Verwaltungsrecht

Keine ernsthafte individuelle Bedrohung allein wegen der Anwesenheit in Mogadischu

Aktenzeichen  M 11 K 17.30754

Datum:
26.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16818
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

1 In Mogadischu liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt weiterhin vor. (Rn. 22 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Bewohner Mogadischus ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände besteht keine individuelle Gefährdung. (Rn. 32 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für herausgehobene Personen (sog. high profile-Ziele) oder bei Vorliegen besonderer Umstände kann davon ausgegangen werden, dass al-Shabaab gezielt gegen bestimmte Personen vorgeht. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den ursprünglichen Klageantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist aufgrund der Teilrücknahme der Klage nicht mehr zu entscheiden (§ 92 Abs. 3 VwGO).
Im Übrigen ist die zulässige Klage unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts ist im angefochtenen Umfang zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Sie hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder auf die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes liegen nicht vor. Die Klägerin hat keine stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr in ihrem Herkunftsland Somalia ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Insbesondere hat sie keine stichhaltigen Gründe vorgebracht, dass ihr in Somalia eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder als Zivilperson eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Bei der Beurteilung, ob stichhaltige Gründe vorliegen, sind in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK alle relevanten Umstände des Einzelfalls einschließlich der Menschenrechtslage im Herkunftsland zu berücksichtigen. Der EGMR stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. zur Vorgängerregelung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. BVerwG, U.v. 17.11.2011 -10 C 13/10 – juris Rn. 20 m.w.N.; allgemein Keßler in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, AsylG, § 4 Rn. 4).
Hinsichtlich individueller gefahrerhöhender Umstände muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt die Zuerkennung eines asylrechtlichen Schutzstatus aufgrund individueller Umstände eine schlüssige Darlegung voraus. Dem Asylbewerber obliegt es, gegenüber dem Tatgericht unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumen von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist dabei gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die für den drohenden ernsthaften Schaden maßgeblichen persönlichen Umstände hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen. Maßgeblich für die Glaubhaftmachung sind insofern vorrangig die Angaben im Asylverfahren und insbesondere auch die Aussagen bei der Anhörung vor dem Bundesamt.
Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist dabei nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht (vgl. zu der inhaltsgleichen Vorgängerregelung in der RL 2004/83/EG BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09- juris Rn. 21 ff; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – juris Rn. 31).
Maßgeblich ist ausschließlich eine Gefährdungslage im Herkunftsland. Insoweit ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin keine stichhaltigen Gründe für eine ihr in Somalia drohende unmenschliche Behandlung. Aus einer erlittenen Beschneidung lassen sich zukunftsgerichtet keine Gefahren ableiten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine in Somalia bestehende Gefährdung im Zusammenhang mit einer „Zwangsehe“ oder „Zwangsbeziehung“ in Kenia. Dabei handelte es sich laut Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nur um eine nur kurzfristige „Beziehung“, die im Dezember 2011 über zwei Monate gegangen und durch sporadische Besuche geprägt gewesen sei. Nachdem sie schwanger geworden sei, habe der Mann sie nicht mehr „wie zuvor bedrängt“. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass die Klägerin Kenia erst im Jahr 2014 verlassen hat, geht das Gericht bereits nicht davon aus, dass eine Zwangsehe bzw. Zwangsbeziehung der maßgebliche Grund für die Ausreise aus Kenia war. Umso weniger kann davon ausgegangen werden, dass sich hieraus eine Gefährdung in Somalia ergeben könnte.
Der Klägerin droht auch nicht als Zivilperson eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen. Dafür, dass ein derartiger Konflikt angenommen werden kann, kommt es weder auf einen bestimmten Organisationsgrad der Beteiligten bewaffneten Streitkräfte noch auf eine bestimmte Dauer des Konflikts an. Insbesondere ist für die Annahme eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts auch keine besondere Intensität des Konflikts notwendig, da die Intensität nur bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass er auch zu einer Gefährdung im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG führt (BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 20 unter Hinweis auf die einschlägige Rspr. des EuGH)
Eine ernsthafte individuelle Gefahr kann sich nach der Rechtsprechung des Bundes-Verwaltungsgerichts auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des betreffenden Ausländers verdichtet. Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 14.07.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Soweit sich eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise aus dem hohen Gefahrengrad für jede sich in dem betreffenden Gebiet aufhaltende Zivilperson ergibt, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt. Der bei Bewertung der entsprechenden Gefahren anzulegende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Prüfung der tatsächlichen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454).
Maßgeblich für die Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt und ob hieraus eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt folgt, ist die Heimatregion des jeweiligen Klägers als regelmäßige Rückkehrregion (vgl. BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Ls. 1 und Rn. 13; BayVGH, B.v. 28.7.2016 – 20 ZB 16.30137 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 19 ff.). Abzustellen ist damit auf Mogadischu, woher die Klägerin stammt und bis zu ihrer Ausreise gelebt hat.
Zwar liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nach Auffassung des Gerichts auch in Mogadischu weiterhin vor. Die Situation dort stellt sich aber nach Maßgabe der quantitativen Gefahrendichte und einer Gesamtwürdigung entsprechend der Erkenntnislage und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 30 ff.) nicht so dar, dass jede Person allein wegen der Anwesenheit im Konfliktgebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
Die Situation in Mogadischu stellt sich wie folgt dar:
Entsprechend der Zusammenfassung des Berichts des Auswärtigen Amtes vom 1. Januar 2017 (im Folgenden: Lagebericht) hat Somalia den Zustand des „failed state“ überwunden, es bleibt aber ein fragiler Staat (Lagebericht, S. 4). Der vorhergehende Bericht vom 1. Dezember 2015 geht dagegen noch davon aus, dass sich Somalia auf dem Weg von einem „failed state“ zu einem fragilen Staatswesen befindet (Lagebericht, S. 4). Der Wortlaut der beiden Berichte ist bis auf minimale Nuancen gleich: Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. In vielen Gebieten der Gliedstaaten Süd-/Zentralsomalias und in der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg. In den von al-Shabaab befreiten Gebieten kommt es zu Terroranschlägen durch diese islamische Miliz.
Der frühere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Juni 2013 verweist darauf, dass nach übereinstimmenden Schätzungen diverser VN-Organisationen und internationaler Nichtregierungsorganisationen im somalischen Bürgerkrieg 2007 bis 2011 über 20.000 Zivilisten zu Tode gekommen sind, davon der größte Teil in Süd- und Zentralsomalia. Im Jahr 2012 seien allein in Mogadischu mindestens 160 Zivilisten getötet worden. Außerdem habe es mindestens 6.700 Verletzte durch Kampfhandlungen gegeben (Lagebericht, S. 8).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich (BFA) geht demgegenüber in seiner detaillierten Analyse und auf Grundlage zahlreicher Quellen einschließlich der Rechtsprechung des EGMR im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia – vom 25.4.2016 (S. 27) von Folgendem aus:
„Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Der Rückzug der formalen Präsenz der al Shabaab aus Mogadischu ist dabei dauerhaft. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es gibt in Mogadischu keine Clanmilizen und keine Clangewalt, auch wenn einzelne Clans angeblich noch in der Lage sein sollen, Angriffe führen zu können. In Mogadischu gibt es eine Präsenz von AMISOM, somalischer Armee und Polizei, sowie des Geheimdienstes NISA. Die Stadt ist generell sicher, auch wenn sie von al Shabaab bedroht wird. Es besteht keine Angst mehr, dass in Mogadischu wieder Bürgerkrieg herrschen könnte. Seit 2011 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt sehr verbessert. Die größte Gefahr geht heute von terroristischen Aktivitäten der al Shabaab aus. Die Hauptziele dafür sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann betroffen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Jeder Stadtbürger kann sein eigenes Risiko weiter minimieren, indem er Gebiete oder Einrichtungen meidet, die klar als Ziel der al Shabaab erkennbar sind. .“
Auch wenn man dies zugrunde legt, bedeutet das jedoch nicht, dass es dort zu keiner die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehenden willkürlichen Gewalt mehr kommt. Eine die Einstufung eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in Frage stellende wesentliche und ausreichend dauerhafte (vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2011/95/EU) Verbesserung der Sicherheitslage ist bisher auch in Mogadischu nicht festzustellen.
Al-Shabaab ist nach wie vor in der Lage, über die Peripherie in Randbezirke von Mogadischu einzudringen. Außerdem kann der Einfluss von al-Shabaab in Randbezirken von Mogadischu in der Nacht in der Peripherie größer werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 29).
Die Gewährleistung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse ist in Mogadischu im Hinblick auf die schwierige bürgerkriegsbedingte Situation für Rückkehrer ohne entsprechendes Netzwerk nicht gewährleistet. In Mogadischu war im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 keine Verbesserung bzw. eher eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Das ergibt sich bereits aus den vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid unter Bezug auf die Datenbank von Armed Conflict Location & Event Dataset (ACLED; The Robert S. Strauss Center for International Security and Law, www.acleddata.com) benannten Zahlen. Danach fanden aufgrund von 588 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu im Jahr 2012 insgesamt 445 Personen den
Tod. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten beteiligt waren, belief sich auf 178. Zu Tode kamen hierbei 135 Angehörige der Zivilbevölkerung. Für das Jahr 2013 verzeichnete die ACLED 971 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 707 Toten. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten betroffen waren, betrug 259, die Anzahl der Todesfälle unter Zivilisten 288. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 739 Vorfälle mit 586 Toten registriert. In 235 Vorfällen waren Zivilisten betroffen, zu Tode kamen 268 Zivilisten. Für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Oktober 2015 dokumentierte ACLED 416 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 426 Toten. Die Anzahl der Vorfälle mit Beteiligung von Zivilisten betrug 117. Bei diesen kamen 132 Angehörige der Zivilbevölkerung ums Leben. Im ersten Quartal 2016 wurden für die gesamte Region Banaadir einschließlich Mogadischu 66 Vorfälle mit 80 Toten genannt. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen nach Maßgabe der Kurzübersicht von ACCORD, die auf den Daten von ACLED basieren, ergeben ein ähnliches Bild. Danach ergeben sich in der Region Banaadir für den Berichtszeitraum 1. Quartal 2017 120 Vorfälle mit 199 Toten und für das 2. Quartal 139 Vorfälle mit 192 Toten. Für das 4. Quartal ergeben sich bereits aus dem Anschlag vom 14. Oktober 2017 512 Tote und fast 300 Verletzte (Deutschland today vom 2.12.2017 auf Grundlage von AFP).
Entsprechend den Zahlen des BFA zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu ist die Zahl der Handgranatenanschläge ab 2014 deutlich zurückgegangen und liegt nach den aktuellsten Zahlen bei ca. 15 Anschlägen/Quartal. Auch die Zahl der gezielten Attentate und Sprengstoffanschläge ist rückläufig. Im Gegenzug ist aber die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen gestiegen, von durchschnittlich 22/Quartal im Jahr 2013 auf 36 im Jahr 2014 und 44 im Jahr 2015. Zudem differiert die Gefährdungssituation extrem stark von Bezirk zu Bezirk (vgl. zu den Zahlen im Einzelnen BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 27 ff.; BFA, Analyse der Staatendokumentation Somalia – Lagekarten zur Sicherheitslage – vom 12.10.2015 – im Folgenden: Lagekarten – S. 22 ff.). Einzelne Bezirke liegen beim Gewaltniveau an der Spitze der landesweiten Skala terroristischer Gewalt. Werden noch die Zahlen bewaffneter Zusammenstöße hinzugezählt, müssen drei Bezirke (Yaqshiid, Hodan und Heliwaa) vermutlich als gewaltsamste Orte Somalias bezeichnet werden (BFA, Lagekarten, S. 30).
Zudem lässt die Vielzahl von Einzelmeldungen zu terroristischen Aktivitäten und bewaffneten Auseinandersetzungen in Süd- und Zentralsomalia einschließlich Mogadischu erkennen, dass auch in Mogadischu noch nicht von einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage auszugehen ist. So gab es im Juli 2015 wohl mindestens 28 Tote bei Anschlägen auf drei Hotels (Meldungen der Deutschen Welle vom 10.7.2015 – „Tote bei Anschlägen auf Hotels in Somalia“ und vom 27.7.2015 – „Tote bei Bombenexplosion in Mogadischu“). Wohl Ende August 2015 überrannten Kämpfer der al-Shabaab-Miliz gut 75 Kilometer südlich von Mogadischu einen Militärstützpunkt der AMISOM-Friedensmission der Afrikanischen Union, und richteten ein Blutbad an (Meldung der Deutschen Welle vom 1.9.2015 -„Viele Tote bei Anschlag auf AU-Soldaten in Somalia“). Bei einem Selbstmordanschlag auf den Amtssitz des somalischen Präsidenten im September 2015 gab es mindestens 12 Tote (Meldung von Focus Online vom 22.9.2015 – „Zwölf Tote nach Anschlag auf Präsidentensitz in Somalia“). Wohl Ende Oktober 2015 gab es im Südwesten des Landes zahlreiche Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der al-Shabaab-Miliz (Meldung vom Deutschlandfunk vom 1.11.2015 – „Viele Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Al-Shabaab“). Ebenfalls wohl Ende Oktober attackierten wohl Mitglieder der al-Shabaab-Miliz in Mogadischu unter Zündung von Autobomben ein Hotel, wobei nach Polizeiangaben wohl mindestens acht Menschen ums Leben kamen (Meldung von Spiegel online vom 1.11.2015 – „Angreifer zünden zwei Bomben – und stürmen Hotel“; Meldung der FAZ vom 2.11.2015 -„Terrorangriff auf Hotel in Mogadischu“). Auch aus Berichten der SZ vom 3. Juni 2016 („Immer noch stark genug“) und vom 26. Januar 2017 („Anschlag auf Hotel in Somalia“), der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Januar 2017 („Terroristen töten angeblich 57 kenyanische Soldaten“) und der FAZ vom 20. Februar 2017 („Tote bei Anschlag in Somalia“) geht hervor, dass die al-Shabaab-Miliz ihre Anschlagserie in Somalia auch nach der Wahl des neuen Präsidenten fortsetzt.
Als weitere aktuelle schwere Anschläge im Jahr 2017 sind beispielhaft zu nennen ein Bombenanschlag vor einem Hotel am 13. März 2017, bei dem mindestens acht Menschen getötet wurden (http://de.euronews.com/2017/03/13/somaliamindestensachttotebeianschlaginmogadischu), ein Bombenanschlag am 5. April 2017 vor einem Restaurant in der Nähe des Ministeriums für Sicherheit, bei dem mindestens sieben Menschen ums Leben kamen (http://www.spiegel.de/politik/ausland/somaliamehreretotebeianschlagderschababmilizinmogadischua-1142033.html), ein Bombenanschlag mit anschließender Geiselnahme in einer Pizzeria am 14. Juni 2017, wobei mindestens 20 Menschen getötet und weitere 35 verletzt wurden (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/somaliaterroranschlagrestaurantshebabmiliz), ein Selbstmordattentat am 20. Juni 2017, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen und 17 verletzt wurden (http://www.handelsblatt.com/politik/international/mogadischumindestens-16-totebeiselbstmordanschlaginsomalia/19956142.html), die Explosion einer Autobombe auf einer belebten Straße am 30. Juli 2017, bei der mindestens fünf Menschen getötet und weitere zehn verletzt wurden (http://derstandard.at/2000061996001/Fuenf-Totebei-Anschlagin-Mogadischu) und zuletzt der Anschlag vom 14. Oktober 2017 mit 512 Toten und fast 300 Verletzten (Nachweis vgl. oben).
Besonders schwierig stellt sich die Situation in den vielen Flüchtlingslagern in und um Mogadischu dar. Entsprechend Zahlen der UNHCR gab es in Somalia im November 2015 schätzungsweise 1,1 Millionen Binnenflüchtlinge. Davon fanden sich ca. 369.000 in Mogadischu. Die AMISOM-Offensiven im Jahr 2015 und Dürre haben zur Vertreibung von weiteren 42.000 Personen geführt. Die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete ist begrenzt, und die Situation angesichts der mehr als einer Million Flüchtlinge sowie durch die Rückkehrer bzw. Flüchtlinge aus dem Jemen sehr angespannt. Brennpunkte sind dabei u.a. das Umland von Mogadischu mit Hunderttausenden Binnenvertriebenen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84; EASO, Country of Origin Information, S. 26, 51).
Das weiterhin hohe Gewaltniveau mit einer Vielzahl an Anschlägen sowie auch die prekäre Lage in den Flüchtlingslagern lassen die Annahme einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage für die gesamte Zivilbevölkerung nicht zu. Für Bewohner Mogadischus ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände besteht jedoch keine individuelle Gefährdung. Hieran haben auch die aktuellen Anschläge im Jahr 2017 und insbesondere der verheerende Anschlag im Oktober 2017 nichts verändert. Mit den Anschlägen hat sich die Tendenz gezielter Attentate fortgesetzt. Eine veränderte Gefährdung der Zivilbevölkerung ergibt sich weder im Hinblick auf die quantitative Gefahrendichte noch auf die Art der Gefährdung.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände liegen bei der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Vortrags im Asylverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht vor.
Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 17. 11. 2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 18).
Im Hinblick auf die Verbesserung der Sicherheitslage besteht für Bewohner in Mogadischu keine ernsthafte Gefahr mehr, Opfer von willkürlichen Gewaltakten der al-Shabaab – bei jungen Frauen etwa in Form von Zwangsehen – zu werden, ohne dass es darauf ankommt, ob sie in der Vergangenheit bereits in den Fokus der al-Shabaab gerückt sind. Lediglich für herausgehobene Personen (sog. high profile-Ziele) oder bei Vorliegen besonderer Umstände kann davon ausgegangen werden, dass al-Shabaab gezielt gegen bestimmte Personen vorgeht. Derartige Umstände für eine individuelle Gefährdung ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht. Der Klägerin droht zudem auch nicht die Gefahr, in einem Lager für Binnenflüchtlinge Zuflucht nehmen zu müssen. Insofern wird zunächst gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen des Bundesamtes zu § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen – insbesondere auch im Hinblick auf die Versorgungslage in Mogadischu. Das Gericht geht unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass sie über Verwandte mit festem Wohnsitz in Mogadischu verfügt, zu diesen Kontakt hat bzw. herstellen kann und bei einer Rückkehr nach Mogadischu trotz ihrer bereits länger zurückliegenden Ausreise aus Somalia die Möglichkeit hat, Unterstützung und Unterkunft zu erhalten. Dafür spricht insbesondere auch der Umstand, dass das in Kenia geborene Kind der Klägerin nach ihren eigenen Angaben beim Bundesamt seit ihrer Ausreise aus Kenia im Jahr 2014 bei ihrer Mutter in Mogadischu lebt. Das hat die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihre Kenntnisse über ihre Verwandtschaft sowie den Verbleib ihres Kindes und ihrer Mutter relativiert und darauf hingewiesen hat, sie habe nur von einer Verwandten ihrer Nachbarin in Kenia gehört, wo sich ihr Kind befinde, sie habe über den Verbleib ihrer Familie nur Kenntnis bis 2014 und sie wisse nicht, ob sich ihre Familie danach auf die Flucht gemacht oder Mogadischu verlassen hätten, handelt es sich nach der Überzeugung des Gerichts um asyltaktisch motivierte Schutzbehauptungen bzw. Spekulationen. Das gilt umso mehr, als die Klägerin nach ihren Angaben beim Bundesamt in Somalia über eine große Anzahl an Verwandten – u.a. acht Geschwister – verfügt. Abgesehen davon gehört die Klägerin dem Mehrheitsclan der Hawia an und sie könnte insoweit auch entsprechende Clanunterstützung in Anspruch nehmen. Darüber hinaus ist die Klägerin jung, gesund und arbeitsfähig und war in der Lage, ihre Ausreise aus Kenia – trotz der bereits damals bestehenden Unterhaltslast für ihr Kind – aus eigener Kraft zu finanzieren. Auch dies spricht dafür, dass sie nach einer Rückkehr nach Mogadischu in der Lage sein wird, sich in die somalische Gesellschaft zu integrieren und ihre Grundbedürfnisse zu sichern. Eine besondere Vulnerabilität ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Hinweis auf die frühere Beziehung in Kenia und die jetzige Beziehung mit einem Somalier in Deutschland sowie ein gemeinsames in Deutschland geborenes Kind. Im Hinblick darauf, dass das Kind aus der Beziehung in Kenia seit der Ausreise der Klägerin aus Kenia bei ihrer Mutter lebt, geht das Gericht insbesondere nicht davon aus, die Klägerin könne aus gesellschaftlichen Gründen nicht zu ihrer Familie zurückkehren. Das Vorbringen möglicher inlandsbezogener Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit der familiären Situation der Klägerin in Deutschland spielt im Rahmen des subsidiären Schutzes sowie der im Asylverfahren nach Maßgabe von § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG keine Rolle und ist ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen des Aufenthaltsrechts zu klären.
Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen und mangels weiterer Umstände liegen auch die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vor – ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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