Verwaltungsrecht

Keine Abschiebungsverbote für jungen afghanischen Mann

Aktenzeichen  Au 5 K 17.31798

Datum:
16.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG geboten wäre. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar gestaltet sich die Versorgungslage in Afghanistan schwierig. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer generell in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden müsste. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nur für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen, Familien und Personen, die aufgrund persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen oder die über keinen aufnahmebereiten Familienverband verfügen, lässt sich eine allgemeine Gefahrenlage begründen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4 Junge erwerbsfähige Männer sind auch ohne nennenswerte familiäre Unterstützung in der Lage, in Afghanistan ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.  (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur Verhandlung am 16. Oktober 2017 form- und fristgerecht geladen worden.
1. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2017 bezüglich der zunächst begehrten Asylanerkennung, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und der Gewährung subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) zurückgenommen und das Klagebegehren entsprechend beschränkt wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach teilweiser Klagerücknahme verbliebener Gegenstand des Verfahrens ist damit nur mehr der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
2. Die dergestalt beschränkte Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich Afghanistans bzw. eines anderen aufnahmebereiten Staates ist zwar zulässig, aber in der Sache nicht begründet.
Der ein Abschiebungsverbot für den Kläger in Nr. 4 ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 16. März 2017 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes zur Seite, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Es liegen in der Person des Klägers keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Es ist nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK drohen könnten.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine solche Abschiebestoppanordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Auch ist das Gericht der Auffassung, dass die allgemeine Gefahr in Afghanistan sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30119 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – DÖV 2012, 651). Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssten jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23). Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger weder aus seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan.
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13A ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 19.2.2014 – 13A ZB 14.30022 – juris) geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige, zu denen auch der Kläger zu rechnen ist, in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt.
Damit droht dem Kläger keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan. Zwar gestaltet sich die allgemeine Versorgungslage nach wie vor schwierig. Trotz dieser kritischen Versorgungslage muss nicht jeder Rückkehrer aus Europa generell im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden. In der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel ist nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer generell in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Afghanistan erleiden müsste (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016 S. 4; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13A ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Nur für besonders schutzwürdige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen, Familien und Personen, die aufgrund persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen oder die über keinen aufnahmebereiten Familienverbund verfügen, lässt sich eine extreme Gefahrenlage begründen.
Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen ist derzeit keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13A ZB 16.30600 – juris Rn. 4). Anhaltspunkte, die im Fall des Klägers zu einer anderweitigen Einschätzung führen würden, sind nicht ersichtlich.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist davon auszugehen, dass junge erwerbsfähige Männer auch ohne nennenswerte familiäre Unterstützung in der Lage sind, sich in Afghanistan ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13A ZB 16.30600 – juris Rn. 7). Der inzwischen volljährige Kläger ist – soweit ersichtlich – arbeitsfähig und unterliegt keinen gesundheitlichen Einschränkungen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat er in Afghanistan bis zur 6. Klasse die Schule besucht. Es hat sich hierbei zwar nicht um eine offizielle Schule gehandelt, der Kläger ist jedoch sechs Jahre lang zusammen mit anderen Jugendlichen unterrichtet worden. Der Kläger ist des Lesens und Schreibens der afghanischer Sprache mächtig. Der Kläger ist mit den afghanischen Verhältnissen vertraut. Überdies verfügt der Kläger bereits über eine gewisse berufliche Erfahrung zumindest in einer landwirtschaftlichen Tätigkeit. Nach seinem eigenen Vorbringen hat er in Afghanistan bereits in jungen Jahren bei der Feldarbeit geholfen. Darüber hinaus verfügt der Kläger nach seinen eigenen Angaben noch über mehrere Familienangehörige in Afghanistan (… bzw. …), die ihn notfalls bei einer Rückkehr unterstützen können. Darüber hinaus dürfte nach dem Vortrag des Klägers auch Grundbesitz der Familie in der Region … nach wie vor vorhanden sein. Vor diesem Hintergrund scheidet die Feststellung eines Abschiebungsverbotes zu Gunsten des Klägers aus. Hieran vermögen auch die von der Bevollmächtigten des Klägers im Verfahren vorgelegten umfangreichen Unterlagen insbesondere zur Situation von aus Europa nach Afghanistan zurückkehrenden Flüchtlingen nichts zu ändern. Sie geben keinen Anlass zur Neubewertung der Situation.
3. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die ergangene Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Einwände hiergegen hat der Kläger auch nicht erhoben.
amit war die Klage mit dem nach teilweiser Klagerücknahme verbliebenen Klagegenstand im Übrigen als unbegründet abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Als ihm Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten sowohl des zurückgenommenen Teils der Klage als auch im Übrigen zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben