Verwaltungsrecht

Keine Aussetzung der Abschiebung durch die Ausländerbehörde wegen neuer zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach negativem Abschluss des Asylverfahrens bzw. wegen Beziehung zu Kind

Aktenzeichen  10 CE 16.222

Datum:
4.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, S. 4, § 60a Abs. 2
AsylG AsylG § 42 S. 1
GG GG Art. 6
EMRK EMRK Art. 8
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

1. Nach Abschluss eines Asylverfahrens neu aufgetretene zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote können nicht gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden, sondern nur im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK entfalten rechtliche Schutzwirkungen zugunsten eines Elternteils im ausländerrechtlichen Verfahren nur dann, wenn eine tatsächliche Verbundenheit zwischen Elternteil und Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 E 16.450 2016-02-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) durch die Ausländerbehörde des Landratsamtes Landsberg a. Lech weiter verfolgt, ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG begehrt, weil ihm bei einer Rückkehr in den Kosovo durch Mitglieder der dortigen organisierten Kriminalität aufgrund seiner Aussagen und seiner Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden im Strafverfahren eine konkrete Lebensgefahr drohe, fehlt ihm bereits das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Er müsste dieses Rechtsschutzbegehren nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens und der bestandskräftigen Feststellung des Bundesamtes, dass (zielstaatsbezogene) Abschiebungshindernisse nicht vorliegen, richtigerweise mit einem gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung des (in der Hauptsache geltend zu machenden) Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG verfolgen. Denn die Ausländerbehörde ist nach § 42 Satz 1 AsylG an die diesbezügliche Entscheidung des Bundesamtes gebunden.
Unabhängig davon hat der Antragsteller unter Hinweis auf den Einfluss der dortigen organisierten Kriminalität und die Unfähigkeit staatlicher Sicherheitskräfte zu einem ausreichenden Schutz eine ihm bei einer Rückkehr in den Kosovo konkret drohende Lebensgefahr zwar behauptet, jedoch nicht nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO in der gebotenen Weise glaubhaft gemacht.
Soweit der Antragsteller mit seinem Eilantrag eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf die Beistandsgemeinschaft mit seinem 7-jährigen deutschen Sohn, der bei der sorgeberechtigten Mutter in München lebt, und die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK begehrt, ist der Freistaat Bayern schon nicht der richtige Antragsgegner, weil er für den geltend gemachten Duldungsanspruch nach dem materiellen Recht nicht passivlegitimiert ist. Denn zuständige örtliche Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung ist vorliegend – soweit ersichtlich – nicht das Landratsamt Landsberg am Lech, sondern gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 ZustVAuslR die Landeshauptstadt München.
Unabhängig davon begründen grundsätzlich weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch auf Duldung. Die vom Kläger geltend gemachten rechtlichen Schutzwirkungen zugunsten eines Elternteils entfalten diese Bestimmungen nur dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, B. v 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14; st. Rspr. des Senats, vgl. z. B. BayVGH, B. v 11.8.2015 – 10 C 15.1446 – juris Rn. 8). Dass eine solche Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn mit deutscher Staatsangehörigkeit besteht, ist ebenfalls nicht nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Der Kläger trägt insoweit lediglich vor, dass er in „Beistandsgemeinschaft“ mit seinem Sohn lebe und dieser ihn regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt besuche. Nicht dargelegt oder ersichtlich ist dagegen, dass das Wohl des Kindes bei der erforderlichen Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung so gewichtig bzw. bedeutsam und eine Aufenthaltsbeendigung beim Kläger deshalb unverhältnismäßig wäre.
Der Einwand des Antragstellers, seine Abschiebung habe auch deshalb zu unterbleiben, weil sie bislang entgegen § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG in ihren Wirkungen nicht befristet worden sei, greift letztlich ebenfalls nicht durch. Denn dem gesetzlichen Anspruch auf Befristung des mit der Abschiebung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) könnte – soweit bisher noch nicht erfolgt – durch die dafür zuständige Ausländerbehörde noch bis zum Zeitpunkt der Abschiebung genüge getan werden (s. § 11 Abs. 2 Satz 4 2. Hs. AufenthG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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