Verwaltungsrecht

Kein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht – Versorgungslage in Afghanistan

Aktenzeichen  13a ZB 16.30053

Datum:
30.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46963
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes kommt keine Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 14.30966 2016-01-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Januar 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.
Der Kläger macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Er rügt, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht von Amts wegen näher erforscht hat. Auch ohne Stellung eines Beweisantrags wäre dies erforderlich gewesen, weil sich die Sicherheitslage und die Versorgungslage in Kabul im Jahr 2015 weiter verschlechtert hätten. Es gebe zu Afghanistan aktuelle Reisewarnungen des Auswärtige Amts. Danach werde wegen der Gefährlichkeit des Aufenthalts in weiten Teilen des Landes und insbesondere auch in Kabul davor gewarnt, nach Afghanistan zu fahren. Außerdem wäre zu berücksichtigen gewesen, dass bei Heimkehrern eine erhöhte Gefahr einer Entführung und eine Rekrutierung durch Taliban drohten. Ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht sei als Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu erachten.
Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Dem Kläger war das rechtliche Gehör nicht versagt. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es soll sichergestellt sein, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten würdigt (BayVerfGH, E. v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – BayVBl 1981, 529).
Mit dem Hinweis des Klägers, dass „sich die Sicherheitssituation in Afghanistan und besonders auch in Kabul weiter verschlechtert hat“, hat sich das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil auseinandergesetzt (UA S. 11 f.). Hierbei hat es auch das vom Kläger angeführte Afghanistan-Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13. September 2015 berücksichtigt (UA S. 12). Es ist auf der Grundlage des UNAMA Midyear Report 2015 zu der Erkenntnis gelangt, dass angesichts der Gefahrendichte in der Provinz Kabul das Risiko für Zivilpersonen, durch militante Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, pro Person und Jahr unter einem Promille liegen dürfte. Somit sei nicht davon auszugehen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Gefährdung ausgesetzt ist.
Durch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist der Regelungsgehalt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht berührt. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den am Prozess Beteiligten keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (BVerfG, B. v. 2.12.1969 – 2 BvR 320/69 – BVerfGE 27, 248/251; BayVerfGH, E. v. 13.3.1981 a. a. O.).
Eine Pflicht zur weiteren Sachaufklärung ergab sich auch nicht aus dem Antrag im Schriftsatz vom 29. Dezember 2015, ein Sachverständigengutachten betreffend das Existenzminimum in Kabul einzuholen. Beweisanträge müssten in der mündlichen Verhandlung gestellt und in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden sein. Bei einem entsprechenden Begehren in der schriftlichen Klagebegründung handelt es sich lediglich um die Ankündigung eines Beweisantrags, die, wenn sie in der mündlichen Verhandlung nicht wahrgemacht wird, als bloße Anregung zu verstehen ist, in der gewünschten Weise im Rahmen der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO zu ermitteln. Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG nur in Betracht, soweit das Gericht die Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B. v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris). Dies war hier aber nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht durfte unter Hinweis auf die (aktuelle und ständige) Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (siehe B. v. 30.7.2015 – 13a ZB 15.30031 – juris) bei seiner Überzeugungsbildung von der bisherigen Einschätzung der Wirtschafts- und Versorgungslage in Kabul ausgehen, dergemäß der (aus Kabul stammende) Kläger als volljähriger, gesunder und arbeitsfähiger Mann dort zumindest unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und der Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten das Existenzminimum erlangen kann.
Die bisherige Auskunftslage wäre als Entscheidungsgrundlage dann ungenügend, wenn durch neuen erheblichen Sachvortrag der Beteiligten die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder gar überholt wäre (BVerwG, B. v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620). Der nicht näher konkretisierte Hinweis in den Schriftsätzen vom 21. September 2014 und 29. Dezember 2015, dass „durch neue Recherchen in Kabul, über die in der ARD berichtet wurde, bekannt geworden ist, dass immer wieder selbst Tagelöhner keine Arbeit finden … und das Existenzminimum selbst für arbeitsfähige junge Männer gefährdet ist“, stellt keinen hinreichend substantiierten Sachvortrag dar.
Die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts zu Afghanistan geben keinen Anlass zu einer Neubewertung der bekanntlich angespannten Sicherheitslage. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt der vom Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung eine Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelung ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, nicht zu. Nach dem Wortlaut der Reisewarnung und den Grundsätzen für den Erlass einer solchen sei auszuschließen, dass die hierfür maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage und damit auch der aktuellen sicherheitsrelevanten Ereignisse mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilen ist (BVerwG, B. v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris).
Die vom Kläger nunmehr außerdem geltend gemachte mögliche Gefährdung einer Entführung oder einer Rekrutierung durch Taliban ist nicht entscheidungserheblich, weil sie in erster Instanz nicht geltend gemacht wurde und somit kein zu würdigender Klagevortrag war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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