Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Italien

Aktenzeichen  M 11 S 18.51138

Datum:
1.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15958
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 2 lit. g, Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es nicht davon auszugehen, dass Asylsuchende in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso SchlHOVG BeckRS 2018, 6547; OVG NRW BeckRS 2016, 52566 u. BeckRS 2016, 47662). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine rein traditionell vollzogene Eheschließung begründet keine Familienangehörigkeit iSd Art. 2 lit. g Dublin-III-VO. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige, reiste am 12. März 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte am 14. März 2018 ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ebenfalls am 14. März 2018 schriftlich Kenntnis erlangte und stellte am 9. April 2018 einen förmlichen Asylantrag.
Eine EURODAC-Recherche ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Italien (IT1…, Antragstellung 02.12.2016, siehe Bl. 6 der Behördenakte). Am 15. März 2018 wurde vom Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet, das nicht beantwortet wurde. Eine Empfangsbestätigung hinsichtlich des Übernahmeersuchens erhielt das Bundesamt am 28. März 2018 per E-Mail.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und zur Zulässigkeit des Asylantrags am 9. April 2018 gab die Antragstellerin an, sie sei am 29. November 2016 von Libyen nach Italien eingereist und habe dort internationalen Schutz beantragt, Fingerabdrücke habe sie nicht abgegeben. Sie habe sich 1,5 Jahre in Italien aufgehalten und sei dann über unbekannt [gemäß Aufgriffsbericht vom 12. März 2018 über die Schweiz, Bl. 2 ff. der Behördenakte] nach Deutschland gereist. Sie habe keine Familienangehörigen in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat.
Bei der persönlichen Anhörung am 10. April 2018 gab die Antragstellerin u.a. an, sie sei verheiratet und habe ihren Mann am 28. November 2014 geheiratet. Weiterhin gab sie an, dass sie im dritten Monat schwanger sei. In Italien habe sie keinen Asylantrag gestellt und sie sei auch nicht zu ihren Asylgründen angehört worden. Bei der Einreise nach Italien habe sie Fingerabdrücke abgeben müssen.
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags und nach § 25 AsylG am 10. April 2018 gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, In Italien habe man sich nicht gut um sie gekümmert. Die Frau, die für sie zuständig gewesen sei, habe ihnen kein Essen gegeben. Als sie erfahren habe, dass die Antragstellerin schwanger geworden sei, habe sie sie hinausgeschmissen. Seitdem habe sie keine Bleibe in Italien mehr gehabt. Andere Mädchen seien auch von ihr weggegangen, weil sie sich nicht um sie gekümmert habe. Die Antragstellerin habe dann mit ihrem Mann auf der Straße und am Bahnhof schlafen müssen. Wegen ihrer aktuellen Situation hätten sie sich entschieden, nach Deutschland zu kommen. Nachdem ihr Mann (M 11 K 18.51116 und M 11 S 18.51118) auch aus dem Camp rausgeschmissen worden sei, habe sie mit ihm zusammen sein wollen. Diese Frau, die sich um sie habe kümmern sollen, habe ihren Mann nicht aufnehmen gewollt, deshalb hätten sie auf der Straße leben müssen. Diese Frau, die für sie zuständig gewesen sei, sei auch Afrikanerin gewesen. Dies sei in einem Camp gewesen. Der Prostitution habe die Antragstellerin in Italien nicht nachgehen müssen. Auf Beschwerden, Krankheiten und Gebrechen hin befragt, gab die Antragstellerin an, ihre Haut jucke sehr beim Duschen. Der Rest seien die Schwangerschaftssymptome. Sie sei im dritten Monat schwanger. Ihren Mutterpass habe sie im Camp. Die Antragstellerin ist daraufhin aufgefordert worden, ihren Mutterpass noch am heutigen Tage vorzulegen. Sie möchte nur in Deutschland bleiben. Außer ihrem Mann habe sie niemanden in Deutschland.
Laut einer Stellungnahme des Sonderbeauftragten für Opfer von Menschenhandel vom 11. April 2018 (Bl. 95 der Behördenakte) sei die Antragstellerin nach ihrem Sachvortrag Opfer von Menschenhandel zu sexuellen Zwecken (Internationale Begriffsbestimmung des Menschenhandels Art. 2 RL 2011/36/EU sowie Art. 4 MenschHÜbk) geworden. Wenngleich der Tatbestand des Menschenhandels im vorliegenden Fall erfüllt sei, sei eine positive Rückkehrprognose mangels Rückkehrgefährdung zu treffen, so dass die Entscheidung im Asylverfahren nicht vom Menschenhandel abhänge. Die vorgetragene Zwangsprostitution habe sich erst nach der Flucht der Antragstellerin aus Nigeria in Libyen abgespielt. Angesichts dessen, dass es der Antragstellerin gelungen sei, vom Menschenhändler, welcher sie bei „Asma Boys“ für 10.000 Dinar zu Prostitutionszwecken gekauft und sie später an eine Frau in Italien weiterverkauft habe, zu fliehen und sich somit der Zwangsprostitution zu entziehen, erscheine es als nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einer Lebensgefahr bei der Rückkehr nach Nigeria ausgesetzt werden würde. Die Antragstellerin habe zudem keinerlei Angaben gemacht, dass ihr Ächtungen oder Stigmatisierung seitens der Familienangehörigen oder des sozialen Umfeldes aufgrund ihrer Tätigkeit als Prostituierte drohen würden. Ebenfalls lasse sich aus den Schilderungen der Antragstellerin nicht erkennen, dass sie erneut in die Hände der Menschenhändler in Nigeria geraten würde. Vielmehr erschöpfe sich ihr Sachvortrag in den Ereignissen um die staatliche Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu „IPOB-Biafra“. Zwar sei die Antragstellerin ihren Angaben zufolge nach ihrer Einreise in Italien Ende 2016 vom Menschenhändler, der sie zur Prostitution in Libyen zwang, telefonisch bedroht worden. Sie habe jedoch im Folgenden bis zu ihrer Weiterreise nach Deutschland im März 2018 mit ihrem Mann „unbehelligt“ in Italien leben können. Eine Schutzgewährung bzw. eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts mit der Folge einer Entscheidung im nationalen Verfahren werde daher hier unter dem Gesichtspunkt des Menschenhandels als nicht erforderlich erachtet.
Mit Bescheid vom 13. April 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 17. April 2018 fand eine Anhörung bei der Regierung … statt. Hierbei trug die Antragstellerin u.a. erneut vor, dass sie verheiratet sei, allerdings nur traditionell. Dokumente oder eine Heiratsurkunde könne sie nicht vorlegen bzw. existierten nicht (vgl. Bl. 151 der Behördenakte).
Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 20. April 2018 zugestellt.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien auf Grund des dort gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellen, dass der Antragsteller entgegen der bisherigen Erkenntnislage bereits in einem anderen europäischen Staat internationalen Schutz erhalten habe und deshalb die Dublin-III-Verordnung keine Anwendung finden könne, bleibe es gleichwohl bei der Unzulässigkeit des Asylantrags. Die weitere Unzulässigkeit könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien würden nicht zu der Annahme führen, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK oder Art. 4 EUGrundrechtscharta vorliege. Im Folgenden wurde detailliert näher dargelegt, warum im italienischen Asylsystem keine systemischen Mängel bestünden. Im Hinblick auf eine Bedrohung durch Menschenhändler bzw. aufgrund sexueller Ausbeutung wurde auf die Stellungnahme der Sonderbeauftragten für Menschenhandel vom 11. April 2018 verwiesen und dargelegt, weshalb keine Gefahr der Reviktimisierung der Antragstellerin bestehe. Insbesondere habe die Zwangsprostitution in Libyen stattgefunden, in Italien sei die Antragstellerin zwar einmal bedroht worden, dennoch habe die Antragstellerin ihren Angaben zufolge bis zur Weiterreise mit ihrem Mann in Italien unbehelligt weiterleben können. Auch sei nicht zu erwarten, dass bei der Antragstellerin durch eine Überstellung nach Italien keine wesentliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands eintreten werde und dass es für sie möglich sein werde, in Italien eine eventuell notwendig werdende medizinische Versorgung zu erhalten. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die BRD veranlassen könnte, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die Antragstellerin habe vorgetragen, zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach Deutschland gekommen zu sein. Eine Eheschließung sei nicht vorgebracht worden. Eine rein traditionelle Ehe oder sonstige nichteheliche Lebensgemeinschaft sei nach deutschem Recht unbeachtlich. Aus Verlöbnissen oder sonstigen Partnerschaften, die nicht staatlich registriert oder anerkannt seien, könnten ausländerrechtlich keine Ansprüche geltend gemacht werden. Nach Aktenlage bestehe keine zivilrechtlich wirksame Ehe, sodass der angegebene Lebensgefährte kein Familienangehöriger der Antragstellerin i.S.d. Art. 2 g) Dublin III-VO sei. Eine Schwangerschaft stelle per se kein Überstellungshindernis dar. Eine Abschiebung scheide grundsätzlich sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt aus. In diesem Zeitraum sei wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter von einer Reiseunfähigkeit auszugehen. Dies folge aus der analogen Anwendung von § 3 Abs. 1 und Abs. 2 MuSchG. Der Zeitraum, in dem das oben benannte Überstellungshindernis bestehe, könne ggf. durch eine mögliche Verschiebung des tatsächlichen Entbindungstermins in Bezug auf das voraussichtliche Entbindungsdatum abweichen. Bis dato seien dem Bundesamt jedoch weder ein Mutterpass noch ärztlich bescheinigte Belege hierfür vorgelegt worden. Ein Abschiebungshindernis ergebe sich daher nicht. Es lägen zudem keine Hinweise auf andere inlandsbezogene Abschiebungshindernisse vor.
Die Antragstellerin hat am 25. April 2018 Klage erhoben (M 11 K 18.51137) und gleichzeitig beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des Bescheids vom 13.04.2018, Az.: … die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Klage und Antrag wurden nicht näher begründet.
Das Bundesamt hat die Akten in elektronischer Form vorgelegt, sich inhaltlich jedoch nicht geäußert.
Mit Beschluss vom 3. Mai 2018 hat die 11. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts München den Antrag des Mannes bzw. Lebensgefährten der Antragstellerin im Eilverfahren M 11 S 18.51118 abgelehnt. Auf den Beschluss und seine Begründung wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in diesem und im zugehörigen Klageverfahren sowie die Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung ist zulässig aber unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht veranlasst, da die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der angefochtene Bescheid erweist sich nach Aktenlage voraussichtlich als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der VO 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO). Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Die Kriterien finden in der in Kapitel III genannten Rangfolge (Art. 7 ff. Dublin-III-VO) Anwendung. Lässt sich anhand der Kriterien der Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Daneben bestimmt die Dublin-III-Verordnung in Kapitel V (Art. 18 ff. Dublin-III-Verordnung) Pflichten der zuständigen Mitgliedstaaten, deren Verletzung zu einem Übergang von Zuständigkeiten führen kann.
Die Antragstellerin ist entsprechend ihrem Vortrag von Libyen kommend nach Italien eingereist, so dass nach Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO Italien für ihren dort gestellten Asylantrag zuständig ist. Der Vortrag der Antragstellerin im Rahmen der persönlichen Anhörung am 10. April 2018, sie habe in Italien keinen Asylantrag gestellt, ist bereits durch den EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (IT1…, Antragstellung 02.12.2016 in Cremona, siehe Bl. 6 der Behördenakte) widerlegt. Im Übrigen wurde dort jedenfalls der zeitlich frühere Asylantrag gestellt, so dass sich die Zuständigkeit Italiens auch aus Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO ergeben würde. Zudem hat Italien das gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO rechtzeitig gestellte Wiederaufnahmegesuch nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO (nachträglicher Empfangsnachweis am 29.03.2018, vgl. Akte Bl. 194 ff.) nicht beantwortet und wäre somit auch im Hinblick auf die sekundären Zuständigkeitskriterien nach Art. 18 ff. Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrags zuständig. Gemäß Art. 25 Abs. 2 der Dublin III-VO ist davon auszugehen, dass einem nicht fristgerecht beantworteten Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 Dublin-III-Verordnung die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und den gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen oder die Prüfung abzuschließen.
Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin in Italien internationalen Schutz erhalten hat, bestehen nicht. Auf die Frage, ob dies dem angefochtenen Dublin-Bescheid entgegenstehen würde, kommt es daher nicht an.
Die Zuständigkeit liegt auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO bei der Antragsgegnerin (oder einem anderen Mitgliedsstaat), weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. zur Dublin-II-VO BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Ls. und Rn. 9).
Entsprechend diesem Maßstab ist nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein noch. Das Gericht schließt sich zur Situation im Hinblick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte an (vgl. aktuell OVG SH, U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris Rn. 39 ff.; OVG NW, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris Rn. 72 ff.; OVG NW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris Rn. 47 ff.), die auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte steht (vgl. EGMR, U.v. 13.1.2015 – Nr. 51428/10; U.v. 30.6.2015 – Nr. 39350/13).
Die Antragstellerin hat keine individuelle Gefährdung substantiiert geltend gemacht.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind nicht ersichtlich.
Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die über die bereits im Hinblick auf die Zuständigkeit Italiens relevanten Umstände hinausgehen, sind nicht ersichtlich. Insofern wird zunächst gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen.
Abschiebungsrelevante familiäre Bindungen sind nicht glaubhaft gemacht. Ein Nachweis hinsichtlich einer wirksamen Eheschließung wurde nicht erbracht. Zwar gab die Antragstellerin im Rahmen der persönlichen Anhörung am 10. April 2018 an, ihren Mann am 28. November 2014 geheiratet zu haben. Abgesehen davon, dass diesbezüglich keine Dokumente vorgelegt wurden, hatte die Antragstellerin im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und zur Zulässigkeit des Asylantrags am 9. April 2018 jedoch noch angegeben, in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedsstaat über keine Familienangehörigen (wobei Ehegatten ausdrücklich beispielhaft genannt werden) zu verfügen. Im Rahmen der Befragung bei der Regierung … am 17. April 2018 gab die Antragstellerin zudem an, dass sie lediglich traditionell verheiratet sei. Ergänzend wird daher klargestellt, dass der in Deutschland befindliche Lebenspartner der Antragstellerin (M 11 K 18.51116 und M 11 S 18.51118) kein Familienangehöriger i.S.v. Art. 2 Buchst. g Dublin-III-VO ist. Denn nach deutschem Recht bzw. den hiesigen Gepflogenheiten werden nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich nicht vergleichbar behandelt wie verheiratete Paare. Sowohl im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch im Aufenthaltsrecht ist eine anerkannte Eheschließung erforderlich; eheähnliche Beziehungen reichen nicht aus. Der Schutz des Art. 6 GG greift nur bei rechtsgültig geschlossenen Ehen (VG Düsseldorf, B. v. 15.12.2016 – 13 L 3994/16.A – beckonline Rn. 12). Eine ausländerrechtlich vergleichbare Behandlung nicht verheirateter Paare wie verheirateter Paare (vgl. Art. 2 Buchst. g Spiegelstr. 1 Dublin-III-Verordnung) sieht das deutsche Recht (mit Ausnahme von Lebenspartnerschaften, vgl. § 27 Abs. 2 AufenthG) nicht vor. Aus sonstigen Partnerschaften, die nicht staatlich registriert und anerkannt sind, können weder aus dem Asylrecht noch aus dem Aufenthaltsrecht Ansprüche abgeleitet werden (vgl. OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 29 ff. m.w.N.). Daher begründet eine rein traditionell vollzogene Eheschließung keine Familienangehörigkeit im Sinne des Art. 2 Buchst. g) der Dublin-III-VO. Eine Ehe wird in Deutschland nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen (§ 1310 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Auch die Eheschließung im Sinne der Dublin-III-VO setzt eine staatliche förmliche Anerkennung voraus (VG München, B. v. 08.11.2017 – M 8 S7 17.53093). Dies ist hier schon nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin nicht erfolgt. Im Übrigen ist befindet sich der Lebensgefährte der Antragstellerin auch in einem Dublin-Verfahren mit Italien. Sein Eilantrag ist von der erkennenden Kammer mit Beschluss vom 3. Mai 2018 abgelehnt worden, sodass er vollziehbar ausreisepflichtig ist.
Die von der Antragstellerin geltend gemachte Schwangerschaft begründet jedenfalls außerhalb des Zeitraums des gesetzlichen Mutterschutzes – wie hier, da die Antragstellerin zum Entscheidungszeitraum maximal im fünften Monat schwanger ist – kein Abschiebungshindernis (VG München, B. v. 08.05.2017 – M 1 S. 17.50991; B. v. 09.11.2016 – M 1 S. 16.50757; B. v. 19.07.2016 – M 12 S. 16.50456 – juris Rn. 33).
Ob der Vortrag der Antragstellerin, in Libyen zur Prostitution gezwungen worden zu sein, tatsächlich zutrifft kann dahinstehen, da in der Stellungnahme der Sonderbeauftragten für Menschenhandel vom 11. April 2018 in nachvollziehbarer Weise dargelegt ist, dass keine Gefahr einer Reviktimisierung droht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb der Antragstellerin in Italien diese Gefahr drohen sollte, da schon nach ihrem eigenen Vortrag sie in Italien nicht zur Prostitution gezwungen wurde und sie lediglich einmal einen Drohanruf des Menschenhändlers aus Libyen erhielt, sie jedoch bis zur Weiterreise nach Deutschland unbehelligt mit ihrem Lebensgefährten in Italien weiterleben konnte.
Auch die geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden begründen keine Abschiebungshindernisse (vgl. zu den Anforderungen § 60a Abs. 2c AufenthG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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