Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien

Aktenzeichen  M 1 S 17.53683

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 213
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es liegen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien vor, die eine Abschiebung wegen der Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung verbieten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Asylbewerber haben in Italien einen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung, sodass sich aus einer Schwangerschaft kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis ergibt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist nach ihren Angaben nigerianische Staatsangehörige und wurde am …11.2017 von den Grenzbehörden bei ihrer unerlaubten Einreise nach Deutschland angetroffen.
Nachdem eine EURODAC-Abfrage ergab, dass sich die Antragstellerin zuvor in Italien aufgehalten hatte, richtete das Bundesamt für … (Bundesamt) am 21.11.2017 ein Übernahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2017, der Antragstellerin zugestellt am 11. Dezember 2017, ordnete das Bundesamt die Abschiebung der Antragstellerin nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin erhob am … Dezember 2017 gegen den Bescheid Klage (M 1 K 17.53682) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Klage und Antrag wurden nicht begründet.
Den Akten des Bundesamts, in die die Bevollmächtigten der Antragstellerin Einsicht erhielten, ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin schwanger ist (errechneter Geburtstermin 11.3.2018).
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO gestellte Antrag ist unzulässig, da der streitgegenständliche Bescheid ausweislich der PZU am 11. Dezember 2017 zugestellt wurde und daher die erst am 19. Dezember 2017 erhobene Klage und der erst an diesem Tag gestellte Eilantrag außerhalb der Ein-Wochen-Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG erhoben bzw. gestellt wurden und daher verfristet sind.
Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet.
Die von der Antragstellerin eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht keine eigene Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens angenommen (1.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten oder -hindernissen (2.) verneint.
1. Italien hat das fristgerecht gestellte Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht beantwortet. Sonach ist gemäß Art. 22 Abs. 7 bzw. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass von italienischer Seite dem Übernahmeersuchen stattgegeben, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen.
Besondere Umstände, welche die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann die Antragstellerin ihrer Überstellung nach Italien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Italien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (vgl. aktuell OVG NRW, B.v. 12.10.2016 – 13 A 1624/16.A – juris; OVG NRW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris Rn 32 ff; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 13.01.2015 (Nr. 51428/10) und vom 30.06.2015 (Nr. 39350/13); VG München, U.v.10.5.2016 – M 12 K 15.50474 – juris Rn. 43).
2. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe, die bei der Abschiebungsanordnung zu prüfen sind (siehe BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris), liegen nicht vor.
Insbesondere begründet der Umstand, dass die Antragstellerin schwanger ist, keine solche Einwendung.
2.1 Im Fall der Schwangerschaft einer Antragstellerin nimmt das Gericht in ständiger Rechtsprechung nur für den Zeitraum des gesetzlichen Mutterschutzes ein Abschiebungsverbot an (VG München, B.v. 8.5.2017 – M 1 S. 17.50991; B.v. 9.11.2016 – M 1 S. 16.50757; B.v. 19.7.2016 – M 12 S. 16.50456 – juris Rn. 33). In Anlehnung an das Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) beginnt der Abschiebungsschutz sechs Wochen vor der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) und endet acht bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Entbindung (§ 6 Abs. 1 MuSchG). Nachdem der voraussichtliche Geburtstermin des Kindes der Antragstellerin der 11. März 2018 ist, befindet sich die Antragstellerin derzeit nicht im gesetzlichen Mutterschutz.
2.2 Für die medizinische Versorgung der Antragstellerin ist mit Blick auf die von ihr geltend gemachte Schwangerschaft auch in Italien gesorgt, sodass zudem kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis für Italien vorliegt. Insbesondere liegt kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Es ist nach der aktuellen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien hinreichenden Zugang zur Gesundheitsversorgung erhält. Asylbewerber haben nach entsprechender Registrierung und unter Vorlage einer Gesundheitskarte einen effektiven Zugang zu allen wesentlichen Formen der Gesundheitsversorgung in Italien (vgl. aktuell z.B. VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris Rn. 29f.). Die umfassende Gesundheitsfürsorge, über die Italien verfügt, ist für italienische Staatsbürgern sowie Flüchtlinge, Asylbewerber und unter humanitären Schutz stehende Personen gleichermaßen zugänglich. Es ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass dies für die Antragstellerin im Hinblick auf die von ihr vorgetragene Schwangerschaft nicht gelten könnte, sodass auch im Hinblick auf ihre medizinische Betreuung und Versorgung keine Verpflichtung der Antragsgegnerin gegeben, das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse für Italien anzuerkennen.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Abzulehnen war damit auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten hatte, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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