Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung als Asylberechtigter nach Einreise aus Schweden – türkischer Asylsuchender

Aktenzeichen  Au 6 K 17.35550

Datum:
7.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1689
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 30 Abs. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine notwendige Voraussetzung dafür, dass eine Verfolgung sich als eine politische darstellt, liegt darin, dass sie im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen steht, also – im Unterschied etwa zu einer privaten Verfolgung – einen öffentlichen Bezug hat, und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist, sowie wegen des asylerheblichen Merkmals erfolgt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da in der Türkei strenge Ausreisekontrollen stattfinden, wird von türkischen Staatsangehörigen, gegen welche ein vom türkischen Innenministerium oder von einer Staatsanwaltschaft verhängtes Ausreiseverbot vorliegt und die auf einer entsprechenden Liste stehen, bereits die Erteilung eines Reisepasses versagt oder sie werden bei Besitz eines Reisepasses an der Ausreise gehindert. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandelt werden konnte, da sie zuvor darauf hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist offensichtlich unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) offensichtlich keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 23. November 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat offensichtlich keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG.
a) Vorliegend schließt bereits die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG die Asylzuerkennung offensichtlich aus.
Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – BVerwGE 100, 23). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – DVBl 1996, 729) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann.
Dies ist vorliegend wegen der Einreise über Schweden der Fall. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet daher nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG aus. Ausnahmen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylG liegen nicht vor.
b) Der Kläger hat auch in der Sache offensichtlich nach § 30 Abs. 2 AufenthG keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG, weil er sich aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland aufhält, aber keine Verfolgung erlitten oder zu befürchten hat.
Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung und sie ist politisch, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Allgemein liegt dem Asylgrundrecht die von der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zugrunde, dass kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche Merkmale); von dieser Rechtsüberzeugung ist das grundgesetzliche Asylrecht maßgeblich bestimmt. Eine notwendige Voraussetzung dafür, dass eine Verfolgung sich als eine politische darstellt, liegt darin, dass sie im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen steht, also – im Unterschied etwa zu einer privaten Verfolgung – einen öffentlichen Bezug hat, und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist, sowie wegen des asylerheblichen Merkmals erfolgt (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 38 f., 44).
Auch eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, kann grundsätzlich politische Verfolgung sein, und zwar auch dann, wenn der Staat hierdurch das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt. Es bedarf einer besonderen Begründung, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 52 f.).
Voraussetzung für eine vom Staat ausgehende oder ihm zurechenbare Verfolgung ist die effektive Gebietsgewalt des Staates im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit. Verfolgungsmaßnahmen Dritter sind dem Staat daher zuzurechnen, wenn er schutzfähig, aber er nicht bereit oder nicht in der Lage ist, mit den ihm verfügbaren Mitteln Schutz zu gewähren (vgl. BVerfG, U.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 46). Ist politische Verfolgung hiernach grundsätzlich staatliche Verfolgung, so steht dem nicht entgegen, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung dem Staat solche staatsähnlichen Organisationen gleichstellt, die den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen (vgl. BVerfG, U.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 40 a.E.).
Daher fehlt es an der Möglichkeit politischer Verfolgung, solange der Staat bei offenem Bürgerkrieg im umkämpften Gebiet faktisch nur mehr die Rolle einer militärisch kämpfenden Bürgerkriegspartei einnimmt, als übergreifende effektive Ordnungsmacht aber nicht mehr besteht. Gleiches gilt in bestimmten Krisensituationen eines Guerilla-Bürgerkriegs. In allen diesen Fällen ist politische Verfolgung allerdings gegeben, wenn die staatlichen Kräfte den Kampf in einer Weise führen, die auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können oder an dem militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind, vollends wenn ihre Handlungen in die gezielte physische Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität eines nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Bevölkerungsteils umschlagen (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 56 ff.).
Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann (inländische Fluchtalternative). Eine inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass der Asylsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 61 f., 66).
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keine politische Verfolgung erlitten… Da er legal auf dem Luftweg ausgereist ist, hat er unbehelligt die staatlichen Kontrollen passieren können, was gegen eine staatliche Verfolgung bzw. überhaupt ein staatliches Interesse am Kläger spricht. Der Kläger hat auch als einzige Ausreisegründe die schlechte Behandlung durch seinen Bruder in der Kindheit und die ihm ungenügende Bezahlung als Erwachsener für die Tätigkeit als Hirte, die schlechte Bezahlung, die fehlende Perspektive einer Heirat in der Türkei sowie die im Jahr 2002 erfolgte Misshandlung während des Wehrdienstes als Fluchtgründe bezogen auf die Türkei sowie die Angst vor den Schleusern, die in Europa seine Schulden bei ihnen eintreiben wollten, benannt. Hierin liegt keine politische Verfolgung. Die Misshandlung während des Wehrdienstes war nicht fluchtauslösend, weil der Kläger ausweislich der Ausund Einreisestempel in seinem Reisepass auch frühere Ausreisen nicht zum Anlass nahm, im Ausland Schutz zu suchen, sondern sich nach der Ableistung des Wehrdienstes noch eineinhalb Jahrzehnte in der Türkei aufhielt . Soweit er familiäre Probleme geltend macht, sind diese unter keinem Gesichtspunkt dem türkischen Staat zuzurechnen, mit dem der Kläger nach eigenen Angaben nie Probleme hatte und den er auch nicht um Schutz nachgesucht hat. Die Schleuser mögen den Kläger tatsächlich verfolgen und suchen, stellen jedoch mangels Territorialgewalt oder staatlicher Duldung keinen einem staatlichen Verfolger gleichzustellenden privaten Dritten dar und sind auch nicht spezifisch zielstaatsbezogen zurechenbar. Nach alledem ist der Kläger lediglich aus privaten und wirtschaftlichen Gründen ins Ausland geflohen, soweit seine Angaben als glaubhaft zugrunde gelegt werden können. Da der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, obgleich er nach § 102 VwGO darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne ihn verhandelt werden kann, hat er seinen Vortrag auch nicht weiter substantiiert.
Schließlich hätte der Kläger, wie von der Beklagten erkannt, eine inländische Fluchtalternative in der Westtürkei.
2. Der Kläger hat aus denselben Gründen offensichtlich auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse spricht neben den o.g. Gründen auch die unbehelligte Ausreise mit eigenem Reisepass. Da in der Türkei strenge Ausreisekontrollen stattfinden, wird türkischen Staatsangehörigen, gegen welche ein vom türkischen Innenministerium oder von einer Staatsanwaltschaft verhängtes Ausreiseverbot vorliegt und die auf einer entsprechenden Liste stehen, bereits die Erteilung eines Reisepasses versagt oder sie werden bei Besitz eines Reisepasses an der Ausreise gehindert (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 11.6.2018, S. 1 f.; näher dazu unten). Eine unbehelligte Ausreise ist daher ein Indiz gegen das Vorliegen eines Haftbefehls oder einer Ausreisesperre (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 10.4.2019 an das VG Regensburg, S. 2 f. zu Frage 7) und damit gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse.
3. Der Kläger hat aus den von der Beklagten zutreffend ausgeführten Gründen auch offensichtlich keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG.
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
5. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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