Verwaltungsrecht

Kein nachträgliches Unrichtigwerden der Rechtsbehelfsbelehrung

Aktenzeichen  B 5 S 18.50599

Datum:
23.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24044
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a Abs. 2
VwGO § 52, § 58 Abs. 2, § 60, § 117 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Bei der Anordnung von Haft ist davon auszugehen, dass der Asylsuchende seinen Aufenthalt (§ 52 Nr. 2 S. 3 VwGO) am Ort der Haft zu nehmen hat. Eine eventuelle frühere Zuweisungsentscheidung wird damit – auch ohne ausdrückliche Änderung – gegenstandslos, da infolge der Inhaftierung keine Möglichkeit einer anderweitigen Aufenthaltsbestimmung besteht (vgl. BayVGH BeckRS 2001, 25016). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich für die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides (OVG RhPf BeckRS 2018, 9945). Spätere Veränderungen kann die erlassende Behörde grundsätzlich nicht berücksichtigen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und ukrainischer Volkszugehörigkeit.
Ihm wurde von der italienischen Vertretung in Moskau am 27. April 2017 ein Schengen-Visum für einen Aufenthalt von maximal 90 Tagen mit einem Gültigkeitszeitraum vom 28. April 2017 bis 27. April 2018 erteilt (Bl. 42 f. der Behördenakte). Nach eigenen Angaben reiste er zusammen mit seiner Mutter am 8. Februar 2018 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 13. Februar 2018 Asyl.
Am 18. April 2018 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im folgenden Bundesamt) ein Aufnahmegesuch nach der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) an Italien, auf das die italienischen Behörden nicht reagierten.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. Juni 2018 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides) und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet (Ziffer 3 des Bescheides) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheides). Gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO sei Italien für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig. Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig. Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestünden nicht. Es lägen keine Gründe zu der Annahme von systemischen Mängeln im italienischen Asylverfahren vor. Dem Antragsteller drohe keine verfahrenswidrige Abschiebung in sein Heimatland. Die Frist von sechs Monaten für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei im vorliegenden Fall angemessen. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung:beigegeben, wonach gegen diesen innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach erhoben werden könne und auch ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe bei dem genannten Verwaltungsgericht zu stellen sei. Die Zustellung des Bescheides erfolgte ausweislich der Empfangsbestätigung (Bl. 194 der Behördenakte) am 25. Juni 2018 in der JVA Nürnberg, wo sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befand.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2018 wandte sich der Antragsteller an das Bundesamt und legte „Widerspruch“ gegen den Bescheid vom 19. Juni 2018 ein (Bl. 193 der Behördenakte).
Die Regierung von Oberfranken – Zentrale Ausländerbehörde – teilte dem Bundesamt mit Schreiben vom 10. Juli 2018 mit, dass der Antragsteller seit dem 3. Juli 2018 wieder in der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung II in Bamberg wohnhaft sei.
Die Mutter des Antragstellers erhob am 13. August 2018 für diesen zur Niederschrift der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichtes Bayreuth Klage gegen den Bescheid vom 19. Juni 2018 (B 5 K 18.50600) und beantragte zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Es werde zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, der Antragsteller sei ausweislich der beigefügten Bescheinigung des medizinischen Dienstes der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken vom 9. August 2018 seit dem 13. Juli 2018 in stationärer psychiatrischer Behandlung. Davor sei er in der JVA Nürnberg gewesen. Eine frühere Klageerhebung sei nicht möglich gewesen, da der Mutter des Antragstellers die erforderlichen Papiere nicht vorgelegen hätten. Eine Vollmacht werde sie nachreichen. Am 20. August 2018 legte die Antragstellerbevollmächtigte außerdem eine schriftliche Stellungnahme des Antragstellers vor.
Die Antragsgegnerin hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth ist örtlich zuständig. Nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz grundsätzlich das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nr. 3 der Vorschrift. Nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist im Falle eines Erlasses eines Verwaltungsakts durch eine Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt – wie dies beim Bundesamt der Fall ist -, das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Wohnsitz hat. Für die Bestimmung der Zuständigkeit kommt es auf die Umstände im Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. Antragstellung an (Kraft in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2014, § 52, Rn 7). Im Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. Antragstellung am 13. August 2018 war der Antragsteller ausweislich des Schreibens der Zentralen Ausländerbehörde vom 10. Juli 2018 bereits wieder der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung II in Bamberg wohnhaft. Unabhängig davon ob hierfür – was sich den vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen lässt – eine förmliche Zuweisungsentscheidung ergangen ist, war in diesem Zeitpunkt daher zumindest aufgrund des stationären Aufenthaltes in psychiatrischer Behandlung in Bamberg nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth örtlich zuständig.
2. Der Antrag ist bereits unzulässig, da die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht eingehalten wurde.
a) Nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine Abschiebungsanordnung, wie sie hier in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides enthalten ist, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Bekanntgabe des Bescheides an den Antragsteller erfolgte hier am 25. Juni 2018, sodass die Frist von einer Woche mit Ablauf des 2. Juli 2018 endete, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Antragstellung am 13. August 2018 erfolgte damit zu spät.
b) Die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG findet hier auch Anwendung. Es liegt kein Fall des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO vor, der dazu führen würde, dass für die Erhebung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Frist von einem Jahr gelten würde. Denn die dem streitgegenständlichen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:war nicht dadurch unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, dass darin das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach als örtlich zuständiges Verwaltungsgericht benannt wurde.
Im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 19. Juni 2018 wie auch im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe am 25. Juni 2018 wäre für eine Klage bzw. einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach örtlich zuständig gewesen. Denn der Antragsteller befand sich bis einschließlich 2. Juli 2018 in Untersuchungshaft in der JVA Nürnberg. Bei der Anordnung von Haft ist davon auszugehen, dass ein inhaftierter Antragsteller seinen Aufenthalt im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO auch nach dem Asylgesetz am Ort der Haft zu nehmen hat. Der Kläger hat durch seine Inhaftierung einen (neuen) behördlich bestimmten Aufenthaltsort. Eine eventuelle frühere Zuweisungsentscheidung nach den §§ 44 ff. AsylG wird – auch ohne ausdrückliche Änderung der Aufenthaltsbestimmung nach dem AsylG – gegenstandslos, da infolge der Inhaftierung asylrechtlich keine Möglichkeit einer anderweitigen Aufenthaltsbestimmung besteht (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2001 – 21 S 00.32364 – juris Rn. 8 f.; VG München, B.v. 1.8.2014 – M 24 K 13.30540 – juris Rn. 5; VG Bayreuth, B.v. 19.1.2017 – B 3 K 17.30091 – juris Rn. 2). An dieser örtlichen Zuständigkeit hat sich bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG am 2. Juli 2018 auch nichts geändert, weil sich der Antragsteller bis zu diesem Tage in Untersuchungshaft in der JVA Nürnberg befand.
Dass der Antragsteller ab dem 3. Juli 2018 wieder in der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung II in Bamberg wohnhaft war und damit ab diesem Zeitpunkt nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, zumindest aber nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth örtlich zuständig wurde (s.o.), macht die dem streitgegenständlichen Bescheid beigegebene Rechtsbehelfsbelehrung:nicht nachträglich unrichtig. Maßgeblich für die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides (OVG NW, U.v. 18.5.2018 – 1 A 2/18.A – juris Rn. 36, VG Düsseldorf, B.v. 10.7.2018 – 6 L 1869/18.A – juris Rn. 12 ff.). Spätere Veränderungen kann die erlassende Behörde grundsätzlich nicht berücksichtigen; zudem muss sie hiervon nicht notwendigerweise Kenntnis erlangen. Selbst wenn man wegen der dem Grunde nach bestehenden Möglichkeit der Berichtigung einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung:(vgl. dazu Czybulka/Kluckert in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 58, Rn. 70 ff. m.w.N.) davon ausginge, dass die erlassende Behörde gehalten wäre, auf den nachträglichen Eintritt von Umständen, die zur Unrichtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung:führen würden, mit einer entsprechenden Berichtigung zu reagieren, um das Unrichtigwerden der Rechtsbehelfsbelehrung:zu verhindern, wäre eine entsprechende Obliegenheit der Behörde allenfalls bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist – hier also bis zum 2. Juli 2018 – in Betracht zu ziehen. Nach diesem Zeitpunkt darf die Behörde grundsätzlich auf die Bestandskraft ihres Verwaltungsaktes vertrauen.
c) Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO liegen nicht vor. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen, § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO.
Der Antragsteller bzw. seine Bevollmächtigte haben geltend gemacht, eine fristgerechte Antragstellung sei wegen des Aufenthalts des Antragstellers in stationärer psychiatrischer Behandlung und zuvor in Untersuchungshaft nicht möglich gewesen, die Antragstellerbevollmächtigte habe die erforderlichen Papiere nicht vorliegen gehabt.
Hieraus ergibt sich aber bereits kein unverschuldetes Fristversäumnis. Der Antragsteller hat mit seinem Schreiben an das Bundesamt vom 28. Juni 2018 selbst dokumentiert, dass er auch aus der Untersuchungshaft heraus die Möglichkeit hatte und dazu in der Lage war, Schriftsätze in Bezug auf sein Asylverfahren zu verfassen und zu versenden. Dass er hierbei einen nach § 11 AsylG nicht statthaften Rechtsbehelf gewählt hat, ist unerheblich.
Zum anderen wäre aber jedenfalls die Frist von zwei Wochen nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO für die Stellung des Antrages Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewahrt. Denn der Antragsteller befand sich ab dem 3. Juli 2018 wieder in der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung II in Bamberg, wo auch seine Bevollmächtigte untergebracht ist. Erst seit dem 13. Juli 2018 ist der Antragsteller in stationärer psychiatrischer Behandlung. In der Zwischenzeit standen ihm und seiner Bevollmächtigten also ein Zeitraum von zehn Tagen und damit sogar mehr als die Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG zur Verfügung, für den nicht dargetan geschweige denn glaubhaft gemacht ist, weshalb nicht bereits zu diesem Zeitpunkt eine Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich gewesen sein sollte. Die Antragstellung erst am 13. August 2018 ist damit jedenfalls zu spät.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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