Verwaltungsrecht

Keine Klärungsbedürftigkeit bezüglich einer inländischen Fluchtalternative in der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 17.31345

Datum:
26.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133230
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Einwände im Berufungszulassungsverfahren, die sich gegen die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung richten, sind dem materiellen Recht zuzuordnen und richten sich gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung, was nach der Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG aber nicht zur Zulassung der Berufung führen kann. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hat sich das Gericht aufgrund der ins Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen eine eigene Überzeugung über die Verhältnisse in der Ukraine und das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative gebildet, reichen entgegenstehende Behauptungen des Klägers und das Bestreiten der amtlichen Auskunftslage nicht aus, um im Einzelfall eine Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen und ggf. zu einer anderen Gefährdungseinschätzung zu gelangen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 K 16.31955 2017-08-25 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O., § 124a Rn. 72). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 609 ff.).
Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Die Kläger machen geltend, dass die gerichtlichen Annahmen einer inländischen Fluchtalternative und des Nichtbestehens einer aktuellen konkreten Verfolgungsgefahr durch Polizeibzw. Militärangehörige bzw. der ggf. bestehenden Möglichkeit, hiergegen staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht zutreffen; ferner, dass sie als Flüchtlinge grundsätzlich nicht in der Lage sind, einen Beweis für eine künftig drohende Verfolgung zu erbringen. Welche ungeklärte Tatsachenfrage, wie die Kläger meinen, sich hieraus ergeben soll, die in einem zuzulassenden Berufungsverfahren klärungsbedürftig und -fähig wäre, wird dabei nicht konkret aufgezeigt (vgl. dazu ausführlich Berlit a.a.O., § 78 Rn. 594 ff.). Ebenso wenig haben sich die Kläger substantiiert und unter Bezeichnung konkreter Erkenntnismittel mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt und eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufgezeigt, dass die gerichtlichen Annahmen unzutreffend sind (vgl. Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.). Im Übrigen sind die Einwände, soweit sie sich gegen die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wenden, dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2010 – 10 B 21/09 – juris Rn. 13). Sie richten sich in Wahrheit gegen die materielle Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, was nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann.
Soweit das Zulassungsvorbringen auf die Anforderungen an den Vortrag eines Asylsuchenden abhebt, trifft es entgegen der Behauptung der Kläger schon nicht zu, dass das Verwaltungsgericht verlangt hat, dass sie die ihnen drohenden Gefahren bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu beweisen hätten, und ihren Vortrag insgesamt als ungenügend erachtet hat, so dass sich hieraus die Frage nach den an das Vorbringen eines Asylsuchenden anzulegenden Maßstäben ergebe. Wie die Kläger selbst einräumen, hat das Gericht, wie vordem das Bundesamt, dem Kläger zu 1) geglaubt, dass er von ukrainischen Militärangehörigen bzw. Angehörigen eines Freiwilligenbataillons misshandelt worden ist. Es war lediglich nicht davon überzeugt, dass die Kläger in der Ukraine keinen innerstaatlichen Schutz gegen Übergriffe von Sicherheitskräften finden könnten, dass nach dem Kläger zu 1) rund drei Jahre nach den Vorfällen heute noch landesweit gesucht wird und ihnen eine Rückkehr in die Ukraine nicht zumutbar ist. Damit werden keine neuen Anforderungen an die in der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung geklärten (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68.81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44 = juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 26.10.1989 – 9 B 405/89 – juris Rn. 8; B.v. 15.8.2003 – 1 B 107/03, 1 PKH 28/03 – juris Rn. 5; U.v. 10.5.1994 – 9 C 434/93 – NVwZ 1994, 1123-1124 = juris Rn. 8) Mitwirkungspflichten eines Asylsuchenden gestellt. Vielmehr hatte sich das Gericht, was auch seine Aufgabe ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 434/93 – NVwZ 1994, 1123-1124 = juris Rn. 8 zur inländischen Fluchtalternative), aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel eine eigene Überzeugung über die Verhältnisse in der Ukraine gebildet, an der es den Vortrag der Kläger gemessen hat, und die entgegenstehende Behauptung der Kläger bzw. das Bestreiten der amtlichen Auskunftslage unter Verweis auf eine mündliche Information der Mutter des Klägers zu 1) nicht als ausreichend angesehen, um in ihrem Einzelfall zu einer anderen Gefährdungseinschätzung zu gelangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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