Verwaltungsrecht

Kein Zulassungsgrund der Divergenz bei fehlerhafter Rechtsanwendung

Aktenzeichen  9 ZB 20.32384

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36203
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2
RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4
VwGO § 108 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Eine Divergenzrüge kann nicht auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall gestützt werden (BayVGH BeckRS 2020, 9700). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren, und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 14 K 18.31849 2020-10-19 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Klägerin ist Staatsangehörige Sierra Leones und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 19. Oktober 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Dabei bleibt offen, ob der Wiedereinsetzungsantrag des Bevollmächtigten der Klägerin mit dem bloßen Vortrag, das Telefaxgerät des Verwaltungsgerichts Regensburg sei am Tag des Fristablaufs dauerhaft belegt gewesen, Erfolg hat und der Bevollmächtigte der Klägerin alle rechtlich zumutbaren Möglichkeiten einer fristgerechten Übermittlung des Antrags auf Zulassung der Berufung ausgeschöpft hat, denn es liegen weder die behauptete Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) noch ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) vor.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird nicht hinreichend dargelegt.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5 ff.). Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2014 – 10 B 50.14 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 9 ZB 20.30729 – juris Rn. 5).
Die Klägerin trägt vor, das Verwaltungsgericht weiche von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2010 (10 C 5.09) und vom 18. Februar 1997 (Az. 9 C 9.96) zum Grundsatz des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2004/83/EG ab, weil es zwar darauf abstelle, dass bei der Klägerin eine Genitalverstümmelung vorliege, diese aber in der Folge nicht beachte. Damit wird jedoch schon kein abstrakter Rechtssatz des Verwaltungsgerichts aufgezeigt, mit dem dieses von den o.g. Entscheidungen abweicht. Vielmehr wird der Sache nach allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall geltend gemacht, auf die eine Divergenzrüge nicht gestützt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 9 ZB 20.30729 – juris Rn. 6).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO zuzulassen, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Ansicht der Klägerin keine Begründung dazu enthalte, wie es einer alleinstehenden und beschnittenen Frau möglich sein solle, ihr Leben in Sierra Leone fortzuführen.
Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung vor diesem Hintergrund nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren, und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (vgl. BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8.13 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.11.2020 – 9 ZB 20.32164 – juris Rn. 4 m.w.N.). Derartige Begründungsmängel sind mit dem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht führt vielmehr unter Bezugnahme auf angegebene Erkenntnismittel aus, dass sich junge Frauen durch Flucht, insbesondere in die Hauptstadt Freetown, dem Ritus der Female Genital Mutilation (FGM) entzogen haben. Es nimmt ferner auf den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juni 2018 Bezug (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG), wonach die Klägerin als volljährige, gesunde Frau, die aufgrund ihrer Schulbildung Lesen und Schreiben kann, die keiner Einschränkung der Erwerbsfähigkeit unterliegt und mit dem Verkauf von Streetfood gut verdient hat, in der Lage sein wird, ihr Existenzminimun sichern zu können. Das Zulassungsvorbringen wendet sich damit vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Richtigkeit der Entscheidung, was jedoch keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2020 – 9 ZB 20.31306 – juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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