Verwaltungsrecht

Keine Asylanerkennung mangels asylbegründenden stimmigen Sachverhaltsvortrags

Aktenzeichen  AN 4 K 16.30297

Datum:
28.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Nach der Rechtsprechung des BVerwG muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG BeckRS 1977, 00821). Vage und widersprüchliche Angaben genügen nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Im Irak besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. (redaktioneller Leitsatz)
Es fehlt an einer Begründung, warum mit dem ärztlichen Attest erstmals in der mündlichen Verhandlung das Vorliegen einer PTBS wegen traumatisierender Erlebnisse im Heimatland vorgetragen wird, obwohl sich die Begründungspflicht aus der Pflicht des Beteiligten an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwGO) ergibt (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 47723). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (1.), auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG (2.) und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (3.) hat. Auch die in Ziffer 5) und 6) getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken (4.). Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 11. März 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage. Denn gemäß dem in der mündlichen Verhandlung am 28. September 2016 wiederholten Klageantrag ist dieser allein auf die Aufhebung der Ziffer 1) sowie der Ziffern 3) bis 6) des ablehnenden Bescheids vom 11. März 2016 und auf die – insoweit – positive Verbescheidung gerichtet.
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG.
Das Gericht nimmt zur Begründung dieses Urteils vorab Bezug auf den ausführlichen und zutreffend begründeten streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird, auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung am 28. September 2016, noch ausgeführt:
1.
Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.
Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung
oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Kläger hat eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung nicht glaubhaft gemacht:
Bei der Glaubhaftmachung im behördlichen Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen daher keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VwGO i. V. m. § 25 Abs. 1 AsylG muss der Ausländer zunächst selbst die Tatsachen vorbringen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden Schadens begründen, und die insoweit erforderlichen Angaben machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, U. c. 29.11.1977 – I C 33.71 -, BVerwGE 55, 82-86).
Diesen Maßstäben wird der Vortrag des Klägers nicht gerecht. So hat der Kläger seinen Vortrag auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung kaum präzisiert.
Auf Nachfrage des Gerichts, weshalb ausgerechnet er – als nicht praktizierender sunnitischer Moslem – einen Drohbrief erhalten habe, erklärte der Kläger lediglich, die Milizen kennten seine Familie. Zur Begründung führte er den Umstand an, dass seine Familie regelmäßig die schiitischen Feiern besucht habe.
Diese Erklärung lässt den Vortrag jedoch noch widersprüchlicher erscheinen. Denn der Besuch schiitischer Feierlichkeiten ist doch eher geeignet, die Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung zu verschleiern, als die Aufmerksamkeit der Umgebungsgesellschaft darauf zu rechten.
Doch selbst wenn man die Bedrohung durch die Miliz als wahr unterstellte, bezog sich diese laut dem vorgelegten Drohbrief lediglich auf die drei darin genannten Stadtteile. Der Stadtteil (Shab), in den der Kläger nach Erhalt des Briefes angeblich gezogen ist, wird hingegen darin nicht erwähnt. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger zudem, dass er von keinen Drohbriefen an dort lebende Sunniten wisse.
Der Kläger hat bezogen auf den Stadtteil Shab gegenüber dem Bundesamt vorgetragen, dass es dort ebenfalls keine Sicherheit gegeben habe. Worin die Unsicherheit bestanden haben soll, bleibt jedoch – auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung – unklar. Erst recht trägt der Kläger insoweit nichts vor, was für eine verfahrensrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG von Bedeutung sein könnte. Die pauschale Aussage, er könne nicht in einen anderen Landesteil gehen, weil man im Irak überall gefährdet sei, wird den oben beschriebenen Anforderungen, die an den Sachvortrag des Asylsuchenden zu stellen sind, bei Weitem nicht gerecht.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung machte der Kläger darüber hinaus Angaben über seine im Irak lebenden Geschwister. Diese würden mit ihren Familien in Bagdad in einem überwiegend schiitischen Stadtteil wohnen und erführen nach seinem Kenntnisstand keine Bedrohung. Weswegen ausgerechnet der Kläger aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit, die er nach eigenen Angaben gar nicht praktiziert, einer verfahrensrelevanten Bedrohung in Bagdad oder in anderen Landesteilen ausgesetzt sein soll, wird nicht – hinreichend substantiiert – geltend gemacht.
2.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht.
Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nur dann subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß Satz 2: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
3.
Dasselbe gilt für die begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Der erstmals in der mündlichen Verhandlung am 28. September 2016 erwähnte, aber durch nichts belegte Selbstmordversuch vermag darüber hinaus kein Abschiebungshindernis nach
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Dasselbe gilt für die – ebenfalls in der mündlichen Verhandlung erstmals – behauptete psychische Erkrankung des Klägers.
Das vom Kläger geltend gemachte (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbot nach
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass für den Ausländer im Abschiebezielstaat („dort“) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.
Es muss sich um eine einzelfallbezogene („für den Ausländer“), erhebliche und konkrete Gefahrensituation handeln, deren Verwirklichung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, München 2016, Rn.123).
Der bisherige Vortrag des Klägers begründet nach Auffassung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr im Sinne von
§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
Der angebliche Suizidversuch vom März 2016 hat nicht einmal Eingang in das vorgelegte Attest gefunden. In der mündlichen Verhandlung wurden diesbezüglich zudem keine Angaben über etwaige Ursachen, anschließende Klinikaufenthalte oder sonstige Folgen gemacht.
Laut dem ärztlichen Attest vom 14. September 2016 sei der Kläger nach dreimonatiger Wartezeit seit Mai 2016 in fortlaufender psychotherapeutischer Behandlung und leide an einer schweren rezidivierenden depressiven Episode. Es liege eine Entwicklungstraumatisierung nach frühem Verlust der zentralen Bindungspersonen, Vernachlässigung, körperlicher sowie emotionaler Gewalt und Entwurzelung sowie Heimatverlust vor. Nach den Ausführungen des behandelnden Therapeuten sei die Rückführung in das Heimatland mit einem erheblichen Risiko von plötzlichen selbstverletzenden oder selbstgefährdenden Handlungen verbunden.
Soweit der Psychotherapeut dadurch die Reisefähigkeit des Klägers in Zweifel gezogen sieht, spielt dies für die Prognoseentscheidung hinsichtlich eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses keine Rolle. Insoweit ist allein maßgeblich, ob dem Kläger durch die Abschiebung in den Irak („dort“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes drohen würde.
Dafür bietet das vorgelegte Attest jedoch keine Anhaltspunkte, weil es schon nicht den Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Rahmen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entspricht.
So hat das Bundesverwaltungsgericht unter anderem mit Urteil vom 11. September 2007 entschieden, welche Voraussetzungen ein ärztliches Attest, mit dem ein Abschiebungshindernis – im entschiedenen Fall aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung – geltend gemacht werden soll, zu erfüllen hat:
„(…) Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken
(§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (vgl. B. c. 16. Februar 1995 – BVerwG 1 B 205.93 – Buchholz 451.20, § 14 GewO Nr. 6). (…)“ (BVerwG, U. c. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris)
Diesen Anforderungen wird das vorgelegte Attest bei Weitem nicht gerecht. Zwar wird nicht ausdrücklich geltend gemacht, dass es sich beim Kläger um eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) handele. Allerdings stellt die diagnostizierte schwere rezidivierende depressive Episode eine vergleichbar komplexe und nicht allgemein zu definierende – seelische – Erkrankung dar, so dass die oben geschilderten Grundsätze auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden können. Hinzu kommt, dass nach den ärztlichen Formulierungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Falle des Klägers eine PTBS gemeint ist. Aber nicht einmal dies ist – für den medizinischen Laien – anhand des vorgelegten Attestes feststellbar.
Es fehlen darüber hinaus Angaben über die Häufigkeit der Behandlung, über die Behandlungsmethoden, den Verlauf und die Wirksamkeit der Therapie. Unbegründet bleibt aber insbesondere die Schlussfolgerung des Therapeuten, dass die Rückführung mit einem erheblichen Risiko für den Kläger verbunden sei. Es fehlen außerdem Angaben, welche medizinischen und psychotherapeutischen Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit der Kläger in sein Heimatland zurückkehren kann.
Nach alledem ist das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nicht hinreichend glaubhaft worden.
4.
Die in Ziffer 5) des Bescheids vom 11. März 2016 angedrohte Abschiebung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG (hier festgesetzt auf 30 Monateab dem Tag der Abschiebung) ist nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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