Verwaltungsrecht

Keine Schutzwirkung vor Abschiebung bei unkonkretem Eheschließungsvorhaben

Aktenzeichen  10 CE 16.1965

Datum:
2.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2
GG GG Art. 6 Abs. 1
EMRK EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Die rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung wegen der Schutzwirkung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht, was regelmäßig nur dann anzunehmen ist, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (ebenso VGH München BeckRS 2015, 54324). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 E 16.1310 2016-08-31 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen und ihn insbesondere nicht nach Bosnien-Herzegowina abzuschieben, ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
Der Antragsteller hat den für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ergibt sich nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass ihm ein Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG zusteht.
Das Verwaltungsgericht ist beim Antragsteller, der nach seiner infolge bestandskräftiger (mit Bescheid vom 27.4.1999) Ausweisungsverfügung im Dezember 2008 erfolgten Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß eigenen Angaben Ende September/Anfang Oktober 2009 unerlaubt wieder ins Bundesgebiet eingereist ist und den erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt (s. § 50 Abs. 1 AufenthG), zu Recht von einer vollziehbaren Ausreisepflicht (s. § 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ausgegangen.
Der Einwand des Antragstellers, die bestandskräftige Ausweisungsverfügung aus dem Jahr 1999 sei nach inzwischen 17 Jahren rechtlich nicht mehr relevant, weshalb auch die (seinerzeitige) Abschiebungsandrohung aufgrund Zeitablaufs erloschen sei, greift schon deshalb nicht durch.
Das Verwaltungsgericht ist weiter davon ausgegangen, die Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien-Herzegowina sei im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG weder tatsächlich noch rechtlich unmöglich. Der Antragsteller besitze einen bis 7. Januar 2019 gültigen bosnischherzegowinischen Personalausweis. Ein rechtliches Abschiebehindernis bestehe ebenfalls nicht. Schutzwürdige familiäre Bindungen habe er nicht dargelegt. Auf seine Bindungen zur in einem Pflegeheim lebenden Mutter komme es nicht entscheidungserheblich an. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 EMRK. Von einer abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland könne nicht die Rede sein. Der Antragsteller habe nach seiner bestandskräftigen Ausweisung ausschließlich Duldungen besessen. Sein Aufenthalt in der Bundesrepublik sei von häufigen, schweren Straftaten gekennzeichnet. Einer geregelten Arbeit sei er nie nachgegangen. Auch die Ausweisung (und spätere Abschiebung) habe bei ihm keine einschneidende Wirkung gezeigt. Nach seiner illegalen Wiedereinreise sei er vielmehr immer wieder straffällig geworden. Eine nennenswerte Verwurzelung habe in Deutschland nicht stattgefunden. Dem Antragsteller sei auch sein Heimatstaat nicht unbekannt, er spreche die dortige Sprache, habe dort auch einige Zeit gelebt und im Übrigen selbst gegenüber der Ausländerbehörde angegeben, dass er sich als Bosnier fühle und dass Bosnien seine Heimat sei, wo seine Verwandtschaft lebe (Schreiben vom 4.4.2002, Bl. 396 f. der Behördenakten).
Soweit der Antragsteller dem entgegenhält, Bosnien sei nicht seine Heimat, er sei dort weder geboren noch aufgewachsen und er könne nach seiner Mutter allenfalls Serbe, nie aber Bosnier sein, ist dies auch mit Blick auf seine früheren Einlassungen nicht nur widersprüchlich, sondern zeigt insbesondere nicht die Unmöglichkeit der Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina auf.
Das Vorbringen, er habe sich inzwischen mit der deutschen Staatsangehörigen S. B. verlobt, die standesamtliche Trauung stehe Anfang/Mitte November 2017 (gemeint wohl: 2016) unmittelbar bevor und das Aufgebot werde nachgereicht, rechtfertigt ebenfalls nicht die Aufhebung oder Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Unabhängig von der Frage der Schutzwürdigkeit der beabsichtigten Ehe hat der Antragsteller eine sich aus den Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK (Eheschließungsfreiheit) ergebende rechtliche Unmöglichkeit seiner Abschiebung nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Ein derartiger Schutz würde voraussetzen, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht, was regelmäßig nur dann anzunehmen ist, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 10 CE 15.2165, 10 C 15.2212 – juris Rn. 18, B.v. 20.10.2016 – 10 CE 16.2127 – Rn. 2 jeweils m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit aber nicht vor.
Soweit der Antragsteller weiter geltend macht, seine Verlobte sei von ihm im zweiten Monat schwanger, Geburtstermin sei voraussichtlich Juni 2017, die diesbezüglichen Unterlagen würden ebenso nachgereicht wie die Vaterschaftserkennung und Sorgerechtserklärung, hat er ein sich aus den Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK ergebendes rechtliches Abschiebungsverbot ebenfalls nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein rechtliches Abschiebungshindernis folgt mit Blick auf Art. 8 EMRK schließlich nicht aus dem (ebenfalls) nicht weiter belegten Beschwerdevorbringen, der Antragsteller habe die Vollstreckung seiner Freiheitsstrafe zur Resozialisierung genutzt, sich während des Strafvollzugs einwandfrei geführt, in der Haft eine Ausbildung abgeschlossen und mehrere Angebote für Arbeitsstellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben