Verwaltungsrecht

Kein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens ohne neue Gründe

Aktenzeichen  M 17 K 17.30541

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1 – 3

 

Leitsatz

1 Bei einer Schwangerschaft handelt es sich nicht um ein Abschiebungshindernis, sondern um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das die Ausländerbehörde bei der Durchführung der Abschiebung ggf. zu berücksichtigen hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Gesundheitsversorgung ist in Serbien grds. gesichert. Frauen werden im Falle der Schwangerschaft, Entbindung und Mutterschaft kostenfrei behandelt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Soll ein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden, muss sich die Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert haben. Von einer Unfähigkeit oder Unwilligkeit der serbischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen nichtstaatlicher Akteure zu schützen, kann nicht ausgegangen werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichts-bescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächli-cher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbe-scheid generell verzichtet.
2. Die Klage hat keinen Erfolg.
Sie ist zulässig, insbesondere fristgerecht im Sinne der §§ 74 Abs. 1 Halbsatz 1, 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG, aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2017, mit dem sie den Asylantrag als unzulässig (Nr. 1) sowie den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 24. September 2012 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
2.1. Die Beklagte hat zu Recht den Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (in der Fassung des Art. 6 Nr. 7 des Gesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. S. 1939) mit Wirkung vom 6. August 2016) als unzulässig abgelehnt, da im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder – wie hier – unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Diese Vorschrift setzt inhaltlich voraus, dass sich die der Bundesamtsentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Asylbewerbers geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind.
Das Bundesamt hat im Rahmen eines Asylfolgeverfahrens auch darüber zu ent-scheiden, ob ein Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht kommt (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor, hat es ferner gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung.
2.2. Vorliegend sind Gründe für ein Wiederaufgreifen der Asylverfahren im Sinne von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, insbesondere nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten der Kläger, im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht ersichtlich.
Aus dem Sachvortrag der Kläger im Folgeverfahren ergeben sich weder (neue) Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG, § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylG noch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Insoweit wird vollumfänglich auf die im Bescheid der Beklagte getätigten Ausführungen verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es wurden gegenüber dem früheren Verfahren keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgetragen, die zu einem Wiederaufgreifen führen würden. Ergänzend wird ausgeführt:
Die Klägerin zu 1) gab im Rahmen der Begründung ihres Folgeantrages am 15. November 2016 an, dass sie sich auf die Gründe stütze, die ihr Lebensgefährte vortrage. Dieser würde in Serbien von der Mafia verfolgt und habe Angst um seinen Sohn, der noch in Serbien sei und von diesen Leuten verfolgt werde. Eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit der Kläger ist aus dem Vortrag nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass auch das Vorbringen des Lebensgefährten keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennen lässt. Danach bedarf es einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Der Lebensgefährte der Klägerin zu 1) trägt vielmehr vor, Opfer kriminellen Handelns geworden zu sein, ein verfolgungsrelevanter Bezug ist nicht erkennbar. Zudem erfordert § 3 c Nr. 3 AsylG bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der serbischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nicht auszugehen. Damit sind die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG nicht gegeben.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund der behaupteten Diabetes mellitus Typ B Erkrankung, zu der kein Attest vorgelegt wurde, ist nicht anzunehmen. Im Übrigen können Erkrankungen in Serbien grundsätzlich behandelt werden (zur Behandelbarkeit von Diabetes vgl. VG Oldenburg (Oldenburg), U.v. 25.11.2016 – 7 A 5498/16 – juris; Bericht des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2016 im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG (Stand: September 2016) – Lagebericht). Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts ist die Gesundheitsversorgung in Serbien grundsätzlich gesichert und Frauen werden im Falle der Schwangerschaft, Entbindung und Mutterschaft grundsätzlich kostenfrei behandelt.
Die Schwangerschaft der Klägerin zu 1) kann kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Bei einer Schwangerschaft handelt es sich allenfalls um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das die Ausländerbehörde gegebenenfalls bei der Vollstreckung der Abschiebung zu berücksichtigen hat (§ 60a Abs. 2 AufenthG; vgl. z.B. VG München, Gerichtsbescheid v. 12.5.2016 – M 17 K 16.30717; B.v. 22.09.2015 – M 15 S. 15.31117 – juris Rn. 17; VG München, B.v. 23.10.2013 – M 24 S. 13.31033; VG München, U.v. 15.01.2015 – M 12 K 14.31140 – juris Rn. 45; VG Berlin, B.v. 30.10.2015 – 33 L 305.15 A – juris Rn. 18; hinsichtlich der Luftabschiebung von Schwangeren vgl. BayVGH, B.v. 10.08.2015 – 10 CE 15.1341, 10 C 15.1343 – juris Rn. 8).
Auch liegen keine Gründe für eine Aufhebung oder Abänderung der bisherigen Entscheidung vor. Das Bundesamt hat ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) eine Aufhebung seiner Entscheidungen in dem bestandskräftigen Bescheid vom 10. Januar 2017 nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG abgelehnt.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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