Verwaltungsrecht

Keine staatliche Verfolgung bei einer Rückkehr nach Äthiopien wegen einfacher Mitgliedschaft in exilpolitischer Organisation

Aktenzeichen  AN 3 K 16.30481

Datum:
21.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Personen, die bereits in Äthiopien als regimekritisch aufgefallen sind und die sich hier in Deutschland exponiert politisch betätigt haben und sich nicht nur als einfache Mitglieder oder bloße Mitläufer darstellen, haben bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG (Hauptantrag), noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge), weshalb der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, §§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zur Überzeugung des Gerichts nicht fest, dass der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Nach den Einlassungen der Klägerin in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Äthiopien schon nicht von einer politisch motivierten Verfolgung bedroht gewesen ist.
Selbst wenn ihr Ehemann ins Visier der staatlichen Sicherheitsorgane gelangt und wegen seiner Tätigkeit für die EPPF verhaftet worden sein sollte, ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht, dass sie selbst von staatlichen Verfolgungsmaßnahmen aufgrund ihres Engagements für die EPPF in Äthiopien betroffen war. Sie gab an, nie in Konflikt mit Sicherheitskräften oder Polizisten geraten zu sein. Auch gab sie nicht an, wegen ihrer Tätigkeiten inhaftiert gewesen zu sein. Vielmehr erklärte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung – abweichend zu ihren Angaben in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt -, sie sei von Sicherheitskräften im Krankenhaus beobachtet worden, ohne dass es zu einer Verhaftung oder Befragung gekommen sei. Dass es Sicherheitskräfte gewesen seien, habe sie von ihrer Nachbarin erfahren, die dieselben Personen bei ihr zu Hause gesehen habe, wohin sie selbst nach dem Vorfall nicht mehr zurückgekehrt sei. Zum einen erreichen die von ihr geschilderten Vorkommnisse nicht die Qualität staatlicher Verfolgungsmaßnahmen, zumal auch nicht nachvollziehbar ist, wieso bei einem ernsthaft bestehenden Verfolgungsinteresse seitens der Behörden kein Zugriff auf die Klägerin erfolgt sein sollte, die ja durch den Krankenhausaufenthalt des Sohnes örtlich gebunden war. Zum anderen sind die Angaben der Klägerin deshalb unglaubhaft, weil sich ihre Angaben aus dem behördlichen Verfahren nicht mit den Angaben im gerichtlichen Verfahren decken.
Vielmehr entstand in der mündlichen Verhandlung der Eindruck, dass die Klägerin vor allem sehr bestürzt über den Gesundheitszustand ihres Sohnes ist und dass sie den Unfall in sehr belastender Erinnerung hat. Befragt zu ihren Erlebnissen berichtete sie sehr emotional und anschaulich von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihres Kindes. Bei den Fragen zur beschriebenen Verhaftung des Ehemannes und zu den eigenen politischen Tätigkeiten blieb sie hingegen sehr vage, wenig anschaulich und zurückhaltend in den Schilderungen.
Flüchtlingsrelevante Nachfluchtgründe ergeben sich auch nicht aus der exilpolitischen Betätigung der Klägerin für die EPPF.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen wird und welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt wird (führende Position, Organisationen, gewaltsame Aktionen).
Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich eine zurückgeführte Person anschließend in Äthio-pien politisch betätigt. Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt, soweit bekannt, ohne Konsequenzen.
Insgesamt ist den Erkenntnisquellen zu entnehmen, die dem Klägervertreter auch bekannt sind, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Diaspora genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Spitzenpolitiker von Exilparteien, die der Regierung misslich sind, müssen deshalb im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien mit Verfolgung rechnen. Auch Aktivisten, die sich im Ausland gegen die Regierung aussprechen, drohen in Äthiopien Verfolgungen aufgrund revolutionärer Absichten. Aktivitäten einfacher Parteimitglieder werden hingegen von den äthiopischen Behörden nicht registriert, da den Behörden dazu die Ressourcen fehlen. Es sind allerdings Einzelfälle bekannt geworden, in denen es trotzdem bei Rückkehr zu Verhaftungen gekommen ist. Andererseits sind zahlreiche Fälle von Mitgliedern von Exilparteien bekannt, die nach ihrer Rückkehr nach Äthiopien nicht belangt worden sind.
Insgesamt lässt sich nach Auffassung des Gerichts den Erkenntnisquellen im Wesentlichen entnehmen, dass jedenfalls Personen, die bereits in Äthiopien dem äthiopischen Staat regimekritisch aufgefallen sind und die sich hier in der Bundesrepublik Deutschland exponiert politisch betätigt haben und sich nicht nur als einfache Mitglieder oder bloße Mitläufer darstellen, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben, zumal der äthiopische Staat in der Bundesrepublik Deutschland die Aktivitäten äthiopischer Staatsangehöriger genau überwacht (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A – juris).
Unter Würdigung dieser Gesichtspunkte und unter Würdigung der von der Klägerin vorgetragenen exilpolitischen Tätigkeiten ist ihr Engagement nicht derart einzuschätzen, dass ihr für den Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen drohen.
Sie gab an, einfaches Mitglied der EPPF zu sein und an Veranstaltungen teilzunehmen, was ihr wegen des Gesundheitszustandes ihres Kindes aber nur in sehr eingeschränktem Umfang möglich sei. Von sich aus machte die Klägerin ebenso wenig Angaben zu Art und Umfang ihres Engagements wie zu ihren tragenden politischen Motiven. Insgesamt vermittelte die Klägerin den Eindruck eines nicht politischen Menschen. Auch fehlt ihrem Engagement gänzlich die flüchtlingsschutzrelevante Exponiertheit.
2. Gründe für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach §§ 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG sind ebenso wie solche für die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG weder vorgetragen noch ersichtlich.
Insbesondere ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 5 Satz 1 AufenthG besteht. Denn sie ist nicht als alleinstehende Frau anzusehen, die ohne familiären Rückhalt mit einer Existenzgefährdung in Äthiopien rechen müsste (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Rückkehr einer jungen, alleinstehenden Frau, 13.10.2009).
Nach ihren Angaben leben jedenfalls ihre Schwiegereltern, bei welchen sich ihr Sohn … seit ihrer Ausreise befindet, als auch eine Tante väterlicherseits in Äthiopien. Sie gibt – wie die überwiegende Anzahl der äthiopischen Asylbewerber – an, zu der Familie derzeit keinen Kontakt zu haben. Die Gründe hierfür sind nicht nachvollziehbar. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Klägerin jedenfalls in der Anfangszeit mit Hilfe ihrer im Heimatland lebenden (weiteren) Verwandtschaft rechnen kann.
Die Erkrankung ihres Sohnes, dem aufgrund seiner Behinderung Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuerkannt wurde, ist kein Grund, der Klägerin selbst Abschiebungsschutz zuzubilligen, da in ihrer Person hierfür kein Grund vorhanden ist. Auch kann aufgrund des Abschiebungsverbotes zugunsten des Kindes für die Beurteilung der Lebensverhältnisse der Klägerin in Äthiopien nicht unterstellt werden, dass sie mit ihrem Sohn gemeinsam ausreisepflichtig wäre. Den notwendigen Schutz vor Abschiebung zur Sicherstellung der Betreuung des Kindes in der Bundesrepublik kann die Klägerin nur über die ausländerrechtlichen Vorschriften, nicht aber im Asylverfahren durchsetzen.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Demnach war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.


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