Verwaltungsrecht

Keine additive Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei vor 1992 geborenen Zwillingen

Aktenzeichen  3 ZB 20.158

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 805
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 114a Abs. 2
BeamtVG aF § 6 Abs. 1 S. 4, S. 5
GG Art. 3 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3

 

Leitsatz

1. Eine additive Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei Zwillingen ist nach dem Wortlaut des Art. 114a Abs. 2 BayBeamtVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung nicht zulässig (Rn. 4). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Stichtag ergab sich daraus, dass der (Bundes-)Gesetzgeber die Gleichstellung von Zeiten der Beurlaubung bzw. Freistellung für die Erziehung eines Kindes bis zu einem Alter von sechs Monaten mit ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten (vgl. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG a.F.) ab dem 1. Januar 1992 zugunsten einer pauschalen, am Rentenrecht orientierten versorgungsrechtlichen Berücksichtigung aufgegeben hat (Rn. 6). (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund der verhältnismäßig weiten Gestaltungsfreiheit, die Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber bei Regelungen des Besoldungs- und Versorgungsrechts belässt, ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht zu überprüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Regelung getroffen hat (Rn. 7).  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 19.1249 2019-08-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 12. August 2019 für beide Rechtszüge auf jeweils 3.248,22 Euro festgesetzt.

Gründe

Die mit Ablauf des 31. Juli 2009 in den Ruhestand versetzte Klägerin stand als Grundschullehrerin im Dienst des Beklagten und verfolgt im Zulassungsverfahren ihren Klageantrag weiter, bei der Berechnung ihrer Versorgungsbezüge ab 1. Januar 2015 den Zuschlag gemäß Art. 114a Abs. 2 BayBeamtVG unter Berücksichtigung ihres weiteren (Zwillings-)Kindes zu gewähren; ihre 1980 geborenen Zwillinge dürften dabei nicht nur als ein Kind berücksichtigt werden.
Die Zulassung der Berufung war abzulehnen, weil keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe – ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) – vorliegt.
1. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 – juris Rn. 16; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 19; B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.6.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.). Dies ist hier nicht der Fall.
Eine additive Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei Zwillingen ist nach dem Wortlaut des Art. 114a Abs. 2 BayBeamtVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (im Folgenden a.F.) – im Gegensatz zur Berücksichtigung von Erziehungszeiten für ab 1992 geborene Kinder (vgl. § 50a Abs. 2 Satz 3 BeamtVG bzw. ab 1.1.2011: Art. 71 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG) – nicht zulässig. Nach § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG a.F. ist die Zeit eines Erziehungsurlaubs bzw. einer Kindererziehung, die in eine Freistellung vom Dienst fällt, ruhegehaltfähig bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Kind sechs Monate alt wird. Da beide Zwillinge jeweils mit Ablauf des 15. Dezember 1980 den sechsten Lebensmonat vollendet hatten, konnte die Zeit bis zu diesem Datum nur einmalig als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden. Eine Verlängerung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit aufgrund einer Mehrlingsgeburt hatte der Gesetzgeber damals nicht vorgesehen.
Diese Ungleichbehandlung zwischen vor dem 1. Januar 1992 und nach dem 31. Dezember 1991 geborenen Kindern begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, B.v. 13.1.2003 – 2 BvL 9/00 – juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 13.12.1996 – 2 B 57.96 – juris Rn. 3 jeweils zu § 85 Abs. 7 BeamtVG in der bis zum 31.8.2020 geltenden Fassung; VG Düsseldorf, U.v. 7.4.2014 – 23 K 6416/12 – juris Rn. 46 ff.; Weinbrenner in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, 146. UPD August 2020, § 6 BeamtVG Rn. 242).
Bei den Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG a.F., Art. 103 Abs. 2 BayBeamtVG und Art. 114a Abs. 2 BayBeamtVG handelt es sich um Stichtags- und Übergangsregelungen. In der Beamtenversorgung ist wie in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Umfang der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten danach zu differenzieren, ob das Kind vor oder nach dem 1. Januar 1992 geboren wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden (B.v. 13.1.2003 – 2 BvL 9/00 – juris Rn. 14), dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Überleitung bestehender Rechtslagen, Berechtigungen und Rechtsverhältnisse über einen breiten Gestaltungsspielraum verfügt und berechtigt ist, Stichtage einzuführen. Die Wahl eines Stichtages überhaupt, die Wahl des Zeitpunktes sowie die Auswahl unter den für die Anknüpfung an den Stichtag in Betracht kommenden Faktoren müssen freilich sachlich vertretbar sein. Diesen Vorgaben wird Art. 114a Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG a.F. gerecht. Denn der gewählte Stichtag (1.1.1992) diente der zeitlichen Abgrenzung der Einführung einer systematischen Veränderung der versorgungsrechtlichen Ausgleichsregelungen für die Zukunft. Er ergab sich daraus, dass der (Bundes-)Gesetzgeber die Gleichstellung von Zeiten der Beurlaubung bzw. Freistellung für die Erziehung eines Kindes bis zu einem Alter von sechs Monaten mit ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten (vgl. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG a.F.) ab dem 1. Januar 1992 zugunsten einer pauschalen, am Rentenrecht orientierten versorgungsrechtlichen Berücksichtigung aufgegeben hat (VGH BW, B.v. 6.2.2019 – 4 S 861/18 – juris Rn. 31; OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.5.2018 – OVG 4 N 51.16 – juris Rn. 6). Dies verdeutlicht in hinreichender Weise die Sachbezogenheit der Wahl des Stichtages 1. Januar 1992, an den der bayerische Gesetzgeber seine gesetzliche Regelung zum Kindererziehungszuschlag anknüpft.
An der Verfassungskonformität der Stichtagsregelung vermag auch der klägerische Einwand nichts zu ändern, bei der Anerkennung von Erziehungszeiten handele es sich nicht um bloße finanzielle Zuwendungen, sondern auch um die Anerkennung von Lebensleistungen. Aus welchen Gründen dieser ideelle Beweggrund die Sachbezogenheit der Stichtagsregelung in Zweifel ziehen könnte, lässt die Zulassungsbegründung offen. Sie versäumt es zudem, sich mit den Ausführungen des Erstgerichts und dessen Rechtsprechungsnachweisen in der gebotenen Weise substantiiert auseinanderzusetzen. Ungeachtet der von der Klägerin unbestritten erbrachten erheblichen Leistung ist aufgrund der verhältnismäßig weiten Gestaltungsfreiheit, die Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber bei Regelungen des Besoldungs- und Versorgungsrechts belässt, in diesem Zusammenhang jedoch nicht zu überprüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Regelung getroffen hat (BVerfG, B.v. 30.9.1987 – 2 BvR 933/82 – juris Rn. 139).
2. Der Rechtssache fehlt auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine Rechts- oder Tatsachenfrage ist dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 – 6 B 58.10 – juris Rn. 3; B.v. 17.12.2010 – 8 B 38.10 – juris Rn. 7 f.).
Vor diesem Hintergrund rechtfertigt die aufgeworfene Rechtsfrage,
„ob die Ungleichbehandlung im BeamtVG bei vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindern und solche, die danach geboren wurden, geboten ist“
nicht die Zulassung der Berufung; sie ist nicht von grundsätzliche Bedeutung, da sie ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens aus den unter 1. genannten Gesichtspunkten zu beantworten ist.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 42 Abs. 1 und Abs. 3 GKG. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG ist der Streitwert bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen, hier der Differenz zwischen dem gewährten (10,06 Euro) und dem von der Klägerin begehrten monatlichen Versorgungszuschlag nach Art. 114a Abs. 2 BayBeamtVG (47,83 Euro; vgl. VG-Akte S. 35 f.). Daraus ergibt sich ein Betrag von 36 x 37,77 Euro = 1.359,72 Euro. Hinzu kommen gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG die bei Einreichung der Klage (18.3.2019) fälligen Beträge. Diese belaufen sich (seit dem Antrag vom 30.1.2015) auf einen Gesamtbetrag von 50 x 37,77 Euro = 1.888,50 Euro. Die erstinstanzliche Festsetzung war von Amts wegen gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG zu ändern.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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