Verwaltungsrecht

Keine Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  B 3 K 18.30379

Datum:
12.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21869
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 3, § 4

 

Leitsatz

1 An der glaubhaften Darlegung des Verfolgungsschicksals fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Irak besteht eine interne Fluchtalternative. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3 In der Region Kurdistan-Irak findet zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG statt und ist auch in naher Zukunft nicht zu erwarten. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.04.1985, Az. 9 C 109.84, juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.02.2013, Az. 10 C 23/12, juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.08.2013, Az. A 12 S 2023/11; Hess.VGH, U.v. 04.09.2014, Az. 8 A 2434/11.A, jeweils juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger keinen Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsschutzes. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Kläger zu 1 trug in der mündlichen Verhandlung vor, wie er im Januar 2015 entführt und für 10 Tage festgehalten worden und seit Dezember 2014 drei Mal persönlich telefonisch bedroht worden sei. Ihm sei gedroht worden, dass die Probleme mit dem B.-Clan aus dem Jahr 2003 wieder aufleben könnten bzw. er seine Arbeitsstelle verlieren würde, wenn er nicht als Spitzel für die DPK arbeite.
Eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Anknüpfungspunkts kann das Gericht der Schilderung der Geschehnisse nicht entnehmen.
Auslöser der Drohungen gegen den Kläger zu 1 sowie seiner Entführung war seine (ehemalige) Tätigkeit als Fahrer im Präsidialamt. Die anwerbende Partei – die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) – ist an den Kläger zu 1 weder aufgrund seiner Rasse, noch seiner Religion oder Nationalität, noch seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe herangetreten. Dies bestätigte der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung, indem er angab, dass sein Problem angefangen hätte, als H. S. von seiner Position im Präsidialamt erfahren habe. Der Kläger zu 1 war nach eigener Einlassung zwar Mitglied der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Ein Zusammenhang der Entführung und der Drohungen mit seiner politischen Überzeugung wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt erwähnt und wäre mit der Verfolgungsgeschichte auch nicht in Einklang zu bringen.
Soweit die Kläger zu 1 und zu 2 eine Bedrohung durch den B.-Clan vortragen, ist hierin ebenfalls kein flüchtlingsrelevanter Anknüpfungspunkt ersichtlich.
Sie tragen insbesondere vor, dass im Jahr 2003 der jüngere Bruder des Klägers zu 1 mit der Familie H. Probleme hatte, weil ihm vorgeworfen worden sei, heimlichen Kontakt mit der Ehefrau eines der Mitglieder der H.-Familie zu haben. Zum Beweis hierfür legten sie ein offizielles Schreiben vom 23.11.2003 vor, in dem der Bruder des Klägers zu 1 den Verwaltungsbereich H. verlassen müsse. Die Kläger tragen vor, die Familie H. sei verwandt mit der in der Autonomen Region Kurdistan mächtigen Familie B. Aus einem von den Klägern nicht näher erläuterten Grund fordere man nunmehr – 13 Jahre später – die Verheiratung der Klägerin zu 3 mit einem männlichen Mitglied der Familie H. und habe auch das Haus der Kläger in H. durchsucht und der Klägerin zu 2 dabei die Nase gebrochen.
In einer solchen Bedrohungssituation liegt aber ebenfalls keine flüchtlingsrelevante Verfolgung aufgrund Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, sondern kriminelles Unrecht.
Eine asylrelevante Verfolgung der Kläger im Fall ihrer Rückkehr ist daher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu besorgen.
Auch wäre für das Gericht nicht ersichtlich, wieso es für die Kläger ausgeschlossen sein sollte, internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG in einer anderen Provinz innerhalb der Kurdischen Autonomiegebiete bzw. in K. zu finden. Es ist nicht ersichtlich, dass für die Kläger nicht beispielsweise in einer anderen Großstadt wie Dohuk oder Sulaimaniyya, der Hochburg der PUK, ein weitgehend anonymes konfliktfreies Leben möglich wäre. Die kurdisch-stämmigen Kläger werden in die Autonome Region Kurdistan einreisen dürfen und sie werden in der Autonomen Region Kurdistan auch aufgenommen, auch wenn die Flüchtlingssituation im relativ sicheren Kurdistan mittlerweile angespannt ist (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 12.01.2019, im Folgenden: Lagebericht, S. 20). Der Kläger zu 1 hat bereits in der Vergangenheit als Fahrer gearbeitet. Er ist zudem Mitglied bei der PUK. Es ist davon auszugehen, dass er durch seine Arbeit das Einkommen der Familie wird sicherstellen können. Überdies sind mittlerweile zwei Kinder der Familie volljährig und können so ebenfalls zum Einkommen beitragen. Zudem leben Verwandte der Kläger in der Autonomen Region Kurdistan.
Auch K. steht als interne Fluchtmöglichkeit zur Verfügung. Dort haben sich die Kläger vor ihrer Ausreise bereits einmal für sechs Monate und dann nochmal für zwei Monate unbehelligt bei einem Bekannten aufgehalten. Der Kläger zu 1 ist von dort nach Bagdad zur Arbeit „gependelt“. Hätte der Vater des Klägers zu 1 nicht auf eine Rückkehr der Kläger gedrängt, wären die Kläger wohl zunächst auch in Kirkuk geblieben. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Kläger dort nicht wieder unterkommen könnten. Auch wenn sich zwischenzeitlich – infolge des Unabhängigkeitsreferendums – dort Gefechte zugetragen haben, so hat sich doch die Lage soweit ersichtlich wieder beruhigt (s.u., 1.2.1).
Der Kläger zu 1 erklärte auf den Vorhalt einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der mündlichen Verhandlung lediglich pauschal, dass die Familie B. sehr mächtig sei und ihn überall finden könne. Anhaltspunkte gegen eine inländische Fluchtalternative sind damit nicht dargetan.
1.2 Auch die Entscheidung zum subsidiären Schutz ist nicht zu beanstanden Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ersthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Das Gericht verweist auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen im Bescheid der Beklagten vom 06.02.2018 (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt nur ergänzend aus:
1.2.1 Für den Kläger zu 1 ist ein ernsthafter Schaden im Sinn des § 4 Abs. 1 AsylG nicht aufgrund der erfolglosen Anwerbungsversuche als Spion für die DPK beachtlich wahrscheinlich.
Zunächst ist festzustellen, dass auch nach der detailreichen Schilderung der Vorgänge durch den Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung durchaus Restzweifel am Wahrheitsgehalt des Vortrags bleiben, weil die Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung angab, dass sie über eine Person namens H. überhaupt nichts wisse und weil sie vor dem Bundesamt die Entführung ihres Ehemannes, des Klägers zu 1, überhaupt nicht erwähnte, obwohl er hierdurch Verletzungen erlitten haben soll, die operativ behandelt wurden. Die von H. S. ausgesprochenen Drohungen waren nach der Aussage des Klägers zu 1 ausschlaggebend für die Ausreise der Familie. Dass Frauen in der Kultur der Kläger oft nicht nach den Kleinigkeiten bei ihren Männern nachfragen, mag sein. Dieser Umstand erklärt jedoch in keiner Weise nachvollziehbar, dass die Klägerin zu 2 überhaupt nichts zu diesem Mann weiß.
Aber auch bei Wahrunterstellung sprechen stichhaltige Gründe gegen die Wahrscheinlichkeit eines ernsthaften Schadens:
Denn der Kläger zu 1 hat seit Frühjahr 2015 seinen Posten als Fahrer nicht mehr ausgeübt und wurde offiziell zum Juni 2015 versetzt. Seine Einheit weiß seit Frühjahr 2015 von den Anwerbungsversuchen und „hat ihm nicht mehr so getraut“, wie der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung angab. Er arbeitete seit Juni 2015 bis zur Ausreise im September 2016 als Kontrolleur. Nachdem der ehemalige Vorgesetzte den Kläger zu 1 nach seiner Ausreise als Verräter titulierte, ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 wieder für das Präsidialamt arbeiten wird. Insofern sind keine stichhaltigen Gründe dafür ersichtlich, dass der Kläger zu 1 weiterhin von der DPK bedroht wird, weil diese kein Interesse mehr an ihm haben dürfte.
Zudem hat sich die politische Situation seit der Ausreise der Kläger verändert: das Verhältnis der Zentralregierung zur föderalen Region Kurdistan-Irak (RKI) hatte sich nach der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der RKI und in einer Reihe von zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25.09.2017 zunächst deutlich verschlechtert, es kam kurzfristig im Oktober 2017 auch zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen. Mit dem Referendum hatte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken versucht. Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren. Dieser Konflikt hat sich im Laufe des Jahres 2018 jedoch wieder beruhigt; es finden regelmäßig Gespräche zwischen beiden Seiten statt, kurdische Parteien sind Teil der neuen Zentralregierung in Bagdad. Präsident Barzani erklärte am 29.10.2017 seinen Rücktritt (Lagebericht, S. 4; .BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak vom 20.11.2018, S. 24f; im Folgenden: Länderinformationsblatt; Artikel aus „Der Standard“ – Iraks Kurden-Präsident Barzani tritt zurück – vom 29.10.2017).
Der Kläger zu 1 hatte in der mündlichen Verhandlung und vor dem Bundesamt erklärt, dass er von seinen Entführern insbesondere nach Q. S. gefragt worden sei, der im Präsidialamt im November 2014 mit Funktionären der PUK Pläne gegen die DPK geschmiedet haben soll. In dem von der Klägerseite vorgelegten Artikel vom 29.01.2018 ist die Rede davon, dass Qassem Solaimani an der Übergabe der Provinz K. an Bagdad maßgeblich beteiligt war. Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass die DPK in der neuen politischen Situation ein Interesse an dem Kläger zu 1 haben könnte, zumal dieser seit Januar 2015 nicht mehr als Fahrer für das Präsidialamt arbeitet und seit Sommer 2016 auch nicht mehr als Kontrolleur.
Gegen einen drohenden ernsthaften Schaden der Kläger spricht auch die zeitliche Dimension. Der Kläger zu 1 wurde drei Mal telefonisch von H. S. bedroht. Im Frühjahr 2016 wurde an den Kläger zu 1 die Forderung nach der Verheiratung der Tochter (Klägerin zu 3) herangetragen. Ausgereist ist die Familie im September 2016, obwohl bereits im Sommer 2015 die Entscheidung zur Ausreise gefasst worden war. Der Kläger zu 1 erklärt den Umstand, dass er nicht mehr persönlich bedroht wurde, sondern nur noch durch seinen Bruder damit, dass er die Telefonnummer gewechselt habe bzw. dass er keine unbekannten Nummern mehr angenommen habe. Dies ist für das Gericht jedoch nicht nachvollziehbar, weil die Funktionäre der DPK zumindest durch den ältesten Sohn der Kläger wussten, wo der Kläger zu 1 arbeitet. Das Gericht geht davon aus, dass er über seine Arbeitsstelle für seine „Feinde“ leicht zu finden gewesen wäre, hätten sie noch Interesse an ihm gehabt. Persönlichen Kontakt haben diese Personen jedoch nicht mehr mit dem Kläger zu 1 aufgenommen.
1.2.2 Soweit der Kläger zu 1 eine Bedrohungslage durch die Familie H. bzw. durch H. S. schildert ist ein ernsthafter Schaden ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Denn der diesbezügliche Vortrag ist in sich schon nicht schlüssig.
Auch nach der mündlichen Verhandlung ist für das Gericht nicht ersichtlich, mit welchem Übel H1 S. dem Kläger zu 1 jetzt noch drohen könnte, nachdem der Kläger zu 1 seinen Posten bereits aufgegeben hat. Soweit H1 S. mit dem Aufleben der Probleme von 2003 droht, ergibt sich nichts anderes. Die vorgelegte Urkunde vom 23.11.2003 dient schon nicht zum Beweis dafür, dass die Kläger Probleme mit dem Clan der B. haben, weil die Verknüpfung zwischen diesem Clan und den in der Urkunde genannten H. für das Gericht nicht nachvollziehbar ist. Aber auch bei Wahrunterstellung des Vortrags, dass die Familie H. mit dem B.-Clan verwandt ist, ergibt sich aus dem Brief lediglich, dass der jüngere Bruder des Klägers zu 1 den Verwaltungsbereich H. nicht mehr betreten darf. Im Gegenzug verpflichteten sich die Brüder H., der Familie des Klägers zu 1 keine weiteren Probleme mehr zu bereiten. Der Familie des Klägers zu 1 ist es – bis auf den jüngeren Bruder – ausdrücklich frei gestellt, in H. zu arbeiten und sich zu bewegen. Eine Bedrohungslage aufgrund von „Nachwirkungen“ durch dieses Schreibens ist nicht schlüssig dargelegt, zumal der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung angab, H1 S. habe sich seines Wissens nicht besonders für die Familie der Kläger eingesetzt, und sie seien auch bis 2014 davon ausgegangen, dass der Konflikt schon lange abgeschlossen sei. Von 2003 bis 2014 hatten sie diesbezüglich zumindest keinerlei Probleme. Inwieweit die Familie des Klägers zu 1, und insbesondere der in der Türkei lebende Bruder nunmehr wieder ein Problem wegen der 13 Jahre zurückliegenden angeblichen Beziehung zu einer verheirateten Frau haben sollte, wurde nicht erklärt. Es ist für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, wie sich aus dem Problem des Bruders nach 13 Jahren ein Problem der Kläger ergeben sollte.
Da der Konflikt – wenn er denn überhaupt wieder aktuell wurde – allein durch den Umzug nach Harir aufgelebt ist, ist für das Gericht nicht ersichtlich, weshalb sich die Familie nicht in einen anderen Teil der Autonomen Region Kurdistan oder in Kirkuk niederlassen kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG, s.o.).
1.2.3 Die gegenüber dem Kläger zu 1 formulierte Aufforderung der Familie H., die Klägerin zu 3 zu verheiraten, war in der Gesamtwürdigung der Aussagen schon nicht fluchtauslösend. Die Klägerin zu 2 erklärte in der mündlichen Verhandlung zwar, dass die Forderung der Familie H. der eigentliche Fluchtauslöser war. Dies ist jedoch schon deshalb nicht glaubhaft, weil sie vor dem Bundesamt hiervon nichts erzählte. Die Entscheidung zur Ausreise war bereits im Sommer 2015 gefallen war.
Zudem würde diese Aufforderung für die Klägerin zu 3 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen ernsthaften Schaden im Sinn des § 4 Abs. 1 AsylG darstellen, der zur Zuerkennung einer subsidiären Schutzberechtigung führen könnte. Denn das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin zu 3 hinreichend durch ihre Eltern vor einer Zwangsehe geschützt ist bzw. der Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG zur Verfügung stünde.
Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon aus, dass eine Heirat gegen den Willen der Eltern und – kumulativ – gegen den Willen der Braut nicht möglich ist.
Zwar führt das Auswärtige Amt aus, dass es seit 2011 ein kurdisches Gesetz gegen häusliche Gewalt gibt, in dem u.a. Zwangsverheiratung von Frauen unter Strafe gestellt wird und die gesetzlichen Regelungen in der Praxis nicht durchgängig umgesetzt werden (Lagebericht, S. 14). In Bezug auf Zwangsehen führt die Staatendokumentation .BFA aus, dass Frauen noch immer in Ehen gezwungen werden. Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (Länderinformationsblatt, S. 82). Zudem berichtet die Staatendokumentation von „Fasliya“. Dieser Ausdruck bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen bzw. Mädchen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden. Obwohl die „Blutgeld-Ehe“ seit den 1950er Jahren gesetzlich verboten ist, hat sie in den letzten Jahrzehnten vor allem im Südirak einen Wiederaufschwung erlebt. Die Praxis existiert auch in anderen Teilen des Landes (z.B. im Zentralirak) und wird auf Kurdisch als „badal khueen“ oder „jin bw xwên“ bezeichnet. Frauen, die im Zuge solcher Arrangements „als Kompensation“ bzw. „als Ersatz“ für den Toten bzw. für das vergossene Blut verheiratet werden, können sich nicht scheiden lassen und sind häufig Missbrauch ausgesetzt. (Länderinformationsblatt, S. 82).
Es sind aber vorliegend keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin zu 3 Opfer einer solchen „Blutgeld-Ehe“ werden soll, weil ein solcher Stammeskonflikt mit einem Toten oder Verletzten gar nicht vorgetragen wurde und die Kläger zudem aus Kurdistan stammen. Überhaupt ist es nicht nachvollziehbar, mit welchem Machtmittel H1 S. die Zwangsheirat gewaltsam durchsetzen könnte.
Überdies stünde den Klägern eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 e AsylG; s.o.), wo sie sich der Einflussnahme der DPK bzw. der Familie H. entziehen könnten.
1.2.4 Dem Kläger zu 1 droht auch wegen seiner Desertation nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) bei seiner Rückkehr. Laut den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskünften des Auswärtigen Amts an das Bundesamt vom 06.12.2018 und vom 26.11.2018 findet bei Desertation von Militäroffizieren das Militärstrafgesetzbuch Nr. 19 aus 2007 Anwendung. Ungeachtet der existierenden Gesetze liegen dem Auswärtigen Amt Informationen vor, dass das Verteidigungsministerium gegenwärtig die Verträge/Dienstverhältnisse von Deserteuren auflöst, ohne dass die Betroffenen mit weiteren Konsequenzen zu rechnen haben. Laut Art. 33 Abs. 1 des Militärstrafgesetzbuchs wird jeder, der ohne juristische Begründung seiner Einheit oder seinem Einsatzort fernbleibt, oder in Friedenszeiten seinen Urlaub um mehr als 15 Tage überschreitet, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft. Laut Art. 33 Abs. 2 wird jeder, der während der Suspendierung der Demobilisierung die in Absatz 1 vorgesehenen Vorschriften nicht erfüllt oder überschreitet, zu bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Laut Art. 33 Abs. 3 wird jeder, der sich ohne offizielle Genehmigung vom Militär entfernt (…) mit Freiheitsstrafe von bis zu 30 Tagen bestraft. Am 25.08.2016 verabschiedete das irakische Parlament ein umfassendes Amnestiegesetz, das mit Ausnahme von Terror- und Kapitalverbrechen fast alle Straftaten betrifft. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 24.04.2018 sind Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Desertierens im Irak durchaus üblich. In dem angefragten Fall hatte der Ausländer eine Verurteilung zu mehrjähriger Haftstrafe wegen Desertierens angeführt.
Der Kläger hatte in der mündlichen Verhandlung auf konkrete Nachfrage des Gerichts erklärt, dass er von Deutschland aus Kontakt mit seinem ehemaligen Vorgesetzten hatte. Dieser habe ihn zwar als Verräter beschimpft. Von einer strafrechtlichen Verfolgung hat der Kläger zu 1 jedoch weder im gerichtlichen Verfahren noch vor dem Bundesamt berichtet, so dass das Gericht die Auskünfte des Auswärtigen Amts vom 06.12.2018 und vom 26.11.2018 als bestätigt sieht (s. hierzu auch VG Bayreuth, U.v. 29.11.2017, Az. B 3 K 17.32946; U.v. 12.10.2017, Az. B 3 K 17.31455, jeweils juris).
1.2.5 Auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Kläger infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ist nicht ersichtlich.
Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben kann sich aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 14.07.2009, Az. 10 C 9/08, juris; BVerwG, U.v. 27.04.2010, Az. 10 C 4/09, juris).
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken, sondern auf die Herkunftsregion des Ausländers (vgl. BVerwG, U. v. 24.06.2008, Az. 10 C 43.07, juris).
Die Kläger stammen aus H. im Osten von Kurdistan-Irak. Das Gericht geht aufgrund der Auskunftslage davon aus, dass in der Region Kurdistan-Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG stattfindet und auch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Viele Binnenflüchtlinge aus den übrigen Landesteilen des Irak suchen in der Autonomen Region Kurdistan Zuflucht (Lagebericht S. 5).
Auch die allgemeine Lage in K., wo sich die Kläger zuletzt zunächst sechs Monate und kurz vor der Ausreise noch einmal zwei Monate aufhielten, ist nicht so gefährlich, dass sich die Gefahr unabhängig von persönlichen Merkmalen gegenüber jeder Zivilperson individualisiert (BayVGH, U.v. 19.07.2018, Az. 20 B 18.30800, juris, Rn. 51), so dass auch dort nicht von einem bewaffneten Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen ist.
In der persönlichen Situation der Kläger innewohnende Umstände, die sie als spezifisch betroffen erscheinen lassen, sind ebenfalls nicht ersichtlich, insbesondere gehören sie nicht zu einer der besonders gefährdeten gesellschaftlichen Gruppen, wie der Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektueller, Richter, Rechtsanwälte oder Mitglieder des Sicherheitsapparats (vgl. Lagebericht, S. 17), weil der Kläger zu 1 nicht mehr als Soldat tätig ist und damit nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass er bei einer Rückkehr Opfer von gezielten Attentaten wird. Eine besondere Gefährdungssituation aufgrund der Mitgliedschaft in der PUK ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
1.3 Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. m. Art. 3 EMRK erfüllen. Ein solcher Ausnahmefall liegt bei den Klägern nicht vor, wenn sie in den Irak zurückkehren müssten. Das Gericht verweist auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Kläger zu 1 hat bis zu seiner Ausreise als Fahrer gearbeitet. Es ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr wieder eine Arbeit finden wird, zumal er bis zu seiner Ausreise Mitglied der PUK war. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger zumindest in den Hochburgen der PUK Arbeit finden wird. Zwei Kinder der Familie sind mittlerweile volljährig und können zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Die Kläger haben Verwandte im Irak. Da die Kläger vor dem Bundesamt angaben, keine finanziellen Probleme gehabt zu haben, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass die Kläger ihren Lebensunterhalt im Irak nicht werden sicherstellen können.
Dem Kläger zu 1 droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine solche Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG).
Der Kläger zu 1 legte ein Attest des … Gesundheitszentrums vom 16.03.2018 vor. In der mündlichen Verhandlung erklärte er, dass er starke Rückenschmerzen habe und deswegen Medikamente einnehme. In ca. sechs Monaten würde der Arzt entscheiden, ob eine Operation notwendig sei. Eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist hierin nicht zu sehen. Insbesondere ist der Kläger zu 1 ausweislich des vorgelegten Attests auch im Irak operativ behandelt worden.
In Bezug auf die von der Klägerin zu 2 geltend gemachte Hypertonie ist darauf zu verweisen, dass sie deswegen bereits im Irak medikamentös behandelt wurde. Ausweislich des vorgelegten Coupons hat die Klägerin zu 2 in der Zeit vom 25.02.2013 bis 02.12.2015 17 mal das Gesundheitszentrum aufgesucht. Sie nahm u.a. Lisinopril ein, ein Mittel gegen Bluthochdruck. Schon wegen der Behandlung im Heimatland ist nicht von einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung auszugehen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
1.4 Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die guten Integrationsleistungen insbesondere der Kinder verweisen, ist der Wunsch der Familie in Deutschland einen Schutzstatus zuerkannt zu bekommen, menschlich verständlich. Im vorliegenden Asylstreit sind diese Erwägungen jedoch nicht relevant. Gleiches gilt für die couragierten Ausführungen der Klägerin zu 3 nach Schluss der mündlichen Verhandlung.
2. Die Kläger haben als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens nach §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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