Verwaltungsrecht

Keine Reiseunfähigkeit wegen einer im Inland begonnenen orthopädisch-chiurgischen Behandlung

Aktenzeichen  B 1 E 17.557

Datum:
20.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Bei einer möglichen erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit durch eventuelle Suizid-Handlungen kann die abschiebende Behörde durch eine ausreichende medizinische Begleitung während des Abschiebevorgangs ausreichende Vorkehrungen treffen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind kosovarische Staatsangehörige mit albanischer Volkszugehörigkeit. Sie wenden sich im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine für heute um 12.00 Uhr vorgesehene Abschiebung in ihr Heimatland.
Die Antragsteller reisten am 7. August 2015 in Deutschland ein und beantragten am 17. November 2015 Asyl.
Zur Begründung der Asylanträge wurde angegeben, dass sie nur wegen der Antragstellerin zu 4 eingereist seien, die vier Jahre im Kosovo behandelt worden sei, was aber nichts genützt habe. Die Ärzte im Kosovo könnten ihr nicht weiterhelfen. Im Kosovo erwarte den Antragsteller zu 1 die Arbeitslosigkeit. Die Antragsteller legten ärztliche Unterlagen der Universitätsklinik … sowie diverse Unterlagen deutscher Krankenhäuser und Arztpraxen vor, die attestierten dass die Antragstellerin zu 4 an einer … bds. mit … rechts leide und im Kosovo sowie in Deutschland operativ behandelt worden sei.
Mit Bescheid des … vom … wurden die Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Antrag auf subsidiären Schutz wurde abgelehnt und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Die Antragsteller wurden aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ihnen wurde die Abschiebung in den Kosovo oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht.
Der Antrag vom 3. Februar 2016 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Az. B 1 S. 16.30207) der am gleichen Tag erhobenen Klage (Az. B 1 K 16. 30208) wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Februar 2016 mit der Maßgabe abgelehnt, dass eine Abschiebung nur durchgeführt werden dürfe, wenn der gesundheitliche Zustand der Antragstellerinnen zu 2 und zu 4 dies nach Feststellung des Amtsarztes zulasse und der Grundsatz der Familieneinheit gewahrt werde.
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2 wurde im damaligen Verfahren eine Aufenthaltsbescheinigung des Klinikums …, …, über einen stationären Aufenthalt vom 30. Januar 2016 bis auf weiteres vorgelegt, ohne Benennung einer Diagnose.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Juli 2016, zugestellt am 21. Juli 2016, wurden die Klagen abgewiesen. Die Klägerbevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 4. August 2016 Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Am 18. Juli 2017 fand eine mündliche Verhandlung statt, eine Entscheidung über den Klageanspruch ist noch nicht ergangen.
Mit Telefax ihrer Bevollmächtigten vom heutigen Tag betragen die Antragsteller,
dem Antragsgegner die Abschiebung der Antragsteller zu untersagen.
Die Antragsteller hätten mit massiven gesundheitlichen Schäden im Kosovo zu rechnen. Die Antragstellerin zu 4 sei in dauernder ärztlicher Behandlung. Es bestehe eine … … Es bestehe Reiseunfähigkeit und im Fall der Abschiebung Suizidalität. Bei Unterbrechung der Behandlung drohe der Verlust der Gehfähigkeit.
Vorgelegt wurden ein Attest der Orthopädischen Klinik … Haus … vom 2. September 2016 bezüglich der Behandlung der Antragstellerin zu 4, wonach bei einem Abbruch der Behandlung der Therapieerfolg gefährdet sei, was zu einer bleibenden körperlichen Behinderung führen könne, sowie eine sog. „qualifizierte ärztliche Bescheinigung wegen Bedenken gegen die Reisefähigkeit“ vom 20. Oktober 2016. Bezüglich der Antragstellerin zu 2 wurden ein Attest der Ärztin für Psychiatrie Dr. med. … vom 25. November 2016 sowie vom 20. Juli 2017. In letzterem wird ausgeführt, dass seit dem 29. Mai 2017 eine massive Verschlechterung der depressiven Symptomatik mit ausgeprägten Ängsten, Unruhezuständen und schwerer Antriebsstörung vorliege. Nach dem Termin vom 18. Juli 2017 sei es zu einem Zusammenbruch gekommen, die Antragstellerin habe Notfallmedikation mit Tavor benötigt. Es bestehe keine Reisefähigkeit. Im Fall der Abschiebung bestehe akute Suizidalität.
Die … beantragt den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird auf die antrags- und klageabweisenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Februar 2016 bzw. 18. Juli 2016 (Gerichtsbescheid) verwiesen. Ein dem Antrag beigefügtes aktuelles Transport- und Reisefähigkeitsgutachten vom 6. Juli 2017 attestiere der Antragstellerin zu 4 Reisefähigkeit. In dem Gutachten sei die Behandlung bis Ende 2016 gewürdigt worden. Eine weitere Behandlung könne im Heimatland erfolgen. Die Abschiebung werde bei der Ingewahrsamnahme von einem Arzt begleitet. Bei der Sammelabschiebung sei ebenfalls ärztliche Begleitung gewährleistet. Weiter würden die Abzuschiebenden in … von Ärzten im Empfang genommen. Es seien keine qualifizierten ärztlichen Atteste vorgelegt worden, die zum momentanen Zeitpunkt zu einer Reiseunfähigkeit führen könnten.
Aufgrund der Überschreitung der Ausreisefrist und dem erkennbar fehlenden Willen zur freiwilligen Ausreise habe man die Antragsteller für die Sammelabschiebung am 20. Juli 2017 vorgesehen.
Die Duldungen seien mit einer auflösenden Bedingung erteilt worden und mit der Bekanntgabe des Ausreisetermins am 20. Juli 2017 erloschen.
Vorgelegt wurden außerdem durch die … zwei Bescheinigungen betreffend die Antragstellerinnen zu 2 und 4, ausgestellt am 20. Juli 2017 durch Dr. … Die Zusammenschau von Krankengeschichte und medizinischen Vorbefunden sowie dem äußeren Eindruck ermögliche die Bescheinigung der Flugreisetauglichkeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten – auch in dem Verfahren B 1 K 16.30208 – ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Abschiebung der Antragstellerinnen zu 2 und 4 wegen krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit aus tatsächlichen und demzufolge auch die Abschiebung der Antragsteller zu 1 und 3 aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.
Gemäß § 60a Abs. 2c Sätze 1 und 2 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen; eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, muss der Ausländer durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Der vom Antragsgegner eingeschaltete Arzt. Dr. …, der im Übrigen bereits am 06.07.2017 eine Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 4 attestierte, hat hinsichtlich der Antragstellerinnen zu 2 und 4 am heutigen Tag Flugreisetauglichkeit bescheinigt. Es hätten keinerlei Hinweise auf Suizidalität bestanden.
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 4 liegt eine derartige qualifizierte Bescheinigung nicht vor. Den vorliegenden Attesten ist vielmehr nur zu entnehmen, dass die Antragstellerin zu 4 im Vorjahr einen operativen Eingriff am Hüftgelenk hatte und sie derzeit physiotherapeutisch behandelt wird. Dafür, dass durch die Abschiebung an sich eine Gesundheitsgefahr besteht, ist nichts ersichtlich, die vorgelegten Atteste beziehen sich auf die nach Ansicht der Antragsteller im Kosovo nicht ausreichend verfügbaren medizinischen Behandlungsmöglichkeiten (vgl. ärztliches Attest Dr. *. vom 20.07.2017 und ärztliches Attest des Klinikums … vom 20.07.2017).
Soweit die Antragstellerin zu 2 auf ihre depressive Erkrankung abhebt und durch das Attest vom heutigen Tag der behandelnden Ärztin Dr. …. vortragen lässt, dass keine Reisefähigkeit und im Falle einer Abschiebung akute Suizidalität bestehe, wird zunächst auf die vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen verwiesen.
Eine akute Suizidalität konnte bei der Antragstellerin zu 2 ausweislich der Bestätigung des vom Antragsgegner zur Prüfung der Reisetauglichkeit beauftragten Dr. … nicht festgestellt werden.
Herr Dr. … wurde laut Auskunft des Antragsgegners durch die Regierung von Oberfranken, ZAB Bamberg beauftragt. Herr Dr. … ist seit 20 Jahren im Auftrag des Regierungspräsidiums … tätig und begleitet Sammelabschiebungen ab … sowie Zugriffe und Wohnungsdurchsuchungen. Weiterhin verfügt über er über die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin, Notfallmedizin, Betriebsmedizin, Verkehrsmedizin, psychosomatische Grundversorgung, Diabetologe und hat einen Ärztekurs der Landesärztekammer BW für PTBS. Weiterhin ist er als Honorararzt für das staatliche Gesundheitsamt am Landratsamt … tätig Es bestehen für das Gericht keine Anhaltspunkte, an den Feststellungen des Dr. … zu zweifeln.
Hinzu kommt, dass die Antragsteller sowohl auf dem Flughafen als auch auf dem Flug durch Ärzte versorgt werden, der Flug erfolgt unter ärztlicher Begleitung, die Antragsteller werden am Flughafen in … durch ärztliches Personal, das von der Deutschen Botschaft organisiert wurde, in Empfang genommen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 14) kann es in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, um gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen präventiven Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, a.a.O., Rn. 13). Zur Abwehr möglicher erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit der Antragstellerin durch suizidale Handlungen muss der Antragsgegner daher bereits vor der Abschiebung entsprechende Vorkehrungen treffen (vgl. auch VGH BW, B.v. 22.2.2017 – 11 S 447/17 – juris Rn. 5). Dem ist der Antragsgegner in hinreichendem Maße dadurch nachgekommen, dass der gesamte Abschiebevorgang ärztlicherseits begleitet wird und die Antragsteller bei ihrer Ankunft im Kosovo ebenfalls auf ärztliche Betreuung zurückgreifen können (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 23.08.2016, 10 CE 15.2784; B.v. 09.05.2017, 10 CE 17.750).
Somit ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).


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