Verwaltungsrecht

Keine generelle Verfolgung nach Asylantragstellung im Ausland durch iranischen Staat

Aktenzeichen  M 28 K 17.36770

Datum:
18.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158544
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 4

 

Leitsatz

Es ist nicht generell davon auszugehen, dass allein aufgrund einer Flucht aus dem Iran und einer Asylantragstellung in Deutschland mit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG durch den iranischen Staat zu rechnen ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten sowie eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Eine ordnungsgemäße Ladung der Beteiligten zum Termin hat stattgefunden.
Die Auslegung des klägerischen Antrags (§ 88 VwGO) ergibt, dass neben der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylberechtigung, hilfsweise des subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. des Bescheids) sowie der Befristungsentscheidung (Ziffer 6. des Bescheids) bestehen keine Zweifel.
1. Zur Begründung wird auf die Darstellung im angegriffenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend war noch auszuführen:
2. Eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz (GG) scheitert schon an der von ihm angegebenen Einreise durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG), hier Griechenland.
3. Der Kläger ist auch kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG:
a) Die vom Kläger angegebenen Belästigungen durch die Basij wegen seines westlichen Aussehens (T-Shirt, kein Bart) stellen vorliegend keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a AsylG dar. Es fehlt hierfür an der von § 3 a Abs. 1 AsylG geforderten Intensität der Beeinträchtigung. Nach § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten als Verfolgungshandlungen Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte von denen Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Die Belästigungen, die der Kläger vorgetragen hat, überschreiten diese Schwelle nicht, dürften so oder ähnlich aber einen Großteil der iranischen Bevölkerung betreffen und führen für sich genommen noch nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auch die vom Kläger vorgetragene generelle Abneigung gegen den iranischen Staat beziehungsweise seine allgemeine Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen Situation in seinem Heimatland führen allein nicht bereits zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auch insoweit ist auf § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG hinzuweisen. Auch bei einer Kumulierung von Verfolgungshandlungen nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylG muss sich insgesamt eine Verletzung der Menschenrechte ergeben, die ähnlich gravierend ist, wie eine Verletzungshandlung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 20.2. 2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936) Hiervon ist zumindest nach dem Vortrag des Klägers beim Bundesamt nicht auszugehen.
b) Soweit der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, seinen Glauben „neu, mit reiner Weste als Christ ausleben“ zu wollen, ist dies schon viel zu unsubstantiiert als von einer flüchtlingsschutzrelevanten Konversion zum Christentum ausgegangen werden kann.
Zwar kann eine Verfolgung, die an der Religion des Asylsuchenden anknüpft grundsätzlich zu einer Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Nach eigenen Angaben des Klägers hat er sich im Iran noch nicht dem Christentum zugewandt (Angaben des Klägers bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt:„…da wir dort keine Christen waren.“; „Kontakt zum Christentum habe ich erst hier in Deutschland bekommen.“). Nach § 28 Abs. 1a AsylG sind im Rahmen der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und der Prüfung des subsidiären Schutzes grundsätzlich aber auch selbst geschaffene Nachfluchtgründe zu berücksichtigen (vgl. zum Nachfluchtgrund der Konversion u.a. VG Augsburg, U.v. 19.9.2016 – Au 5 K 16.30957 – juris Rn. 28,30).
Auch können im Iran gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. etwa die Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015, S. 15 f., sowie vom 8. Dezember 2016, S. 10) zum Christentum konvertierte Muslime durch die aktive Glaubensausübung im konkreten Einzelfall landesweit einer beachtlichen Gefahr von Verfolgungshandlungen durch den iranischen Staat oder diesem zurechenbaren Akteuren ausgesetzt sein, jedenfalls dann, wenn sie ihren christlichen Glauben öffentlich leben, so dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 ff. AsylG) oder zumindest des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) oder zumindest die Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) in Betracht kommen kann (vgl. hierzu: VG München, U.v. 3.8.2017 – M 28 K 17.31767 – nicht veröffentlicht; OVG NW, U. v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 48 ff.; HessVGH, U. v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – juris Rn. 34 ff.; OVG NW, B. v. 30.7.2009 – 5 A 1999/07.A – juris; SächsOVG, U. v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris Rn. 34 ff.; BayVGH, U. v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 20 f.).
Die Annahme einer solchen Verfolgungsgefährdung setzt im konkreten Einzelfall allerdings voraus, dass die vorgetragene Hinwendung des Asylsuchenden zu der angenommenen Religion zur vollen Überzeugung des Gerichts auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, mithin eine ernsthafte, dauerhafte und nicht lediglich auf Opportunitätserwägungen oder asyltaktischen Gründen beruhende Hinwendung zum Christentum vorliegt und der neue Glaube die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt.
Vorliegend ist jedoch von einer ernsthaften Konversion in diesem Sinne nicht auszugehen. Der Kläger hat bei seiner Anhörung bei dem Bundesamt angegeben, er habe hier in Deutschland Interesse am Christentum entwickelt, aber habe noch keine tiefe, innere Überzeugung für das Christentum, so dass er „gleich Hals über Kopf dem Glauben hier leben könnte“, dass er sich taufen ließe, eine Taufurkunde vorlege und sage, er sei Christ geworden, nur damit er Asyl bekomme. Ein reines Interesse am Christentum ohne vertiefte Beschäftigung mit diesem Glauben oder innere Überzeugung kann jedoch gemessen an den oben genannten Maßstäben nicht zu einer Anerkennung als Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG führen.
c) Aus der Flucht des Klägers aus dem Iran sowie seiner Asylantragstellung in Deutschland ergibt sich ebenfalls nicht die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zwar sind Nachfluchtgründe im Rahmen der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich zu berücksichtigen, § 28 Abs. 1 a AsylG (s.o. unter 3b)). Es ist jedoch zumindest nicht generell davon auszugehen, dass allein aufgrund einer Flucht aus dem Iran und einer Asylantragstellung in Deutschland mit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a AsylG durch den iranischen Staat zu rechnen ist (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Oktober 2016, Seite 17). Gegenteiliges hat der Kläger zumindest substantiiert nicht vorgetragen. Er hat lediglich vorgebracht, es könne sein, dass sie ihn töten würden, nur aufgrund der Tatsache, dass er den Iran sechs Monate verlassen habe und damit das Verbrechen begangen habe, unerlaubt auszureisen. Falls er zurückkehre, würden Schwierigkeiten und Probleme auf ihn zukommen, in welchem Umfang wisse er nicht. Besondere exilpolitische Aktivitäten oder ähnliches regimekritisches Engagement, die möglicherweise eine andere Einschätzung rechtfertigen würden, hat der Kläger damit schon selbst nicht angegeben.
4. Das vom Kläger bei seiner Anhörung beim Bundesamt Vorgetragene führt auch nicht zu der Einschätzung, dass ihm in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG droht. Ihm ist daher kein subsidiärer Schutz zu gewähren. Beim Kläger ist nicht von einer ernsthaften Konversion auszugehen, ebenso ist nicht davon auszugehen, dass Kläger den christlichen Glauben auch in seinem Heimatland ausüben wird und dementsprechend Repressalien durch den iranischen Staat ausgesetzt sein wird (siehe oben unter 3 b)). Allein die Ausreise aus dem Iran und die Asylantragstellung führen nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht zu Sanktionen gegen den Kläger (siehe oben unter 3c)).
5. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK, welche im Rahmen der Prüfung des Art. 60 Abs. 5 AufenthG zu berücksichtigen wäre, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat auch keine Krankheiten oder sonstige individuelle, gefahrerhöhende Umstände vorgetragen, welche im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG zu berücksichtigen wären.
Die gerichtskostenfreie (§ 83 b AsylG) Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO.


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