Verwaltungsrecht

Keine Gefahrenverdichtung in Mogadischu

Aktenzeichen  20 ZB 18.30799

Datum:
19.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16817
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1, § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Trotz der Zunahme terroristischer Anschläge und der Verschlechterung der Sicherheitslage in 2018 ist in der Hauptstadt Mogadischu der Grad willkürlicher Gewalt nicht derart hoch, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen ernsthaften Schaden erleiden würde. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist eine Rechtsfrage in der Rechtsprechung bereits geklärt, kann eine Grundsatzbedeutung nicht damit begründet werden, das Verwaltungsgericht habe im konkreten Einzelfall eine Gefahrenverdichtung aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts zu Unrecht nicht angenommen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 17.30754 2018-02-26 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht vorliegt.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit). Des Weiteren muss der Tatsachen- oder Rechtsfrage eine über den konkret zu entscheidenden Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 m.w.N.).
Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam,
ob in Mogadischu ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 c der RL 2004/83/EG solchen Ausmaßes besteht, dass er sich für jeden Angehörigen der Zivilbevölkerung durch seine bloße Anwesenheit zu einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben verdichtet hat.
Diese Frage bedarf jedoch nicht der grundsätzlichen Klärung, weil sie in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt ist. Dabei kann offen bleiben, ob in Mogadischu ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht (zu den Voraussetzungen allgemein EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12, Diakité – juris Leitsatz 1 und Rn. 28). Denn jedenfalls ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Senats (U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 30 ff.) ausgeführt hat, in der Herkunftsregion der Klägerin, der Hauptstadt Mogadischu sowohl bei quantitativer Betrachtung als auch bei wertender Betrachtung der Grad willkürlicher Gewalt nicht derart hoch, dass jede Person und damit auch die Klägerin ohne besondere gefahrerhöhende Umstände alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in diesem Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen ernsthaften Schaden erleiden würde (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 30 ff.; U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris Rn. 25 ff.). Dies gilt auch in Anbetracht der Zunahme terroristischer Anschläge im Jahr 2018 und der damit einhergehenden Verschlechterung der Sicherheitslage. An dieser Einschätzung vermögen die Hinweise der Klägerin auf verschiedene verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, welche die Sicherheitslage anders beurteilen, nichts zu ändern. Der Senat hält vielmehr an seiner Rechtsprechung fest, die er unter Heranziehung aktueller Erkenntnismittel, welche die Verschlechterung der Sicherheitslage in Teilen Somalias und auch in Mogadischu berücksichtigen, erneut bestätigt hat (BayVGH, U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris; U.v. 23.3.2018 – 20 B 17.31582 – juris). Dem vermag die Klägerin auch mit ihrem Hinweis auf den Rechtsbegriff der Gemeingefährlichkeit im Strafrecht nicht mit Erfolg entgegen zu treten. Der Begriff der erheblichen individuellen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Rahmen eines (innerstaatlichen) bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist in der Rechtsprechung geklärt. Dafür genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt. Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr muss sich vielmehr individuell verdichtet haben, um zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG führen zu können. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann in erster Linie auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen, die hier jedoch nicht geltend gemacht werden. Im Ausnahmefall kann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben aber auch durch eine allgemeine Gefahr hervorgerufen sein, die sich in besonderer Weise zugespitzt hat. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes „allgemein“ ausgesetzt ist, stellen normalerweise zwar keine individuelle Bedrohung dar. Eine Ausnahme davon gilt aber bei besonderer Verdichtung der Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris Rn. 26 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen in Mogadischu, gerade auch bei wertender Betrachtung, derzeit nicht vor (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris Rn. 36; U.v. 23.3.2018 – 20 B 17.31582 – juris Rn. 27). Letztlich wendet sich die Klägerin dagegen, dass das Verwaltungsgericht eine derartige Gefahrenverdichtung in ihrem Falle nicht angenommen hat. Damit macht sie aber keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG geltend.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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