Verwaltungsrecht

Kein subsidiärer Schutz wegen von der Regierung ergriffener Maßnahmen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Virus-Pandemie und der Heuschreckenplage in Äthiopien – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  23 ZB 21.30706

Datum:
4.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16418
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3c, § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der schlechten humanitären Situation im Herkunftsland begründet nur dann einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG, wenn sie zielgerichtet von einem Akteur i. S. d. § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylG ausgeht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Pflicht für Einreisende in Äthiopien, entweder eine Covid-19-Negativbescheinigung vorzulegen oder sich einer insgesamt 14 Tage dauernden Quarantäne unterziehen zu müssen, die in einem Hotel zugebracht werden muss, sofern nicht für die zweite Woche eine private Unterkunft zur Verfügung steht, ist weder unmenschlich noch erniedrigend. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 K 18.30966 2021-04-08 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht vorliegt bzw. nicht in einer Weise dargelegt worden ist, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 36. EL, Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; B.v. 30.9.2020 – 23 ZB 20.31855 – Rn. 2). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
1.1 Hinsichtlich der von Klägerseite aufgeworfenen Fragestellung,
„ob aufgrund der Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit den Folgen der andauernden Heuschreckenplage in Äthiopien Einzelpersonen wie die Klägerin im Fall erzwungener Rückkehr nach Äthiopien Verhältnisse vorfinden, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1. S. 2 Nr. 2 AsylG befürchten lassen“
fehlt es jedenfalls an der Klärungsbedürftigkeit im Sinne der vorstehend genannten Maßgaben.
Unabhängig davon, dass die konkrete Fragestellung nicht verallgemeinerbar ist, weil es für die Beantwortung der Frage, ob eine Person „wie die Klägerin“ im Rückkehrfall eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der im Heimatland herrschenden allgemeinen Verhältnisse zu gewärtigen hätte, auf die konkreten Umstände des Einzelfalls der jeweiligen Person und die individuellen Auswirkungen der in der Frage genannten Umstände ankommt, weswegen die Fragestellung so, wie sie gestellt ist, nicht beantwortet werden könnte, würde sich die Fragestellung in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Denn die Fragestellung setzt voraus, dass die Verhältnisse in Äthiopien, wenn sie im Sinne der Fragestellung und deren Begründung beurteilt würden, zu einem Anspruch der Klägerin auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von subsidiärem Schutz auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz Nr. 2 AsylG führen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2020 – 23 ZB 20.31803 – Rn. 12; B.v. 30.9.2020 – 23 ZB 20.31855 – Rn. 13). Das ist jedoch im Zulassungsantrag nicht dargelegt i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.
Es ist höchstrichterlich geklärt, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der schlechten humanitären Situation im Herkunftsland nur dann einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG begründet, wenn sie zielgerichtet von einem Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG ausgeht (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Ls. 1 und Rn. 9 ff.; B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 21.9.2020 – 23 ZB 20.31803 – Rn. 13; B.v. 30.9.2020 – 23 ZB 20.31855 – Rn. 14). Dass hier aber die Umstände, die nach der Auffassung der Klägerseite zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung wegen der schlechten humanitären Situation führen würden, zielgerichtet von einem der Akteure i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG ausgehen, wird nicht hinreichend dargelegt.
Zwar führt die Klägerseite diesbezüglich aus, die von der äthiopischen Regierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, die sich stetig verschlimmere, getroffenen Maßnahmen (wie beispielsweise Kontaktbeschränkungen, Quarantäneanordnungen, Versammlungsverbote, Maskenpflicht usw. sowie fehlende Unterstützungsleistungen für Rückkehrer) stellten zielgerichtete staatliche Maßnahmen dar, die dazu führten, dass bei Personen wie der Klägerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK drohe. Dadurch werde es Rückkehrern unmöglich gemacht, sich den Lebensunterhalt zu sichern. Es sei anzunehmen, dass sämtlich vorhandenen finanziellen Mittel bzw. Ersparnisse der Klägerin bereits für die Finanzierung der Ankunftsperiode aufgebraucht würden. Sie müsste daher voraussichtlich in Addis Abeba verbleiben. Es sei davon auszugehen, dass in der Hauptstadt die Zahl der Menschen, die über kein familiäres Netzwerk verfügten, auf Gelegenheitsjobs und ggf. Hilfsangebote von Kirchen oder internationalen Organisationen angewiesen seien, besonders hoch sei. Die Klägerin wäre daher auf sich allein gestellt und müsste mit einer Vielzahl weiterer Tagelöhner konkurrieren, die jedoch im Gegensatz zu ihr über bessere Kontakte und damit Überwindungsstrategien verfügen dürften, da sie seit mehreren Jahren im Ausland lebe. Es sei nicht ersichtlich, wie sie angesichts dieser Situation ein Einkommen erwirtschaften können solle, dass ihr ermögliche, ihre elementarsten Grundbedürfnisse zu erfüllen. Die Versorgungslage in Äthiopien mit Lebensmitteln sei angespannt.
Insoweit wird zwar eine Verknüpfung der geltend gemachten Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie sowie der Heuschreckenplage mit einem Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG, nämlich mit der äthiopischen Regierung, behauptet. Jedoch wird nicht dargelegt, dass die genannten Maßnahmen zum Umgang mit der Pandemie zielgerichtet ergriffen werden, um die Gefahr eines ernsthaften Schadens in Gestalt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 2 AsylG hervorzurufen. Zwar werden durch die von der Klägerseite angeführten Maßnahmen die Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen z.T. erheblich eingeschränkt; derartige Einschränkungen stellen jedoch auch dann, wenn ihre Berechtigung im Einzelfall zweifelhaft sein sollte, nicht schon grundsätzlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar. Dass die von der äthiopischen Regierung getroffenen Maßnahmen tatsächlich die Schwelle des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG überschreiten würde, ist von der Klägerseite nicht dargelegt. Bloße Schwierigkeiten des täglichen Lebens, auch wenn diese von einigem Gewicht sind, und die im Übrigen die gesamte Bevölkerung betreffen, erreichen jedenfalls diese Schwelle bei Weitem nicht.
Daran ändert sich auch unter Berücksichtigung der von Klägerseite dargestellten spezifischen Probleme im Zusammenhang mit einer Rückkehr der Klägerin nach Äthiopien zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts (Zulassungsschrift S. 3). Die Klägerin hat dazu ausgeführt, dass Einreisende entweder eine Covid-19-Negativbescheinigung vorlegen oder sich einer insgesamt 14 Tage dauernden Quarantäne unterziehen müssen, die in einem Hotel zugebracht werden muss, sofern nicht für die zweite Woche eine private Unterkunft zur Verfügung steht. Eine derartige Maßnahme ist weder unmenschlich noch erniedrigend. Es handelt sich vielmehr nur um Erschwernisse der Einreise, die zunächst einmal nach gegenwärtiger Erkenntnislage nur von vorübergehender Dauer sein werden. Zudem wären sie ggf. im Rahmen einer Abschiebung zu berücksichtigen. Hierzu könnte beispielsweise der Klägerin eine Negativbescheinigung bezüglich der Covid-19-Infektion bzw. -Erkrankung mitgegeben werden, so dass sich die Frage einer Quarantäne nach eigener Darstellung gar nicht stellen würde.
Die im folgenden Absatz weiter angeführten angeblich drohenden Probleme haben lediglich spekulativen Charakter, da nahezu alle Sätze auf Vermutungen beruhen, („es ist anzunehmen“, „es ist davon auszugehen“, „voraussichtlich“), und können deshalb nicht als Grundlage für eine Prognoseentscheidung herangezogen werden. Vielmehr handelt es sich bei ihnen nur um die Erörterung möglicherweise denkbarer allgemeiner Gefahren. Es wird jedoch nicht substantiiert dargelegt, dass und ggf. wie die Corona-Pandemie, die Heuschreckenplage und die angespannte Versorgungslage die Klägerin konkret betreffen. Dasselbe gilt für die von ihr referierten Befürchtungen hinsichtlich einer weiteren Ausbreitung des Corona-Virus. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die Klägerin, wie von ihr behauptet, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 S.2 Nr. 2 AsylG befürchten müsste.
Unabhängig hiervon geht das Zulassungsvorbringen auch nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht (UA S. 14) seiner Entscheidung tragend zugrunde gelegt hat, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien auf sich allein gestellt wäre und im Bedarfsfall keine familiäre Unterstützung erhalten würde, da sie wieder bei ihrem Cousin in der Autowerkstatt arbeiten könnte, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sodass die aufgeworfene Frage für das Erstgericht nicht entscheidungserheblich war und damit auch nicht klärungsfähig im Sinne der vorstehend genannten Maßgaben ist.
1.2 Hinsichtlich der weiter von Klägerseite aufgeworfenen Fragestellung,
„ob die allgemeinen humanitären Bedingungen in Äthiopien derart schlecht sind, dass die Rückkehr einer alleinstehenden, verheirateten, aber getrennt lebenden Frau, welche auf kein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann, zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führt,
fehlt es an der Klärungsfähigkeit im Sinne der vorstehend genannten Maßgaben.
Die Klägerseite hat bereits keine verallgemeinerungsfähige Frage formuliert, die Grundlage für eine Grundsatzrüge sein könnte. Die Frage zielt ausdrücklich darauf ab, zugunsten der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen. Die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, in denen sich die Person nach Rückkehr befinden wird (vgl. zu § 60 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11 a.E.; vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38). Dazu gehören etwa das Alter, das Geschlecht, der Gesundheitszustand, die Ausbildung, die finanziellen Verhältnisse sowie familiäre Verbindungen und sonstige Netzwerke. Eine derartige Frage entzieht sich damit einer Grundsatzrüge.
Unabhängig davon war die aufgeworfene Frage für das Verwaltungsgericht auch nicht entscheidungserheblich, da es (UA S. 14) dem Urteil tragend zugrunde gelegt hat, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien auf sich allein gestellt wäre, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (s.o.). Die allgemeinen Ausführungen in der Zulassungsschrift (S. 4 f.) zur humanitären Situation in Äthiopien setzten sich damit nicht auseinander, sondern unterstellen, dass es sich bei der Klägerin um eine alleinstehende Frau handle, die nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen könne, sodass sie sich mangels staatlicher bzw. humanitärer Unterstützung, Gesundheitsfürsorge, Arbeit und Wohnung das Existenzminimum nicht sichern könne. Hiervon ist aber gerade nicht auszugehen. Im Übrigen setzt sich die Klägerseite nicht mit der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30274 – juris Rn. 58) auseinander, wonach nach aktueller Auskunftslage auch alleinstehende Frauen in Addis Abeba Beschäftigungsmöglichkeiten finden können.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


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