Verwaltungsrecht

Kein vorbeugender Rechtsschutz im Hinblick auf eine erst noch zu treffende Auswahlentscheidung

Aktenzeichen  3 CE 20.3148

Datum:
25.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1707
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 146 Abs. 4 S. 3, S. 4., S. 6

 

Leitsatz

1. Wird dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers durch die Aufhebung der Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen nachgekommen, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig abzulehnen (Rn. 15). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zulässigkeit einer Antragsänderung oder -erweiterung im Beschwerdeverfahren wird aufgrund der auf die Entlastung des zweiten Rechtszuges abzielenden Regelungen des § 146 Absatz 4 Sätze 3, 4 und 6 VwGO für den Regelfall abgelehnt (Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 E 20.1570 2020-12-04 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung von Ziff. III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg für beide Rechtszüge auf jeweils 23.853,85 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und der Beigeladene bewarben sich – neben anderen Bewerbern – auf den vom Antragsgegner am 20. April 2020 verwaltungsintern ausgeschriebenen Dienstposten als Leiterin/Leiter der Gesundheitsverwaltung am Landratsamt S. Die Stelle ist entwicklungsfähig bis zur Besoldungsgruppe A 16.
Der 1961 geborene Antragsteller steht als Medizinaldirektor (Besoldungsgruppe A 15 seit 20.5.2015) und Leiter der Gesundheitsverwaltung bei dem Landratsamt B. K. in Diensten des Antragsgegners. In seinen periodischen Beurteilungen 2014 und 2017 sowie in der Anlassbeurteilung (für den Zeitraum vom 1.3.2019 bis 30.4.2020) vom 9. Juli 2020 erzielte er ein Gesamturteil von 12 Punkten. Der 1981 geborene Beigeladene ist als Medizinaloberrat (Besoldungsgruppe A 14 seit 1.9.2017) und stellvertretender (seit 26.8.2019) bzw. kommissarischer (seit 23.3.2020) Leiter der Gesundheitsverwaltung am Landratsamt S. tätig, an dem die streitgegenständliche Stelle ausgeschrieben ist. Er erzielte in seiner Anlassbeurteilung vom 7. Juli 2020 (für den Zeitraum vom 1.3.2019 bis 30.4.2020) ein Gesamturteil von 13 Punkten; eine periodische Beurteilung liegt wegen seiner (erst) zum 1. März 2019 erfolgten Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht vor (vgl. Nrn. 2.4.2 und 2.4.5 der Beurteilungsrichtlinien im Geschäftsbereich des Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege – im Folgenden Staatsministerium – Bekanntmachung v. 13.10.2014 – AllMBl. S. 488); seine Probezeitbeurteilung 2019 schließt mit „geeignet“.
Das Staatsministerium informierte den Landrat des Landratsamts S. mit Schreiben vom 20. Juli 2020, dass es bei einer Gesamtschau der Beurteilungen davon ausgehe, dass der Antragsteller im Ranking auf Platz 1 und der Beigeladene auf Platz 2 zu setzen sei.
Mit Schreiben vom 3. August 2020 erklärte der Landrat, er sei mit der Übertragung der Leitung des Gesundheitsamtes an den Antragsteller nicht einverstanden; vielmehr sei seiner Meinung nach der Beigeladene auf Platz 1 zu setzen. Als kommissarischer Leiter des Gesundheitsamtes habe Letzterer die Anforderungen der ausgeschriebenen Position mit Bravour gemeistert.
Am 24. September 2020 teilte das Staatsministerium dem Antragsteller mit, dass einem Mitbewerber (dem Beigeladenen) der Vorzug zu geben sei.
Dagegen wandte sich der Antragsteller am 22. Oktober 2020 mit einem einstweiligen Rechtsschutzantrag nach § 123 VwGO, woraufhin das Staatsministerium auf Veranlassung des Verwaltungsgerichts am 28. Oktober 2020 zusicherte, die streitgegenständliche Stelle bis zum Ergehen einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu besetzen.
Nachdem das Staatsministerium die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen mit Verfügung vom 10. November 2020 aufgehoben und das Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen hatte, lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, vorläufig – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers – von der Stellenbesetzung der Leitungsfunktion der Gesundheitsverwaltung am Landratsamt S. abzusehen,
mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 mangels Rechtsschutzbedürfnisses ab. Hiergegen wendet sich die am 17. Dezember 2020 eingelegte Beschwerde, mit der der Antragsteller sein Begehren weiterverfolgt und zudem (erstmalig) hilfsweise beantragt,
dem Antragsgegner aufzugeben, vorläufig – bis zur erneuten Auswahlentscheidung – von der streitgegenständlichen Stellenbesetzung abzusehen.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Mit weiterem Beschluss vom 14. Dezember 2020 (W 1 E 20.1889) gab das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung auf, das durch Verfügung vom 10. November 2020 abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren mit dem Antragsteller als Bewerber fortzusetzen.
Zu den Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht hat den (Haupt-)Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, vorläufig – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers – von der Stellenbesetzung der Leitungsfunktion der Gesundheitsverwaltung am Landratsamt S. abzusehen, zu Recht als unzulässig abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Staatsministerium dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers durch die Aufhebung der Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen am 22. Oktober 2020 vollauf nachgekommen sei.
Mit seinem Einwand, es drohe die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle noch vor der erneuten Auswahlentscheidung, kann der Antragsteller nicht durchdringen. Vielmehr begehrt er hier unzulässigerweise vorbeugenden Rechtsschutz im Hinblick auf die erst noch zu treffende Auswahlentscheidung, ohne jedoch ein besonderes (qualifiziertes) Rechtsschutzinteresse hierfür im Einzelnen darzulegen (vgl. OVG LSA, B.v. 17.6.2013 – 1 M 59/13 – juris Rn. 5). Der Dienstherr muss zunächst die Auswahlentscheidung vor deren Vollziehung den unterlegenen Bewerbern mitteilen. Er darf den ausgewählten Bewerber erst ernennen, wenn feststeht, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung innerhalb angemessener Frist nicht gestellt wurde oder ein dahingehend gestellter Antrag aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keinen Erfolg hatte (BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – juris Rn. 34). Dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in Bezug auf einen Bewerbungsverfahrensanspruch konkret gegenüber dem Antragsgegner ausnahmsweise nicht (mehr) gegeben sein sollte, zeigt der Antragsteller nicht plausibel auf, indem er meint, dem Antragsgegner sei es nach dem bisherigen rechtswidrigen Verhalten und der verweigerten Zusicherung, mit der Stellenbesetzung bis zur Rechtskraft der erneuten Auswahlentscheidung abzuwarten, zuzutrauen, die ausgeschriebene Stelle ohne vorherige Durchführung der erneuten Auswahlentscheidung zu besetzen.
Denn damit werden die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes nicht schlüssig in Frage gestellt, soweit es auf die Aufhebung der angegriffenen Auswahlentscheidung durch den Antragsgegner rekurriert und zutreffend ausführt, dass damit dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vollauf Genüge getan worden sei. Mit Schreiben vom 27. November 2020 brachte das Staatsministerium unmissverständlich zum Ausdruck (S. 4), dass „die Stelle vor Ergehen einer erneuten Auswahlentscheidung nicht besetzt werden wird“. Eine gesonderte Erklärung hierüber war – wie das Staatsministerium zu Recht ausführt – nicht angezeigt. Eine Rechtsvereitelung ist nach alledem derzeit nicht ernstlich zu befürchten. Dem Antragsteller ist vielmehr zuzumuten, die ihm schriftlich mitzuteilende Auswahlentscheidung des Antragsgegners über die Stellenbesetzung abzuwarten und erst im Fall seines Unterliegens innerhalb der Zwei-Wochen-Frist rechtzeitig um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Eine unzumutbare Verzögerung des Stellenbesetzungsvorgangs unter Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes ist damit nicht verbunden.
2. Der erstmalig im Beschwerdeverfahren gestellte Hilfsantrag („dem Antragsgegner … im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, vorläufig – bis zur erneuten Auswahlentscheidung – von der Stellenbesetzung der Leitungsfunktion der Gesundheitsverwaltung am Landratsamt S. abzusehen“) ist ebenfalls unzulässig. Die Zulässigkeit einer Antragsänderung oder -erweiterung im Beschwerdeverfahren wird aufgrund der auf die Entlastung des zweiten Rechtszuges abzielenden Regelungen des § 146 Absatz 4 Sätze 3, 4 und 6 VwGO für den Regelfall abgelehnt (BayVGH, B.v. 30.6.2017 – 3 CE 17.897 – juris Rn. 6; B.v. 3.3.2016 – 11 CE 16.219 – juris Rn. 17; zum Streitstand Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 25). Das Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG), gebietet hier keine Ausnahme. Für den Hilfsantrag, der sich vom Hauptantrag nur hinsichtlich der zeitlichen Reichweite unterscheidet, gilt in gleicher Weise, dass allein die hypothetische Annahme, der Antragsgegner könne vor einer erneuten Auswahlentscheidung die ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen besetzen, keinen vorbeugenden Rechtsschutz rechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, wenn er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruhen auf §§ 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 und § 63 Abs. 3 GKG. Der Streitwert beträgt 1/4 der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des von dem Antragsteller angestrebten Amtes, wobei auch die jährliche Sonderzahlung (Art. 82 ff. BayBesG) Berücksichtigung findet. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht (Art. 52 Abs. 6 Satz 3 GKG). Danach beträgt hier der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 23.853,85 Euro, der sich unter Anwendung der Anlage III zum BayBesG für das Jahr 2020 wie folgt errechnet:
Grundgehalt A 16 (Stufe 11) 90.512,64 €
65% von 1/12 der Bruttobezüge (Art. 83 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2. Halbs. BayBesG) 4.902.77 €
95.415,41 € davon 1/4 23.853,85 €
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben