auch keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, dass abgesehen von Schwankungen in der Häufigkeit der Vorfälle und der Anzahl der Opfer von einer wesentlichen Trendänderung da hingehend auszugehen ist, dass jeder Zivilperson bereits durch ihre Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben drohen würde. Jedenfalls lässt sich auch ein staatliches Vorgehen gegen die Al-Shabaab verzeichnen, etwa die Aussetzung eines Kopfgeldes von insgesamt 1,3 Mio. USD für elf ranghohe Funktionsträger der Al-Shabaab und ein Großeinsatz somalischer Sicherheitskräfte mit Durchsuchungen in Mogadischu und 60 Festnahmen mutmaßlicher Mitglieder der Al-Shabaab (vgl. BAMF, Briefing Notes v. 13.4.2015 und 15.6.2015; vgl. zum Ganzen: RhPfOVG, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 45).
Im Fall des Klägers sind auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Verbürgt sind insoweit u.a. das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK).
Für den Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG gilt ebenfalls der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 71/01 – juris Rn. 2). § 60 Abs. 5 AufenthG erfasst nur zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 35). Solche können in besonderen Ausnahmefällen etwa vorliegen, soweit aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23/26). Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG müssen grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – Rn. 4).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 VwGO im Fall des Klägers nicht gegeben. Eine relevante Gefährdungslage für den Kläger ist bei einer Rückkehr nach Somalia (hier: Süd- und Zentralsomalia, insbesondere Mogadischu) nicht ersichtlich.
Dem Kläger steht auch kein nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren im Sinne dieser Vorschrift, denen die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Ein Ausländer kann im Hinblick auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen nicht nur mit beachtlicher, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die drohenden Gefahren müssen im Einzelfall nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise alsbald nach der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38).
Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG müssen grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – Rn. 4).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Eine relevante Gefährdungslage für den Kläger ist bei einer Rückkehr nach Somalia (hier: Südund Zentralsomalia, insbesondere Mogadischu) – wie bereits zu § 60 Abs. 5 AufenthG ausgeführt – nicht ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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