Verwaltungsrecht

Kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör bei Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung

Aktenzeichen  14 ZB 19.30242

Datum:
10.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1207
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, vermag grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (Anschluss an BVerfG NJW 1967, 1955). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die schlüssige Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung der rügenden Partei, dass sie sämtliche ihr verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, BVerwG BeckRS 2015, 48848).  Das ist beim Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht der Fall. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 8 K 18.32180 2018-12-10 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Gehörsverstoßes (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) ist nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor.
1. Die Antragsbegründung sieht einen Gehörsverstoß darin, dass das Verwaltungsgericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag gestellt habe, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht habe rechnen müssen. Insbesondere sei die Klägerin mit ihrem begründeten Vorbringen nicht gehört worden. Die Klägerin habe angegeben, zum Christentum übergetreten zu sein und eine Taufbescheinigung vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung sei sie bedauerlicherweise nicht erschienen. Sie gebe an, den Ladungsbrief zu spät erhalten zu haben. Der Übertritt zum Christentum führe im Iran zu schwerwiegenden Konsequenzen.
2. Entgegen diesem Vortrag hat das Verwaltungsgericht keinen Gehörsverstoß i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO begangen.
2.1. Ein Gehörverstoß ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen Ladungsvorschriften (§ 102 VwGO). Das verwaltungsgerichtliche Ladungsanschreiben vom 25. Oktober 2018 an die Klägerbevollmächtigten enthält den in § 102 Abs. 2 VwGO vorgeschriebenen Hinweis. Nachdem dieses Ladungsanschreiben dem Bevollmächtigten am 30. Oktober 2018 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden war und die mündliche Verhandlung darin erst auf den 10. Dezember 2018 terminiert wurde, war die 2-wöchige Ladungsfrist des § 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO klar gewahrt und stand den Klägerbevollmächtigten ein erheblicher Zeitraum zur Verfügung, die Klägerin über diesen anberaumten Termin in Kenntnis zu setzen. Sollte eine solche Benachrichtigung im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und ihren Bevollmächtigten fehlgeschlagen sein, begründet dies jedenfalls keinen Gehörsverstoß des Verwaltungsgerichts, das die gesetzlichen Ladungsvorgaben erfüllt hat.
2.2. Entgegen der klägerischen Rüge ist auch nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht gegen eine Hinweispflicht verstoßen hätte.
Zwar ergibt sich aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380 – juris Rn. 10). Soweit ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten, und die Beteiligten sich dazu nicht äußern konnten, liegt eine unzulässige Überraschungsentscheidung vor (BVerwG, B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – DVBl 2015, 1381 Rn. 8 m.w.N.). Im Asylverfahren dürfen bei Wahrung des rechtlichen Gehörs nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse – einschließlich Presseberichten und Behördenauskünften – verwertet werden, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden (BVerfG, B.v. 18.6.1985 – 2 BvR 414/84 – BVerfGE 70, 180 m.w.N.). Diese Erkenntnismittel müssen ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt sein (BVerwG, U.v. 29.12.1983 – 9 C 68.83 – InfAuslR 1984, 89).
Allerdings erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keineswegs als Überraschungsentscheidung im genannten Sinn. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht (UA S. 5 Mitte) im Ausgangspunkt auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 12. März 2018 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), der (dort ab S. 5) bereits festhält, dass für die Annahme einer Verfolgungsgefahr im Iran der christliche Glaube identitätsprägend sein muss und dass ein bloß formeller Glaubenswechsel, etwa auch durch eine christliche Taufe, nicht genügt.
Unabhängig davon ist angesichts des Nichterscheinens der Klägerin oder ihrer Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts auch nicht ersichtlich, wie das Verwaltungsgericht der Klagepartei einen Hinweis hätte erteilten sollen, aus dessen Fehlen unter Berücksichtigung der Wertung des § 102 Abs. 2 VwGO ein Gehörsverstoß abgeleitet werden können sollte.
2.3. Ein Gehörsverstoß ergibt sich vorliegend auch nicht etwa daraus, dass ein entscheidungserheblicher Vortrag vom Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen worden oder unerwogen geblieben wäre. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht die – klägerseits kommentarlos im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegte – Taufbescheinigung explizit erwähnt (UA S. 7 zweiter Absatz), wobei zu sehen ist, dass erstinstanzlich keine Klagebegründung vorgelegt worden war.
Dabei ist zu sehen, dass die Gerichte nicht gehalten sind, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88 – BVerfGE 79, 51/61 m.w.N.). Dies ist nur der Fall, wenn Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergangen werden, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (BVerwG, B.v. 1.10.1993 – 6 P 7.91 – NVwZ-RR 1994, 298 m.w.N.), was hier weder vorgetragen noch ersichtlich ist.
Die Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, vermag grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273). Dass das Verwaltungsgericht – ebenso wie der streitgegenständliche Bescheid – nicht schon aus dem bloß formalen Umstand einer erfolgten Taufe auf eine Verfolgungsgefahr schließt, ist deshalb von vornherein nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu begründen.
3. Unabhängig davon, dass das Verwaltungsgericht – wie gezeigt – das rechtliche Gehör schon nicht verletzt hat, würde die Antragsbegründung jedenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügen.
Die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art 103 Abs. 1 GG), erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung der rügenden Partei, dass sie sämtliche ihr verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, U.v. 29.6.2015 -10 B 66.14 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 25.8.2016 – 14 ZB 16.30133 – juris Rn. 4).
Das ist aber vorliegend im Hinblick auf das Nichterscheinen der Klägerin oder ihres Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.
4. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin, die dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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