Verwaltungsrecht

Kein subsidiärer Schutz für Asylsuchende aus Afghanistan

Aktenzeichen  M 17 K 17.31275

Datum:
2.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH BeckRS 2017, 102526, BeckRS 2017, 101007 und BeckRS 2017, 101017). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Afghanen, die sich längere Zeit im Iran aufgehalten haben, besteht jedenfalls dann, wenn sie eine der Landessprachen (hier: Dari) beherrschen, die Chance, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 28. April 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagtenseite nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Das Gericht nimmt insoweit auf die Ausführungen im Bescheid vom 17. Januar 2017 Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar. Insbesondere kann der Umstand, dass der Kläger Hazara und Schiit ist, nicht zur Bejahung einer Verfolgung wegen seiner Rasse oder Religion im Sinne von § 3 AsylG führen. Zwar ist der überwiegende Anteil der afghanischen Bevölkerung sunnitischer Religionszugehörigkeit, aber Auseinandersetzungen sind selten und seit dem Ende des Taliban-Regimes hat sich die Situation der schiitisch-muslimischen Gemeinde wesentlich verbessert (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 42 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Gericht anschließt, unterliegen Hazara zwar einer gewissen Diskriminierung, derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte (vgl. z.B. B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 6).
Soweit sich der Kläger auf Schwierigkeiten mit Verwandten in Afghanistan beruft, begründet dies bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG.
2. Die Beklagte hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG abgelehnt.
2.1 Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
1.die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
2.2 Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Kläger in Afghanistan die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung droht.
a) Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen. Kriterien hierfür sind etwa die Art der Behandlung oder Bestrafung und der Zusammenhang, in dem sie erfolgt, die Art und Weise der Vollstreckung, ihre zeitliche Dauer, ihre physischen und geistigen Wirkungen sowie gegebenenfalls Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind darunter Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BA, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/1 – juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylG Rn. 21-27 m.w.N.).
Der Ausländer hat stichhaltige Gründe für die Annahme darzulegen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe entspricht dabei dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, wobei das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, müssen die für die Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht haben und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe der befürchteten Ereignisse und auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 17 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylG Rn. 61 ff. m.w.N.).
b) Diese Kriterien sind vorliegend nicht erfüllt:
Sofern der Kläger geltend macht, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan Angst habe, von einem entfernten Verwandten, dem Kommandanten einer bewaffneten Gruppierung, getötet zu werden, kann dies nicht zur Bejahung subsidiären Schutzes führen.
Abgesehen davon, dass der diesbezügliche Vortrag des Klägers sehr pauschal und unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft ist, hat er selbst bei der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, dass er persönlich von dem Kommandanten nicht bedroht worden sei. Seine Mutter sei angeblich im Zuge eines Streits von dem Kommandanten getötet worden, als er drei Jahre alt gewesen sei. Afghanistan habe der Kläger aber erst mit zwölf Jahren, d.h. neun Jahre später, verlassen, ohne dass es offenbar in der Zwischenzeit zu Vorfällen mit dem Kommandanten kam. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum der Kommandant den Kläger nach dieser langen Zeit verfolgen bzw. töten sollte. Dies gilt umso mehr, als der Vater des Klägers noch immer in dessen Heimatort, in dem auch der Kommandant lebt, seinen Wohnsitz hat.
Im Übrigen ist auch davon auszugehen, dass dem Kläger z.B. in … oder … aufgrund der Anonymität dieser Großstädte eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG zur Verfügung steht.
Nach dieser Vorschrift wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht gewährt, wenn ihm in einem Teil seines Herkunftslandes kein ernsthafter Schaden droht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Diese Voraussetzungen sind für den Kläger hinsichtlich …, vor allem aber hinsichtlich … erfüllt, da dieser dort aufgrund der Anonymität dieser Großstädte und unter Berücksichtigung der Entfernung zu seinem Heimatort und des Umstands, dass der Kläger Afghanistan vor acht Jahren verlassen hat, nicht gefunden werden kann (vgl. a. VG Ansbach, U.v. 13.1.2017 – AN 11 K 15.31065 – juris Rn. 29; Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 19.10.2016). Eine Meldepflicht besteht in Afghanistan nicht (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan der Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Stand 19.12.2016, S. 188; BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 15.6.2016 – W 2 K 15.30769 – juris Rn. 25; VG Köln, U.v. 6.6.2014 – 14 K 6276/13.A – juris Rn. 42), so dass die Gefahr, dass der Kläger vom Kommandanten – selbst wenn in dieser suchen sollte – aufgespürt werden könnte, nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Es ist nicht anzunehmen, dass sein Aufenthalt in … und vor allem in der Millionenstadt … bekannt werden würde. Auch der Kläger selbst gab in der mündlichen Verhandlung im Übrigen nur an, dass der Kommandant in dem Heimatdorf des Klägers sehr große Macht habe.
Der junge, gesunde und grundsätzlich arbeitsfähige Kläger könnte sich daher in … oder … niederlassen, wo er keiner Verfolgung ausgesetzt wäre und er – gegebenenfalls mit (finanzieller) Hilfe seines Onkels in … oder seiner Tante in … bzw., falls er diese nicht ausfindig machen kann, seiner Verwandten im Iran – den Lebensunterhalt für sich verdienen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris Rn. 12; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 20, unter Berufung auf den UNHCR; VG Ansbach, U.v. 13.1.2017 – AN 11 K 15.31065 – juris Rn. 29; s.a. u. 3.1, 3.2).
2.3 Auch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG kann nicht angenommen werden:
a) Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr muss sich in der Person des Klägers so verdichtet habe, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Bezugspunkt für die Beurteilung der Bedrohung ist der tatsächliche Zielort des Ausländers. Da der Kläger längere Zeit im Iran gelebt hat, ist zu erwarten und für ihn auch zumutbar, sich in größeren Städten, wie … und …, niederzulassen. In diesen Städten ist jedoch nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr auszugehen. Eine Individualisierung der Gefahr kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben, wie etwa berufsbedingter Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 18). Derartige Umstände liegen in der Person des Klägers jedoch nicht vor. Insbesondere die Tatsache, dass er Schiit und Hazara ist, führt zu keiner Gefahrenerhöhung. Zwar ist der überwiegende Anteil der Bevölkerung sunnitischer Religionszugehörigkeit, aber Auseinandersetzungen sind – wie bereits ausgeführt – selten und seit dem Ende des Taliban-Regimes hat sich die Situation der schiitisch-muslimischen Gemeinde wesentlich verbessert (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 42 m.w.N.). Zudem sind gerade in … große Teile der Bevölkerung Schiiten (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.4.2016, S. 59). Hazara unterliegen zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- bzw. Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte ausgesetzt (BayVGH, B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996).
b) Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19).
In … und … besteht aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle Gefährdung, insbesondere die Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben. In der Zentralregion Afghanistans, zu der auch … gehört, wurden laut UNAMA (www.unama.unmissions.org; Afghanistan – protection of civilians in armed conflict, annual report 2016) im Jahr 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 6,5 Millionen (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 32), ergibt sich ein Risiko von 1:2.768, verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:922, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – Rn. 22). In der westlichen Region, in der … liegt, gab es 836 Opfer. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 3,5 Millionen ergibt sich ein Risiko von nur ca. 1:4.187 bzw. – bei Berücksichtigung der Dunkelziffer – von 1:1.396 (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 35 ff.).
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens – wie hier – weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33).
Nach alledem ist es auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände weder in … noch in … beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden. Zumindest für alleinstehende männliche Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11).
c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016.
Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan deutlich verschlechtert habe. Es werde keine Unterscheidung von „sicheren“ und „unsicheren“ Gebieten vorgenommen, sondern die Bedrohung unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls bewertet. UNHCR ist der Auffassung, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen sei. Es müsse ein starkes soziales Netzwerk im Gebiet der Neuansiedlung geben. Die Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich seien in … aufgrund der andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen extrem angespannt und auch in … halte sich eine große Zahl von Binnenvertriebenen auf.
Abgesehen davon, dass auch bei der vom UNHCR geforderten Einbeziehung der individuellen Aspekte des Klägers nicht von einer Gefahr, aufgrund eines innerstaatlichen Konflikts getötet oder verletzt zu werden, auszugehen ist (s.o. a, b), beruht die Bewertung in den genannten Anmerkungen auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den oben (s. a, b) dargelegten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung decken (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v.19.12.2016 – Au 5 K 16. 31939 – juris Rn. 42). Basierend auf den oben dargelegten Zahlen ist auch bei einer Gesamtbetrachtung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Kläger, bei dem keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen, ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG droht.
3. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.
3.1 § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017, 3 A 140/16 – juris Rn. 53 m.w.N.). Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen. In Afghanistan ist die allgemeine bzw. humanitäre Lage aber nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn.12; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 55 ff.).
Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 21). Der Kläger hat zudem nach eigenen Angaben als Verputzer gearbeitet. Diese Berufserfahrung dürfte es ihm erleichtern, in Afghanistan eine Arbeitsstelle zu finden. Im Übrigen kann der Kläger gegebenenfalls die Hilfe seines Onkels in … oder seiner Tante in … bzw., falls er diese nicht ausfindig machen kann, seiner Verwandten im Iran in Anspruch nehmen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den in der mündlichen Verhandlung erstmals geschilderten Problemen mit seinem Bein. Abgesehen davon, dass von Klägerseite insoweit keine aktuellen Atteste o.ä. vorgelegt wurden, gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung ursprünglich lediglich an, dass er manchmal, zum Beispiel beim Sport (Fußball) und langen Sitzen, Schmerzen habe. Erst auf entsprechende Nachfragen seines Prozessbevollmächtigten steigerte er sein Vorbringen und gab an, dass er auch bei langem Laufen und Stehen Schmerzen habe. Dass er nicht arbeitsfähig sei, wurde weder behauptet noch belegt.
3.2 Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nicht vor.
a) Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige ist im Allgemeinen nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in entsprechender Anwendung) führen würde (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5). Wie bereits ausgeführt (s.o. 3.1), sind alleinstehende junge Männer auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiäre Unterstützung grundsätzlich in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.
b) Auch der Umstand, dass der Kläger längere Zeit im Iran verbracht hat, begründet kein Abschiebungsverbot. Auch für Afghanen, die sich nicht in Afghanistan aufgehalten haben, besteht, jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen (hier: Dari) beherrschen, die Chance, insbesondere in … durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen. Maßgeblich ist, dass der Kläger den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen beherrscht, nicht, ob ein spezielles „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ gegeben ist (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 7; B.v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rn. 10).
c) Die Tatsache, dass der Kläger Hazara und Schiit ist, kann ebenfalls kein Abschiebungshindernis begründen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (2.3 a) Bezug genommen.
d) Sofern der Kläger geltend macht, es bestünden mit einem Verwandten Streitigkeiten, führt dies ebenfalls zu keinem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zum einen sind die Angaben des Klägers insoweit sehr pauschal und inhaltsarm und damit nicht glaubhaft.
Zum anderen hat der Kläger Afghanistan bereits 2009 verlassen. Nach diesem langen Zeitraum ist aber eine konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mehr wahrscheinlich (vgl. BayVGH, U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 29 zu einem Zeitraum von drei bzw. fünf Jahren).
Hinzukommt, dass – wie bereits ausgeführt – davon auszugehen bzw. zumindest dem Kläger zumutbar ist, sich in einer Großstadt, wie z.B. … oder …, niederzulassen. Es ist aber nicht ersichtlich, wie ihn sein Verwandter, selbst wenn ihn dieser suchen sollte, dort finden könnte. Eine Meldepflicht besteht in Afghanistan nicht (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan der Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Stand 19.12.2016, S. 188; BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 15.6.2016 – W 2 K 15.30769 – juris Rn. 25; VG Köln, U.v. 6.6.2014 – 14 K 6276/13.A – juris Rn. 42), so dass die Gefahr, dass der Kläger aufgespürt werden könnte, nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Es ist nicht anzunehmen, dass sein Aufenthalt in … und vor allem in der Millionenstadt … bekannt werden würde.
Somit kann von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgegangen werden.
4. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben