Verwaltungsrecht

Keine Auslegung einer “Berufung” in einen “Antrag auf Zulassung der Berufung”!

Aktenzeichen  15 B 20.1759

Datum:
14.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24664
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 93 S. 1, § 124 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 125 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Das in einem – anwaltlichen – Schriftsatz ausdrücklich als Berufung bezeichnete Rechtsmittel der Kläger kann nicht im Wege der Auslegung als Antrag auf Zulassung der Berufung verstanden werden, zumal das Wort „Berufung“ sogar durch Fettdruck und zusätzlich durch gesperrt gedruckte Großbuchstaben besonders hervorgehoben wurde. (Rn. 12) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Eine Berufung umfasst auch nicht – automatisch – zugleich einen Antrag auf Zulassung der Berufung. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Gegenstände. (Rn. 12) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

RN 6 K 18.1805 2020-06-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Verwaltungsstreitsachen 15 B 20.1759 und 15 ZB 20.1880 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Berufung wird verworfen.
III. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
IV. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten sowohl des Berufungs- als auch des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
V. Die Kostenentscheidung ist hinsichtlich des Berufungsverfahrens vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision gegen Nummer II des Beschlusses wird nicht zugelassen.
VII. Die Streitwerte für das Berufungs- und das Zulassungsverfahren werden auf jeweils 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich als Eigentümer eines benachbarten Grundstücks gegen einen der Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid des Landratsamts Landshut vom 4. Oktober 2018 für das Vorhaben „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit ca. 9 WE und 18 Außenstellplätzen, zweites OG als Terrassenwohnung“ auf dem Baugrundstück (FlNr. … der Gemarkung G* …*). Ihre Anfechtungsklage gegen den Bauvorbescheid wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 9. Juni 2020 ab. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Urteil wurde den vormaligen Bevollmächtigten der Kläger laut Empfangsbekenntnis am 17. Juni 2020 zugestellt.
Am 16. Juli 2020 reichte die als Rechtsanwältin tätige Klägerin zu 1 auf elektronischem Weg über ein besonderes Anwaltspostfach beim Verwaltungsgericht einen Schriftsatz ein, mit dem sie „namens und im Auftrag der klägerischen Partei“ gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020 mit dem Aktenzeichen RN 6 K 18.1805 wörtlich
„Berufung“
einlegte (Verfahren 15 B 20.1759). Im Schriftsatz der Kläger vom 16. Juli 2020 heißt es weiter, „Antragstellung und Begründung der Berufung“ würden nachgereicht.
Die Klägerseite wurde auf Verfügung des Senatsvorsitzenden darauf hingewiesen, dass mit der „Berufung“ das falsche Rechtsmittel eingelegt worden sei und dass ein „Antrag auf Zulassung der Berufung“ (als richtiges Rechtsmittel) nicht mehr fristgerecht gestellt werden könne. Mit weiterem Schreiben des Berichterstatters des Verfahrens vom 12. August 2020 wurden die Beteiligten auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die unstatthafte Berufung ohne mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen werden kann; die Beteiligten erhielten Gelegenheit, sich hierzu binnen einer Frist von zwei Wochen zu äußern.
Mit Schriftsatz vom 13. August 2020, der beim Verwaltungsgerichtshof am 14. August 2020 auf elektronischem Weg eingegangen ist, führten die Kläger aus, sie strebten – wie bereits im Schriftsatz vom 16. Juli 2020 mitgeteilt worden sei – die Durchführung des Berufungsverfahrens gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020 an. Das Verwaltungsgericht habe den Schriftsatz vom 16. Juli 2020 als Antrag auf Zulassung der Berufung gewertet und dessen Eingang entsprechend bestätigt. Es werde beantragt (Verfahren 15 ZB 20.1880),
die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Juni 2020 gemäß § 124a VwGO zuzulassen.
Zur Begründung berufen sich die Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, auf tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache, auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf eine Abweichung des angegriffenen Urteils von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, § 124 Abs. 2 Nrn. 1 – 4 VwGO. Zu ihrem Vortrag im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 13. August 2020 verwiesen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Die Verbindung der beiden Verfahren beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020 ist nicht statthaft und deshalb nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten (§ 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) durch Beschluss (§ 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO) ohne mündliche Verhandlung. Da das Verwaltungsgericht die Berufung im angegriffenen Urteil nicht zugelassen hat, ist statthaftes Rechtsmittel der Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 4 VwGO) und nicht die Berufung (§ 124 Abs. 1, § 124a Abs. 2 VwGO). Hierauf hat das Verwaltungsgericht Regensburg in der Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Urteils zutreffend hingewiesen. Das am 16. Juli 2020 eingelegte Rechtsmittel der Berufung ist folglich unzulässig.
Mit dem innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 16. Juli 2020 wurde nicht gleichzeitig ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Das in diesem – anwaltlichen – Schriftsatz ausdrücklich als Berufung bezeichnete Rechtsmittel der Kläger kann nicht im Wege der Auslegung als Antrag auf Zulassung der Berufung verstanden werden, zumal das Wort „Berufung“ sogar durch Fettdruck und auf Seite 2 zusätzlich durch gesperrt gedruckte Großbuchstaben besonders hervorgehoben wurde. Eine auf die Zulassung der Berufung gerichtete Antragstellung ist im Schriftsatz vom 16. Juli 2020 hingegen unterblieben. Der Inhalt der anwaltlichen Prozesserklärung ist unmissverständlich und bietet keinerlei Anhaltspunkt für eine vom eindeutigen Wortlaut abweichende Auslegung. Eine Berufung umfasst auch nicht – automatisch – zugleich einen Antrag auf Zulassung der Berufung. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Gegenstände. Der Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt ausschließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch den Verwaltungsgerichtshof. Die Berufung richtet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar. Sie haben unterschiedliche Ziele und stehen in einem Stufenverhältnis selbständig nebeneinander. Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung eröffnet die prozessrechtliche Möglichkeit, dieses Rechtsmittel als nunmehr statthaft einzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichthofs, an der der Senat festhält, kann eine von einem Rechtsanwalt innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO eingelegte Berufung regelmäßig auch nicht in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden. Gerade weil die Berufung und der Antrag auf Zulassung der Berufung unterschiedliche Gegenstände betreffen (s.o.), ist eine Umdeutung allenfalls dann möglich, wenn i n n e r h a l b d e r A n t r a g s f r i s t des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO das wirkliche Begehren klargestellt wird; andernfalls würde die gesetzliche Frist für die Stellung eines Zulassungsantrages umgangen werden (zum Ganzen vgl. BVerwG, B.v. 12.3.1998 – 2 B 20.98 – NVwZ 1999, 641 = juris Rn. 2 ff.; B.v. 9.2.2005 – 6 B 75.04 – juris Rn. 7 ff.; U.v. 27.8.2008 – 6 C 32.07 – NJW 2009, 162 = juris Rn. 23 ff.; B.v. 6.1.2009 – 10 B 55.08 – juris, Rn. 4; B.v. 19.4.2010 – 9 B 4.10 – juris Rn. 5 f.; B.v. 10.1.2013 – 4 B 30.12 – juris Rn. 2 ff.; B.v. 16.6.2015 – 9 B 79.14 – juris Rn. 3; U.v. 2.5.2016 – 9 B 12.16 – NVwZ, 1187 = juris Rn. 4 ff.; BayVGH, B.v. 27.1.2006 – 11 B 05.3134 – juris Rn. 7 ff.; B.v. 28.3.2012 – 15 B 10.1351 – juris Rn. 9 ff.; B.v. 10.10.2012 – 6 B 12.1590 – juris Rn. 3; B.v. 30.11.2015 – 15 B 15.2137 – juris Rn. 2 f.; B.v. 9.8.2016 – 22 B 16.1293 – juris Rn. 6 ff.; B.v. 18.1.2017 – 1 ZB 16.2474 – juris Rn. 5 ff.; B.v. 4.7.2018 – 15 B 18.1087 und 15 ZB 18.1233 – juris Rn. 8 ff.; B.v. 4.7.2019 – 10 B 19.1067 – juris Rn. 5 ff.; OVG NRW, B.v. 12.9.2017 – 13 A 1929/17 – juris Rn. 8 ff.; B.v. 15.12.2017 – 7 A 2570/17 – juris Rn. 2 ff.; B.v. 25.6.2019 – 4 A 1896/19 – juris Rn. 3 ff.). Eine solche Klarstellung innerhalb der Antragsfrist ist hier indes nicht rechtzeitig erfolgt (vgl. auch im Folgenden).
Der erst am 14. August 2020 elektronisch beim Verwaltungsgerichtshof gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung (datiert auf den 13. August 2020) erfolgte – unabhängig davon, dass er zudem nicht beim Verwaltungsgericht gestellt wurde (§ 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO, vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 42) – nicht fristgemäß (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) und ist daher ebenso unzulässig. Da das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020 sowohl nach der Einlassung der Klägerseite als auch ausweislich des in den Gerichtsakten enthaltenen Empfangsbekenntnisses (Bl. 209 der VG-Akte) am 17. Juni 2020 zugestellt wurde, lief die Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO bereits am Freitag, 17. Juli 2018, um 24:00 Uhr – und damit vier Wochen vor Antragstellung am 14. August 2018 – ab. Weder wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt noch ist ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO vorliegen (vgl. hierzu auch BVerwG, B.v. 16.6.2015 – 9 B 79.14 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 15 B 18.1087 und 15 ZB 18.1233 – juris Rn. 15 ff.).
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten sowohl des Berufungs- als auch des Berufungszulassungsverfahrens, weil beide Rechtsmittel erfolglos geblieben sind, § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ausspruches zur Kostentragung hinsichtlich des Berufungsverfahrens beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 i.V. mit § 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO) liegen nicht vor. Die Beigeladene, die keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, trägt billigerweise ihre außergerichtlichen Kosten selbst (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) sowie an der Streitwertentscheidung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind. Dabei waren die Größe des Bauvorhabens (Mehrfamilienhaus mit ca. neun Wohneinheiten) und der von den Klägern befürchtete Überschwemmungsschaden zu berücksichtigen. Eine Streitwertfestsetzung war für beide Rechtsmittel – Berufung und Antrag auf Zulassung der Berufung – erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 a.a.O. juris Rn. 19 m.w.N.).


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