Verwaltungsrecht

Kein Schadensersatz wegen Fürsorgepflichtverletzung

Aktenzeichen  3 ZB 14.1600

Datum:
4.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 116999
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BeamtStG § 45
BayBG Art. 96 Abs. 3
BayBhV § 5 Abs. 3 S. 1
VVG § 199 Abs. 2 S. 2, S. 3, § 203 Abs. 1 S. 2
BGB § 199 Abs. 2 S. 1, § 254, § 839

 

Leitsatz

Der Dienstherr ist aufgrund der Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, den Beamten auf die Änderung seines Beihilfebemessungssatzes hinzuweisen, um ihm die Anpassung seines privaten Krankenversicherungsschutzes innerhalb der Frist des § 199 Abs. 2 S. 2 VVG ohne (erneute) Risikoprüfung und ohne Erhebung etwaiger Risikozuschläge zu ermöglichen. Denn bei der Änderung des Beihilfeanspruchs infolge Wegfalls berücksichtigungsfähiger Angehöriger handelt es sich um Kenntnisse, die bei jedem Beamten vorausgesetzt werden können. (Rn. 5 und 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 17 K 14.616 2014-06-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 2.325,76 €
festgesetzt.

Gründe

1. Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage, den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger 101,12 € zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie für den Zeitraum vom 1. Mai 2014 bis zur Pensionierung des Klägers monatlich 25,28 €, fällig jeweils zum 1. Kalendertag eines jeden Monats zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 2. Kalendertag des jeweiligen Monats zu zahlen, zu Recht abgewiesen. Der Kläger, der als Ministerialrat (BesGr B 3) im Dienst des Beklagten steht, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG) in Höhe der von ihm seit 1. Oktober 2013 bis zu seiner voraussichtlichen Versetzung in den Ruhestand zum 31. August 2021 an seine Krankenversicherung zu zahlenden Risikozuschläge i.S.d. § 203 Abs. 1 Satz 2 VVG von monatlich 25,28 €. Deshalb besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen, unabhängig davon, ob Verzugszinsen (§§ 247, 286, 288, 291 BGB analog) im Rahmen der Verletzung der Fürsorgepflicht überhaupt geltend gemacht werden können (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2013 – 3 ZB 08.2979 – juris Rn. 16).
1.1 Der Beklagte hat seine beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gemäß § 45 BeamtStG gegenüber dem Kläger, der verheiratet ist und zwei 1993 bzw. 1996 geborene Kinder (St. und C.) hat, nicht dadurch verletzt, dass er ihn vor Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 199 Abs. 2 Satz 2 VVG, innerhalb der ein Beihilfeempfänger aufgrund einer Änderung seines Beihilfebemessungssatzes ohne eine (erneute) Risikoprüfung die Anpassung seines privaten Krankenversicherungsschutzes gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 VVG verlangen kann, nicht darauf hingewiesen hat, dass sich sein Beihilfebemessungssatz infolge des eigenen Beihilfeanspruchs seiner 1993 geborenen Tochter St., die ab 1. Oktober 2012 eine Ausbildung als Beamtenanwärterin der 3. Qualifikationsebene begonnen hat, nach Art. 96 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 a) BayBG i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 BayBhV von 70 v.H. (Art. 96 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 BayBG) auf 50 v.H. (Art. 96 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Hs. 1 BayBG) verringert.
Den Beklagten traf keine Verpflichtung, den Kläger innerhalb der Sechsmonatsfrist auf die Verminderung seines Beihilfebemessungssatzes hinzuweisen, um ihm eine fristgerechte Anpassung seines privaten Krankenversicherungsschutzes ohne eine (erneute) Risikoprüfung zu ermöglichen (OVG Lüneburg, U.v. 5.4.2011 – 5 LB 218/09 – juris Rn. 32). Vielmehr oblag es dem Kläger zu entscheiden, ob er sich aus diesem Grund privat höher versichert, um die Risiken einer ungewissen Rechtslage auszuschließen (BVerwG, U.v. 21.12.2000 – 2 C 39.99 – juris Rn. 21).
Dem Dienstherrn obliegt keine aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht nach § 45 BeamtStG abzuleitende allgemeine Pflicht zur Belehrung über alle für die Beamten einschlägigen Vorschriften, insbesondere dann nicht, wenn es sich um rechtliche Kenntnisse handelt, die zumutbar bei jedem Beamten vorausgesetzt werden können oder die sich der Beamte unschwer selbst verschaffen kann. Demgemäß gebietet die Fürsorgepflicht dem Dienstherrn grundsätzlich auch nicht, seine Beamten von sich aus auf für sie eventuell in Betracht kommende Möglichkeiten einer Antragstellung hinzuweisen (BVerwG, B.v. 28.1.2016 – 2 B 13.15 – juris Rn. 7). Abweichend hiervon können besondere Fallgestaltungen eine Belehrungspflicht auslösen, z.B. bei einer ausdrücklichen Bitte des Beamten um Auskunft, ferner bei einem vom Dienstherrn erkannten oder erkennbaren Irrtum des Beamten in einem bedeutsamen Punkt oder bei Bestehen einer allgemeinen Praxis, Beamte über einschlägige Rechtsvorschriften zu belehren, sowie aufgrund sondergesetzlicher Informationspflichten (BVerwG, B.v. 6.3.2002 – 2 B 3.02 – juris Rn. 5).
Vor diesem Hintergrund ist das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte vorliegend aufgrund der Fürsorgepflicht nicht verpflichtet war, den Kläger auf die Änderung seines Beihilfebemessungssatzes von 70 v.H. auf 50 v.H. infolge des eigenen Beihilfeanspruchs seiner Tochter St. hinzuweisen, um ihm die Anpassung seines privaten Krankenversicherungsschutzes innerhalb der Frist des § 199 Abs. 2 Satz 2 VVG ohne (erneute) Risikoprüfung und ohne Erhebung etwaiger Risikozuschläge zu ermöglichen. Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der Änderung des Beihilfeanspruchs infolge Wegfalls berücksichtigungsfähiger Angehöriger (Art. 96 Abs. 1 und 3 BayBG i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 BayBhV) um rechtliche Kenntnisse handelt, die zumutbar bei jedem Beamten vorausgesetzt werden können und die sich der Kläger unschwer selbst – etwa durch Nachfrage bei der Beihilfestelle – verschaffen hätte können (OVG NRW, U.v. 23.9.1998 – 12 A 5602/96 – juris Rn. 31); das Studium einer Broschüre zum Beihilferecht machte eine Nachfrage nicht entbehrlich, da diese nicht alle Bestimmungen wiedergeben konnte. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich auch das Bestehen sondergesetzlicher Informationspflichten bzw. einer entsprechenden Verwaltungspraxis des Beklagten, seine Beamten zu belehren, zutreffend verneint. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Verwaltungsgericht für den Fall, dass der Kläger irrtümlich angenommen haben sollte, sein eigener Beihilfebemessungssatz werde sich durch den eigenen Beihilfeanspruch seiner Tochter St. nicht ändern, ausgeführt hat, dass dies anhand des Beihilfeantrags vom 14. August 2012 für die Beihilfestelle nicht erkennbar war; im Übrigen hätte der Kläger bei Zweifeln in dieser Hinsicht rechtzeitig selbst bei der Beihilfestelle nachfragen müssen. Er hat diesbezüglich aber unstreitig keine Auskunft beantragt. Insoweit hat das Verwaltungsgericht weiter zu Recht darauf abgestellt, dass keine Belehrungspflicht hinsichtlich der Auswirkungen der Beihilfevorschriften auf die Tarifgestaltung der privaten Krankenversicherung des Klägers bestand. Der Beamte ist in der Wahl seiner privaten Krankenvorsorge frei. Er entscheidet selbst und eigenverantwortlich, in welchem Umfang, bei welchem Anbieter und zu welchem Tarif er sich versichert (OVG Saarland, U.v. 26.6.2006 – 1 R 18/05 – juris Rn. 30). Daher ist es auch allein Sache des Beamten, sich hinsichtlich der durch die Beihilfe nicht abgedeckten Aufwendungen im Krankheitsfall um ausreichenden privaten Versicherungsschutz zu bemühen (OVG Lüneburg, U.v. 5.4.2011 a.a.O.). Der Kläger hätte sich aus diesem Grund nach der zutreffenden Ansicht des Verwaltungsgerichts im Rahmen der gebotenen Eigenvorsorge rechtzeitig wegen der Anpassung seines Krankenversicherungsschutzes an seine Krankenversicherung wenden müssen.
1.2 Die hiergegen innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebrachten Einwände des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Das Zulassungsvorbringen setzt sich nicht mit der – die Entscheidung selbständig tragenden – Begründung des Verwaltungsgerichts auseinander, der Kläger hätte sich hinsichtlich der Auswirkungen der eigenen Beihilfeberechtigung seiner Tochter St. bei seiner privaten Krankenversicherung erkundigen müssen. Denn es sei Sache des einzelnen Beihilfeberechtigten, sich hinsichtlich der durch die staatliche Beihilfe nicht abgedeckten Aufwendungen im Krankheitsfall um privatrechtlichen Versicherungsschutz zu bemühen. Der Beihilfeberechtigte könne nicht aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen Anspruch herleiten, im Bereich der privaten Krankheitsvorsorge beraten zu werden. Hiergegen ist rechtlich nichts zu erinnern, so dass der Antrag auf Zulassung der Berufung schon deshalb ohne Erfolg bleiben muss.
Im Übrigen legt das Zulassungsvorbringen auch nicht substantiiert dar, warum der Beklagte aus dem Beihilfeantrag des Klägers vom 14. August 2012 entnehmen hätte können, dass dieser sich über die Verminderung seines Beihilfebemessungssatzes aufgrund des eigenen Beihilfeanspruchs seiner Tochter St. ab 1. Oktober 2012 im Irrtum befunden hätte. Daran ändert nichts, dass der Kläger darin zwar erklärt hat, dass seine Tochter St. ab 1. Oktober 2012 eine Ausbildung als Beamtenanwärterin der 3. Qualifikationsebene absolvieren werde, er diese aber als – nach wie vor – im Familienzuschlag berücksichtigungsfähiges Kind angegeben hat. Unabhängig davon, dass damit nicht zugleich ein eigener Beihilfeanspruch der Tochter dargelegt wurde, hat die Beihilfestelle nämlich zutreffend über den Beihilfeantrag entschieden. Da St. erst für ab 1. Oktober 2012 entstandene Aufwendungen ein eigener Beihilfeanspruch zustand, wurde für die mit dem Antrag des Klägers vom 14. August 2012 geltend gemachten, vorher entstandenen eigenen Aufwendungen des Klägers im Bescheid vom 6. September 2012 zu Recht weiterhin ein Beihilfebemessungssatz von 70 v.H. gemäß Art. 96 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 BayBG festgesetzt, weil sich die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen richtet (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2014 – 14 C 13.900 – juris Rn. 11). Gleiches gilt nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten auch für die mit Beihilfebescheiden vom 4. Oktober sowie vom 17. Dezember 2012 abgerechneten Aufwendungen.
Aus dem gleichen Grund liegt in der fortwährenden Beihilfegewährung mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 v.H. aufgrund der Bescheide vom 6. September, 4. Oktober sowie 17. Dezember 2012 für die dem Kläger entstandenen Aufwendungen auch keine Amtspflichtverletzung, da die Beihilfestelle rechtmäßig entschieden hat. Im Übrigen wäre eine Amtspflichtverletzung i.S.d. § 839 BGB nach Art. 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.
Da die Beihilfestelle über den Antrag des Klägers vom 14. August 2012 zutreffend entschieden hat, konnte sie dessen ggf. bestehenden Irrtum über die Verminderung seines Beihilfebemessungssatzes aufgrund des eigenen Beihilfeanspruchs seiner Tochter St. auch nicht durch Beihilfegewährung mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 v.H. mit Bescheid vom 9. Januar 2013 verfestigen. Im Übrigen wurden mit dem zugrunde liegenden Antrag vom 27. Dezember 2012 auch keine Aufwendungen für St. geltend gemacht, so dass sich die Frage, ob sich der Beihilfebemessungssatz des Klägers infolge des eigenen Beihilfeanspruchs seiner Tochter vermindert, aus Sicht der Beihilfestelle zu diesem Zeitpunkt gar nicht stellte. Vielmehr hätte es dem Kläger oblegen, sich deshalb bei der Beihilfestelle zu erkundigen.
Angesichts dessen kann auch dahingestellt bleiben, ob der eigene Beihilfeanspruch der Tochter des Klägers der Beihilfestelle bekannt bzw. erkennbar war und ob diese insoweit fahrlässig handelte. Ebenso kann offen bleiben, ob die von ihm behauptete Verletzung der Fürsorgepflicht überhaupt adäquat kausal für die von ihm erhobenen Risikozuschläge war, ob ihn insoweit ein Mitverschulden (§ 254 BGB) trifft und ob die Schadenshöhe zutreffend ist.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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