Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder Aufnahmebedingungen in Slowenien

Aktenzeichen  B 5 S 17.50112

Datum:
3.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2, Art. 29
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1

 

Leitsatz

Asylbewerber laufen in Slowenien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenischer Volkssowie islamischer Religionszugehörigkeit. Ihnen wurden von der slowenischen Vertretung in Moskau am 27. Dezember 2016 Schengen-Visa für einen Aufenthalt von maximal 20 Tagen mit einem Gültigkeitszeitraum vom 5. Januar 2017 bis 10. Februar 2017 erteilt (Bl. 3 ff. der Behördenakte). Die Antragsteller reisten nach eigenen Angaben am 7. Januar 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 19. Januar 2017 Asylanträge.
Das Bundesamt stellte am 26. Januar 2017 Aufnahmegesuche für die Antragsteller an die Republik Slowenien, denen die slowenischen Behörden mit Schreiben vom 18. Februar 2017 entsprachen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. Februar 2017 wurden die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides) und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Die Abschiebung nach Slowenien wurde angeordnet (Ziffer 3 des Bescheides) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheides). Nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) sei Slowenien für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig, die in der Bundesrepublik gestellten Asylanträge seien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig. Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestünden nicht. Es lägen keine Gründe zu der Annahme von systemischen Mängeln im slowenischen Asylverfahren vor. Den Antragstellern drohe keine verfahrenswidrige Abschiebung in ihr Heimatland. Die Frist von sechs Monaten für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei im vorliegenden Fall angemessen. Die Zustellung des Bescheides erfolgte ausweislich der Empfangsbestätigung am 24. Februar 2017.
Die Antragsteller erhoben zur Niederschrift der Urkundsbeamtin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 27. Februar 2017 Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2017 (B 5 K 17.50113) und beantragten zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
In Slowenien hätten die Antragsteller keinen Asylantrag gestellt, es seien ihnen lediglich Fingerabdrücke genommen worden.
Die Antragsgegnerin hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Behörden- und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
1. Die zulässigen Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO haben in der Sache keinen Erfolg.
a) Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage – wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG – keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen. Die angegriffene Abschiebungsanordnung stellt sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar, so dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller hinter das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurückzutreten hat. Nach § 34a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einen aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung stellt sich als Festsetzung eines Zwangsmittels dar, die erst dann ergehen darf, wenn alle Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt sind. Dies ist in erster Linie die Zuständigkeit des anderen Staates, daneben muss aber auch feststehen, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist. Die notwendigen Voraussetzungen liegen hier im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung der Antragsteller nach Slowenien vor.
b) Rechtsgrundlage für die Erklärung der Asylanträge als unzulässig ist § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO ist für die Prüfung eines Asylantrags eines Inhabers eines gültigen Visums der Mitgliedsstaat zuständig, der das jeweilige Visum erteilt hat. Dieser Fall liegt hier vor, denn die Antragsteller sind mit von slowenischen Behörden ausgestellten, gültigen Schengen-Visa in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Zuständigkeit der Republik Slowenien für die Durchführung der Asylverfahren ergibt sich somit aus Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO.
c) Die Zuständigkeit Sloweniens ist auch nicht durch den Ablauf der Überstellungsfrist wieder entfallen. Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO von sechs Monaten ab der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedsstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend erfolgte die Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die slowenischen Behörden am 18. Februar 2017, so dass die Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
d) Es besteht auch keine Pflicht der Antragsgegnerin, die Prüfung der Kriterien nach Kapitel III der Dublin-III-VO fortzusetzen und gegebenenfalls eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO anzunehmen (vgl. EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – NVwZ 2014, 129 Rn. 36), denn systemische Mängel im Asylsystem Sloweniens bestehen nicht. Systemische Mängel im Asylsystem liegen dann vor, wenn in dem als zuständig bestimmten Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der Fassung vom 26. Oktober 2012 (ABl EG C 326 S. 392, EuGrCh) ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – NVwZ 2014, 129 Rn. 36). Es kommt demgegenüber nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommen kann (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 6). An die Feststellung systemischer Mängel sind mithin hohe Anforderungen zu stellen und es kann nur bei strukturellen und landesweiten Missständen davon ausgegangen werden, dass eine individuelle und konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eines jeden einzelnen oder zumindest einer nennenswerten Anzahl von Asylbewerbern von den nationalen Behörden tatenlos hingenommen wird (NdsOVG, B.v. 1.4.2014 – 13 LA 22/14 – juris). Weder haben die Antragsteller systemische Mängel im polnischen Asylsystem dargelegt noch sind solche gravierenden Mängel sonst ersichtlich (vgl. VG Regensburg, U.v. 15.1.2015 – RO 4 K 14.50301 – juris Rn. 27; VG München, B.v. 2.11.2016 – M 25 S 16.50720 – juris Rn. 36). Auch die jüngst in Kraft getretenen Änderungen des slowenischen Asylrechts ändern an dieser Einschätzung nichts. Denn die neu eingeführten Verschärfungen wurden präventiv für den Fall eines möglichen Wiederanstiegs der Flüchtlingszahl auf der Balkan-Route beschlossen und beinhalten im Wesentlichen die Möglichkeit, durch einen Parlamentsbeschluss die Grenzen für maximal sechs Monate für illegal einreisende Flüchtlinge zu schließen und bereits illegal eingereisten Personen unabhängig von der Stellung eines Asylantrages zurückzuführen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Slowenien vom 30.1.2017). Weder hat das slowenische Parlament die befristete Einführung solcher Maßnahmen beschlossen noch zählen die Antragsteller zu den davon betroffenen Personengruppen, denn die slowenischen Behörden haben einer Rücküberstellung der Antragsteller ausdrücklich zugestimmt.
Darüber hinaus spielt eine möglicherweise vorhandene oder zu erwartende Entscheidung seitens des Abschiebungszielstaates über den Asylantrag im Rahmen der Bestimmung des für die Entscheidung über den Asylantrag zuständigen Zielstaates keine Rolle. Wie Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO ausdrücklich regelt, ist grundsätzlich nur ein Mitgliedstaat für die Entscheidung über den Asylantrag zuständig. Die Regelungen der Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 17 Dublin III-VO sorgen nicht dafür, dass inzident bei der Frage des zuständigen Mitgliedstaates geprüft werden müsste, wie der zuständige Zielstaat entschieden hat oder entscheiden würde und ob diese Entscheidung den eigenen nationalen Voraussetzungen entsprechen würde, sodass quasi in eine hypothetische materielle Prüfung einzusteigen wäre.
e) Die Antragsgegnerin ist auch nicht verpflichtet, nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO selbst in die materielle Prüfung des Asylbegehrens der Kläger einzutreten. Eine Pflicht zum Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO nach erfolgter Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats kommt nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht und ist selbst nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht zwingend anzunehmen (vgl. EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – NVwZ 2014, 129 Rn. 37). Dafür sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich.
f) Ein der Abschiebung nach Slowenien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 11 f.), ist ebenfalls nicht vorgetragen worden und nicht ersichtlich.
g) Auch wenn man neben der Frage des Vorliegens systemischer Mängel i.S.d. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO in Dublin-Verfahren nach dem Wortlaut von § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG eine Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG für erforderlich hält (a.A. VG Potsdam, B.v. 19.10.2016 – 6 L 977/16.A – juris), führt dies im Ergebnis nicht dazu, dass hier solche Abschiebungsverbote anzuerkennen wären. Das Vorliegen der Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG ist nicht ersichtlich, insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des Bescheides verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
h) Schließlich begegnet auch die Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Befristung auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung ist ermessensfehlerfrei innerhalb der in § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG normierten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Besondere Umstände sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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