Verwaltungsrecht

Keine Berufungszulassung wegen Verfahrensmangel

Aktenzeichen  11 ZB 17.31081

Datum:
29.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 124722
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
VwGO § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Ist es nicht als überraschend anzusehen, dass das Verwaltungsgericht die Erkrankungen (zutreffend) als nicht lebensbedrohlich oder schwerwiegend im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG eingestuft hat, liegt ein Verfahrensfehler in Form einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 Nr. 3 VwGO) nicht vor. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland die allgemeine Erkenntnislage ausreicht oder ob zusätzliche Auskünfte über die individuellen Behandlungsmöglichkeiten einzuholen sind, lässt sich nicht fallübergreifend beantworten, sondern es kommt vielmehr auf die im Einzelfall vorliegende Erkrankung und die insoweit relevante allgemeine Erkenntnislage an, sodass der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht erfüllt ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.32885 2017-07-14 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist weder gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG wegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels noch gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
1. Zur Antragsbegründung machen die Kläger im Wesentlichen geltend, das Urteil sei fehlerhaft. Insbesondere verstoße es gegen grundlegend zu beachtende Grundsätze der Beweiserhebung und -würdigung, weil es außer Acht lasse, dass die notwendige medizinische Weiterbehandlung des Klägers zu 2 in seinem Heimatland nicht möglich sei. Das Gericht habe hierzu keinerlei Auskunft eingeholt und damit wesentliche Sachverhalte nicht aufgeklärt. Es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob das Gericht bei vorgetragener akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Erkrankung, welche als solche ein Abschiebungsverbot oder einen subsidiären Schutzstatus begründen könne, mit der allgemeinen Erkenntnislage argumentieren dürfe oder ob es im Rahmen der Amtsermittlung zusätzliche Auskünfte über die individuelle Behandlungsmöglichkeit einzuholen habe.
2. Die behauptete Fehlerhaftigkeit des Urteils erfüllt keinen der in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgeführten Berufungszulassungsgründe. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils kann die Berufung zwar in allgemeinen verwaltungsrechtlichen Streitverfahren zugelassen werden (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), nicht jedoch in asylrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren.
3. Unterstellt, die Kläger hätten mit der behaupteten Fehlerhaftigkeit des Urteils den Berufungszulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) wegen eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht geltend machen wollen, führt auch dies nicht zur Zulassung der Berufung. Ein (behaupteter) Aufklärungsmangel erfüllt ebenso wie ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung keinen der in § 138 VwGO genannten absoluten Revisionsgründe (stRspr, vgl. nur BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359 = juris Rn. 4 ff.; BayVGH, B.v. 29.5.2017 – 11 ZB 17.30510 – juris Rn. 11; B.v. 18.7.2017 – 20 ZB 17.30785 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 25.7.2017 – 1 A 1436/17.A – juris Rn. 30). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzung eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Fall des Klägers zu 2 verneint, weil es sich bei dessen bereits erfolgreich operativ behandelter Skoliose und bei der Selbstwert- und Identitätsproblematik nicht um schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankungen handele, die sich durch eine Rückkehr in die Russische Föderation bei dortigem Fehlen einer fachgerechten Behandlung alsbald wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Zwar ist nachvollziehbar, dass der Kläger zu 2 und seine Eltern die Erkrankung nach wie vor als belastend empfinden. Eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt jedoch auch nach Auffassung des Senats nicht vor, zumal die Skoliose durch zwei operative Eingriffe bereits erfolgreich behandelt wurde und lediglich der Nachsorge und -kontrolle bedarf. Für das Verwaltungsgericht bestand daher keine Veranlassung, der Frage der Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation weiter nachzugehen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist.
Es liegt auch kein Verfahrensfehler in Form einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Einen Beweisantrag haben die bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Dass das Verwaltungsgericht die Erkrankungen des Klägers zu 2 (zutreffend) als nicht lebensbedrohlich oder schwerwiegend im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eingestuft hat, ist auch nicht als überraschend anzusehen mit der Folge, dass das Gericht die Kläger darauf vor seiner Entscheidung ausdrücklich hätte hinweisen müssen.
4. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist ebenfalls nicht erfüllt. Er setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Abgesehen davon, dass die Erkrankung des Klägers zu 2 – wie bereits ausgeführt – nicht als lebensbedrohlich oder schwerwiegend im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzusehen ist, lässt sich die Frage, ob hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland die allgemeine Erkenntnislage ausreicht oder ob zusätzliche Auskünfte über die individuellen Behandlungsmöglichkeiten einzuholen sind, nicht fallübergreifend beantworten. Vielmehr kommt es auf die im Einzelfall vorliegende Erkrankung und die insoweit relevante allgemeine Erkenntnislage an.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
6. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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