Verwaltungsrecht

Kein Wiederaufgreifen eines bestandskräftigen Verfahrens

Aktenzeichen  3 ZB 14.1329

Datum:
15.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 42658
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1, Art. 51 Abs. 5
VwGO § 124 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist der volle Beweis zu erbringen. Lassen sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für einen Dienstunfall nicht aufklären, geht die Nichterweislichkeit dieser Tatsachen zulasten des Beamten; dies gilt auch für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auf die Frage, ob das Ermessen im Rahmen des Wiederaufgreifens eines Verfahrens (Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG) richtig ausgeübt wurde, kommt es nicht an, wenn bereits auf der Tatbestandsseite kein rechtswidriger Verwaltungsakt vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 13.5468 2014-03-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 2. Juni 2014 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf 17.767,04 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Der Kläger rügt die aus seiner Sicht defizitäre Ermessensausübung bei der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 11. Oktober 2013. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es im Allgemeinen nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn die Behörde eine erneute Sachentscheidung deshalb ablehne, weil der geltend gemachte Anspruch bereits bestandskräftig abgelehnt worden sei und es insoweit keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägung seitens der Behörde bedürfe.
Es kann hier offen bleiben, ob der Beklagte sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, da das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2013, mit dem der Beklagte ein Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens hinsichtlich der Versagung der Anerkennung einer Ruptur der Rotorenmanschette als weitere Dienstunfallfolge des Dienstunfalls vom 20. November 2009 und damit zusammenhängend auch die Versagung von Unfallausgleich und Unfallruhegehalt abgelehnt hat, jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.
Der Kläger konnte mit seinem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und der Vorlage der fachorthopädischen-unfallchirurgischen Stellungnahme vom 16. Februar 2013 nicht darlegen, dass der Bescheid vom 22. November 2011 rechtswidrig ist, so dass eine Ermessensentscheidung mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG – Vorliegen eines rechtswidrigen Verwaltungsakts – nicht in Betracht kommt. Es fehlt an dem für die Anerkennung eines Körperschadens als Dienstunfallfolge erforderlichen Kausalzusammenhang, worauf die Landesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 28. Juli 2014 unter Bezugnahme auf die Klageerwiderung des Landesamts für Finanzen – Dienststelle R. – vom 13. Dezember 2013 (a. a. O. S. 8f.) hingewiesen hat, ohne dass der Hinweis vom Kläger aufgegriffen worden wäre.
1. Als Ursache im Rechtssinn auf dem Gebiet des Dienstunfallrechts sind nur solche Bedingungen anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei natürlicher Betrachtungsweise bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben; beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen ist eine als die alleinige Ursache anzusehen, wenn sie überragend am Erfolg mitgewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (vgl. BVerwG, B. v. 23.10.2013 – 2 B 34/12 – juris Rn. 6).
Keine Ursache im Rechtssinn sind sog. Gelegenheitsursachen, d. h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst nur eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also beispielsweise die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden eines Beamten so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte (vgl. BVerwG, B. v. 8.3.2004 – 2 B 54/03 – juris Rn. 7).
Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist der volle Beweis zu erbringen. Dieser muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Lassen sich die anspruchsbegründende Voraussetzungen für einen Dienstunfall nicht aufklären, geht die Nichterweislichkeit dieser Tatsachen nach allgemeinen Beweisgrundsätzen zulasten des Beamten; dies gilt auch für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden (vgl. BVerwG, B. v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5).
Die vom Kläger im Rahmen seines Wiederaufnahmeantrags vorgelegte fachorthopädische-unfallchirurgische Stellungnahme vom 16. Februar 2013 vermag den erforderlichen Kausalzusammenhang nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Die Beantwortung der Frage 2, Bl. 8 der Stellungnahme, wonach die Ruptur der Rotorenmanschette zu jeweils gleichen Teilen durch den Unfall bzw. die unfallunabhängigen Vorschädigungen verursacht worden sein soll, wird durch die Aussage auf Bl. 7 der Stellungnahme relativiert, der Anteil der Vorschädigung könne nicht mit Sicherheit festgelegt werden, anzunehmen sei ein etwa 50prozentiger Anteil. Angesichts dessen, das sich der Sachverständige nicht mit Sicherheit festlegen konnte, steht der eingangs beschriebene Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest.
2. Die Rechtssache weist auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf. Eine Rechts- oder Tatsachenfrage ist dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist.
Die vom Kläger im Rahmen des Zulassungsantrags aufgeworfene Frage, ob der Beklagte mit seiner vom Kläger anhand der Aussagen den Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung behaupteten Ermessenspraxis („Wenn die Folgen eines Dienstunfalls bestandskräftig abgeschlossen sind, wird das Verfahren bei Vorlage eines neuen Gutachtens durch den Beamten nicht wieder aufgenommen. Er könne sich an keinen Fall erinnern, an dem das Verfahren wieder aufgenommen wurde.“) das in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG eingeräumte Ermessen rechtmäßig ausübt, würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen, da das auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen auf der Tatbestandseite einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraussetzt. Das ist, wie bereits ausgeführt, hier nicht der Fall.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren beruht auf §§ 47, 52 GKG i. V. m.. Nr. 10.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen: 5.000 € gemäß § 52 Abs. 2 GKG; Unfallausgleich: 127 € X 24, somit insgesamt 3.048 € gemäß Nr. 10.4 des Streitwertkatalogs; Unfallruhegehalt: 24 x die Differenz des erstrebten Unfallruhegehalts iHv. 3.492,36 € und des tatsächlichen Ruhegehalts i. H. v. 3.087,40 €, somit insgesamt 9.719,04 € gemäß Nr. 10.4 des Streitwertkatalogs). Dementsprechend war auch der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG) und der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ebenfalls auf 17.767,04 € festzusetzen.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 6 Satz 4 VwGO).


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