Verwaltungsrecht

Keine Klagebefugnis der Gemeinde gegen fachaufsichtliche Weisung des Landratsamtes bei Geschwindigkeitsbegrenzung

Aktenzeichen  M 23 K 15.178

Datum:
17.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2
GG GG Art. 28 Abs. 2 S. 1
StVO StVO § 45 Abs. 1 b S. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits mangels Klagebefugnis der Klägerin gemäß § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig ist.
Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss nach dem Vorbringen des Klägers die Verletzung seiner Rechte möglich sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die vom Kläger behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen können. Ob der Kläger nach seinem zu substantiierenden Vorbringen in seinen Rechten verletzt sein kann, ist dabei nach den Vorschriften des materiellen Rechts zu beurteilen (BVerwG, U. v. 20.4.1994 – 11 C 17/93 – juris m. w. N.).
Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin ist vorliegend auszuschließen, dass sie durch die streitgegenständliche fachaufsichtliche Weisung des Landratsamts vom 15. Dezember 2014 in eigenen Rechten verletzt werden kann.
Die Aufgaben und Befugnisse der (örtlichen) Straßenverkehrsbehörden zur Regelung des Straßenverkehrs gehören seit jeher zu den an sich staatlichen Aufgaben, nicht zu den Angelegenheiten des gemeindeeigenen, durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 BV geschützten Wirkungskreises. Demgemäß erfüllt eine Gemeinde, wenn sie – wie die Klägerin – als Straßenverkehrsbehörde nach den §§ 45, 44 Abs. 1 Satz 1 StVO i. V. m. Art. 3 und Art. 6 Satz 1 des Gesetzes über Zuständigkeiten im Verkehrswesen vom 28. Juni 1990 (ZustGVerk, GVBl S. 220) eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnet, staatliche Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis.
Daraus folgt, dass die Fachaufsichtsbehörde nicht schon dadurch in das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eingreift, dass sie gegen den Willen der Gemeinde eine angeordnete Geschwindigkeitsreduzierung auf bestimmten Straßen aufhebt (BVerwG, U. v. 20.4.1994 – 11 C 17/93 – juris). Fachaufsichtliche Weisungen im Straßenverkehrsrecht gegenüber einer Gemeinde können von dieser im Allgemeinen nicht angefochten werden, weil ihnen das für die Annahme eines Verwaltungsakts notwendige Merkmal der unmittelbaren Außenwirkung fehlt, jedenfalls aber keine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist. Allerdings kann eine solche fachaufsichtliche Weisung ihrem objektiven Sinngehalt nach auf Außenwirkung gerichtet und damit ein für die Gemeinde anfechtbarer Verwaltungsakt sein, wenn ihre Rechtswirkung unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden materiellen Rechts nicht im staatlichen Innenbereich verbleibt, sondern auf den rechtlich geschützten Bereich der Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten übergreift und damit Außenwirkung erzeugt (BVerwG, U. v. 14.12.1994 – 11 C 4/94; BayVGH, B. v. 7.4.2000 – 11 ZS 99.2198 und B. v. 21.7.2009 – 11 C 09.712 – jeweils juris) bzw. eine Rechtsverletzung bedingt (VG Regensburg, U. v. 5.7.2000 – RO 9 K 99.627 – juris; VG München, U. v. 26.8.2003 – M 23 K 00.1242, unveröffentlicht).
Dementsprechend kann die Klagebefugnis einer Gemeinde insbesondere dann nicht verneint werden, wenn sie geltend machen kann, sie sei durch eine fachaufsichtliche Maßnahme in ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine angemessene Berücksichtigung und Unterstützung ihrer örtlichen Verkehrsplanung gemäß § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO beeinträchtigt (BVerwG, U. v. 14.12.1994, a. a. O.; BayVGH, B. v. 7.4.2000, a. a. O.). Indem diese Bestimmung zu notwendigen Anordnungen für eine geordnete städtebauliche Entwicklung ermächtigt, ermöglicht sie nämlich auch eine Förderung gemeindlicher Verkehrskonzepte und dient damit nicht nur staatlichen Interessen, sondern zugleich den zum Selbstverwaltungsbereich gehörenden Planungs- und Entwicklungsbelangen der Gemeinde (BVerwG, U. v. 20.4.1994; BayVGH, B. v. 7.4.2000; VG München, U. v. 26.8.2003 – jeweils a. a. O.). In diesem Rahmen kann der geschützte Selbstverwaltungsbereich der Gemeinde insbesondere beeinträchtigt sein, wenn die Gemeinde durch Weisungen der Fachaufsichtsbehörde an der Umsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen bzw. an deren Aufrechterhaltung gehindert wird, sofern die betreffenden verkehrsrechtlichen Anordnungen der Gemeinde – zumindest auch – einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen und sie unterstützen (BVerwG, U. v. 14.12.1994, a. a. O.). Dies setzt wiederum voraus, dass die Gemeinde über ein bestimmten Mindestanforderungen genügendes städtebauliches Verkehrskonzept verfügt, d. h. ein kommunales Verkehrskonzept vorweisen kann, das hinreichend konkret die verkehrsmäßigen Planungen in einem bestimmten räumlichen Bereich darstellt, das von den für die Willensbildung der Gemeinde zuständigen Organen beschlossen worden ist, das Erfordernissen einer planerischen Abwägung genügt und insbesondere Darlegungen enthält, welche bestimmten Straßenzüge entlastet und welche neuen Straßenzüge in für die dortigen Anwohner zumutbarer Weise belastet werden sollen und können (BVerwG, U. v. 20.4.1994; VG Regensburg, U. v. 5.7.2000; VG München, U. v. 26.8.2003 – jeweils a. a. O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend weder dargetan noch ersichtlich, dass die streitgegenständliche fachaufsichtliche Weisung des Landratsamts in die Planungshoheit der Klägerin eingreifen und sie in ihrer Rechtsstellung als Selbstverwaltungskörperschaft berührt sein könnte.
Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, existiert für ihr Gemeindegebiet kein Verkehrskonzept, nach dem die geordnete städtebauliche Entwicklung durch Einrichtung bestimmter Geschwindigkeitsbeschränkungen unterstützt werden soll und welches durch die fachaufsichtliche Weisung beeinträchtigt sein könnte. Vielmehr wird die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung zur Geschwindigkeitsbegrenzung vom 8. August 2014 ausschließlich mit Aspekten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründet, um einer angenommenen örtlichen Gefahrenlage nach § 45 Abs. 9 StVO entgegenzuwirken. Dies geht auch aus dem nachträglichen Gemeinderatsbeschluss vom 18. November 2014 hervor. Hingegen dient die verkehrsrechtliche Anordnung vorliegend nicht der Umsetzung gemeindlicher Entwicklungsplanungen, so dass auszuschließen ist, dass die Klägerin durch das Einschreiten des Landratsamts in ihrem etwaigen Recht auf angemessene Berücksichtigung ihrer örtlichen Verkehrsplanung im Sinne des § 45 Abs. 1 b Nr. 5 Alt. 2 StVO betroffen sein könnte.
Die Klage ist daher mangels Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig, zumindest unbegründet, da die Klägerin aus den genannten Gründen nicht in eigenen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.4.1994, a. a. O.: bejaht die Zulässigkeit, verneint aber die Begründetheit der Klage einer Gemeinde gegen einen Widerspruchsbescheid zur Aufhebung einer angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung bei fehlendem städtebaulichen Konzept im Sinne des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO).
Ob die fachaufsichtliche Weisung des Landratsamts vom 15. Dezember 2014, die Beschilderungen zur Geschwindigkeitsreduzierung in der Hauptstraße in Schöffelding zu entfernen, im Übrigen im Einklang mit der Rechtsordnung steht, bedarf somit vorliegend keiner Entscheidung.
Das Gericht hat jedoch nach Einholung der polizeilichen Stellungnahme zur aktuellen Verkehrssituation vom 12. Februar 2016 und der Inaugenscheinnahme der örtlichen Gegebenheiten Zweifel am Vorliegen einer besonderen Gefahrenlage, welche die angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 2 StVO rechtfertigen könnte. Nach dieser Bestimmung setzt die Anordnung von Beschränkungen und Verboten des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen, der anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. Die Beantwortung der Frage, ob eine solche qualifizierte Gefahrenlage besteht, bedarf einer Prognose (vgl. BayVGH, B. v. 7.2.2011 – 11 ZB 10.947 – juris).
Diese Voraussetzungen dürften vorliegend nicht erfüllt sein. Insbesondere hat das Gericht nicht den Eindruck eines erheblichen, gefahrenträchtigen Verkehrsaufkommens bzw. Querungs- und Fußgängerverkehrs gewonnen. Zudem handelt es sich um einen überwiegend gut einsehbaren, verhältnismäßig breiten Straßenabschnitt ohne auffällige Problemstellen. Durch den durchgehend gepflasterten Überfahrtsstreifen besteht eine zusätzliche Ausweichmöglichkeit für Begegnungsverkehr. Daher erscheint auch der Kurvenbereich, in dem sich das Café befindet, nicht derart problematisch, dass er ein besonderes Gefahrenpotential bergen könnte. Ein sicheres Begehen entlang der Straße für Fußgänger erscheint im Hinblick auf die freien Gehstreifen und -flächen entlang der Straße möglich. Sofern auf mehrere Kleinkinder als Verkehrsteilnehmer verwiesen wird, ist zum einen davon auszugehen, dass Kleinkinder – zumindest im ganz überwiegenden Umfang – nicht alleine am Verkehr teilnehmen, sondern jeweils in Begleitung von Erwachsenen sind. Zudem ist sowohl der Bereich des Kindergartens als auch des sich anschließenden Kinderspielplatzes eingezäunt; entlang der Straße sind in diesem Abschnitt überdies Warnschilder (Verkehrszeichen Nr. 136 der Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO) angebracht. Jedenfalls besondere Gefahrenquellen, welche auf die konkreten örtlichen Gegebenheiten zurückzuführen sind, dürften vorliegend nicht gegeben sein. Die im Augenschein gewonnenen Eindrücke werden durch die polizeiliche Bewertung untermauert; hiernach sind zudem für den streitgegenständlichen Straßenabschnitt weder Geschwindigkeitsüberschreitungen/-beanstandungen noch auffällige Unfallzahlen bekannt.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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